Redner(in): Monika Grütters
Datum: 11. Februar 2015

Untertitel: Zum Auftakt der ARD-Veranstaltung "Top of the docs" im Rahmen der Berlinale betonte Monika Grütters: "Wenn wir wollen, dass es auch künftig Freiberufler gibt, die sich für einen differenzierten, recherche-intensiven Dokumentarfilm über Monate mit einem drängenden Thema beschäftigen, dann müssen wir - die Sender genauso wie die Politik - dafür sorgen, dass Kreative und Filmschaffende von ihrer Arbeit leben können".
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2015/02/2015-02-11-gruetters-top-of-the-docs.html


Zum Auftakt der ARD-Veranstaltung "Top of the docs" im Rahmen der Berlinale betonte Monika Grütters: "Wenn wir wollen, dass es auch künftig Freiberufler gibt, die sich für einen differenzierten, recherche-intensiven Dokumentarfilm über Monate mit einem drängenden Thema beschäftigen, dann müssen wir - die Sender genauso wie die Politik - dafür sorgen, dass Kreative und Filmschaffende von ihrer Arbeit leben können".

Anrede,

Mit der Berlinale und der ARD feiern in diesem Jahr gleich zwei Institutionen ihren 65. Geburtstag, die in Deutschland zur Vielfalt von Kultur und Medien beitragen und sich dabei - jede auf ihre Weise - mit Qualität einen Namen gemacht haben. Und doch scheint, zumindest was die Entwicklung des Fernsehens und die Chancen für filmische Qualität betrifft, ein anderer runder Geburtstag bedeutsamer, von dem vermutlich kaum jemand Notiz nimmt:

Die Fernbedienung wird 60!

Es war der Amerikaner Eugene Polley, der 1955 die "Flash-Matic" erfunden hat, die erste kabellose Fernbedienung, die optisch ein bisschen an einen Fön erinnert. In einer Werbeanzeige aus dem Jahr 1955 heißt es: "You have to see it to believe it! Flash-Matic Tuning - A flash of magic light from across the room ( no wires, no cords ) turns set on, off, or changes channels … and you remain in your easy chair! You can also shut off long annoying commercials while picture remains on screen!"

Was auf den ersten Blick - für das Fernsehen selbst wenig revolutionär - nur dem persönlichen Komfort des Zuschauers dienlich war, hatte auch Auswirkungen auf die Programminhalte, insbesondere als irgendwann nicht mehr nur drei, sondern 30 oder 50 Programme auf Knopfdruck zur Wahl standen. Der zappende Zuschauer, der ein Programm jederzeit vom Sessel aus wegdrücken kann, verhält sich vielfach wie ein Kind auf dem Jahrmarkt: Wenn es nebenan greller blinkt und lauter knallt, zieht er weiter.

Befeuert durch das immer umfangreichere Programmangebot hat die Erfindung der Fernbedienung das, was man gemeinhin unter "Qualitätsfernsehen" versteht, zum Wagnis gemacht - und die Klagen über die zunehmende Verflachung der Fernsehprogramme, über fehlende Originalität und Tiefenschärfe, über Formate, die ausschließlich Sensationslust und Voyeurismus bedienen, zur Begleitmusik vieler medienpolitischer Debatten.

Umso mehr verdient es Aufmerksamkeit und Wertschätzung, dass die ARD in den bald 65 Jahren ihres Bestehens nicht nachgelassen hat in ihrem Anspruch, ein vielfältiges und qualitativ hochwertiges Programm anzubieten - ein Programm, in dem auch anspruchsvolle Inhalte und Themen abseits des Mainstreams einen Platz haben.

Dafür stehen nicht zuletzt die Dokumentationen und Dokumentarfilme - ein Genre, in dem die ARD ihrem Anspruch "Bei uns sitzen Sie in der ersten Reihe" als Nummer 1 im deutschen Fernsehen alle Ehre macht: Kein anderer Sender toppt die 143 Sendeminuten, die das Erste pro Tag durchschnittlich Dokumentationen und Reportagen widmet.

Auf der diesjährigen Berlinale laufen insgesamt 19 Dokumentarfilme, die in ARD-Koproduktionen entstanden sind, verteilt über alle Sektionen. Einer davon,"Der Perlmuttknopf", eine WDR-Koproduktion, steht im diesjährigen Wettbewerb. Und auch der Wettbewerb "Top of the Docs" zeigt, wie wichtig den Programmverantwortlichen das anspruchsvolle Genre des Dokumentarfilms ist - ein filmisches Genre, das intensive Recherche, Erzählkunst, Perspektivenwechsel, differenzierte Betrachtung und atmosphärisch starke Bilder vereint, das sich oft "unterbelichteten Themen" oder Aspekten eines Stoffes widmet und damit immer wieder wichtige gesellschaftliche Debatten anstößt.

Es freut mich sehr, dass die ARD diesem Genre so viel Aufmerksamkeit widmet und ihm Raum im Programm gibt - gerade weil mir bewusst ist, wie schwierig es ist, die Gratwanderung zu schaffen zwischen Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Auftrags einerseits und dem in Quoten gemessenen Publikumserfolg andererseits. Dennoch bin ich der Meinung, dass die öffentlich-rechtlichen und auch die ARD ruhig noch etwas mutiger sein dürften, wenn es darum geht, sich dem Diktat der Quote zu widersetzen.

Wenn ich sehe, dass die ARD auf der diesjährigen Berlinale mit 44 Koproduktionen vertreten ist, vier davon im Wettbewerb ( unter anderem Andreas Dresen,"Als wir träumten" ) , wenn ich mir außerdem das beachtliche Engagement der Sender nicht nur als Ko-Produzenten und Kofinanzierer, sondern auch im Rahmen der Filmabgabe an die FFA und durch finanzielle Unterstützung der Länderfilmeinrichtungen anschaue, dann kann ich nur sagen: Bitte ( noch ) mehr gute Sendeplätze für all die guten Kino- und Dokumentationsfilme, die wir diesem Engagement verdanken und die ein Aushängeschild für die ARD sind!

Zu vieles davon begegnet dem geneigten Leser bei der Lektüre des Fernsehprogramms wochentags zu später Stunde oder gar ausgelagert in ARDalpha, Arte oder 3sat!

In diesem Zusammenhang möchte ich auch noch einmal dafür werben, mehr Kurzfilme ins Programm aufzunehmen. Das sollte uns allen, die wir uns für Filmkunst begeistern, ein Anliegen sein. Denn Kurzfilme sind gerade für junge Filmemacher eine Probebühne für größere Produktionen. Dank der 2013 eingeführten Haushaltsabgabe eröffnen sich ja bei der Programmplanung möglicherweise trotz der Sperrung durch die KEF neue Spielräume für bisher nicht realisierbare Programmforderungen. In jedem Fall aber sollten Gelder, die von der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs für Programmausgaben bewilligt sind, auch tatsächlich ins Programm fließen, damit sie nicht zuletzt auch Dokumentarfilmen und Dokumentationen zugute kommen.

Die Budgets der Sender entscheiden ja auch mit über die Arbeitsbedingungen von freiberuflichen Journalisten, von Filmschaffenden, von Kreativen. Wenn wir wollen, dass es auch künftig Freiberufler gibt, die sich für einen differenzierten, recherche-intensiven Dokumentarfilm über Monate mit einem drängenden Thema beschäftigen, dann müssen wir - die Sender genauso wie die Politik - dafür sorgen, dass Kreative und Filmschaffende von ihrer Arbeit leben können ( und nicht nur mühsam überleben ) !

Dieser Aspekt scheint mir im Zusammenhang mit der Verfügbarkeit von Dokumentarfilmen und Dokumentationen im Internet zu kurz zu kommen. Das Papier der Arbeitsgemeinschaft Dokumentarfilm ging ja diese Tage durch die Presse. Die Gratis-Mentalität im Zusammenhang mit geistigem Eigentum, von der darin die Rede ist, halte ich für kulturpolitisch inakzeptabel.

Wer künstlerische und kreative Leistungen in Anspruch nimmt, der muss auch dazu beitragen, dass Künstlerinnen und Künstler angemessen bezahlt werden. Verträge, die dem Urheber einen fairen und angemessenen Anteil am Ertrag aus seiner kreativen Leistung sichern, sollten selbstverständlich sein. Wir müssen sicherstellen, dass eine angemessene Vergütung für Urheber und Produzenten auch bei einer geänderten Online-Verwertung erhalten bleibt - Stichwort 7-Tage-Regel …

Ich bin überzeugt, dass sich anspruchsvolle Inhalte und journalistische Qualität nur behaupten können, wenn sie uns auch etwas wert sind. Filme, wie sie im Rahmen von "Top of the docs" präsentiert werden, - Filme, die differenziert informieren, die sperrige, schwierige Themen behandeln, die den Finger in die Wunde legen und die für die gesellschaftliche Diskussion deshalb von großer Bedeutung sind - , solche Filme sind nur mit guten Rahmenbedingungen für künstlerische Freiheit zu haben, und dazu gehört, dass Online- Nutzungsrechte für kreative Leistungen angemessen vergütet werden. In diesem Sinne setze ich mich auch für eine Anpassung des Urheberrechts an das digitale Zeitalter ein.

Unser Grundgesetz, meine Damen und Herren, garantiert das Recht auf Meinungs- und Informationsfreiheit, die Pressefreiheit und Rundfunkfreiheit, um die unabhängige und freie Meinungsbildung sicher zu stellen, die für eine funktionierende Demokratie notwendig ist. Dahinter steht die auch aus unseren Erfahrungen mit der Diktatur des Nationalsozialismus gewonnene Überzeugung, dass eine freie Presse, eine vielfältige Medienlandschaft, eine kritische, informierte Öffentlichkeit und ein lebendiger Diskurs die stärksten Garanten sind für Demokratie und gegen staatliche Willkür die Überzeugung, dass Leser, Hörer, Zuschauer und Internet-Nutzer eben nicht nur Konsumenten auf einem Markt sind, auf dem die Nachfrage das Angebot bestimmt, sondern Bürgerinnen und Bürger, die einen Anspruch haben auf das, was Qualitätsmedien zu leisten imstande sind.

Deshalb brauchen wir auch in Zukunft einen starken, gebührenfinanzierten und politisch wie wirtschaftlich unabhängigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Die ARD ist dafür gut gerüstet und steht zusammen mit dem ZDF und dem Deutschlandradio für Qualität, guten Journalismus und Informationskompetenz.

Die Erfindung der Fernbedienung vor 60 Jahren hat zur ständigen Versuchung beigetragen, mediale Inhalte an den leicht kommerzialisierbaren Unterhaltungsinteressen der breiten Masse auszurichten. Dieser Versuchung zu erliegen, hieße für die öffentlich-rechtlichen Anbieter allerdings, an dem Ast zu sägen, auf dem sie sitzen. Denn die Sonderbehandlung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in unserem dualen Rundfunksystem, das sich über viele Jahre bewährt hat, ist nur solange gerechtfertigt, wie die Sender das Qualitätsversprechen einlösen, das an das Privileg der Gebührenfinanzierung geknüpft ist.

Der erfreulich hohe Anteil an Dokumentarfilmen im Programm des Ersten ist der sichtbare Beweis für diesen Anspruch, und ich kann nur an Sie appellieren, meine Damen und Herren, diesen Ihren Qualitätsansprüchen treu zu bleiben. Setzen Sie sich mit mir gemeinsam dafür ein, dass im Rausch des technisch Machbaren und im Spiel der Marktkräfte die Frage nach der für unsere Demokratie so entscheidenden Qualität und Vielfalt der Inhalte nie zweitrangig wird!