Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 16.02.2001

Untertitel: Ich freue mich, hier sein zu können, nicht zuletzt weil ich in der Tat eine sehr enge Beziehung zu dem habe, was hier auf der Messe und auf ihren Ständen geschieht
Anrede: liebe Frau Oberbürgermeisterin Roth, meine sehr verehrten Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/17/32217/multi.htm


Verehrte

Ich freue mich, hier sein zu können, nicht zuletzt weil ich in der Tat eine sehr enge Beziehung zu dem habe, was hier auf der Messe und auf ihren Ständen geschieht. Es werden insbesondere Glas und Porzellan, also schöne Dinge für die Haushalte ausgestellt. Meine eigene Beziehung dazu besteht darin, dass ich das alles einmal gelernt habe. Von 1958 bis 1961 war ich nämlich Porzellanfachhändlerlehrling und weiß deswegen, aus alter Zeit natürlich, eine ganze Menge.

Ich habe mich auch auf dem Laufenden gehalten. Ich war im Ehrenaufsichtsrat einer wunderbaren Porzellanmanufaktur. Sie schrieb auch nicht immer nur schwarze Zahlen. Das ist bei den Manufakturen ein Problem; wir wissen das. Ich rede natürlich über Fürstenberg aus Niedersachsen. Das nur als Einführung, damit Sie sehen, dass ich eine sehr enge Beziehung vielleicht nicht zur "Ambiente", aber zu dem, was sich hier vollzieht und präsentiert wird, habe.

Auch ich wünsche Ihnen, dass die Trends, die Sie aufgespürt haben, die richtigen sind. Wenn ich mir das Konsumverhalten im abgelaufenen Jahr und die Prognosen anschaue, ist mein Eindruck, dass sich die Konjunktur ganz gut entwickeln könnte, und zwar deshalb, weil die Bundesregierung die richtigen makroökonomischen Daten gesetzt hat. Denn sonst wären die Erfolge, auf die Sie verwiesen haben, gar nicht denkbar. Jene 3,1 Prozent Wachstum, von denen Herr Fuchs geredet hat, sind in den letzten zehn Jahren tatsächlich einmalig.

Jene 2,8 Prozent, mit denen in diesem Jahr trotz nachlassender Konjunktur in den Vereinigten Staaten und der damit einhergehenden Auswirkungen auf die Weltwirtschaft gerechnet werden kann, sind bei einer so entwickelten Volkswirtschaft wie der deutschen auch kein Pappenstiel. Das muss irgendwo herkommen. Das kann nicht damit zusammenhängen, dass die falschen, sondern muss damit zusammenhängen, dass die richtigen makroökonomischen Daten gesetzt worden sind. So ist es in der Tat auch.

Was haben wir in der Finanz- und Wirtschaftspolitik gemacht? Wir haben - ich freue mich über das Lob, das Sie verteilt haben; ich hatte es gar nicht erwartet - erstens eine Wirtschafts- und Finanzpolitik gemacht, die auf der einen Seite den Konsolidierungsnotwendigkeiten der staatlichen Haushalte, soweit wir verantwortlich sind, genügt und auf der anderen Seite Wachstumskräfte in der privaten Wirtschaft mobilisieren wird, die beachtlich sind.

Konsolidierung war also kein Selbstzweck, sondern hatte und hat den Grund darin, dass es nicht fair ist, wenn wir uns angewöhnen, auf Pump zu leben, weil wir dann das aufessen, wovon Kinder und Enkelkinder auch leben wollen. Es hat nun einmal mit Gestaltungsmöglichkeiten zu tun, wenn man darauf achtet, dass in der Gegenwart die Ressourcen nicht verbraucht werden zulasten derer, die in der Zukunft über ihr Leben selbst bestimmen wollen.

Die Konsolidierung hat es übrigens auch deswegen gegeben, weil sie europäisch geboten ist. Nur die Konsolidierungspolitik ermöglicht es, dass die unabhängige Zentralbank in Europa insgesamt nicht wachstumshemmende, sondern wachstumsfördernde Zinspolitik machen kann. Dieser Zusammenhang bleibt wichtig und richtig. Deswegen wird diese Politik auch fortgesetzt.

Der zweite Punkt betrifft die Steuerpolitik. Sie, Herr Präsident Fuchs, haben darauf hingewiesen, aber auch einiges weggelassen. Ich will versuchen, es Ihnen noch einmal zu erklären, damit Sie das in der nächsten Rede gleich verwerten können.

Was haben wir gemacht? - Wir haben gesagt: Die Körperschaften sollen nur 25 Prozent Steuern zahlen. Es gibt dann im Durchschnitt noch 13 Prozent Gewerbeertragssteuer. Das summiert sich auf eine im internationalen Maßstab gesehen sehr vernünftige Besteuerung von rund 38 Prozent. Diese Besteuerung der Körperschaften ist das, was man eine Definitivbesteuerung nennt. Das heißt, diese 38 Prozent werden von der ersten Mark an geschuldet.

Jetzt sehen wir mal auf die Personengesellschaften in Deutschland, in der Tat der wichtigste, weil auch weitaus größte Bereich. Es hat Vorteile, wenn es die persönliche Haftung des Einzelnen oder der Familie gibt, wenn nicht alles anonyme Körperschaften sind. Sie werden systematisch anders behandelt als die Körperschaften. Sie werden nämlich nach Einkommensteuer veranlagt. Es ist richtig: Wir haben den Spitzensteuersatz zunächst auf 48,5 Prozent gesenkt. Er wird - das ist bereits Bestandteil des Gesetzes - im Jahr 2005 auf 42 Prozent sinken. Diese Einkommensbesteuerung ist - man kann das als Ehrenpräsident wissen - keine Definitivbesteuerung, sondern eine Grenzbesteuerung. Das heißt, der Satz von 48,5 Prozent - später 42 Prozent - wird eben nicht von der ersten Mark geschuldet, sondern von der letzten oder vorletzten.

Nun hat es etwas gegeben, was es in Deutschland bisher nicht gegeben hat und was die Verbandsvertreter des Mittelstandes immer gern verschweigen. Wir haben nämlich eine alte Forderung gerade der mittelständischen Unternehmen realisiert. Wir haben die Gewerbeertragsteuer faktisch abgeschafft.

Tatsächlich abschaffen konnten wir sie nicht, weil sonst Frau Roth auf die Barrikade gegangen wäre - das Wort "Barrikade" darf man hier in Frankfurt ja nicht mehr sa-gen - , weil Frau Roth also sonst protestiert hätte. Das hätten auch ihre Kolleginnen und Kollegen überall in den Kommunen getan, egal welche Farbe sie parteipolitisch vertreten. Bei der Frage sind sich alle einig: Ohne Moos nichts los.

Wir konnten die Gewerbeertragsteuer - die Gewerbekapitalsteuer war längst abgeschafft - rechtlich nicht abschaffen, weil die kommunale Selbstverwaltungsgarantie das nicht erlaubt. Aber wir haben sie faktisch abgeschafft, weil wir nämlich die Möglichkeit geschaffen haben, jene zu zahlende Gewerbeertragsteuer in vollem Umfang - jedenfalls, was den durchschnittlichen Bereich angeht, bis zu 360 Gewerbeertragsteuerpunkten - von der geschuldeten Einkommensteuer abzuziehen. Wenn die durchschnittliche Gewerbeertragsteuer 13 Prozent beträgt und der Spitzensteuersatz jetzt 48,5 Prozent - 2005 42 Prozent - ist, dann müsste man diese 13 Prozent geschuldete Gewerbeertragsteuer eigentlich abziehen und käme nach Adam Riese auf einen Satz, der unterhalb dessen liegt, was definitiv von den Körperschaften zu zahlen ist.

Nun höre ich das Argument: Aber es gibt ja ganz viele Mittelständler, die gar keine Gewerbeertragsteuer zahlen, weil die Freibeträge so hoch sind. Darauf muss ich antworten: Was sie an Steuern nicht zahlen, das kann ich ihnen auch nicht erlassen. Das geht nicht. Es ist selbst meiner Regierung unmöglich, dafür entsprechende Vorkehrungen zu treffen.

Jetzt hat Herr Fuchs Folgendes gesagt: Aber Ihr habt ja übersehen, dass Ihr im Gegenzug zur Finanzierung Eurer Steuerreform die Abschreibungstabellen verändert habt. Das ist auch richtig. Wir haben das mit den Verbänden - Sie haben fairerweise darauf hingewiesen - besprochen und gesagt: Wir brauchen, um die Steuersätze herunterzubringen, 3,5 Milliarden DM Gegenfinanzierung. Wir können nämlich die niedrigen Steuersätze nicht mit deutschen Abschreibungsregeln, wie sie in der Vergangenheit waren, kombinieren. Schließlich müssen wir von staatlicher Seite auch für Infrastruktur sorgen.

Also haben wir vereinbart: 3,5 Milliarden DM brauchen wir zur Gegenfinanzierung und diese werden über die Veränderung der Abschreibungstabellen realisiert. Dann hat es, wie nicht anders zu erwarten, von den Verbänden und der Wirtschaft Proteste gegeben. Sie haben gesagt: Ihr nehmt nicht 3,5 Milliarden DM, sondern Ihr nehmt durch die Veränderung der Abschreibungstabellen sieben Milliarden DM ein. Einige sind rechnerisch sogar auf bis zu zehn Milliarden DM gekommen. Ich habe immer gesagt: So viel wollen wir nicht. Wir sind ordentliche Kaufleute. Wir halten das ein, was wir gesagt haben.

Was war das Ergebnis? Die Experten von BDI und Finanzministerium haben sich zusammengesetzt und gesagt: Nun lasst uns doch einmal eine gemeinsame Rechnung machen, was nun wirklich durch die Veränderung der Abschreibungstabellen hereinkommt. Diese Berechnung ist vor kurzem abgeschlossen worden. Interessant ist nun Folgendes. Die Experten des BDI und des BMF haben gerechnet und sind gemeinsam darauf gekommen, dass durch die Veränderung der allgemeinen Abschreibungstabelle etwa 2,3 bis 2,5 Milliarden DM realisiert werden. Und nun kommt das für mich unheimlich Interessante, was Verbandspolitik angeht. Ich dachte natürlich, als ich das auf den Tisch bekam: Das kannst du gleich bei der Eröffnung der "Ambiente" sagen. - Das darf ich hier aber nicht sagen.

Es ist nicht erlaubt, darüber zu schreiben oder irgend etwas darüber zu publizieren. Wir sind gleichsam unter uns. Denn die Verbandsspitze hat gesagt: Wir, die politische Spitze des Verbandes, behalten uns vor, der Berechnung, die die beiden gemacht haben, zuzustimmen. Ich warte bis heute auf die Zustimmung der Verbandsspitze zu einem Rechenwerk, das ihre eigenen Experten mitberechnet haben. Ich frage mich nur: Warum stimmen die nicht zu, wenn doch die eigenen Experten mit den Experten des Finanzministeriums zu den gleichen Ergebnissen gekommen sind? Das kann nur daran liegen, dass ich hier auf der "Ambiente" nicht darüber reden sollte. Also habe ich es auch nicht getan.

Aber wenn Sie, Herr Fuchs, oder Ihr Nachfolger dieses Rechenwerk auf den Tisch bekommen, müssen Sie sich jetzt überlegen: Wenn Sie nicht zustimmen, kann das keinen sachlichen Grund haben. Dann kann das nur den Grund haben, dass Sie auch in Zukunft zu den Abschreibungstabellen Reden halten wollen, wie Sie sie hier gehalten haben. Deswegen habe ich das Thema auch nicht angesprochen.

Wir haben in der Steuerpolitik - ich hoffe, das ist deutlich geworden - makroökonomische Daten gesetzt, die positive Wirkungen haben. Das Wirtschaftswachstum im vergangenen Jahr betrug 3,1 Prozent. Wir sind wirklich stolz darauf. Sie haben Recht, wenn Sie sagen: Da ist eine Menge über die Weltkonjunktur gelaufen. Das ist wahr. Das ist aber auch nichts Schlechtes. Wir sollten uns nicht angewöhnen, Exporterfolge, die mit der Kraft unserer Volkswirtschaft auf den internationalen Märkten zu tun haben, schlecht zu reden.

Das hat im Übrigen auch mit Beteiligungsrechten von Arbeitnehmern in solchen erfolgreichen Unternehmen zu tun. Weil das nämlich bei Umstrukturierungen und beim Anpassen an veränderte Bedingungen hilft, werden wir darum gelegentlich beneidet. Die Volkswirtschaften, die ein so entwickeltes Teilhaberecht nicht haben, halten wir uns gelegentlich als Beispiele vor Augen, - beispielsweise in Südostasien oder Japan. Viele Jahrzehnte lang ist uns zum Beispiel von Graf Lambsdorff, den ich persönlich sehr schätze, Folgendes gesagt worden - ich erinnere mich daran noch immer: Durch die Maßnahmen, die Ihr getroffen habt, entstehen nur dort Arbeitsplätze.

Wenn Sie sich das heute anschauen und einen Vergleich bezüglich der Stabilität und der Dynamik der Volkswirtschaften in Deutschland und Japan ziehen, ist die Antwort ganz leicht: Entweder sind wir so gut trotz entwickelter Teilhaberechte, die die andere nicht haben, oder wir sind es wegen unserer Mitbestimmung. Ich bin ganz sicher, wir sind es wegen dieser Teilhaberechte.

Sie haben Recht, wenn Sie sagen, ein Teil des realisierten Wachstums hat mit der Außenkonjunktur zu tun. Dies wird auch weiter so sein. Aber - jetzt kommt die andere Seite der Steuerpolitik; wir haben ja eben nur über die Unternehmensbesteuerung geredet - wir haben auch für die Nachfrageseite etwas getan. Wir finden es nämlich unsinnig, die Angebots- und die Nachfrageseite gegeneinander auszuspielen. Das ist objektiv unsinnig, weil beides zusammengehört.

Auf der Nachfrageseite haben wir zur Stabilisierung und zum Wachstum der Masseneinkommen eine Menge getan. Wir wussten doch, dass wir neben einer extrem gut laufenden Außenkonjunktur und großartigen Exporterfolgen unserer Wirtschaft etwas für die Stabilisierung der Binnenkonjunktur tun mussten. Denn sie ist angesichts der Tatsache, dass mehr als drei Viertel des Sozialproduktes von der Binnenkonjunktur und nur ein Viertel von der Außenkonjunktur abhängen, natürlich eminent wichtig.

Deswegen haben wir parallel zur Unternehmensteuerreform eine Steuerpolitik und eine Familienleistungspolitik gemacht, die erstens den Familien mit Kindern über das Kindergeld ein erhebliches Mehr an Leistungen gegeben hat und zweitens durch die Absenkung der Eingangssteuersätze und die Erhöhung des Existenzminimums dazu geführt hat, dass in Deutschland mehr Nachfrage, nicht zuletzt nach Konsumgütern, generiert wird. Die Steuerreform, die allein in diesem Jahr Unternehmen wie Verbraucher um insgesamt 45 Milliarden DM entlastet, wird Auswirkungen auf die Stabilisierung der Binnenkonjunktur haben.

Ich finde, dass das, was wir in diesem Bereich gemacht haben, wirklich Anerkennung verdient. Ich verstehe auch, dass die Verbände sagen: Angesichts der Verbandsinteressen, für die wir stehen, reicht uns das nicht, was Ihr gemacht habt. Das sagen uns umgekehrt die Leute in den Gewerkschaften auch. Das Problem, das wir in einer komplexen Gesellschaft haben, ist doch gerade, dass Verbände, so wichtig sie auch sein mögen, Einzelinteressen formulieren. Es ist aber Aufgabe der Politik, das Gemeinwohl zu formulieren und durchzusetzen. Das ist eben nicht identisch mit dem einzelnen Verbandsinteresse, so wichtig das auch sein mag.

Deswegen können komplexe Industriegesellschaften nur dann vernünftig geführt werden, wenn man sich auch in wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Fragen immer wieder um einen vernünftigen, dem Ganzen helfenden Ausgleich kümmert. Das ist die Aufgabe von Politik. Das ist keine Kungelei. Das ist Interessenausgleich in komplexen Gesellschaften, der sich öffentlich vollzieht.

Sehen wir uns jetzt einmal die Daten an, ob uns das gelungen ist. Bevor wir ins Amt kamen, gab es in Deutschland 4,4 Millionen Arbeitslose. Das sind jetzt eine halbe Million weniger. Im Jahresdurchschnitt 2000 waren das 3,9 Millionen. Und im Vergleich zu 1999 sind allein im vergangenen Jahr 580 000 neue Arbeitsplätze entstanden. Das kann sich sehen lassen. Gerade wenn ausländische Gäste hier sind, die ich genauso wie die verehrte Frau Oberbürgermeisterin hier herzlich willkommen heiße, müssen wir als Deutsche doch einmal mit einem gewissen Stolz sagen können:

Wir, die Deutschen, haben in 2000 ökonomisch etwas zuwege gebracht und wir werden dafür sorgen, dass das 2001 genauso gut läuft. - Sie müssen ja gar nicht sagen, dass es an der Bundesregierung gelegen hat. - Aber das sich Dinge positiv entwickeln, darüber müssen wir doch reden.

Ich habe gerade den Bericht von Herrn Kopper über die Entwicklung der Investitionen ausländischer Unternehmen in Deutschland vorliegen. Meine Vorgänger hätten einen Tanz ums goldene Kalb gemacht, wenn sie solche Zahlen hätten vorweisen können. Das hat sich ins Dreistellige - wir reden hier nicht über Millionen - verbessert. Das zeigt doch, dass wir inzwischen ein hoch attraktiver Standort sind.

Sie haben auf die Rente hingewiesen. Sie haben Recht, wenn Sie sagen, das System der beitragsfinanzierten Rente, ein sehr erfolgreiches System, gerät in Schwierigkeiten. Das hat übrigens zwei Ursachen. Eine freut uns alle: Die Leute werden älter. Die Zweite ist entscheidender. Das wachsende Bruttoinlandsprodukt in Deutschland wird tendenziell mit immer weniger Vollerwerbsarbeitsverhältnissen hergestellt. Das heißt, die Arbeitsbiographien verändern sich. Wenn aber die Beiträge vor allem von Vollerwerbsarbeitsverhältnissen abhängen, kommt das System von dorther und wegen des wachsenden Alters automatisch in Schwierigkeiten. Das war der Grund, weshalb wir gesagt haben: Das Ganze jetzt nicht abschaffen und total umstellen, sondern eine zweite Säule neben die beitragsfinanzierte Säule stellen.

Ich hätte mir auch vorstellen können, dass man noch kräftiger herangegangen wäre. Aber das muss ja auch für die Durchschnittsverdiener zu leisten sein. Deshalb haben wir gesagt: Wir beginnen jetzt mit Kapitaldeckung. - Das ist in Deutschland ein ganz wichtiger Schritt. Er wird übrigens international auch so wahrgenommen - bei aller berechtigten Kritik an Einzelheiten; die gibt es bei solchen Gesetzesvorhaben immer. Aber dass wir mit der Kapitaldeckung die zweite Säule aufbauen, ist für die Zukunft unseres sozialen Sicherungssystems eminent wichtig..

Wir haben das angepackt und es gegen viele gesellschaftliche Widerstände durchgesetzt, übrigens auch gegen Widerstände in den konservativen Parteien, die gesagt haben: Seit Bismarck gibt es diese beitragsfinanzierte Rente, und zwar paritätisch und ihr müsst bei der paritätischen Finanzierung bleiben. - Das haben wir von vielen gehört, nicht nur aus den Gewerkschaften. Von Norbert Blüm auch. Wir haben das gleichwohl durchgesetzt, weil wir nur so die Zukunft des ganzen Systems sicherstellen können.

Sie haben auch über die Möglichkeit geredet, Menschen in Deutschland befristet einzustellen, ohne dass man dafür einen Grund angeben muss. Ich finde mich deswegen in diesem Punkt unfair behandelt, Herr Fuchs, weil ich da von Ihnen eigentlich ein Lob erwartet hätte. Sie wissen, die befristeten Einstellungen in Deutschland basierten auf dem Beschäftigungsförderungsgesetz. Gegen dieses Beschäftigungsförderungsgesetz hatten die Gewerkschaften und die SPD, als sie noch in der Opposi-tion war, mobil gemacht. Aufgrund des gesellschaftlichen Widerstandes gegen dieses Beschäftigungsförderungsgesetz und der damit verbundenen Möglichkeit, Leute vier Mal sechs Monate befristet einzustellen, hatte die alte Regierung gesagt: Wir machen das einmal probehalber und das wird am 31. 12. 2000 beendet. So stand es im alten Beschäftigungsförderungsgesetz.

Wir haben jetzt, vor dem Hintergrund, dass alle die, die in meiner Partei etwas zu sagen haben, gegen dieses Beschäftigungsförderungsgesetz gekämpft haben, aufgrund der Notwendigkeit zur Flexibilität eine Entfristung vorgenommen: Wir haben damit letztlich das gemacht, was eine konservative Mehrheit gegen den gesellschaftlich Widerstand nicht geschafft hatte.

In der Tat: In Deutschland kann man jemanden vier Mal sechs Monate befristet einstellen. Was aber nicht mehr geht, sind Kettenarbeitsverträge. Das von Ihnen, Herr Fuchs, bemühte Beispiel ist nun wirklich an den Haaren herbeigezogen. Das Gesetz gilt auf Dauer. Damit haben wir Flexibilitätserfordernisse der Wirtschaft auf der einen und Sicherheitsbedürfnisse von Beschäftigten auf der anderen Seite in vernünftiger Weise überein gebracht. Denn diese Sicherheitsbedürfnisse von Beschäftigten gibt es auch. Wenn Sie jemandem, der jung ist und arbeiten will, länger als zwei Jahre sagen: "Ich weiß aber nicht, ob ich dich beschäftigten kann, obwohl du gut bist", dann hat der einen solchen Mangel an Planbarkeit und Verlässlichkeit, was sein eigenes Leben und die Zukunft seiner vielleicht zu gründenden Familie betrifft, zu ertragen, den ich nicht in Ordnung finde.

Wir mussten also die Flexibilitätserfordernisse der Wirtschaft mit den Sicherheits- und Planbarkeitsbedürfnissen der einzelnen Beschäftigten überein bringen. Wenn Sie vier Mal sechs Monate jemanden befristet einstellen, dann wissen Sie, ob er etwas taugt, und Sie können innerhalb dieser zwei Jahre auch Ihre Unternehmensplanung so einrichten. Ich finde, das ist ein fairer Ausgleich. Ich habe eigentlich auf mehr Verständnis dafür gehofft, welche Kraft es gekostet hat und welche Überzeugungsarbeit zu leisten war, diejenigen, die gegen jede Form der befristeten Einstellung waren, dazu zu bewegen, einem Gesetz, das die anderen nur auf Probe hingekriegt hatten, zuzustimmen und es auf eine dauerhafte Grundlage zu stellen.

Wenn man einmal einen Strich darunter zieht, dann haben wir in den letzten zweieinviertel Jahren die makroökonomischen Daten in und für Deutschland so gesetzt, dass dieses Land stärker, dynamischer und erfolgreicher geworden ist - sowohl nach innen, was die Beseitigung von Missständen angeht, als auch vor allen Dingen nach außen, was die Konkurrenzfähigkeit unseres Landes auf den internationalen Märkten angeht.

Ich bin fest davon überzeugt, dass wir das noch verbessern können. Wir werden das auch verbessern. Aber wir haben allen Anlass, gerade den internationalen Gästen zu sagen: Es lohnt, hier in diesem Land zu arbeiten, zu leben und zu investieren. Die Tatsache, dass wieder einmal so viele zur "Ambiente" gekommen sind, zeigt mir, dass das auch so verstanden wird.

Mein Wunsch ist, dass Sie hier gute Geschäfte machen, aber nicht nur. Ich weiß, dass Frankfurt eine schöne und lebenslustige Stadt ist. Wenn Sie einen Tipp brauchen, fragen Sie die Frau Oberbürgermeisterin und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Sie werden Ihnen sicherlich mit Rat und Tat zur Seite stehen können.

Ich wünsche Ihnen also nicht nur gute Geschäfte hier in Frankfurt, sondern auch einen angenehmen Aufenthalt in dieser Stadt und in Deutschland.