Redner(in): Julian Nida-Rümelin
Datum: 19.02.2001

Untertitel: Film ist nicht nur ein Unterhaltungsmedium, sondern ein Medium der Kunst, für das die Gemeinden, die Länder, auch der Bund eine besondere Verantwortung tragen.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/48/32548/multi.htm


Anrede Ich bin hergekommen, um Anregungen aufzunehmen, bin dennoch um ein Grußwort gebeten worden, werde mich aber sehr kurz halten.

Ich finde es gut, dass neben den Runden "Bündnis für den Film", die wir fortsetzen werden, gewissermaßen flankierend diese Foren der Friedrich-Ebert-Stiftung stattfinden, und zwar fokussiert jeweils auf ein Thema - heute also die Situation des Verleihs und der Verleiher. Ich denke, wir müssen das in dem größeren Kontext der Bedeutung des Films als Kulturgut in Deutschland sehen, und wenn ich so in die Runde schaue, habe ich den Eindruck: Ich muss das hier nicht besonders betonen. Dennoch möchte ich zwei Aspekte nennen, die mir gleichermaßen wichtig sind.

Der eine Aspekt ist, dass sich kulturelle Identitäten unter dem Eindruck von Medien vor allem in den jüngeren Jahren herausbilden - dazu gehört das Internet, dazu gehören die Zeitungen, dazu gehört das Fernsehen, dazu gehört auch der Kinofilm. Diese Identitäten verändern sich dann so ab Mitte, Ende 20 kaum noch. Und wenn im Laufe dieses Prozesses, der für die Persönlichkeitsbildung so wichtig ist, der Film in einer Form präsentiert wird, die die kulturelle Vielfalt in Europa, die kulturelle Vielfalt der Welt, die eigene kulturelle Entwicklung und den eigenen kulturellen Kontext nicht angemessen widerspiegelt, so besteht darin ein Problem.

Ich will es als Gedankenexperiment noch ein wenig zuspitzen. Wenn die "US-amerikanische Kultur","US-amerikanische Lebensart" und "US-amerikanische Werte" ( das alles muss man in Anführungszeichen setzen, weil die US-amerikanische Gesellschaft eine kulturell sehr vielfältige Gesellschaft ist ) global dominieren würde, erschiene dieser Prozess nur als ein Begleitphänomen. Dem ist aber meiner Einschätzung nach nicht so. Die Dominanz des US-amerikanischen Films darf man nicht damit verwechseln, dass die spezifisch amerikanische Lebensart oder die amerikanischen Lebensarten unterdessen in Europa oder weltweit für alle Vorbildcharakter hätten.

Der Grund für die Dominanz des US-amerikanischen Films ist primär an anderer Stelle zu suchen. Wenn dieser Befund stimmt, zu dem es sicher viel zu diskutieren gäbe, dann gibt es einen kulturpolitischen Auftrag: Nämlich angesichts der spezifischen Rolle des Films bei der Ausprägung kultureller Identitäten zu versuchen, die Rahmenbedingungen so zu verbessern, dass sich die kulturelle Vielfalt in Europa in den Filmen und in den Kinos niederschlägt.

Die Zahlen sind da nicht so ganz erfreulich, insbesondere was den innereuropäischen Austausch angeht. Das betrifft auch den Anteil französischer Filme in deutschen Kinos, also nicht nur die Anzahl deutscher Filmproduktionen in deutschen Kinos, es betrifft auch italienische Filme in deutschen Kinos, deutsche Filme in französischen Kinos oder spanische. Mit anderen Worten: die Situation bietet nicht gerade Anlass zu Jubel. Da ist eine Fehlentwicklung im Gange, wobei ich gleich hinzufügen möchte: Leichte, sozusagen rein "kulturpolitische" Lösungen, indem etwa das eine oder andere Instrument der Filmförderung umgestellt wird, gibt es meiner Meinung nach nicht. Deshalb brauchen wir einen breit angelegten Diskurs. Hier stellt sich auch die Frage nach der Kreativität. Was trägt zu einem hohen Kreativitätspotenzial bei? Was hat in den Jahren der Hoch-Zeit des deutschen Films diese besondere Atmosphäre geschaffen? Die Politik kann da bestenfalls flankierend tätig werden.

Meine zweite Bemerkung betrifft den Film nicht als Unterhaltungsmedium, sondern als Medium der Kunst. Da, glaube ich, haben die Gemeinden, die Länder, auch der Bund eine besondere Verantwortung: Nämlich den Film, den Kinofilm, als Kunstwerk und den Kinofilm in seiner - ich sage das ganz bewusst - kunsthistorischen Entwicklung präsent zu halten. Wie das zum Beispiel geschieht in kommunalen Filmmuseen. Es ist ein ganz wesentlicher Aspekt, dass ein Teil der Kinogänger, auch der jüngeren Kinogänger, nicht nur der Cineasten älterer Jahrgänge, sich einmal vergewissern kann, wie sich der Film entwickelt hat und was für Meisterwerke oft unter technisch sehr schwierigen Bedingungen bereits vor vielen Jahrzehnten entstanden sind.

Dieses Faszinosum des Gesamtkunstwerks'Film'durch die Distanz zum aktuellen Filmschaffen immer wieder deutlich zu machen, ist, glaube ich, ganz wichtig. Deshalb sind diejenigen Kinos zu fördern, die das Angebot nicht verengen auf das, was gerade gängig ist und die große Kasse macht. Damit meine ich Kino-Programm-Preise, wie sie im Rahmen der kulturellen Filmförderung des Bundes und der Gemeinden vergeben werden, aber auch die Förderung von Kinderfilmen, Drehbüchern und schließlich dem Verleih von kulturell bedeutsamen Filmen. Ich wünsche, dass sich aus dieser Diskussion einige Anregungen ergeben. Sie werden von mir keine Äußerungen erwarten, die vorschnell die Lösung der Problematik versprechen, was die internationale Durchsetzungsfähigkeit des deutschen Films betrifft und was die Vielfalt der Filmangebote in Deutschland angeht.

Ich möchte nicht leichtfertig Erwartungen wecken, dass die Politik mit einer gewissen Veränderung der Filmförderungsmaßnahmen diese Probleme lösen könnte. Wir müssen das sehr seriös angehen. Und die Zahlen sprechen für sich - die Zahlen, die über die langen Jahre hinweg seit dem Zweiten Weltkrieg zwar starken Schwankungen unterliegen, aber eine klare Tendenz aufweisen. Meine Hoffnung ist, dass wir aus Runden wie dieser, wo wir mit den Fachleuten zusammensitzen, nicht nur einen Austausch von Interessenstandpunkten mitnehmen, sondern auch eine Distanz zum eigenen Interessenstandpunkt gewinnen und das gemeinsame Interesse am Kulturgut Film verdeutlichen.

Daher möchte ich mit einer kritischen Bemerkung zu einem Vorschlag der Europäischen Kommission schließen, die staatliche Filmförderung auf eine Höchstgrenze von 50 Prozent zu begrenzen. Das entspricht einer Logik, die die Europäische Kommission in vielen Bereichen praktiziert. Man kann diese Logik neoliberal nennen - sie hat beispielsweise zu einer Liberalisierung des Strommarktes in Europa und zum Zusammenbruch kommunaler Versorgungsbetriebe geführt. Ich will hier ganz deutlich sagen: Wenn dieses neoliberale Verständnis von Politik über den Bereich der im engeren Sinne wirtschaftlichen Güter hinaus auf die Kulturgüter angewandt würde, dann wäre das das Ende der mitteleuropäischen Kulturstaatstraditionen. Und dagegen müssen wir uns wehren.