Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 23.02.2001

Untertitel: Wir haben gemeinsam, Herr Erster Bürgermeister, ein paar wichtige Entscheidungen getroffen, und wir haben sie finanzpolitisch und wirtschaftlich unterlegt - das ist ein freundliches Wort dafür, dass wir eine Menge Geld bezahlt haben.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/23/33023/multi.htm


Anrede!

Das war schon eine unglaublich freundliche Begrüßung, die ich hier erfahren habe. Ich wollte mich schon entspannt zurücklehnen, bis ich begriff, dass sie teuer werden kann. Aber so ist das, wenn jemand aus Hannover, einer wirklichen Metropole... ( lachen ) . Moment, Moment, jetzt sollte ich eigentlich wirklich gehen, nach diesem Ausbruch hamburgischen Übermuts. Ich weiß nicht, ob Sie Kurt Schwitters kennen? Der hat mal gesagt "Was soll ich in New York, wo ich doch Hannover kenne".

Aber darüber will ich heute nicht reden. Ich wollte eigentlich ein paar Bemerkungen machen zu dem, was wir in etwas mehr als zwei Jahren gemeinsam auf den Weg gebracht haben. Nur wissen Sie bereits alle, was die Bundesregierung an Positivem für das Land geleistet hat und außerdem wissen Sie es auch alle zu würdigen, bis auf Ole von Beust vielleicht. Aber dem sehe ich das nach. Darum sollte ich wohl eher ein paar Bemerkungen machen zu dem, was uns gemeinsam für Hamburg beschäftigt.

Zunächst aber hat dieses Matthiae-Mahl ja - Sie haben drauf hingewiesen, Herr Erster Bürgermeister - eine unglaublich interessante Tradition. 1356, das ist ja schon was, habe ich heute gelernt, ist sie begründet worden und die ganze Zeit über haben die Hamburger sich überlegt, wie sie Nutzen aus den Hintersaßen ziehen können. Das ist bis heute so geblieben, aber zu dem, was uns gemeinsam bewegt, will ich Ihnen ein großes Kompliment machen. Ich finde, dass das gut gegangen ist mit der Entscheidung, die das hamburgische Oberverwaltungsgericht getroffen hat. Gut gegangen, weil wichtig für die Stadt und für den norddeutschen Raum.

Es gibt ja Leute, die sagen, dieser ehemalige A3XX, jetzt A380, das sei ein Prestigeprojekt, das ökonomisch relativ wenig bringe und dass man deswegen ökologisch torpedieren dürfe. Nichts ist falscher als das. Dass Hamburg gegen harte internationale Konkurrenz, europäische Konkurrenz, als Produktionsstandort gewonnen hat, das kann man für Hamburg und für ganz Norddeutschland gar nicht hoch genug einschätzen. Das ist ein Stück Entwicklung des Technologiestandorts Hamburg, und das kann gar nicht überschätzt werden. Und meine Bitte an all diejenigen, die sich dagegen gewehrt haben oder noch wehren wollen, was ihr verbrieftes, demokratisches Recht ist, meine Bitte an die ist: Sich das dreimal zu überlegen. Nicht weil wir Angst hätten, dass Gerichte anders entscheiden könnten - ich glaube, wir haben zusammen die besseren Argumente - aber schon, weil das nicht gut wäre für diese Stadt und für ihr Umland.

Wir haben hier eine Chance, die so schnell nicht wiederkommt, nämlich in einem wichtigen Markt ein Stück Technologieführerschaft gegen härteste amerikanische Konkurrenz zu behaupten. Und Hamburg spielt da eine große Rolle. Und niemand soll sich etwas vormachen, der A380 wird gebaut werden, es ist nur die Frage, ob in Hamburg oder in Frankreich - und ob man sich mit den französischen Freunden fair teilt, was angedacht und auf den Weg gebracht worden ist, oder ob wir alle zusammen das Nachsehen haben.

Wir haben gemeinsam, Herr Erster Bürgermeister, ein paar wichtige Entscheidungen getroffen, und wir haben sie finanzpolitisch und wirtschaftlich unterlegt - das ist ein freundliches Wort dafür, dass wir eine Menge Geld bezahlt haben. Die Hamburger, aber auch wir. Wir haben das getan aus guten Gründen, aus denen, die ich skizziert habe, und deswegen glaube ich, dass ganz viele Menschen, auf der einen wie auf der anderen Seite, auf der Seite der Wirtschaft ebenso wie auf der Seite der Gewerkschaften, zu Recht sagen, diese Chance darf nicht ungenutzt bleiben. Und was wir miteinander dafür tun können, um diese Chance zu nutzen, das werden wir tun. Und da kann sich jeder darauf verlassen, insoweit sind wir, wie heißt das, eine befreundete und wohlgesonnene Macht, also eine, die es gut mit Hamburg meint.

Davon können Sie ausgehen. Übrigens, was die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt angeht, haben Sie, hat der Senat, aber haben vor allen Dingen die Menschen in dieser Stadt in den letzten Jahren wirklich Großartiges geleistet.

Hamburg ist eine geglückte Verbindung von Tradition und Moderne. Hamburg, das kann man hier sehen, ist deshalb eine geglückte Verbindung von Tradition und Moderne, weil es den Hafen nie aufgegeben hat, gleichzeitig aber eines der modernsten Dienstleistungszentren der Republik geworden ist. Hamburg ist deshalb eine geglückte Verbindung von Tradition und Moderne, weil - heute Morgen sind die Zahlen von Eurostat herausgekommen - in Europa nur noch eine Region, und das merken Sie sich jetzt aber, bevor Sie Forderungen stellen, Herr Erster Bürgermeister, reicher ist als Hamburg, das ist Inner-London. Also nicht London insgesamt, damit wir nicht uns missverstehen, sondern nur der kleine Kreis, der definiert ist durch Westminster. Danach kommt gleich Hamburg. Im Grunde müssten wir, wenn wir über Finanzbeziehungen reden, das genau umgekehrt machen: Sie geben mir etwas und nicht ich Ihnen.

Ich finde, dass Ihre Mahnung an uns, dass wir einen vernünftigen Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern und unter den Ländern machen müssen, richtig ist. Wir haben das jetzt auf den Weg gebracht. Der, ich gebe es ja zu, gelegentlich etwas knickrige Hans Eichel hat es auf den Weg gebracht, aber der ist ja nicht ohne Grund sparsam, weil wir bei der Verschuldung dringend umsteuern müssen. Was die Staatsfinanzen angeht, die müssen jetzt konsolidiert werden; wir dürfen nicht länger auf den Finanzmärkten als Konkurrenten der privaten Wirtschaft auftreten, jedenfalls nicht länger in dem Ausmaß wie in der Vergangenheit. Insofern hat das, was wir an Konsolidierungspolitik machen, etwas mit Nachhaltigkeit und mit Zukunftsfähigkeit zu tun.

Was nun das von Ihnen angesprochene Thema des Länderfinanzausgleichs angeht, wissen wir sehr wohl, dass die Stadtstaaten, deren große demokratische Tradition Deutschland niemals ärmer, sondern immer reicher gemacht hat, dass die besondere Probleme haben. Das hat was zu tun mit der - wunderbar technischer Begriff - mit der "Einwohnerwertung". In dem, was wir auf den Weg gebracht haben steht drin, dass das zu 100 % gelten soll, so ist das vorgesehen vom Bundesfinanzminister, das könnte Sie eigentlich nur freuen.

Was den Länderfinanzausgleich betrifft, sind wir zur äußersten Fairness bereit. Und wir werden unsere Möglichkeiten nutzen, damit auch im Süden des Landes klar wird, dass die Prinzregentenstraße eigentlich Hamburger Allee heißen müsste. Weil sie jedenfalls zu gewissen Zeiten - die sind vorbei, das gebe ich gerne zu - nicht zuletzt von hier aus finanziert worden ist, jedenfalls das, was prachtvoll daran ist. Und dass Solidarität keine Einbahnstraße ist, das werden wir dem einen oder anderen früheren Kollegen von mir klar machen. Miteinander werden wir das machen, Herr Erster Bürgermeister, Sie werden dabei helfen.

Ich glaube also, dass wir auf der einen Seite dieses große Projekt, A380, miteinander hinbekommen, auf der anderen Seite einen Finanzausgleich machen werden, der den Stadtstaaten mit ihren alten demokratischen Traditionen ihr Lebensrecht lässt. Das müssen wir in unserem föderalen Gemeinwesen hinkriegen, und wir werden das miteinander schaffen und zwar noch vor der Sommerpause, denn ich möchte nicht, dass das auf die lange Bank geschoben wird. Wir haben heute vereinbart, dass wir beide uns zusammensetzen, um nach Wegen zu suchen, wie man diese Frage löst und ich bin ganz sicher, Herr Erster Bürgermeister, wir werden sie lösen.

Im Übrigen, was Sie über schnelle Züge gesagt haben, da stimme ich Ihnen zu. Wir werden das, wie vereinbart, so hinkriegen - ich weiß nicht, ob es einsdreißig oder einszweiunddreißig sein werden - aber jedenfalls, dass man schnell von Hamburg nach Berlin kommt und ebenso schnell zurück, auch das ist ja etwas, worüber man sich dann freuen kann.

Ich will gerne ein paar Bemerkungen machen zu dem, was mein verehrter und lieber Kollege Paavo Lipponen hier gesagt hat, nämlich zu der europäischen Perspektive. Und ich fand es sehr überzeugend, wie er den Willen zur Erweiterung und den Willen zur Vertiefung zusammengebracht hat. Denn, wir haben in Nizza manches Ergebnis erzielt - übrigens gar nicht so schlecht, wie es gelegentlich gemacht worden ist.

Wir haben in Nizza nämlich vor allem eines zu Wege gebracht, bei aller berechtigten Kritik an den Einzelheiten: Wir haben die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass Europa eins werden kann. Um das in den Worten, das werden Sie verstehen, des von mir sehr verehrten Willy Brandt zu sagen, dass in Europa also zusammenwächst, was zusammengehört. Dass Europa nicht aufhört an der deutschen Ost- und der polnischen Westgrenze, sondern dass wir eine Chance haben, die sich vielleicht so noch nie in der Historie geboten hat. Nämlich, dieses ganze Europa zu einem Ort der Wohlfahrt für seine Bürgerinnen und Bürger und zu einem Ort des dauernden Friedens zu machen. Das ist das eigentliche, was wir miteinander hinkriegen können und miteinander hinkriegen müssen.

Und wenn wir uns an diesem Ziel messen lassen, dann werden alle Details und Schwierigkeiten überwindbar sein. Man stelle sich nur einmal vor, wir könnten unseren Kindern, einige schon den Enkelkindern, ein Europa hinterlassen, in dem Krieg unmöglich wird und wo durch gemeinsame Anstrengungen, die immer noch bestehenden Unterschiede in den Lebensverhältnissen so weit egalisiert werden, dass es Armutswanderung nicht mehr geben muss. Auch ein Ziel, dem man sich ja durchaus verpflichtet fühlen kann.

Wir haben in Nizza dafür gesorgt, dass ab 2003 Beitrittskandidaten aufgenommen werden können. Wir wollen die Erweiterung. Dafür haben wir ein Prinzip aufgestellt, bei dem wir auch wirklich bleiben sollten: Es kommt der, der fähig ist beizutreten. Wir haben in Nizza die Aufnahmefähigkeit sichergestellt, die Beitrittsfähigkeit müssen die Kandidaten sicherstellen.

Ich bin dankbar dafür, dass der finnische Ministerpräsident etwas ganz klar gemacht hat: Man wird eine erste Gruppe von Beitrittsländern bilden, und es ist für einen deutschen Bundeskanzler und ich freue mich, dass der finnische Ministerpräsident ähnlich denkt, völlig unmöglich, davon auszugehen, dass Polen nicht zur ersten Gruppe gehören könnte - völlig unmöglich, historisch und politisch.

Ich denke, dass wir im Übrigen zwischen Finnen und Deutschen noch in weiteren Punkten Einigkeit haben, was Europa angeht. Einmal, was die Bedeutung der nördlichen Dimension betrifft. Wir können die Länder rund um die Ostsee wirklich zu einer prosperierenden Region machen. Wir werden uns da gelegentlich auch in Europa, so ist das nun einmal, mit denen auseinandersetzen müssen, die Anrainer eines anderen Meeres sind - ich will jetzt nicht sagen, welches. Ich meine jedenfalls nicht das Steinhuder Meer. Aber ich denke, wenn man sich mal anschaut, was wir für Potentiale haben in der Zusammenarbeit, dann können wir, unabhängig von der demographischen Entwicklung, dieses nördliche Europa wirklich zu einer noch stärker prosperierenden Region entwickeln, als das in der Vergangenheit der Fall war. Und da wir ähnlich denken, was auf der einen Seite wirtschaftliches Wachstum angeht und auf der anderen Seite Sensibilität für die ökologischen Fragen, können wir durchaus eine Modellregion daraus machen.

Und das zweite, in dem ich Ihnen, verehrter Herr Ministerpräsident, ausdrücklich zustimme, ist die Bedeutung der Zusammenarbeit des integrierten Europas mit Russland. Wir werden da Nerven brauchen, weil sich diese Zusammenarbeit nicht nur auf die ökonomischen Fragen beziehen wird, sondern auch beziehen muss auf außen- und sicherheitspolitische Fragen. Das müssen wir sehr sorgsam mit unseren amerikanischen Freunden besprechen. Sehr sorgsam heißt, eher weniger öffentlich als durch öffentliche Erklärungen. Aber ich glaube, dass Finnen und Deutsche aus sehr unterschiedlichen Erwägungen, auch aus sehr unterschiedlichen historischen Erwägungen, miteinander eine besondere Verantwortung dafür haben, dass klar wird, nicht nur in Deutschland und in Finnland, nicht nur in Europa, sondern auch anderswo, dass Wohlergehen für Europa und Sicherheit für Europa auf Dauer nur aus einer vertrauensvollen Zusammenarbeit mit Russland erwachsen können. Und dass wir eine Zusammenarbeit so organisieren müssen, dass die Kräfte, die Russland zu einer Demokratie entwickelt haben und sie weiter entwickeln wollen, gestärkt und nicht geschwächt werden.

Ich glaube, dass wir - Deutsche wie Finnen - eine wirkliche Verpflichtung haben, diese Form der europäisch-russischen Zusammenarbeit, der beschlossenen europäischen Strategie gegenüber Russland - zu einem Erfolg werden zu lassen. Ich würde mir das jedenfalls wünschen, weil ich glaube, dass unsere beiden Völker aus ihren jeweiligen historischen Einbindungen und Erfahrungen heraus einen ganz eigenen Beitrag dazu leisten können.

Was hat das, meine sehr verehrten Damen und Herren, alles mit dem Matthiae-Mahl hier zu tun? Eine Menge, wie ich finde. Denn diejenigen, die das hier mal begonnen haben, die haben das ja auch der Zusammenarbeit wegen begonnen, die haben ja auch gewusst, dass wirtschaftlicher Austausch vom friedlichen Zusammenleben abhängt und friedliches Zusammenleben von wirtschaftlichem Austausch beeinflusst wird. Und wenn man sich mal Gedanken darüber macht, welche Tradition es verdient, fortgeführt zu werden, dann gehört die Tradition dieses Matthiae-Mahls jedenfalls unbedingt dazu. Und, meine sehr verehrten Damen und Herren, mein Eindruck ist, dass Sie das auch wissen hier in Hamburg und dass Sie an dieser Tradition deshalb festhalten. Mit dem Selbstbewusstsein und der Publicityscheu, die für Hanseaten nun einmal so typisch ist und darin ähneln Sie mir - jedenfalls im letzten Punkt - außerordentlich. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.