Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 27.03.2001

Anrede: Meine Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/54/35254/multi.htm


ich habe das schon öfter erklärt. Die bayrische Staatsbürgerschaft kann man nach Artikel 6 der Bayrischen Verfassung erwerben durch Geburt - das war bei mir nicht der Fall - , durch Verleihung durch die Bayrische Staatsregierung - keine Chance für mich - , oder auch durch Heirat, und das habe ich gemacht. Vielmehr hat das meine Frau gemacht.

Wenn man sich umschaut, dann könnte man sagen: Es stimmt, dass der Altersdurchschnitt der deutschen Studenten zu hoch ist. Aber dies ist ja eine Sonderveranstaltung, und insofern hat das wohl seine Ordnung. Ich bin gerne gekommen, weil Herr Prof. Wildemann nicht nur als Wissenschaftler über München hinaus aufgefallen ist, sondern weil ich gelegentlich mit Autos zu tun hatte und seine Arbeit aus diesem Bereich kenne. Von daher lag das einfach nah, aber auch, weil mich ein solches Kolloquium schon neugierig gemacht hat.

Was soll ich sagen? - Über Wertsteigerung in den Unternehmen wissen Sie sehr viel mehr als ich, jedenfalls die meisten von Ihnen. Insofern kann ich dazu nichts Belehrendes beitragen. Ich kann über den Rahmen reden, der nötig ist, um Wachstum zu ermöglichen, und über das, was wir dazu beitragen konnten und wollen. Wir haben vor ein paar Wochen im Kabinett den neuen Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands diskutiert und verabschiedet. Das ist ja immer sehr zweifelhaft behandelt worden, was unsere diesbezügliche Position angeht. Die ganz erfreuliche Botschaft dieses Berichts lautet: Deutschland ist in den letzten Jahren technologisch sehr viel leistungsfähiger geworden.

Dies spiegelt sich in einer gestiegenen Investitionskraft ganz wichtiger Branchen unserer Volkswirtschaft wider; übrigens einer Investitionskraft, von der ich glaube, dass sie auch 2001 und darüber hinaus anhalten wird. Es gibt gewiss - das kann keine Frage sein - eine, um es freundlich zu sagen, etwas schwächelnde amerikanische Konjunktur. Sie wissen so gut wie und vielleicht besser als ich, was es für Probleme in der japanischen Volkswirtschaft gibt mit Auswirkungen natürlich auf Südostasien, aber auch auf die europäischen Volkswirtschaften. Gleichwohl denke ich, wir - wir haben das gerade in Stockholm diskutiert - können davon ausgehen, dass die europäische Volkswirtschaft auf einem soliden Wachstumskurs ist.

Das, was sich etwa am Neuen Markt vollzieht, beunruhigt mich jedenfalls nicht ungewöhnlich stark, weil ich in den Verwerfungen, die es gegenwärtig gibt, keine Verwerfungen alter Art sehe, sondern ich sehe es so, dass sich auch am Neuen Markt die Spreu vom Weizen trennt und man auch dort die aus der Wirtschaftsgeschichte bekannte Erfahrung macht, dass kurzfristige Spekulationen nicht die Kraft einer Volkswirtschaft ausmachen - jedenfalls nicht dauerhaft - , sondern, um es sehr einfach zu sagen, der wirtschaftliche Erfolg auf Dauer nur durch harte Arbeit und nicht durch kurzfristige Spekulation zu erzielen ist. Insofern ist das, was sich dort vollzieht, für mich ein Stück Rückkehr zur wirtschaftspolitischen Normalität.

Zurück zu dem, was wir haben feststellen können. Ich nenne ein paar Beispiele. Die deutsche Automobilwirtschaft als weltweit größter Anmelder von Automobilpatenten baut ihre Position im internationalen Wettbewerb weiter aus. Ich denke, das ist ein erfreulicher Tatbestand. Gleichzeitig spielt dieser Bereich, der für die deutsche Volkswirtschaft nach wie vor enorm wichtig ist, als Impulsgeber für technologische Neuerungen in anderen Industriezweigen, aber auch in der Elektronik sowie der Telekommunikation eine zunehmend wichtiger werdende Rolle, auch für die Entwicklung des Innovationsstandortes Deutschland.

Im globalen Wettbewerb wird immer deutlicher: Sowohl die Wertsteigerung von Unternehmen als auch die technologische Leistungsfähigkeit von Volkswirtschaften hängen von ein paar wichtigen Faktoren ab, nämlich von Investitionen in Forschung und Entwicklung, von Investitionen in das, was man Humankapital nennt - also in Menschen - , und von innovationsfördernden Rahmenbedingungen. Mit den drei Punkten wird man sich näher beschäftigen müssen.

Während der 90er Jahre waren diese drei Bedingungen in Deutschland nur unzureichend erfüllt. Wie ungünstig - ja, wie dramatisch - die Lage noch vor kurzer Zeit war, verdeutlichen einige Zahlen: Wir hatten Anfang 1998 4,8 Millionen Arbeitssuchende - und damit die höchste Arbeitslosigkeit in der Geschichte der Bundesrepublik - , mit fast 1,5 Billionen DM die höchste Staatsverschuldung, eine Steuer- und Abgabenlast, die wirklich problematisch war, und zudem einen erheblichen technologischen Rückstand durch viel zu geringe Ausgaben für Forschung und Entwicklung auch im privaten Sektor, nicht nur im staatlichen, etwa im Vergleich zu den USA, zu Japan oder auch zu Skandinavien. Wir standen also vor der Aufgabe, das, was man "German disease", die deutsche Krankheit, oder auch Reformstau genannt hat, möglichst rasch zu bekämpfen und aufzulösen.

Der Erfolg unserer Politik sollte, und das gilt auch weiterhin, am Abbau der Arbeitslosigkeit gemessen werden. Eine Umkehr war nur mit, nicht gegen die wichtigen wirtschaftlichen Gruppen in unserer Gesellschaft zu erreichen. Das war der Grund, warum wir das ins Leben gerufen haben, was man "Bündnis für Arbeit, Wettbewerbsfähigkeit und Ausbildung" nennt. Das Bündnis war und ist ein Motor für Veränderungen auf dem Arbeits- , aber auch auf dem Ausbildungsmarkt. Vor allem wären ohne das Bündnis für Arbeit die beschäftigungs- und wachstumsfördernden Tarifabschlüsse des letzten Jahres kaum möglich gewesen. Ich sage das, um nicht missverstanden zu werden. Das sage ich in vollem Respekt vor der Tarifautonomie, die es in Deutschland aus guten Gründen gibt und die auch nicht angetastet werden darf. Aber die Debatten über gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge haben zwar nicht unmittelbare, aber indirekte Auswirkungen gehabt.

Der Erfolg dieses Bündnisses misst sich an mehr Beschäftigten, an mehr Ausbildungsplätzen und auch an weniger Arbeitslosen. In den letzten beiden Jahren sind in Deutschland fast eine Million zusätzliche Arbeitsplätze entstanden - damit ich richtig verstanden werde: Wir reden hier über sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse, und zwar so viele, wie zwischen 1991 und 1998 in Deutschland verloren gegangen sind. Allein im letzten Jahr sind 600.000 dieser Beschäftigungsverhältnisse hinzugekommen, und darum ist die Arbeitslosigkeit gegenüber 1998 deutlich zurückgegangen. Um hier mit einer gelegentlich geäußerten Fehlposition aufzuräumen: Das hat nichts mit Demographie zu tun, sondern das sind wirklich neue Arbeitsverhältnisse, die entstanden sind. Es gibt zwar den demographischen Faktor, aber der wird dadurch aufgewogen, dass sehr viele aus der stillen Reserve auf den Arbeitsmarkt gekommen sind und um Arbeitsplätze nachgefragt haben.

Der im Bündnis vereinbarte Ausbildungskonsens hat dazu geführt, dass im vergangenen Jahr erstmals seit 1995 das bundesweite Ausbildungsplatzangebot größer war als die Nachfrage nach Lehrstellen. Ich denke, dass man eine solche Arbeit nur fortsetzen kann. So werden die Tarifpartner rechtzeitig vor der nächsten Tarifrunde Vorschläge zur Umsetzung der mit der Rentenreform neu geschaffenen tarifvertraglichen und betrieblichen Möglichkeiten zur Altersvorsorge und zur Vermögensbildung machen. Damit ergeben sich wohl für die nächste Tarifrunde auch in diesem Bereich wichtige Perspektiven. Altersvorsorge, Vermögensbildung und neue Weiterbildungsangebote können in einer Weise kombiniert werden, die neue Beschäftigung schafft und die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen verbessert.

Angesichts der demografischen Entwicklung in Deutschland haben wir in diesem Bündnis eine nachhaltige Qualifizierungsoffensive beschlossen. Wir müssen einfach feststellen, dass in manchen Bereichen der Industrie, aber auch im Dienstleistungssektor, ein Fachkräftemangel besteht, der sich in den 90er Jahren entwickelt hat und deutlich zunimmt.

Damals haben Politik und ausbildende Wirtschaft nicht hinreichend darauf reagiert. Das geht auch an die Adresse der Wirtschaft selbst. Große Teile der Unternehmen haben Anfang der 90er Jahre - ich will das gar nicht kritisieren, aber man muss es einmal feststellen - erhebliche Kostenprobleme dadurch zu lösen versucht, dass insbesondere teure Beschäftigte abgebaut wurden, und teure Beschäftigte sind vor allen Dingen die, die in der Forschung und Entwicklung arbeiten. Das hat übrigens zu Reaktionen der jungen Leute geführt. Die haben schlichtweg in geringerem Maße Naturwissenschaften und Ingenieurswissenschaften studiert, als wir das normalerweise brauchen. Diese Entwicklung, die sich jetzt umdreht, was auch dringend nötig ist, hat uns dieses Problem beschert.

Jetzt werden gerade die innovativen Unternehmen in ihren Wachstumschancen durch den Mangel an qualifizierten IT-Experten, Ingenieuren und Naturwissenschaftlern zunehmend beeinträchtigt. Besondere Bedeutung kommt den IT-Fachkräften zu. Diese sind nicht nur in der sogenannten "New Economy" gefragt, sondern in der gesamten Wirtschaft, die auf die Anwendung von IT-Techniken zur Produktionssteigerung angewiesen ist. Das ist ja ein Sektor, auf dem Herr Professor Wildemann besonders qualifiziert arbeitet. Mit einer zweigleisigen Strategie steuern wir dem Fachkräftemangel in diesem Bereich entgegen. Zum einen haben sich Bundesregierung, Wirtschaft und Gewerkschaften im Bündnis für Arbeit frühzeitig auf eine IT-Offensive verständigt, und zwar mit beachtlichem Erfolg. Das eigentlich erst für das Jahr 2002 vereinbarte Ziel, 40.000 Ausbildungsplätze in den IT- und Medienberufen bereitzustellen, wurde bereits im letzten Jahr übertroffen.

Die Wirtschaft hat inzwischen zugesagt - sie wird das einhalten - , in diesen Berufen bis zum übernächsten Jahr weitere 20.000, also dann insgesamt 60.000 Ausbildungsplätze, zur Verfügung zu stellen. Parallel dazu hat der Staat, haben also wir die Anstrengungen verstärkt, um den Engpass bei IT-Fachkräften mit akademischem Abschluss so bald wie möglich zu überwinden. Bund und Länder haben zusätzlich 100 Millionen DM für die Weiterentwicklung des Informatikstudiums bereitgestellt. Unsere Anstrengungen werden dafür sorgen, dass die Zahl der Studienanfänger in Informatikstudiengängen weiter steigt, was auch dringend notwendig ist.

Gleichwohl weist der Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands einen zusätzlichen Bedarf von rund 74.000 IT-Akademikern allein für das letzte Jahr aus. Das macht deutlich, welche Wachstumschancen hier nicht genutzt werden können, weil schlicht die Leute fehlen. Deswegen warten wir nicht, bis all diese Anstrengungen in den Betrieben und an den Hochschulen auf dem Arbeitsmarkt Früchte tragen - sonst verspielen wir die Beschäftigungschancen - , sondern gehen mit einem zweiten Aspekt in die Diskussion, nämlich die Einführung dessen, was man fälschlicherweise - aber das ist nicht mehr wegzukriegen - "Green Card" nennt. Ich hätte es natürlich lieber, wenn es "Red Card" hieße. Aber das ist nicht hinzukriegen. - Inzwischen haben die zuständigen Behörden mehr als 6.000 dieser Karten vergeben. Jede Woche kommen 200 hinzu.

Übrigens, was in diesem Zusammenhang interessant ist: Es ist uns gelegentlich vorgeworfen worden, das täten wir alles nur, um Siemens und andere Mittelständler zu bedienen. - Das ist aber nicht so. Das ist wirklich ein Programm, das dem Mittelstand hilft. Zwei Drittel dieser Arbeitserlaubnisse kommen Unternehmen mit weniger als hundert Beschäftigten zugute, also den Start ups. Was sich daraus entwickelt, wird sich zeigen. Sie werden aber durch diese Initiative wirklich bedient. Das ist auch gut so. Denn daraus entwickelt sich in dieser Branche eine enorme wirtschaftliche Dynamik. Diese muss man stützen und unterstützen. Das macht deutlich, dass der Mittelstand von dieser Regelung besonders profitiert, und diese Entwicklung ist durchaus beabsichtigt.

Neueste Studien zeigen, dass durch die Beschäftigung eines zugewanderten IT-Experten hier im Land im Durchschnitt etwa drei zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden. Darüber muss man kommunizieren, weil es - Sie wissen das so gut wie ich - in Deutschland in der Vergangenheit eine reichlich verklemmte Debatte über die Frage der Notwendigkeit der Zuwanderung und des Umgangs mit diesem Thema gegeben hat, die wir uns wirklich nicht leisten können. Im Zeichen der Globalisierung und globalisierter Märkte brauchen wir nicht weniger, sondern mehr Internationalität. Das hat auch mit der Bereitschaft zu tun, diejenigen, die aus anderen Kulturen kommen, anders sprechen und anders aussehen, so aufzunehmen, wie sich das für ein zivilisiertes Land gehört, und sie auch so zu behandeln.

Das ist für Deutschland übrigens nicht nur eine Imagefrage. Das ist auch eine Frage unserer eigenen Selbstachtung und der eigenen Einschätzung. Dieses Maß an Internationalität brauchen wir, und zwar aus politischen und kulturellen Gründen, aber eben auch aus ökonomischen Gründen. Wenn wir das nicht hinbekommen, wenn die ganze Gesellschaft nicht klar macht, dass diejenigen, die Fremdenfeindlichkeit zum Programm erhoben haben, nicht nur unzivilisierte Leute sind, sondern allen anderen wirtschaftlich schaden, dann schaden wir uns mittel- und langfristig nachhaltig, und dies nicht nur im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie.

Ähnlich internationalisierte Arbeitsmärkte finden wir zum Beispiel im Bereich der Biotechnologien vor. Dort gilt ganz genau das Gleiche wie in dem Bereich, den ich eben angesprochen habe. Angesichts der demographischen Entwicklung und des längst begonnenen weltweiten Wettbewerbs um Studenten, Doktoranten und Wissenschaftler sind weitere Schritte notwendig, und wir werden sie auch gehen. Mittlerweile gehen rund 14 Prozent unserer promovierten Nachwuchswissenschaftler in die USA, und viele von ihnen bleiben auf Dauer dort. Die Amerikaner profitieren deutlich von der arbeitsmarktgesteuerten Zuwanderung. Dies kann die Europäer und auch die Deutschen nicht einfach gleichgültig lassen. Wenn wir den Wettbewerb um die international besten Köpfe nicht verlieren wollen, benötigen wir in Deutschland eine sachliche und sachkundige Diskussion über Zuwanderung, die mit dem Kopf und nicht mit dem Bauch geführt wird.

So sollten nach meiner Auffassung auch die in Deutschland hervorragend ausgebildeten ausländischen Studenten - zum Beispiel im Maschinenbau, in den Natur- und Ingenieurswissenschaften - die Möglichkeit haben, nach Abschluss des Studiums hier zu arbeiten, und zwar so lange sie wollen. Natürlich sind sie auch für den Aufbau industrieller Strukturen in ihren Heimatländern wichtig. Aber ich denke, dass das nur durch freiwillige Rückkehr und nicht erzwungenermaßen gesteuert werden kann. Denn diejenigen, die wir hier nicht arbeiten lassen, gehen ja nicht, wenn sie nicht wollen, in die Heimatländer zurück, sondern in andere europäische Länder oder in die Vereinigten Staaten.

Ich denke, dass das ein wichtiger Schritt ist, den wir gehen wollen und müssen. Wir wollen das im Zusammenhang mit Entscheidungen über Zuwanderung tun. Die vom Bundesinnenminister eingesetzte Kommission unter der Leitung der früheren Bundestagspräsidentin Frau Süssmuth wird ihre Vorschläge dazu im Sommer vorlegen. Wir wollen dann in dieser Legislaturperiode gesetzgeberische und / oder Konsequenzen auf dem Verordnungswege daraus ziehen. Jedenfalls kann das Thema nicht auf die lange Bank geschoben werden. Ich sage das noch einmal, nicht zuletzt auch aus wirtschaftlichen Gründen. Wir werden in diesem Zusammenhang, was die Green Card angeht, auch über die Frage der Fünf-Jahres-Frist reden müssen, also über die Frage, ob das, was wir eingeleitet haben, in vollem Umfang so praxistauglich ist, wie wir uns das wünschen. Arbeitsmarktgesteuerte Zuwanderung und verstärkte Investitionen in Humanressourcen sind zwei Seiten einer Medaille. Ich will das ausdrücklich unterstreichen:

Die Legitimation für eine Zuwanderung, die wir aus wirtschaftlichen Gründen brauchen, werden wir in unserem Volk auf Dauer nur erhalten, wenn wir die andere Seite der Medaille, nämlich die Qualifizierung unserer eigenen Leute, genauso wichtig nehmen. All diejenigen, die jetzt glauben: "Die öffnen die Schleusen, und wir können unser Arbeitskräftepotenzial aus dem Ausland beziehen und brauchen deswegen für Bildung und Weiterbildung nichts zu tun", irren gründlich. Sie irren, weil wir das nicht zulassen werden. Wir lassen es auch deshalb nicht zu, weil wir sonst die Legitimationsbasis für eine vernünftig gesteuerte Zuwanderung verlieren würden. Man muss also sehen, dass beides zusammenhängt: Die Qualifizierung der eigenen Leute auf der einen Seite und die Möglichkeit, eine rationale Zuwanderungspolitik zu machen, auf der anderen Seite. Beides gehört zusammen und bedingt einander. Darauf werden wir achten müssen und auch achten wollen.

Übrigens, was die Qualifizierung angeht, bezieht sich das nicht nur auf die jüngeren Leute, sondern - das ist durchaus beachtlich, was im Bündnis für Arbeit angesichts früherer Positionen zur Frühverrentung verabredet worden ist - das bezieht sich ausdrücklich auch auf die über 50-jährigen. Auch die können und sollen aus arbeitsmarktpolitischen Gründen nicht einfach zum alten Eisen geworfen werden, sondern sie brauchen eine Chance auf unserem Arbeitsmarkt. Wir wollen mit der Wirtschaft dafür sorgen, dass sie eine solche Chance auch bekommen.

Nachhaltigen Erfolg werden wir in unseren Anstrengungen jedoch nur haben, wenn wir den Hochschulen moderne und wettbewerbsfähige Strukturen an die Hand geben. Auch über die Hochschulen und die deutschen Professoren muss man einmal reden, denke ich, und zwar nicht nur reden. Vor allem ist es dringend notwendig, das aus dem letzten Jahrhundert stammende Hochschuldienstrecht durch ein neues, modernes zu ersetzen. Es steht zum Beispiel nirgendwo geschrieben, dass die Hochschullehrer Beamte auf Lebenszeit sein müssen. Das steht wirklich nirgendwo geschrieben. Kein vergleichbarer Angehöriger der wirtschaftlichen Eliten ist Beamter auf Lebenszeit. Jedenfalls ist mir keiner bekannt.

Bei der Besoldung von Hochschullehrerinnen und -lehrern werden künftig nicht mehr - die Gesetzgebungsvorschläge liegen vor - das Lebensalter, sondern mehr und mehr Engagement und Leistung honoriert werden. Das ist auch in Ordnung so. Der Qualifikationsweg für den wissenschaftlichen Nachwuchs muss kürzer und übersichtlicher werden. Auch dafür werden wir sorgen. Mit der Einführung der sogenannten Junior-Professur wollen wir angehenden Hochschullehrerinnen und Hochschullehrern die Möglichkeit geben, bereits im Alter von 30 Jahren und nicht erst im Alter von 40 Jahren oder noch später selbstständig zu forschen und zu lehren. Mit der BAföG-Reform sichern wir, dass nicht der Geldbeutel der Eltern über die Zukunftschancen junger Menschen bestimmt, sondern das, was sie im Kopf haben, und zwar bei Frauen und Männern. Zum Sommersemester 2001 werden wir die Bedarfssätze und die Einkommensfreibeträge deutlich erhöhen. Insgesamt stärken wir die innovativen Kräfte an den Hochschulen, und wir fördern die von uns gewünschte Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Wirtschaft, wie das hier praktiziert wird. Das ist übrigens auch einer der Gründe, warum ich gern gekommen bin.

Universitäten und Forschungsinstitute bilden für viele Unternehmen, gerade für die aus dem Mittelstand, eine wichtige Informationsquelle für ihre innovativen Aktivitäten. Vor allem ein rascher und erfolgreicher Wissens- und Technologietransfer ist für die Behauptung im internationalen Investitionswettbewerb von ganz herausragender Bedeutung. Deswegen setzen wir mit der Reform des Hochschuldienstrechts sowohl für die wissenschaftlichen Institutionen als auch für die einzelnen Forscher entsprechende Anreize. Gleichzeitig steigern wir den Bildungs- und Forschungsetat auf die Rekordhöhe von 16 Milliarden DM.

Mit diesen Maßnahmen und dem neuen, vor einer Woche vorgestellten Aktionsprogramm "Wissen schafft Märkte" wollen wir den Rückstand zu den besonders forschungsstarken Ländern wie USA und Japan, aber auch - und das ist sehr interessant - Schweden aufholen. Dabei sind wir in Deutschland auf einem guten Weg. Seit 1998 hat die Wirtschaft ihre Aufwendungen für Forschung und Entwicklung um mehr als 20 Prozent ausgeweitet. Nun behaupte ich nicht, dass das mit meiner Regierung zu tun hätte - jedenfalls nicht alleine - , sondern das hat auch etwas mit Erkenntnissen zu tun, die die Wirtschaft gewonnen hat. Aber ich würde sagen, dass wir sie jedenfalls nicht behindert haben.

In den forschungsintensiven Wirtschaftszweigen wie zum Beispiel der Pharma-Industrie sowie der Bio- und Gentechnologie ziehen die Investitionen deutlich an. Gleichzeitig verzeichnen die besonders innovativen Branchen die höchsten Exportzuwächse. Damit haben diese Branchen sehr maßgeblich zum Ausfuhrrekord des letzten Jahres von mehr als eine Billion DM beigetragen. Was die Biotechnologien angeht, so denke ich, dass wir nicht nur einen rechtlichen Rahmen brauchen, den wir auch haben. Sondern wir brauchen auch ein Forschungsklima, in dem diejenigen, die diese Forschung machen, im wahrsten Sinne des Wortes gerne arbeiten. Auch das, so denke ich, ist ein wichtiger Aspekt dieser Diskussion.

Investitionen in Forschung, Entwicklung und Humanressourcen müssen von innovationsfördernden, gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen flankiert werden. Wir haben in den letzten zwei Jahren auf diesem Sektor eine Menge erreicht. Ich nenne nur die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte. Damit stellen wir die finanzielle Handlungsfähigkeit des Staates wieder her und senken kontinuierlich die Staatsquote. Das ist ein ganz wichtiger Aspekt, denn ich denke, dass die Konsolidierungspolitik in den öffentlichen Haushalten auch die Chancen für die privaten Investoren verbessert. Weiterhin nenne ich die Steuerreform, mit der wir die Investitionskraft der Unternehmen und die Kaufkraft der Arbeitnehmer nachhaltig stärken. Mit Beginn dieses Jahres sind noch einmal 45 Milliarden DM vom Staat an die Investoren und an die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zurückgegeben worden.

Übrigens will ich eine Bemerkung zu der Diskussion machen, die Unternehmenssteuerreform begünstige ausschließlich die Körperschaften und nicht so sehr den Mittelstand. Das ist falsch. Natürlich ist es so, dass die Körperschaften, also die Aktiengesellschaften, von der Senkung der Körperschaftssteuer auf 25 Prozent profitieren. Man muss zugleich aber wissen, dass zu diesem Prozentsatz kommunale Steuern, also die Gewerbeertragssteuer, hinzukommen, die im Bundesdurchschnitt 13 Prozent betragen. Das ist im Durchschnitt eine Besteuerung von 38 Prozent. Im internationalen Wettbewerb ist das durchaus ansehnlich. Da kann keiner meckern, was zur Zeit ja auch keiner tut. Man muss aber sehen, dass dies eine Definitivbesteuerung ist. Das heißt, dass dieser Satz von der ersten verdienten D-Mark fällig wird.

Wie ist nun die Situation bei den Personengesellschaften, die ja die Mehrzahl der deutschen Unternehmen ausmachen? Das sind nämlich mehr als zwei Drittel. Da ist die Situation so, dass mit Beginn dieses Jahres ein Spitzensteuersatz von 48,5 Prozent gilt. Dieser wird 2005 auf 42 Prozent sinken. Aber jetzt beträgt er 48,5 Prozent. Man muss nur dabei Folgendes wissen: Dieser Satz von 48,5 Prozent ist nicht der Satz, der fällig wird. Sondern wir haben zum ersten Mal in der Wirtschaftsgeschichte dafür gesorgt, dass die Gewerbeertragssteuer bis zu einem Pauschalsatz von 360 Punkten vollständig von der Einkommenssteuer abgezogen werden kann. Die Personengesellschaften werden nach Einkommenssteuerrecht veranlagt. Man kann die Gewerbeertragssteuer von der Einkommenssteuer abziehen. Wenn das im Durchschnitt 13 Prozent sind, kann man ganz einfach errechnen, was dann im Durchschnitt für die Personengesellschaften zu zahlen bleibt.

Nun höre ich von den Mittelstandsverbänden: Wir zahlen die Gewerbeertragssteuer ja gar nicht, weil es so hohe Freibeträge gibt. - Da kann ich nur sagen: Steuern, die ihr nicht zahlt, kann ich euch auch nicht erlassen. Das funktioniert nicht. Das funktioniert bei keinem. Das sind also vergleichbare Größenordnungen. Zudem muss man berücksichtigen, dass die Körperschaftssteuer eine Definitivbesteuerung ist, also von der ersten D-Mark an gezahlt werden muss. Die Einkommenssteuer ist eine Grenzbesteuerung, also wird sie keineswegs von der ersten D-Mark gezahlt, sondern da gelten Proportionalzonen. Daher, so denke ich, ist dieser Einwand, der gelegentlich gemacht wird, falsch.

Wir haben drittens ein Zukunftsinvestitionsprogramm gemacht, mit dem wir, statt Zinszahlungen für Staatsschulden zu leisten, Investitionen in Bildung, Forschung und Infrastruktur erhöhen. Das hat damit zu tun, dass wir durch die Versteigerung von UMTS-Lizenzen 100 Milliarden DM einnehmen konnten. Sie wissen das. Diejenigen, die die Lizenzen erworben haben, wissen das inzwischen auch. Wir müssen jetzt dafür sorgen - und das ist ein ganz wichtiger Punkt, weil der eine oder andere wie ein guter Unternehmer, nämlich risikobereit, kalkuliert hat - , dass diejenigen, die die UMTS-Lizenzen erworben haben, nicht, wie die Verträge es nahe legen, einzeln ein Netz aufbauen müssen, sondern man bei dem Aufbau dieser sehr teuren Netze dafür sorgt, dass sie Kooperationsmöglichkeiten erhalten. Ich glaube, das ist zur Stärkung der Ertragskraft dieser Unternehmen außerordentlich wichtig. So weit wir das können, wollen wir den Unternehmen beim Aufbau dieser Netze auch helfen. Wir haben eine Regulierungsbehörde, die unabhängig ist. Ich denke, das ist nur vernünftig, denn uns geht es ja um den volkswirtschaftlichen Erfolg.

Wir haben - und das ist der vierte Punkt - eine Rentenreform auf den Weg gebracht, von der ich hoffe, dass diejenigen, die im Bundesrat darüber entscheiden, ihre Verantwortung erkennen. Was immer man an den Details dieser Rentenreform auszusetzen haben mag - man kann über vieles reden - , im Kern ist ein Punkt wichtig: Wir haben ein Rentensystem, das auf Umlagefinanzierung aufbaut - hälftig Unternehmen, hälftig Arbeitnehmer. Dessen Sicherheit ist an objektive Grenzen geraten, was mit der demographischen Entwicklung zu tun hat. Das hat aber auch damit zu tun, dass das deutsche Bruttoinlandsprodukt immer häufiger mit so genannten "gebrochenen" Erwerbsbiografien hergestellt wird. Das heißt, das Inlandsprodukt wächst, aber es wird nicht mehr in dem Umfang wie früher durch Vollerwerbsarbeitsverhältnisse hergestellt, sondern zunehmend mit solchen Erwerbsbiografien, die anderer Art sind.

Die demographische Entwicklung und die Änderungen bei den Erwerbsbiografien drücken auf die Finanzierung des Rentensystems. Das kann gar nicht anders sein. Deswegen müssen wir neben die Umlagefinanzierung, die nicht uferlos wachsen kann, weil die Beiträge sonst keiner bezahlen kann, eine zweite Säule stellen, und diese heißt Kapitaldeckung. Das ist ein ganz wichtiger Aspekt. Ich behaupte, diese Möglichkeit, die wirklich epochal ist und das Rentensystem zusätzlich stabilisiert, aber natürlich auch verändert, müssen wir jetzt nutzen. Wenn es uns nicht gelingt, dieses Prinzip der Kapitaldeckung jetzt durch den Deutschen Bundesrat zu bringen, dann, so fürchte ich, wird dieser Reformschritt auf absehbare Zeit verspielt sein. Er ist aber für die Entwicklung der deutschen Volkswirtschaft übrigens auch aus anderen Gründen - zum Beispiel, was Fondsbildung und so weiter, angeht - außerordentlich wichtig. Deswegen auch von hier aus der Appell an diejenigen, die im Bundesrat zu entscheiden haben: Was immer im Einzelnen zu kritisieren sein mag, dieses Prinzip, der Aufbau von Kapitaldeckung, muss jetzt durchgesetzt werden. Sonst ist, wie ich fürchte, das Fenster auf Dauer geschlossen.

Entgegen einem verbreiteten und, wie mir scheint, von manchen sorgsam gepflegten Vorurteil profitieren, wie gesagt, von dieser Politik keineswegs in erster Linie die Großen. Ich möchte mit diesem Vorurteil gern aufräumen: Wir haben die Steuerfreiheit für die Veräußerung von Beteiligungen durchgesetzt. Das haben wir nicht getan, um irgendjemandem ein Geschenk zu machen - ich sage das, damit das auch hier klar ist - , sondern das haben wir aus wohlerwogenen volkswirtschaftlichen Gründen getan. Denn diese Maßnahme, die Steuerfreiheit von Veräußerungsgewinnen durchzusetzen, wird zu einer erheblichen Umstrukturierung in der deutschen Wirtschaft führen. Das wird eine Umstrukturierung sein, die wir wirklich brauchen.

Das, was in den Depots der großen Banken und Versicherungen an Beteiligungsbesitz vorhanden ist, muss deshalb auf den Markt, weil sich um diesen Beteiligungsbesitz nach unserer festen Überzeugung neue industrielle Aktivitäten gruppieren werden. Das ist der eigentliche Kern der Maßnahme, die wir ergriffen haben. Weil wir diesen Beteiligungsbesitz mobilisieren wollen, um neue industrielle Aktivitäten zu erreichen und damit neue industrielle oder Dienstleistungsarbeitsplätze zu erreichen, haben wir das gemacht - keineswegs, weil wir irgendjemandem wegen seiner blauen Augen ein Geschenk machen wollten. Mir ist wichtig, dass dieser Aspekt - der Zusammenhang zwischen Strukturwandel und daraus resultierenden neuen Beschäftigungsmöglichkeiten und der Steuerfreiheit von Beteiligungsgewinnen - ganz, ganz deutlich wird. Ich fürchte, dass sonst eine schiefe Verteilungsdebatte beginnt. Diese Maßnahme hat mit Verteilung relativ wenig zu tun. Sie hat sehr viel mit vernünftiger Industriepolitik zu tun.

Ich denke, es wird deutlich, dass sich durch diese getroffenen Maßnahmen die Entwicklung nicht nur in Deutschland positiv darstellt. Wir sind von 4,8 Millionen Arbeitslosen auf 3,8 Millionen Ende 2000 herunter. Trotz gewisser Wachstumseinbußen erwarten wir eine weitere Senkung in diesem Jahr. Ich betone: Wir haben das Ziel, bis zum Ende der Legislaturperiode unter die 3,5 Millionen-Grenze im Jahresdurchschnitt zu kommen. Dieses Ziel kann man erreichen. Wir wollen das erreichen.

Was die Frage des Wachstums angeht: Ich halte gar nichts davon, nach zweieinhalb Monaten herzugehen und Wachstumsziele zu korrigieren. Das hätte ganz negative psychologische Auswirkungen. Ich halte mehr davon, um jedes Zehntel Prozent zu kämpfen und dafür zu sorgen, dass das Ziel, das wir genannt haben, nämlich 2,75 Prozent, erreicht wird. Ich halte nichts davon, jetzt schlechte Stimmung zu machen. Dafür gibt es nämlich objektiv gar keinen Grund.

Letzte Bemerkung: Ich glaube, dass die Wachstumsziele, die wir formuliert haben, sich auch in Europa sehen lassen können. Auch da gibt es gelegentlich eine schiefe Diskussion. Da werden unsere Wachstumsraten mit denen von Portugal und Irland verglichen. Das ist offenkundig unsinnig. Wenn man das mit weniger entwickelten Volkswirtschaften vergleicht, gibt es natürlich ein schiefes Bild. Wenn man es insgesamt vergleicht und weiß, dass die deutsche Volkswirtschaft nun einmal die entwickelteste, die stärkste in Europa ist, dann sind Wachstumsraten von drei Prozent oder auch von zweieinhalb Prozent, verglichen mit dem, was wir die 90er Jahre über hatten, nämlich weniger als zwei Prozent, wahrhaft Traumwerte. Aber wir haben uns ja angewöhnt, auf hohem Niveau gewaltig zu jammern, und das geschieht auch in diesem Zusammenhang. Ich finde nur, dass man gelegentlich die objektiven Daten klar machen und an sie erinnern muss.

Wir rechnen also mit Wachstumsraten, die deutlich über denen der 90er Jahre liegen. Deswegen denke ich, dass die beschäftigungspolitischen Ziele, die wir haben, auch erreicht werden. Das ist der Rahmen, den wir anzubieten haben und von dem ich glaube, dass er Deutschland auf einen richtig Weg gebracht hat und weiter bringen wird. Mein Eindruck ist nach dem letzten Sonntag - Sie werden verstehen, wenn ich das noch hinzufüge - , dass das immer mehr von einer zunehmenden Zahl von Menschen auch begriffen wird. Dass mich das freut, werden Sie verstehen.