Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 03.04.2001

Untertitel: Die Zukunft der zivilgesellschaftlichen Entwicklung: Weg von der "Staatslastigkeit”, ... und hin zu mehr "Public-Private-Partnership”, zu mehr Freiheit der kleinen Organisationen und Netze.
Anrede: Sehr geehrter Herr von Pierer, meine sehr verehrten Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/21/35521/multi.htm


Ich finde es sehr gut, dass Sie diese Veranstaltung heute nicht unter das Motto "Gesellschaftliches Engagement oder unternehmerischer Nutzen" gestellt haben. Beides ist nämlich kein Gegensatz. Es schließt sich nicht aus. Das ist auf der Tagung, soweit ich über die Reden informiert worden bin, auch deutlich geworden. Ich kann deshalb nur wünschen, dass die hier vorgestellten Beispiele für gesellschaftliches Engagement von Unternehmen möglichst weit bekannt gemacht werden - das ist natürlich eine Bitte an die Medien - und vor allen Dingen möglichst viele Nachahmer finden. Ob dies im Mittelstand oder im größeren Mittelstand geschieht, ist dabei ganz gleichgültig. Es sollte möglichst bei allen der Fall sein.

Ich möchte zunächst ein paar Bemerkungen zu der Frage des gesellschaftlichen Engagements und des gesellschaftlichen Nutzens machen. Wir haben es hier mit einem bedeutenden Wirtschaftssektor zu tun, auch wenn das nicht von vornherein jedem klar ist. Im so genannten dritten Sektor - so wird er gelegentlich bezeichnet - , also gewissermaßen in der Non-Profit-Abteilung unserer Wirtschaft, sind mehr als zwei Millionen Bundesbürger beschäftigt. Er ist also auch, was den Beschäftigungseffekt angeht, nicht zu vernachlässigen. Es sind noch ein paar mehr als selbst bei Siemens. Man glaubt es kaum, es ist aber so.

Allein die unbezahlt geleisteten Tätigkeiten der Bürgerinnen und Bürger in verschiedenen Organisationen entsprechen dem zeitlichen Volumen von mehr als einer Million Vollzeitbeschäftigten. Man stelle sich einmal vor, welche Probleme wir hätten, wenn es dieses Engagement nicht gäbe.

Neueren Zahlen zufolge ist jeder dritte Bundesbürger über 14 Jahre in der einen oder anderen Form ehrenamtlich beschäftigt. Das ist auch etwas, auf das ich jedenfalls wirklich stolz bin; das können Sie mir glauben. Ich sage das vor dem Hintergrund einer bestimmten Diskussion. Jede einzelne dieser Tätigkeiten ist von unmittelbarem Nutzen für das Gemeinwohl, aber der gesellschaftliche Nutzen ergibt sich noch aus einem anderen, wie ich finde, wirklich übergeordneten Gesichtspunkt. Ich bin davon überzeugt, dass sich die Fähigkeit einer Gesellschaft zur Selbstorganisation - natürlich innerhalb gesetzlicher Rahmenbedingungen, aber außerhalb der staatlichen Hoheitsverwaltung - insgesamt positiv auf die Innovationsfähigkeit dieser Gesellschaft auswirkt.

Ich sehe also einen Zusammenhang zwischen diesem Engagement und der Innovationsfähigkeit einer Gesellschaft. Das heißt, eine Stärkung der Zivilgesellschaft, also des vielfältigen sozialen Gewebes zwischen Markt und Staat, fördert nicht nur Solidarität und Gemeinsinn, nicht nur Freiheit und Lebensqualität. Eine starke und funktionierende Zivilgesellschaft ist auch wichtig für die Wettbewerbsfähigkeit unserer Gesellschaft und damit auch für unsere ökonomische Wettbewerbsfähigkeit.

Ich habe deshalb vor etwas mehr als einem Jahr sehr bewusst die politische Diskussion um die, wie wir es genannt haben, zivile Bürgergesellschaft angestoßen. Die teils lebhaften Reaktionen aus der Politik, der Wissenschaft und von vielen gesellschaftlichen Gruppen haben deutlich gemacht, dass die Möglichkeiten der Zivilgesellschaft als Ort der sozialen Teilhabe noch nicht annähernd ausgelotet, geschweige denn ausgeschöpft sind.

Es geht bei dieser Neubestimmung der Aufgaben von Staat und Gesellschaft, die übrigens nicht allein in Deutschland diskutiert wird, sondern mindestens ein europäisches Thema ist, wenn nicht sogar darüber hinaus, um das politische Selbstverständnis, ein neues Selbstverständnis der gesamten Gesellschaft, wenn Sie so wollen, auch um die Chancen einer auseinander driftenden Gesellschaft Kohäsion zu schaffen, Zusammenhalt zu schaffen, anstatt weiter auseinander zu driften. Dies soll in einer offenen Gesellschaft und nicht verordnet geschehen. In einer offenen Gesellschaft, die Chancengerechtigkeit und Optionen zur Selbstverwirklichung tatsächlich garantiert, die den Einzelnen ermuntert, aber auch zu einem Leben in Eigenverantwortung befähigt und die diese Eigenverantwortung dann auch einfordert.

Das soll übrigens nicht geschehen, weil der Staat sich angesichts leerer Haushaltskassen aus der sozialen Verantwortung stiehlt, wie das von manchen Kritikern bei den traditionellen Linken, aber auch bei den Sozialversicherungskonservativen - auch die gibt es - gern behauptet wird. Damit das klar ist, jedenfalls was meine Auffassung angeht: Der Staat wird und darf sich nicht aus seiner Rolle als Schutzmacht der Schwachen in der Gesellschaft davonmachen, mit welchen Begründungszusammenhängen auch immer. Aber daraus folgt noch lange nicht, dass der Staat alles entscheiden, alle soziale Verantwortung an sich reißen müsste. Das Gegenteil ist richtig: Der allgegenwärtige Wohlfahrtsstaat, der für alles sorgt und alles entsorgt, der den Menschen die Entscheidungen abnimmt und sie durch immer mehr Bevormundung zu ihrem Glück zwingen will, wenn Glück überhaupt verordnungsmöglich ist, ist nicht nur unbezahlbar, sondern am Ende auch ineffizient und vielleicht sogar inhuman.

Die Lösung der sozialen Probleme erreicht man nicht durch weitere Umverteilung, sondern durch das Verschaffen von Befähigung, nicht durch das Streben nach absoluter Gleichheit, sondern durch Chancengerechtigkeit und verstärkte Bildungsanstrengungen. Damit ich hier richtig verstanden werde: Sie müssen dann aber auch für alle offen sein.

Eins geht nicht und ist auch nicht in Ordnung: Dass Chancen in der Gesellschaft nicht qua Leistung, sondern qua Geburt vermittelt werden. Das kann eine offene, innovative und gerechte Gesellschaft nicht vertragen. Wir wollen dies durch die Förderung von Solidarität, aber auch von Selbstbestimmung erreichen.

Auf der anderen Seite sollten wir uns aber auch vor einer Politik des Entweder-Oder hüten, also einer Politik, die glaubt, die Zivilgesellschaft könne nur gestärkt werden, wenn der Staat geschwächt wird. Ich halte das für unsinnig, obwohl es gelegentlich solche Auffassungen in unserer Gesellschaft gibt. Richtig ist: Was die Gesellschaft besser in Eigenverantwortung und Selbstorganisation lösen kann, das soll, das muss der Staat nicht machen. Aber es ist auch richtig, dass in schwachen Staaten keine starken Zivilgesellschaften entstehen. Dafür gibt es eine Menge Beispiele, nicht in erster Linie in Europa, aber jenseits Europas, überall in der Welt. Beides, starke Staaten und starke Zivilgesellschaften, ist also nötig. Beide leben übrigens von der eingeräumten Partizipation der Bürgerinnen und Bürger. Was für die Gesellschaft gut oder schlecht ist, was im Interesse der Allgemeinheit liegt und was nicht, wird nicht zwischen einer guten Zivilgesellschaft und irgendwelchen finsteren Mächten in Staat und Politik ausgefochten, sondern wird sinnvollerweise innerhalb der Zivilgesellschaft selbst diskutiert und entschieden. Doch die Art und Weise, in der wir diese Konflikte austragen, könnte manchmal durchaus ein bisschen mehr zivilgesellschaftliche Fantasie gebrauchen.

Mehr Zivilgesellschaft heißt in diesem Sinne nicht weniger Staat, sondern eher weniger paternalistisches, weniger etatistisches Denken. Mir geht es dabei um weitere Schritte hin zu einer Verhandlungs- und Konsensdemokratie. Die Wissenschaft spricht hier gern von "bargaining in the shadow of the law", also vom Verhandeln im Schatten des Gesetzes.

Damit ich richtig verstanden werde: Das muss sich nicht in der Dunkelheit vollziehen, sondern "Schatten" ist hier ein wenig anders gemeint, wohlgemerkt: nicht außerhalb des Gesetzes - in diesem Kreis muss man das natürlich nicht betonen - , aber eben auch nicht im Glauben daran, dass für jedes gesellschaftliche Problem unbedingt und zunächst und in erster Linie ein Gesetz gemacht werden muss.

Ein konkretes Beispiel für solch ein Politikmanagement habe ich der Privatwirtschaft gerade vorgeschlagen. Wenn alle Unternehmen so aufgeschlossen wären, wie es Herr von Pierer von Siemens behauptet hat, dann wäre das wunderbar. Das betrifft natürlich insbesondere den viel gerühmten Mittelstand. Wenn man es hinbekommen würde, dass die hundertfache Mittelstandsorientierung, über die Sie in Ihrer Organisation verfügen, verfügen müssen, genauso gestärkt in solchen Fragen auftauchte, dann wären wir ein Stück weiter. Es geht nämlich hier um das Problem der Frauenförderung. Zwei Dinge sind dabei wichtig: Es geht zum einen wirklich um Gleichheit zwischen den Geschlechtern. Niemand kann ernsthaft behaupten, dass wir da schon am Ende des Weges wären. Im Gegenteil: Wir befinden uns allenfalls am Anfang. Das kann man übrigens am Teilnehmerkreis hier wieder feststellen. Es geht also hier um Gleichheit zwischen Männern und Frauen. Das ist, wie ich finde, eine Kategorie, die mit Gerechtigkeit und mit gesellschaftlicher Moral zu tun hat.

Aber das ist nur die eine Seite der Begründung. Die andere Seite ist eine strikt ökonomische. Wir haben eine Diskussion - Herr von Pierer hat darauf hingewiesen - über das Fehlen von Fachkräften in vielen Bereichen, nicht nur in den IT-Bereichen, in anderen inzwischen längst auch. Wir haben zu Recht eine Diskussion über die Notwendigkeit, verstärkt Menschen aus dem Ausland bei uns arbeiten zu lassen, um sie ganz bewusst an der Wohlstandsmehrung in diesem Land teilhaben zu lassen, individuell wie gesellschaftlich. Das ist nicht unmoralisch. Und es ist nicht moralisch, nur über den anderen Aspekt, also Verfolgte aufzunehmen, nachzudenken, sondern beides gehört zusammen. Ich finde, beides kann und soll man tun. Aber wenn man das tut - wir haben Entscheidungen dazu getroffen - , dann muss man wissen, dass die Kehrseite einer so verstandenen Offenheit des deutschen Arbeitsmarktes die Nutzung der Möglichkeiten bei uns selber ist.

Dies bedeutet auf der einen Seite ständige Qualifizierung, ein ganz wichtiger Aspekt. Das ist gleichsam die Kehrseite der Medaille, die Zuwanderung heißt. Es heißt natürlich vor allen Dingen gleiche Chancen für Frauen auf dem Arbeitsmarkt.

Neben dem moralischen oder Gerechtigkeitsargument, dem programmatischen Argument, wie immer Sie das nennen wollen, ist das wirklich auch ein ökonomisches Gebot. Wir können es uns ökonomisch nicht leisten, die ungeheuren Begabungen der Frauen bei uns auf Dauer in der Weise, wie das in der Vergangenheit geschehen ist, ungenutzt zu lassen. Ich behaupte: Diejenigen, die das zunächst und als Erste kapieren, sind auch ökonomisch am besten dran. Das kann gar nicht anders sein. Deswegen plädiere ich dafür, dass auf diesem Gebiet mehr als in der Vergangenheit geschieht. Ich denke, fürs Erste mag es genügen, wenn der Staat Zielvorgaben macht und Mindeststandards setzt. Ich bin sogar bereit, mich darauf einzulassen, dass man sagt: Wir müssen das nicht gesetzlich regeln.

Ich möchte, dass wir in dieser Gesellschaft in Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Staat etwas hinbekommen, das diese Frage wirklich geeignet ist zu lösen, und zwar positiv zu lösen. Es sollte also für eine Wirtschaft aus ökonomischen Gründen, aber auch aus Gerechtigkeitsgründen eine Selbstverständlichkeit sein, angesichts der Defensive, in der wir in dieser Frage immer noch sind, ganz bewusst und ganz entschieden Frauenförderung zu machen. Das bezieht sich keineswegs nur auf die unteren und mittleren Beschäftigungsverhältnisse, sondern gerade und bestimmt auch auf die Führungsebenen. Wenn wir auf der Basis von Selbstverpflichtungen - ich kann das auch "Empfehlungen" nennen, wie immer Sie das machen wollen - in einem überschaubaren Zeitraum da wirklich weiterkommen, dann kann man auf gesetzliche Regelungen verzichten. Wenn nicht, wird sich herausstellen, dass man nicht darauf verzichten kann. Es ist also vor allen Dingen Sache der Wirtschaft, selbst, aber in fairer Zusammenarbeit mit uns dafür zu sorgen, dass auf diesem Sektor wirklich etwas passiert. Weiteres Herausreden ist ökonomisch falsch und im Übrigen unter dem Gerechtigkeitsgesichtspunkt auch nicht akzeptabel.

Der Zeitraum, über den ich dabei nachdenke, kann über drei Jahre nicht hinausgehen; darüber muss man sich im Klaren sein. Wenn sich in diesem Zeitraum ohne gesetzliche Regelungen entscheidend etwas bewegt, ist es gut. Wenn nicht, dann muss leider gehandelt werden. Dann muss leider dem, was freiwillig nicht zu erreichen ist, sanft, natürlich sehr sanft, aber bestimmt nachgeholfen werden. Das kennt man ja. Ich hoffe immer noch, dass wir in zureichender Zeit - das kann nicht auf die lange Bank geschoben werden - zwischen Wirtschaft und Staat zu einer gemeinsamen Position kommen, die uns das so, wie ich es skizziert habe, ermöglicht. Ich bin überzeugt und vertraue dabei auch auf Sie, auch auf diejenigen, die da Vorreiter sind, wie Siemens - das will ich ausdrücklich anerkennen - , dass es dort die Bereitschaft zur Selbstverpflichtung und die Fähigkeit zur Selbstregulierung wirklich gibt und deswegen Zwang nicht nötig sein wird.

Aber ich sage es noch einmal: Ich habe auch im Sinne von Gerechtigkeit die Interessen von Frauen im Auge zu behalten, die sich wirklich zu Recht darüber beklagen, dass sie in der Vergangenheit gelegentlich - denken Sie an die Nachkriegszeit - , wenn es eng wurde, gleichsam als Reservearmee benutzt wurden. Aber wenn es dann nicht mehr eng war, sind wir wieder in unseren alten Trott als Männer zurückgefallen. Ich will da keinen, mich auch nicht, ausnehmen. Das ist nun einmal so gelaufen, aber es ist falsch. Es widerspricht moderner Politik, auch moderner Unternehmenspolitik.

Wenn Sie als Unternehmen und Unternehmer sich gesellschaftlich engagieren, wenn Sie bürgerschaftliches Engagement fördern und unterstützen, dann ist das für die Gesellschaft wichtig, und die Gesellschaft soll und wird das auch anerkennen. Das wird übrigens auch das Unternehmerbild in der Gesellschaft positiv verändern. Ich sage unterstützend: Sie tun es Gott sei Dank auch nicht uneigennützig. Sonst würden Sie es vielleicht nicht in diesem Maße tun. Es hilft ja, das Image konkret und positiv zu verändern. Ich sage noch einmal: Das ist gut so. Wenn man in der Gesellschaft etwas erreichen will, wenn Unternehmen etwas über das Betriebswirtschaftliche hinaus tun sollen, dann ist es nicht falsch, wenn es auch im Betriebswirtschaftlichen positiv hilft. Warum sollte das falsch sein?

Denn wer selbst einen Nutzen hat - das wussten schon wirkliche Philosophen - , wird auch ein gutes Motiv haben, das Gemeinwohl zu fördern. Ich kann überhaupt nichts Schlechtes daran finden, wenn ein Unternehmen sich selbst einen guten Namen macht, weil es Geld für eine kulturelle oder gemeinnützige Veranstaltung oder ein soziales Projekt gibt oder weil Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Führungen eingeschlossen, sich sozial in Projekten engagieren, wie es unten auf den Tafeln abgebildet ist. So etwas nützt nicht nur dem Projekt und dem Unternehmen selbst. Es regt auch zur Nachahmung an, und das können wir in unserer Gesellschaft gut gebrauchen.

Unternehmen, die Projekte in Deutschland oder auch in Entwicklungsländern unterstützen, die ihren Mitarbeitern über Gratifikationen oder Freistellungsregelungen bürgerschaftliches Engagement ermöglichen und nahe legen - von der Renovierung eines Jugendzentrums bis hin zum temporären Seitenwechsel in soziale Einrichtungen - , verbessern damit nicht nur ihr Image. Sie erhöhen die Identifikation der Mitarbeiter mit dem Unternehmen, und sie entwickeln das, was die Soziologen "soziales Kapital" nennen. Vor diesem Hintergrund, verehrter Herr von Pierer, muss man die Weisheit dieses einen Delegierten ausdrücklich loben, der damals gegen Ihren Einzug in die Politik stand. Aber auf der anderen Seite: Wer weiß, was aus Ihnen alles geworden wäre, wenn Sie in den Bundestag eingerückt wären! Für wen eigentlich? - Darüber schweigen wir mal. Die meisten werden es sowieso wissen.

In einem weltweit tätigen Unternehmen - und nicht nur dort - wird mehr gebraucht als nur spezifisches Fachwissen. Team- und Kommunikationsfähigkeit, Einsatz- und Verantwortungsbereitschaft, Verständnis für andere Kulturen und Lebenszusammenhänge - das alles wird in der modernen Arbeitswelt wirklich immer wichtiger und ist Teil von Erfolgsmöglichkeiten. Das Interessante ist: Diese Fähigkeiten - das soll man nicht unterschätzen - werden gerade in bürgerschaftlichen Tätigkeiten geprägt, geschult und auch verfeinert. Das ist ein weiterer Punkt, der im Unternehmen hilfreich sein kann.

Wenn also Unternehmen gesellschaftliches Engagement fördern, ist das weder ein Luxus noch marktvergessene Gefühlsduselei. Wir haben gesehen, dass dort, wo es Paten- und Partnerschaften zwischen Unternehmen und gesellschaftlichen Einrichtungen am jeweiligen Standort gibt, die Motivation und als Folge dessen die Zufriedenheit von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nicht sinkt, sondern signifikant wächst. Wenn es richtig ist, dass bei einer wissensbasierten Produktion, in einer wissensbasierten Wirtschaftsgesellschaft die Motivation, die Zufriedenheit von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern immer wichtiger werden, um geschäftlich Erfolg zu haben, dann ist klar, dass die Förderung dessen, was außerhalb der unmittelbaren Arbeitswelt dazu beiträgt, auch ein ökonomisches Interesse der Unternehmen ist und keineswegs nur ein gesellschaftliches.

Sie alle wissen aufgrund Ihrer praktischen Erfahrungen nur zu gut: In der modernen Arbeitswelt sind die Anforderungen an Dynamik, Kreativität und Qualifikation der Mitarbeiter gestiegen, und - das ist keine gewagte Prognose - sie werden weiter steigen. Die Mitarbeiter wollen immer häufiger ihre eigenen Fähigkeiten, ihre Ideen und ihre Eigenverantwortung einbringen. Das Konzept flacher Hierarchien basiert geradezu darauf. Das ist gewissermaßen die Rendite des sozialen Kapitals, das ein Unternehmen auch durch gesellschaftliches Engagement seiner Beschäftigten aufbauen kann - eine Rendite, die nicht zu unterschätzen ist.

Dieses soziale Kapital sollte aber auch innerhalb der Arbeitswelt entwickelt und vermehrt werden. Wirtschaft und Arbeitswelt stehen nicht außerhalb der Zivilgesellschaft. Der zivilgesellschaftliche Bürger und die zivilgesellschaftliche Bürgerin sind auch Arbeits- und Wirtschaftsbürger. Deshalb darf die Zivilgesellschaft auch nicht vor den Werkstoren oder den Bürogebäuden Halt machen. Der Teilhabe am Haben und Sagen in der Gesellschaft muss die Teilhabe im Betrieb entsprechen. Das war der Hintergrund, vor dem wir ein, wie wir immer noch finden - deswegen werden wir es auch beschließen - , vernünftiges Betriebsverfassungsgesetz gemacht haben.

Das deutsche - manche sagen: das rheinische - Modell von Konsens und Kooperation hat über viele Jahre integrativ und friedensstiftend gewirkt, Strukturanpassungen erleichtert und insgesamt ohne Zweifel die Fähigkeit zum Strukturwandel erhöht und damit die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie und der deutschen Wirtschaft gestärkt.

Einen interessanten Punkt erinnere ich in diesem Zusammenhang, natürlich ganz verschwommen, weil ich niemanden dafür in Anspruch nehmen kann und will, was er vor 20 Jahren mal gesagt hat. Wer will schon für alles in Anspruch genommen werden, was er gesagt hat? Dafür gibt es ja auch Beispiele in der jetzigen Diskussion. Ich will also ausdrücklich niemanden dafür in Anspruch nehmen, aber denken Sie einmal darüber nach, wie sehr uns seinerzeit als ein wirkliches Modell einer fortschrittlichen, wunderbar wirkenden und arbeitenden Wirtschaftsgesellschaft Japan gepriesen worden ist, durchaus in Abgrenzung zu dem, was es in Deutschland gab, nicht zuletzt wegen Betriebsverfassung und Mitbestimmung. Die Debattenbeiträge könnte ich Ihnen alle heraussuchen. 20 Jahre später müssen wir wohl feststellen, dass wir so schlecht nicht lagen. Nun will ich nicht behaupten, dass das allein an unserer Form der Betriebsverfassung oder der Mitbestimmung gelegen hätte. Aber richtig verstandene Mitbestimmung hat geholfen, durchaus in Konkurrenz zu anderen Wirtschaftsgesellschaften.

Deswegen kann man immer noch darüber streiten, ob Einzelheiten vernünftig sind oder nicht. Ihr Kollege Jung hat das, wie ich fand, auf der CeBIT auch deutlich gemacht. Das Prinzip ist nicht in Frage gestellt, und dies aus guten Gründen. Auf dieser Basis kann man über die Einzelheiten durchaus miteinander streiten. Da will ich gar nicht behaupten, dass immer nur die eine Seite Recht hat. Aber wenn wir so weit sind, dass wir sagen, die Erfahrungen, die wir in den letzten 50 Jahren mit diesem Prinzip gemacht haben, rechtfertigen es jedenfalls, es aufrecht zu erhalten und weiterzuentwickeln, dann sind wir in dieser Gesellschaft schon vorangekommen.

Meine Damen und Herren, das gesellschaftliche, kulturelle und soziale Engagement zu ermuntern und zu fördern entspricht übrigens auch schlicht einem Bedürfnis vieler Menschen. Es stimmt wohl, dass in manchen der traditionellen Wohlfahrtsorganisationen die Zahl der sich auf lange Zeit bindenden Freiwilligen abnimmt oder jedenfalls stagniert. Doch alle seriösen Untersuchungen stellen fest, dass heute vor allem bei jungen Menschen der Wunsch sehr viel ausgeprägter ist, sich gesellschaftlich zu engagieren und dabei auch ein Stück Selbstverwirklichung zu finden. Das ist kein schlechtes Motiv, denke ich. Sie übernehmen nämlich Verantwortung, allerdings weniger in Großorganisationen. Da gibt es eine durchaus vorhandene und an den Mitgliederzahlen der unterschiedlichsten Großorganisationen ablesbare Skepsis. Diese Menschen, zumal diese jungen Menschen, übernehmen Verantwortung im unmittelbaren sozialen Umfeld, arbeiten im Umwelt- oder im Selbsthilfebereich und gestalten damit auch immer ein Stück des eigenen Lebens.

Auch die These von der Politikverdrossenheit oder von der Gegnerschaft gegenüber Politik stimmt, so betrachtet, nicht, jedenfalls dann nicht, wenn man Politik nicht immer ausschließlich als Parteipolitik missversteht. Da gibt es eine gewisse Skepsis, das ist gar keine Frage. Das beschäftigt auch alle politischen Parteien, nicht nur meine. Aber ein solch eingeengter Politikbegriff ist falsch. Wenn es junge Leute gibt, die sich zum Beispiel in Selbsthilfegruppen im eigenen sozialen Umfeld engagieren, die sich für Umweltschutzgedanken stark machen, die sich aber auch mit Fragen der Dritten Welt, insbesondere in den kirchlichen Organisationen, beschäftigen, dann ist das auch vernünftig verstandene Politik oder, wenn Sie so wollen, vernünftig verstandenes politisches Engagement, das es wirklich nicht verdient, diskreditiert zu werden. Ich glaube deshalb nicht, dass man sagen kann, dass die jungen Leute heute unpolitischer sind, als das gestern oder für den einen oder anderen sogar vorgestern der Fall war. Das ist einfach nicht wahr. Die Formen haben sich geändert, aber die Bereitschaft und der Wille zum Engagement durchaus nicht.

Auf diese neue Vielfalt des gesellschaftlichen und bürgerschaftlichen Engagements haben wir uns einzustellen, darauf müssen wir reagieren.

Wir haben das übrigens politisch getan. Das Stiftungsrecht haben wir reformiert. Die private Förderung sozialer Initiativen, von Kunst und Sport ist erleichtert worden. Die Beseitigung steuerlicher Hemmnisse eröffnet neue Möglichkeiten für Mäzene, für Stifter und Sponsoren. Weitere Verbesserungen werden wir Schritt für Schritt - das muss ja auch bezahlt werden können - umsetzen, wenn die Enquetekommission des Deutschen Bundestages "Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements" ihre Empfehlungen dazu abgegeben hat. Wir wollen auch auf diese Empfehlungen reagieren. Ich bin sicher, dass wir im Verlauf dieses Internationalen Jahres der Freiwilligen noch eine ganze Reihe von nachahmens- und unterstützenswerten Initiativen kennen lernen werden.

Herr Rogowski hat Ihnen heute Nachmittag - so ist mir gesagt worden - den Wettbewerb der Wirtschaftsverbände und der Zeitschrift "Wirtschaftswoche" vorgestellt. Er heißt "Freiheit und Verantwortung". Die Initiative will - so habe ich es verstanden - vorbildliches gemeinwohlorientiertes Engagement von Unternehmen auszeichnen. Das halte ich für einen wichtigen Aspekt, weil es natürlich zur Nachahmung anregt.

Ich selbst habe die Schirmherrschaft für den Wettbewerb "startsocial" übernommen, der am 10. Mai beginnen wird."Startsocial" ist auch eine Initiative der Wirtschaft. Es wird Hilfe für Helfer organisiert, um das freiwillige Bürgerengagement im sozialen Bereich zu fördern. Initiativen und laufenden Projekten von Privatpersonen, aber auch von Vereinen soll mit professioneller Beratung bei ihrer Konzeption und Umsetzung geholfen werden. Ähnlich den Businessplan-Wettbewerben stehen bei "startsocial" Fachleute aus dem sozialen Bereich und der Wirtschaft als Begleiter oder auch Berater zur Verfügung. Sie helfen, Kontakte zu knüpfen und lokale Netzwerke mit Sponsoren und anderen Unterstützern zu initiieren. Ich denke, all das sind vorbildliche Aktivitäten, die unterstreichen, dass die im Grundgesetz postulierte Sozialbindung des Eigentums in Deutschland nicht nur gepredigt, sondern auch beherzigt wird.

Es sind auch Initiativen, die in die Zukunft der zivilgesellschaftlichen Entwicklung weisen, weg von einer falsch verstandenen, weil einseitigen Staatslastigkeit, also der Abhängigkeit von lediglich öffentlichen Mitteln, und der allzu engen Definition dessen, was der allgemeinen Wohlfahrt, um die es uns geht, wirklich dient, mehr hin zu dem, was man "Public Private Partnership" nennt, also zu mehr Freiheit der kleinen Organisationen und auch der sozialen Netze. Das ist nicht gegen die Sozialorganisationen, die wir brauchen, gerichtet, sondern ist eine sinnvolle Ergänzung dessen. Auch die Politik wird sich hier, etwa bei der Anerkennung der Gemeinnützigkeit, in Zukunft noch offener, aber auch experimentierfreudiger zeigen müssen. Ich bin davon überzeugt.

Die Unternehmen, Ihre Unternehmen, meine Damen und Herren, sollten ihre Fantasie und das Engagement ihrer Mitarbeiter weiter in diese Richtung entwickeln. Ich sage es noch einmal: Das dient allemal der Gesellschaft - das ist ja auch etwas - , einer Gesellschaft, die bei aller Bereitschaft zur Individualität letztlich auch auf Zusammenhalt im Zeichen der Globalisierung angewiesen ist. Es dient aber, vernünftig verstanden, auch dem größeren Erfolg Ihrer Unternehmen. Ich denke, aufgeklärte Unternehmer, Unternehmensführungen haben an beidem Interesse, einmal am wirtschaftlichen Erfolg, aber auch an mehr Kohäsion in unserer Gesellschaft.