Redner(in): Angela Merkel
Datum: 08. Juni 2016

Anrede: Meine Damen und Herren,lieber Volker Kauder,liebe Gerda Hasselfeldt,liebe Staatsministerin Monika Grütters,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2016/06/2016-06-09-rede-merkel-kultursalon-unter-der-kuppel.html


Liebe Kolleginnen und Kollegen insbesondere möchte ich Marco Wanderwitz heute auch ganz herzlich danken, und Sie alle, die Sie sich in Kunst und Kultur zu Hause fühlen,

Dass heute Abend die Gelegenheit genutzt wird, einfach in Kontakt zu treten, zeigt ja die gut gefüllte Fraktionsebene, auf der man normalerweise ein bisschen über die Kolleginnen und Kollegen lästert oder Journalisten Interviews gibt. Die seriöseren Beratungen finden eher in den dahinterliegenden Räumen statt.

Die Fußball-Europameisterschaft nähert sich. Dass Deutschland eine Fußballnation ist, das ist bekannt. Aber in diesem Kreis brauche ich es nicht zu betonen Deutschland ist auch eine Kulturnation. Darauf sind wir stolz. Es bedarf aber auch der Akteure aus den verschiedenen Bereichen, die uns Kultur nahebringen. Deshalb danke ich allen, die heute gekommen sind, um sich dem Dialog mit der Politik zu stellen. Wir können Ihnen ein bisschen zuhören und lauschen. Ich werde nachher noch einmal kurz auf das, was ich verstanden habe, zurückkommen.

Daniel Barenboim mit seiner Frau, der er hier eben Rede und Antwort gestanden hat und der uns mit einem Teil seines Orchesters auch noch eine Kostprobe geben wird, möchte ich ganz besonders begrüßen. Er zeigt mit seinem Orchester der Vielfalt, dass Kunst eine unglaublich integrative Kraft haben kann. Die Frage der Integration ist ja in unserer Gesellschaft in vielerlei Hinsicht eine sehr, sehr spannende.

Ich will jetzt nicht darüber philosophieren, wie die Globalisierung und wie die Digitalisierung unser Leben verändern. Aber klar ist: Unsere Welt wächst enger zusammen, wir tauschen uns viel mehr aus. Wir freuen uns natürlich, dass Berlin ein Ort ist, an dem dieser Austausch in ganz besonderer Weise stattfinden kann. Jetzt spreche ich nicht über Orchester und nicht über Theater, sondern über das entstehende Humboldt Forum.

Wir freuen uns natürlich, dass ein Protagonist hier ist. Die anderen habe ich nicht gesehen. Ich weiß nicht, Herr MacGregor, ob noch andere hier sind, auch Herr Parzinger? Ja, alle sind da. Gut, ich nehme keinen aus. Das Triumvirat, das sich um das Humboldt Forum kümmert, ist also hier anwesend. Dessen Aufbau ist eines der spannenden Projekte in und für Berlin. Die traditionsreiche Museumsinsel wartet auf Ergänzung durch Bauten des 21. Jahrhunderts. Berlin hat viele Kunstschätze. Berlin wird viel Kooperation angeboten, um dieses Globalisierungsprojekt auf künstlerischer Ebene durchzuführen. Ich bin dafür bekannt, dass ich Angst davor habe, dass nur ein Völkerkundemuseum entstehen könnte. Aber ich bin inzwischen davon überzeugt: Das wird es nicht, sondern es wird mehr werden; vielleicht auch ein Ort, an dem Debatten über die Globalisierung und ihre Auswirkungen stattfinden können.

Wir spüren: Diese Zeit des Zusammenwachsens, der großen Neugierde aufeinander und des Alles-erfahren-Könnens über verschiedene Regionen der Welt ist auch eine Zeit der Sorgen, der Ängste, der Fragen Was ist meine Heimat? Was ist meine Herkunft? und leider auch der Ressentiments. Die Schlacht um ein Gelingen der Globalisierung muss jetzt geschlagen werden. In dieser Schlacht, wenn ich das einmal so sagen darf natürlich hoffentlich mit friedlichen Mitteln, muss jeder versuchen, seinen Beitrag zu leisten, um zu zeigen: Wo gehören wir hin? Wo kommen wir her? Was können wir zu einem Kulturerbe beitragen? Was wollen wir aufnehmen? Worauf sind wir neugierig? Dass wir viel lernen müssen, erleben wir, glaube ich, alle Tage wir in der Politik und auch Sie in der Kunst.

Wir können uns heute über vielfältige Beiträge freuen von Musik über Tanz bis hin zu anderen Bereichen und darüber, dass Vertreter aus Film, Malerei, Literatur und Theater hier sind. Was können wir als Politiker tun? Ich glaube, dass sich Kunst immer Bahn bricht. Aber wenn man eine Kulturnation sein möchte, dann erwartet man heute von der Politik zum einen Leitplanken, die den Rechtsraum definieren, in dem Kunst frei stattfinden kann, und zum anderen auch Unterstützung.

Um Unterstützung bemühen wir uns auch auf Bundesebene, wobei wir normalerweise gar nicht zuständig sind. Das hat sich aber in der Praxis herausgebildet. Heute sind, glaube ich, die Länder manchmal sogar dankbar dafür, dass der Bund ein bisschen was macht. Wir haben den Kulturhaushalt des Bundes und auch das Selbstverständnis der Staatsministerin oder des Staatsministers für Kultur sich sukzessive entfalten lassen. Daraus ist auch ohne eindeutige grundgesetzliche Kompetenz einiges in den verschiedenen Bereichen entstanden. Das kann man, glaube ich, so sagen. Ob sich das alles systemisch korrekt und der jeweiligen künstlerischen Sektorenbedeutung entsprechend entwickelt, kann vielleicht irgendwann einmal in einem Assessment festgestellt werden. Im Augenblick ist es jedenfalls so: Wer sozusagen klare, gute Projekte hat, der hat auch eine Chance auf Gehör.

Wir haben eine Vielzahl von Dingen in Gang gebracht, die über klassische Aufgaben hinausgehen. Die Filmförderung ist heute schon positiv erwähnt worden. Ich glaube, sie hat dem deutschen Film einen wirklich großen Schub gebracht. Es gibt jetzt auch eine ganze Reihe von neuen Preisen, um zum Beispiel die Arbeit kleiner und mittlerer Theater anzuerkennen und vorbildhaft geführte Buchhandlungen zu würdigen. Sie ergänzen bereits bestehende Auszeichnungen zum Beispiel für die Programmgestaltung von Kinos und Musikclubs.

Wenn wir von Deutschland als Kulturnation sprechen, dann müssen wir bei allen Problemen, die wir haben, anerkennen: Eine solche Breite des kulturellen Angebots in unseren kleinen und mittleren Städten bis hin zur Hauptstadt sucht in vielen, vielen anderen Ländern dieser Welt ihresgleichen. Und das wollen wir auch zu erhalten versuchen.

In Zeiten, in denen sich Medienlandschaft und künstlerische Landschaft rasant verändern, ist das Thema Urheberrecht eines der zentral umkämpften Themen. Wir müssen gemeinsam immer wieder deutlich machen, dass Inhalte nicht zum Nulltarif zu haben sind. Inhalte sind das Ergebnis eines geistigen Prozesses, das Ergebnis von Arbeit. Und das muss gewürdigt werden. Die Ansichten darüber gehen aber oft weit auseinander. Die Konfliktlinien verlaufen quer durch Parteien und Fraktionen. Am besten wäre es, wenn jeder, der sich zum Urheberrecht äußert, einmal selbst irgendetwas Künstlerisches zu Papier, zu Ton oder zu irgendetwas bringen würde. Er würde viele Stunden daran sitzen und schwitzen; und anschließend würde das Ergebnis einfach kostenlos verbreitet werden. Ich glaube, das wäre auch für Abgeordnete eine heilsame Erfahrung, die wir sozusagen als Voraussetzung für eine Mitsprache festlegen sollten. Na ja, wir haben jedenfalls noch Arbeit zu leisten.

Jetzt komme ich zu einem schwierigen Thema, der Künstlersozialabgabe. Darüber ist ja hier schon ausführlich gesprochen worden. Wissen Sie, wir sind guten Willens, was natürlich nicht reicht, weil wir das Ganze natürlich erst durch das Kabinett und anschließend noch durch das Parlament bringen müssen. Unser Problem ist eine Definitionsfrage: Wer ist ein Künstler? Diese Frage ist sehr schwer zu beantworten. Es kann sehr leicht passieren, dass die Definition zum Schluss so unscharf ist, dass viele, die keine acht Stunden Normaltätigkeit ausüben, die durch einen Tarifvertrag im klassischen Industriesinne beschrieben wird, sagen, dass sie der gleichen Definition entsprechen. Die Abgrenzungsfragen sind extrem schwierig. Deshalb formuliere ich jetzt einfach einmal eine Idee: Definieren Sie sich selbst oder nehmen Sie einen Juristen an die Hand und definieren mit ihm einmal den Begriff Künstler. Dann werden wir vorankommen, was die Künstlersozialabgabe angeht. Das hört sich jetzt ein bisschen witzig an, aber das ist es gar nicht. Wir müssen natürlich aufpassen, dass unsere Sozialsysteme sozusagen nicht völlig zerfließen. Dass die beiden Damen und der Herr, die vorhin auf der Bühne standen, glücklicherweise für sich in Anspruch nehmen können, dass sie Künstler sind, ist evident. Aber die juristischen Klagen finden in den Grenzbereichen statt. Wenn wir diese Grenzbereiche nicht gut definieren, dann haben wir ein richtiges Problem. Zuruf aus dem Publikum: "Dann haben wir lauter Künstler!" )

Dann haben wir lauter Künstler; und deshalb ist das unser Problem. Wir wissen, dass wir im Grunde etwas zustande bringen müssen. Das immerhin haben Sie schon geschafft.

Die Staatsministerin wird sich sicherlich freuen, wenn ich noch etwas zum Kulturgutschutzgesetz sage. Dazu will ich sagen: Das ist durchaus eine sinnvolle Sache, nicht nur wegen des Kampfs gegen Illegalität, sondern auch wegen der Frage, was von herausragender nationaler Bedeutung ist. Dieser Frage muss man sich stellen. Deshalb werden wir auch weiter daran arbeiten. Ich sage einmal: Es gibt einen Raum auf dieser Ebene, hinter dem sich eine Fraktion verbirgt, die plötzlich keine Lust mehr darauf hat, dieses Gesetz zu machen. Aber ich will jetzt nicht schlecht über Koalitionspartner reden; und deshalb schweige ich an dieser Stelle einmal. Auf jeden Fall haben sehr viele europäische Mitgliedstaaten ein solches Gesetz; so gut wie alle. Aber manchmal fühlt man sich ja auch toll, wenn man anders als die anderen ist.

Auf jeden Fall freue ich mich, dass ich heute Abend hier mit dabei sein kann. Ich möchte Ihnen allen, die Sie sich auf unterschiedliche Art und Weise für die Kultur und für die Kunst in diesem Land einbringen sei es durch politische Arbeit, sei es durch den Genuss von dem, was Künstlerinnen und Künstler zustande bringen und anbieten, sei es durch eigene Aktionen in unterschiedlichen Bereichen von Kunst und Kultur, dafür danken, dass Sie heute Abend bei uns sind. Dies ist in der Tat eine sehr, sehr gute Chance, miteinander ins Gespräch zu kommen, aufeinander zu hören und miteinander nachzudenken.

Ich gehöre zu den Menschen, die nur schwer verstehen können, dass wir in einer Zeit leben, in der wir spüren, dass sich wahnsinnig viel verändert. Nicht nur der Kalte Krieg ist zu Ende, Berlin ist geeint, Deutschland ist geeint, Europa ist wieder zusammengewachsen, sondern wir haben auch einfach durch die Digitalisierung völlig neue Möglichkeiten. Die Welt wächst enger zusammen. Und so spüren wir auch das Elend und die Not vieler Menschen hautnäher. Wir gehören zu denen, die eine Demokratie haben und die die Würde jedes einzelnen Menschen schützen. Das ist unser Kernartikel im deutschen Grundgesetz; und da bitte ich auch einfach um Unterstützung.

Die Menschen sind natürlich unterschiedlich. Deshalb ist es höchst unwahrscheinlich, dass eines Morgens alle aufwachen und zu einem Thema eine Meinung haben, die die gleiche ist. Leider besteht die Gefahr, dass, wenn zwei Menschen oder Gruppen unterschiedlicher Meinung sind, dies immer unter "Streit" oder "Eklat" verbucht wird, aber nicht unter "Produktivität einer geistigen Auseinandersetzung". Ich glaube, eine Gesellschaft verstummt und verkrustet, wenn sie nicht in der Lage ist, ein zivilisiertes Streitgespräch zu führen. Das aber ist das, was ich mir für Deutschland wünsche. In diesem Sinne wünsche ich einen schönen Abend.