Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 04.04.2001

Untertitel: Ich freue mich, heute mit Ihnen im Wissenschaftszentrum Berlin die konstituierende Sitzung des Rats für nachhaltige Entwicklung zu eröffnen.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/89/35589/multi.htm


ich freue mich, heute mit Ihnen im Wissenschaftszentrum Berlin die konstituierende Sitzung des Rats für nachhaltige Entwicklung zu eröffnen. Das Prinzip Nachhaltigkeit ist zum Glück kein Schlagwort mehr. Längst bestimmt es in vielen Bereichen ganz konkret die Politik. Und für die Bundesregierung ist Nachhaltigkeit ein zentraler Leitbegriff des Handelns.

Was ist damit gemeint? Am Thema Klimaschutz kann man das gut deutlich machen. Die neue amerikanische Administration will die in Kyoto vereinbarte Verminderung der Treibhausgase nicht umsetzen, weil dies der Wirtschaft schade. Hintergrund sind die aktuelle wirtschaftliche Lage in den USA und die Versorgungsengpässe in Kalifornien. Bedeutet dies nun im Umkehrschluss, dass wir in Deutschland Nachteile für die wirtschaftliche Entwicklung bewusst in Kauf nehmen, wenn wir den Klimaschutz ernst nehmen? Nein, mir liegt genauso viel an einer leistungs- und wettbewerbsfähigen Energiewirtschaft wie dem amerikanischen Präsidenten.

Selbstverständlich darf der Klimaschutz nicht zu Abstrichen an der Versorgungssicherheit und der Wettbewerbsfähigkeit der Energiewirtschaft führen. Die Strompreise müssen für die Verbraucherinnen und Verbraucher wie auch für die Wirtschaft bezahlbar bleiben. Der entscheidende Unterschied liegt darin, dass wir den angeblichen Gegensatz zwischen Klimaschutz und energiewirtschaftlichen Zielen überwinden und im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung beide Ziele optimal miteinander verknüpfen wollen.

Die Steigerung der Energie- und Ressourceneffizienz ist auch energiewirtschaftlich der strategisch richtige Ansatz. Damit vermindern wir unsere Abhängigkeit von Ölimporten und schaffen die Grundlage für eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung. In diesem Sinne besteht die politische Herausforderung eines wirksamen Klimaschutzes darin, ihn so zu gestalten, dass er wirtschaftliche Chancen für Innovation und Beschäftigung eröffnet. Ich sehe eine wichtige Aufgabe des Rats darin, dafür mit konstruktiven Vorschlägen gangbare Wege aufzuzeigen.

Für die Bundesregierung bildet die Steigerung der Energie- und Ressourceneffizienz den Kern einer erfolgversprechenden Nachhaltigkeitsstrategie. Dabei können wir auf einem tragfähigen Fundament aufbauen. Die bisherigen Maßnahmen der Bundesregierung haben dazu beigetragen, dass Deutschland bei der Entwicklung sparsamer Motoren, dem Bau effizienter Kraftwerke und dem Ausbau erneuerbarer Energien international einen führenden Platz einnimmt.

Der Rat für nachhaltige Entwicklung darf nicht ein zweiter Umweltrat sein. Vielmehr soll er mit seiner Arbeit alle drei Dimensionen der Nachhaltigkeit integrieren. Er muss also auch die ökonomischen Fragen ernst nehmen. Nur wenn die Unternehmen, die Akteure in Wirtschaft und Gesellschaft sich mit diesem Thema identifizieren, wird die Idee für die zukünftige Entwicklung unseres Landes relevant. Dann wird es gelingen, dass aus einem Nischenthema für Experten ein die Menschen bewegendes Zukunftsthema wird.

Beim Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung geht es letztlich darum, wie wir in Zukunft leben wollen, welche Chancen sich gerade für junge Menschen eröffnen. So zu leben und zu wirtschaften, dass die Lebenschancen zukünftiger Generationen erhalten bleiben, ist zu Recht das wichtigste Kriterium für eine nachhaltige Entwicklung.

Dabei kann es nicht darum gehen, eine abgehobene Vision zu entwickeln, die an den Sorgen der Menschen vorbei geht. Nach einer jahrelangen Diskussion über Nachhaltigkeit gibt es in unserem Land weniger ein Konzeptions- als ein Umsetzungsdefizit. Aus diesem Grund hat die Bundesregierung drei vorrangige Handlungsfelder festgelegt, in denen wir mit konkreten Maßnahmen und Projekten die nachhaltige Entwicklung in unserem Land voranbringen wollen. Neben dem Bereich "Klimaschutz und Energiepolitik" geht es um die Bereiche "Umwelt, Ernährung und Gesundheit" sowie um eine "Umweltverträgliche Mobilität".

So hat der Staatssekretärsausschuss unter Leitung von Hans Martin Bury die Ressorts beauftragt, mit einem Pilotprojekt Erfahrungen zu sammeln, wie der Ausbau der erneuerbaren Energien mit dem hohen Wirkungsgrad der Brennstoffzelle optimal kombiniert werden kann. Der Staatssekretärsausschuss hat den Rat, hat also Sie gebeten, für die drei Felder den vordringlichen Handlungsbedarf zu benennen und auch konkrete Vorschläge zur Umsetzung zu unterbreiten. Auf Ihre Vorschläge bin ich jetzt schon gespannt. Anders als ein wissenschaftlicher Beirat soll der Rat neben seinen Beiträgen für eine Nachhaltigkeitsstrategie auch konkrete Vorschläge zur Umsetzung machen. Ich denke, das kann den besonderen Reiz Ihrer Arbeit ausmachen.

Zehn Jahre nach Rio wird 2002 die Weltkonferenz in Johannesburg Bilanz ziehen und Leitlinien für die zukünftige Entwicklung geben. Bis dahin sind alle Länder aufgefordert, eine nationale Nachhaltigkeitsstrategie zu erarbeiten. Dafür soll der Rat Beiträge erarbeiten. Gemeinsam mit Ihnen wollen wir eine Strategie entwickeln, die umwelt- , wirtschafts- und sozialpolitisch gleichermaßen erfolgreich ist. Das ist für mich Sinn und Zweck einer Nachhaltigkeitsstrategie.

Aber selbst mit der besten Strategie und den schönsten Projekten werden wir nicht vorankommen, wenn sich die Erwartungen nur an die Regierung richten. Eine nachhaltige Entwicklung kann nicht vom Staat verordnet werden. Nur wenn die Akteure in Wirtschaft und Gesellschaft das Thema zu ihrer eigenen Sache machen, werden wir Erfolg haben. Wir brauchen deshalb eine öffentliche Diskussion darüber, auf welchen Wegen wir eine nachhaltige Entwicklung erreichen. Für diesen gesellschaftlichen Dialog kommt dem Rat große Bedeutung zu.

Der Rat soll ein Forum für die vielen Aktivitäten und Ideen sein, die es dafür in der Gesellschaft gibt. Ich freue mich jedenfalls, dass es uns gelungen ist, herausragende Persönlichkeiten für die Mitarbeit im Rat zu gewinnen. Sie haben gehört, welche großen Erwartungen ich an Ihre Arbeit knüpfe. Jetzt ist es an der Zeit, dass ich im Gespräch mit Ihnen erfahre, welche Ideen und Erwartungen Sie mit Ihrer Arbeit im Rat verbinden.