Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 04.04.2001

Untertitel: Der Kanzler zu den Wachstumsaussichten der Wirtschaft, Arbeitsmarkt, Rentenreform, Frauenförderung, ....
Anrede: Verehrter Herr Präsident der Europäischen Zentralbank, verehrter Herr Dr. Heintzeler, meine sehr verehrten Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/96/35596/multi.htm


Sie haben völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass die Banken früher gelegentlich Angriffen aus der Politik, dem Parlament und von Regierungen ausgesetzt waren. Heute ist das umgekehrt. Wir müssen uns gelegentlich wehren.

Es gibt böse Zungen, die behaupten, angesichts der jüngsten Ereignisse in Ihrem Sektor müsste man in Deutschland bald von einem "Banktag" und nicht von einem "Bankentag" sprechen. Wie auch immer man das bewertet, ich glaube, ganz so weit wird es nicht kommen. Ich jedenfalls kann feststellen, dass die Vorgänge der letzten Zeit eine große Chance für unsere Volkswirtschaft sein können. Ich denke, die Akteure werden dafür zu sorgen haben, dass dies tatsächlich eine Chance wird. Unter diesem Aspekt haben wir das, obwohl genauso spät wie die meisten informiert, mit großem Zutrauen in die Fähigkeiten der Akteure gesehen.

Die aktuelle Debatte läuft nach einem bestimmten Muster. Ich habe die Diskussion über Wirtschaftspolitik und Wachstum in den vergangenen Tagen mit großer Spannung verfolgt. Sie hat mich manchmal an das erinnert, was man in anderen Zusammenhängen "Beauty Contest" nennt. Damit ist klar, was ich meine. Ich meine die Debatte um die Wachstumsaussichten der deutschen Wirtschaft speziell in diesem Jahr. Die Debatte hat wirklich schon merkwürdige Züge angenommen, fast nach dem Motto "Wer hat sich noch nicht gemeldet? Wer will noch mal? Wer bietet mehr?" - und vor allen Dingen: "Wer bietet weniger?"

Diese Diskussion gibt meiner Ansicht nach nicht die reale Situation der deutschen Volkswirtschaft wieder, übrigens auch nicht die reale Situation der europäischen Volkswirtschaft. Das ist ein Grund, warum ich mich jedenfalls nicht an diesem Wettbewerb nach unten beteiligen werde. Ich halte mich lieber an die Fakten, und die geben wirklich keinen Anlass zur Schwarzmalerei.

Übrigens, wenn es richtig sein sollte - dafür spricht ja manches - , dass Wirtschaftspolitik, wie einige sagen, zur Hälfte Psychologie sei, dann spricht viel dafür, dass viele Akteure das heute offenbar vergessen haben. Das Herunterreden der - durch internationale Einflüsse mit einer Delle versehenen - Wachstumsaussichten erhöht diese mit Sicherheit nicht. Deswegen - weil dies auch etwas mit Psychologie zu tun hat - gehöre ich nicht zu denen, die sagen: "Wir betrachten nun unsere Wachstumsziele ganz besonders kritisch, und sobald sich irgendein Institut meldet, korrigieren wir sie auch nach unten". Für mich wird sozusagen beim Gegenteil "ein Schuh daraus". Wir haben bestimmte Zielvorstellungen, und wir kämpfen darum, sie zu erreichen. Aber wir treten nicht in einen Wettbewerb ein, sie herunterzureden. Ich sage noch einmal: Dazu gibt es keinen Anlass.

Wie sah es in den vergangenen Jahren aus? Im Jahr 2000 gab es in Deutschland ein reales Wachstum von drei Prozent. Das war durchaus sensationell; denn in den 90er Jahren - genauer seit 1992 - wuchs die deutsche Wirtschaft real im Durchschnitt um 1,4 Prozent. Das war allemal zuwenig, keine Frage, aber es ist schon merkwürdig, wie wir uns angewöhnt haben, selbst dann zu jammern, wenn die Wachstumsraten deutlich über denen liegen - auch in diesem Jahr werden sie darüber liegen - , die wir die ganzen 90er Jahre über gewöhnt waren.

Im politischen Meinungskampf kann man das ja unter dem Titel "Verschaffung von parteipolitischen Vorteilen" abrufen - eine Praxis, die ich gar nicht kritisieren will, weil ich sie früher durchaus selbst gepflegt habe. Aber zwischen ernsthaften Leuten, und zwar denen, die auf Ökonomie nicht nur Einfluss haben, sondern sie zu einem guten Teil auch gestalten, sollte das jedenfalls nicht üblich werden.

Wir haben also keinen Anlass, irgendetwas schwarz zu malen, sondern wir haben im Gegenteil Anlass, mit der Situation zwar nicht zufrieden zu sein, aber sie als gute Ausgangsbasis zu begreifen, um sie zu verbessern.

Was kommt hinzu? Wir hatten im März die niedrigsten Arbeitslosenzahlen in den letzten fünf Jahren. Auch das ist keine Selbstverständlichkeit, sondern das ist harte Arbeit - übrigens keineswegs allein oder in erster Linie von der Politik, sondern von denen, die als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer oder als Unternehmer Wirtschaft machen und ausmachen. Diese sollten ihre eigene Leistung auch nicht immer kleinreden oder kleinreden lassen.

Ich denke also, es macht viel Sinn, optimistisch in dieses Jahr zu gehen und darum zu kämpfen, dass es besser wird, als die gegenwärtig lancierten Prognosen den Anschein geben. Die Chancen dafür sind jedenfalls gut. Ich sage es noch einmal: Dass die Voraussetzungen gut sind, belegen die Arbeitslosenzahlen. Das sind ermutigende Nachrichten für alle diejenigen, die Arbeit suchen. Die März-Zahlen der Bundesanstalt für Arbeit zeigen: Die erfreuliche Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt hält an. Wir kommen schrittweise beim Abbau der Arbeitslosigkeit weiter. Jetzt geht es darum, alle Chancen zur weiteren Verstetigung von Wachstum und Aufschwung zu nutzen und sie nicht kleiner zu reden, als sie objektiv sind.

Ich will nochmals offen eingestehen, dass ich meine Probleme damit habe, die Mentalität von manchen in unserem Land zu begreifen, die ihre ganze Energie darauf verwenden, die Prognosen für die deutsche Wirtschaft in den Keller zu reden. Ich würde mir sehr wünschen, dass alle, die dazu beitragen können, mit dem gleichen Eifer, dem gleichen Ehrgeiz, der gleichen Verbissenheit und Entschlossen-heit um jede Stelle Wirtschaftswachstum nach dem Komma kämpfen. Denn niemand kann doch vorhersehen, wie sich die Abschwächung der US-Konjunktur auf die Wirtschaft in Europa in diesem Jahr auswirkt. Warum also diesem fast schon typisch deutschen Hang zum Pessimismus nachgeben?

Es gibt dafür keinen Grund, wenn wir uns endlich auf unsere Stärken besinnen und alles daransetzen, diese durchaus vorhandenen Stärken auch zu nutzen. Alles spricht dafür, dass der Wachstumsmotor Deutschland weiter läuft. Daran sollte gearbeitet werden, auch wenn die Entwicklung bei uns ohne den Einfluss äußerer Faktoren der Weltwirtschaft noch besser sein könnte. Das ist ja durchaus zuzugeben.

Zu den nach wie vor positiven Wachstumsperspektiven trägt nicht zuletzt die Wirtschaftspolitik bei, die wir machen. Mit rund 45 Milliarden DM entlasten wir im Rahmen der Steuerreform bereits in diesem Jahr Unternehmen, Arbeitnehmer und Familien. Dies stärkt die Konjunktur und im nach-fragewirksamen Teil, also auf der einen Seite der Wirtschaftspolitik, vor allen Dingen auch die Binnennachfrage. Wenn das nicht sofort sichtbar wird, hat das auch damit zu tun, dass die Steuererleichterungen seit Januar dieses Jahres - also gerade einmal seit drei Monaten - wirksam sind und man deswegen verlässliche Auswirkungen der Steuerreform auf die Binnenkonjunktur überhaupt noch nicht feststellen kann.

Darüber hinaus stehen auch die Zeichen für ein weiteres gutes Exportjahr - übrigens nach einem Rekordjahr 2000 mit einem Ausnahmewert von einer Billion DM - trotz der gegenwärtigen Eintrübung durchaus gut. Durch den Euro und das Zusammenwachsen der Europäischen Union haben sich die Bedingungen für den deutschen Export deutlich verbessert. Der Export profitiert von der Planungssicherheit im gemeinsamen Währungsraum. Die gemeinsame Währung ist für Deutschland nicht nur ökonomisch wichtig. Ich bin der festen Überzeugung, dass diese gemeinsame Währung den europäischen Gedanken insgesamt stärkt und damit auch die fortgesetzte Integration und Erweiterung, um aus Europa einen Ort zu machen, an dem auf Dauer Frieden und Wohlergehen für die Menschen Realität ist.

Das gemeinsame - im Übrigen auch wertstabile - Geld wird nicht nur Symbol, sondern auch Katalysator für die weitere europäische Integration sein. Wenn die Menschen ab dem 1. Januar nächsten Jahres in der gesamten Euro-Zone von Finnland bis nach Portugal mit den gleichen Münzen und Scheinen zahlen, dann wird auch sichtbar - man kann auch sagen: anfassbar - , dass in Europa eine neue Epoche beginnt. Mit dem Euro-Geld in den Händen wird uns Europa buchstäblich im Alltag begegnen. Damit wird es auch den Menschen näherkommen, die skeptisch gegenüber der europäischen Integration sind.

Klar ist: Die Einführung des Euro-Bargelds stellt Banken und Einzelhandel vor eine beachtliche logistische Herausforderung. Eine aktuelle Umfrage des DIHT kommt zu dem Ergebnis, dass jedenfalls in Deutschland die Unternehmen gut vorbereitet sind - entgegen all dem, was gelegentlich geschrieben wird. Ich denke, niemand hat von Deutschland etwas anderes erwartet, und in Wirklichkeit hat auch niemand in Deutschland etwas anderes erwartet.

Auf den Finanzplatz Deutschland kommen im nächsten Jahr weitere Herausforderungen zu. Aber ich betone ausdrücklich - ganz im Sinne dessen, was ich zum wirtschaftlichen Wachstum gesagt habe - , dass damit auch vor allem große Chancen verbunden sind. Ich nenne hier zuallererst die Rentenreform, mit der wir neben das bewährte Umlagesystem und die betriebliche Alterssicherung eine weitere Säule der Altersversorgung stellen.

Mir liegt daran, dass in Deutschland - und nicht nur in Deutschland - klar wird: Der Einstieg in die kapitalgedeckte Altersvorsorge ist wirklich von historischer Dimension. Das haben insbesondere die Gegner dieses Einstiegs erkannt und auch immer wieder darauf hingewiesen. Für uns ist wichtig, dass wir mit diesem Einstieg in die kapitalgedeckte Alterssicherung die Alterssicherung insgesamt deutlich zukunftsfester machen.

Unser Ziel ist, die Renten für die Älteren zu sichern, aber sie zugleich für die aktiv Beschäftigten und die Unternehmen auch bezahlbar zu halten. Das ginge nicht, wenn man neben die bewährte Säule "Umlagefinanzierung" nicht die Säule "Kapitaldeckung" stellt.

Die Notwendigkeit, einen Kapitalstock aufzubauen, hat einige leicht nachvollziehbare Ursachen. Die erste ist: Die Menschen in unserem Land werden - und das ist gut so - älter. Das führt automatisch dazu, dass die Rentenbezugszeiten länger werden. Dies wiederum drückt auf die Ausgabesituation der herkömmlichen Rentenkassen.

Die zweite, ebenso wichtige ist, dass wir ein wachsendes Bruttoinlandsprodukt in Deutschland mit immer weniger Vollerwerbsarbeitsverhältnissen herstellen, sich also die Erwerbsbiografien dramatisch verändert haben und weiter verändern werden. Wenn es aber ein System gibt, in dem die Alterssicherung fast ausschließlich an Vollerwerbsarbeitsverhältnisse geknüpft ist und diese in dem Maße, wie gekennzeichnet, abnehmen, dann drückt auch das auf die Finanzierbarkeit der Alterssicherung.

Diese beiden Entwicklungen, die in der Logik der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung liegen, zwingen dazu, eine zweite Säule aufzubauen, weil sonst die Sicherheit der Altersvorsorge nicht garantierbar wäre. Das ist der Grund, warum wir gesagt haben, wir packen das an, und wir versuchen - und sind dabei - , auch gesellschaftliche und politische Widerstände zu überwinden.

Ich denke, man muss wissen - das gilt auch für diejenigen, für die diese Form der Alterssicherung ein Markt werden wird, und zwar kein unbeachtlicher - , dass das Fenster für eine solche Reform jetzt geöffnet wird und dann, wenn es nicht gelingt, diese Reform auch durch den Deutschen Bundesrat zu bringen, dieser Markt auf absehbare Zeit verhindert wird. Das ist wirklich ein entscheidender Punkt. Deswegen freut es mich, wenn ich Signale von denen höre, die die Mehrheit im Bundesrat haben, dass Einsichten nicht ganz auszuschließen sind. Ich höre die Signale. Ich höre die Ansichten.

Noch fehlt mir der Glaube daran, aber der kann ja noch kommen. Das ist auch mit Hoffnung verbunden, wie man weiß.

Es geht hier um ein Ziel, das für unsere Volkswirtschaft wirklich wichtig und im Übrigen auch für das internationale Image unserer Volkswirtschaft nicht unwichtig ist. Das Ansehen unserer Volkswirtschaft hat durch die nachgewiesene Reformfähigkeit Deutschlands bei der Steuerreform bedeutend zugenommen. Es wird ebenso zunehmen, wenn wir auch in punkto Alterssicherung das objektiv Notwendige miteinander hinbekommen. Hierin liegt der Grund, warum ich hoffe und erwarte, dass diejenigen, die im Bundesrat die Mehrheit haben -vielleicht nicht alle, aber jedenfalls einige von ihnen - sozusagen "ihr Herz über die Hürde werfen".

Es besteht in der Gesellschaft Konsens darüber, dass eine bezahlbare und sichere Rentenversicherung angesichts der demographischen Entwicklung nur zu erreichen ist, wenn wir auch in der Alterssicherung der privaten Vorsorge ein stärkeres Gewicht verleihen. Dabei ist es uns wichtig, denjenigen Menschen zu helfen, die diese Säule eben nicht aus eigener Kraft errichten können. Deswegen wollen wir das Sparen für das Alter jährlich mit 300 DM pro Person fördern - entweder durch Zulage oder durch steuerliche Förderung - , je nachdem, was für den Einzelnen günstiger ist. Dazu kommt eine jährliche Unterstützung je Kind in Höhe von 360 DM. Wir mobilisieren dann fast 20 Milliarden DM, und setzen sie - das ist auch vor dem Hintergrund der jüngsten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wichtig - familienorientiert ein.

Für die Banken eröffnet sich die - wie ich glaube - ein-malige Chance, die Alterssicherung mitzugestalten, an dieser zweiten Säule mitzu-bauen. Unterschiedliche Auffassungen im Detail sollten von dieser Erkenntnis nicht ablenken. Natürlich sind mir die Argumente der Kreditwirtschaft zur Ausgestaltung der neuen Förderung bekannt, insbesondere das Argument, dass die Kriterien für die staatliche Förderung der privaten Altersvorsorge die Rentabilität des angesparten Kapitalstocks vermindern würden. Das mag sein. Dazu muss man aber wissen: Unser Ziel ist, die gesetzlichen Rente - ich betone: Rente - zu ergänzen. Am Ende soll es monatliche Zahlungen aus der Rente geben, daneben monatliche Zahlungen aus dem Sparguthaben, und dies bis zum Lebensende. Organisierte man das anders, müsste man befürchten, dass ein nicht unerheblicher Teil der nicht in dieser Weise an der privaten Vorsorge Beteiligten dann doch wieder den anderen sozialen Sicherungssystemen, also insbesondere der Sozialhilfe und damit - machen wir uns nichts vor - über den Staat dem Steuerzahler auf der Tasche läge. Das ist eine Gefahr, die man beim Aufbau dieser zweiten Säule unbedingt ausschalten muss. Die Sicherung monatlicher Zahlungen auch aus der privaten Altersvorsorge ist ein sozialpolitisches Motiv - das ist einzuräumen - , von dem wir uns haben leiten lassen, aber ein notwendiges.

Das gilt auch bezogen auf die betriebliche Alterssicherung, die wir in die Förderung mit einbeziehen. Das haben übrigens beide - Gewerkschaften und Arbeitnehmer - begrüßt. Ich denke - das sage ich in vollem Respekt vor der Tarifhoheit der beteiligten Partner - , Altersvorsorge, Vermögensbildung und Lohnpolitik könnten, wenn die Tarifpartner dies wollen und dazu bereit und in der Lage sind - ich hoffe das - , so kombiniert werden, dass neue Beschäftigung geschaffen und die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen gestärkt werden. Ein wichtiger Schritt in diesem Zusammenhang ist die Einführung von Pensionsfonds, die in Deutschland lange gefordert worden sind. Voraussetzung für die steuerliche Förderung ist auch hier, dass die Fonds die mit Alter und Invalidität verbundenen Risiken auch wirklich abdecken, sonst kann man von einer zweiten Säule nicht reden. Ich weiß, dass der Bundesverband deutscher Banken die Vorstellung entwickelt hat, ergänzend auch Pensionsfonds angloamerikanischer Prägung zuzulassen. Ich denke, darüber wird man reden müssen und, von uns aus gesehen, auch reden können.

Gegenwärtig bietet sich uns eine historische Chance, die Abhängigkeit der Alterssicherung von der demographischen Entwicklung mittels der kapitalgedeckten Altersvorsorge jedenfalls zu reduzieren. Wir müssen diese Chance ergreifen; sie darf nicht vertan werden. Ich betone noch einmal: Ich fürchte, sie kommt so schnell nicht wieder. Das müssen diejenigen wissen, die sich im Vermitt-lungsausschuss bisher noch nicht haben einigen können. Ich setze dabei auf einen österlichen Geist. Das betrifft jetzt die ersten Globalisierer - auf die Sie, Herr Heintzeler, vorhin verwiesen haben.

Meine Hoffnung ist, dass sich am Ende die Vernunft durchsetzt und die Länder den Weg für die Einführung der privaten Altersvorsorge frei machen. Denn das wäre im Interesse von Jung und Alt und - ich betone es noch einmal - auch von großem Interesse für diejenigen, die am Finanzplatz Deutschland ein entwickeltes Interesse haben. Wenn Sie es noch deutlicher haben wollen: Wir können noch Mitstreiter gebrauchen.

Von der Rentenreform der Bundesregierung wird auch der Finanzplatz Deutschland profitieren. Unabhängig davon, welchen Förderkriterien die Pensionsfonds in Deutschland unterliegen werden: sie können zur treibenden Kraft hinter den Chancenkapitalgesellschaften werden, die für den Innovationsprozess in unserem Land so unendlich wichtig sind.

In den USA - ich denke, darüber kann man schnell einig werden - wäre die Wachstumsdynamik der 90er Jahre ohne die großen Pensionsfonds als Hauptfinanziers für die innovativen Unternehmen in der Informations- und Kommunikationsbranche, in der Bio- und in der Gentechnologie so kaum möglich gewesen. US-Hightechunternehmen wie Microsoft, Netscape, Compaq oder Intel gäbe es ohne Beteiligungskapital heute mit Sicherheit nicht. Vor allem in der Frühphase zögern traditionelle Kreditgeber schon einmal, wenn Jungunternehmerinnen und -unternehmer mit unkonventionellen Methoden und naturgemäß unkonventionellen Produkten in neue Märkte vorstoßen wollen.

Deswegen fördert die Bundesregierung die Eigenkapitalfinanzierung junger Technologieunternehmen, unter anderem mit Hilfe des Programms "Beteiligungskapital für kleine Technologieunternehmen". Nicht zuletzt aus diesem Grund bildet Deutschland in dem besonders wichtigen Frühphasensegment heute den größten Markt für Finanzierungen in Europa. 40 Prozent aller Frühphasenbeteiligungen in Europa werden in Deutschland eingegangen. Ich will hinzufügen: Daran haben Sie auch einen großen Anteil, und das ist gut so.

Der Markt für Beteiligungskapital hat sich seit 1998 deutlich entwickelt und an Schwung gewonnen. Hierzu hat vor allem der Neue Markt beigetragen. Die gegenwärtig ernüchternde Entwicklung der Aktienkurse am Neuen Markt- und diese Bezeichnung ist ja eher untertrieben - sagt nichts über die wirklichen Potenziale dessen, was man "New Economy" nennt, aus. Das einmal deutlich zu machen, ist mir wichtig.

Ich halte gar nichts von der Übertreibung - an die man über die Jahre geglaubt hat und über die bestimmte Szenezeitungen berichtet haben - , man brächte sich nur am Neuen Markt zu tummeln, dann wäre man mit etwas über 25 schon Multimillionär. Ich glaube nicht, dass - von Ausnahmen einmal abgesehen - diese Position je gestimmt hat, und infolgedessen glaube ich auch nicht, dass man jetzt ins gegenteilige Extrem verfallen sollte, ganz im Gegenteil: Ich glaube, hier liegen enorme Potenziale. Mir liegt daran, dass das auch deutlich wird und man das gerade in einer Situation sagt, in der die Skepsis wieder überhand zu nehmen droht.

Darüber hinaus wird die im Rahmen unserer Steuerreform umgesetzte Steuerbefreiung von Veräußerungsgewinnen zwischen Kapitalgesellschaften den Einsatz von Chancenkapital zusätzlich fördern. In diesem Zusammenhang will ich eines sehr deutlich machen. Uns wird ja gelegentlich vorgeworfen, die Tatsache, dass wir die Beteiligungen, die in den Depots liegen, auf diese Weise mobilisieren, offenbare einen übergroßen Geschenkwillen bezogen auf Banken und Versicherungen. Dem ist nicht so. Wir haben das tatsächlich nicht deshalb gemacht, weil der eine oder andere in den Bankvorständen so schöne blaue Augen hat.

Wir haben es auch nicht gemacht, weil wir den daran Beteiligten Geschenke machen wollen. Wir haben es deshalb getan - mir liegt daran, dass das deutlich wird - , weil wir glauben, dass die in den Depots befindlichen Beteiligungen nur auf diese Weise auf den Markt gebracht und produktiv so verwendet werden, dass daraus ein Mehr an Arbeitsplätzen entsteht. Dies ist der eigentliche Grund, der uns bewogen hat, zu sagen: "Wir machen das". Weil wir diese Erwartung haben - ich glaube, sie wird sich auch realisieren - , sind alle Argumente, dies sei eine Umverteilung von unten nach oben, wirklich hanebüchen falsch. Sie entsprechen weder den Gegebenheiten noch der Ausgangslage, die uns bewogen hat, diesen Ansatz zu wählen.

Ich bin fest davon überzeugt: Gerade dieser Ansatz wird zu einem Mehr an wirtschaftlichen Aktivitäten in Deutschland und damit zu einem Mehr an Arbeitsmöglichkeiten führen. Es gibt ab 2002 keine steuerlichen Barrieren mehr, die den Verkauf von Anteilen behindern. Der durch die Auflösung verkrusteter Beteiligungsstrukturen zu erwartende Modernisierungsschub wird zu weiteren - ich betone: weiteren wettbewerbsfähigen - Arbeitsplätzen führen.

Mit der Einführung von Pensionsfonds vervollständigen wir die produktive Verbindung von Fonds, Venture Capital-Gesellschaften und Technologiebörsen. Die Bundesregierung wird darüber hinaus mit weiteren wichtigen Reformen den Finanzplatz Deutschland stärken.

Mit dem Gesetz zur Regelung von Unternehmensübernahmen werden wir - unabhängig davon, ob die Europäische Übernahmerichtlinie kommt oder nicht - einen vernünftigen Rechtsrahmen schaffen, der für faire und transparente Verfahren bei Unternehmensübernahmen sorgt. Das ist notwendig, wie wir aus der jüngsten Wirtschaftsgeschichte in Deutschland wissen.

Die beabsichtigte Neuregelung von Unternehmensübernahmen bildet zusammen mit der Steuerbefreiung von Veräußerungsgewinnen zwischen Kapitalgesellschaften die Voraussetzungen für eine effizienz- und wachstumssteigernde Neuordnung der Beteiligungsstrukturen in Deutschland - eine Maßnahme, von der ich glaube, dass sie längst überfällig war und deswegen begrüßt werden sollte. Der Effizienzsteigerung dient auch die Zusammenführung der Banken- , Versicherungs- und Wertpapieraufsicht in einer neuen Bundesanstalt für Finanzmarktaufsicht. Mit der Allfinanzaufsicht trägt die Bundesregierung der zunehmenden Verflechtung zwischen diesen Bereichen Rechnung - die jüngsten Beispiele, die wir erlebt haben, belegen die Aktualität dieser Politik. Die Bundesbank - um das zu unterstreichen, verehrter Herr Präsident - wird auch in Zukunft aktiv an der Finanzmarktaufsicht mitarbeiten.

Auf der Liste unserer anstehenden Reformen steht außerdem das 4. Finanzmarktförderungsgesetz. Das Börsengesetz wird grundlegend modernisiert. Wir werden die Eigenverantwortung der Börsen stärken, und wir werden - das ist notwendig, um eine entsprechende Kultur zu stabilisieren - den Anlegerschutz verbessern. Im Sommer wird die Bundesregierung hierzu einen ersten Entwurf vorlegen und dann hoffentlich auch mit Ihnen in eine intensive Diskussion kommen.

Unsere finanzmarktpolitischen Maßnahmen gehen natürlich über Deutschland hinaus. Wir befinden uns auf dem Weg hin zu einem einheitlichen Finanzbinnenmarkt in Europa. In Stockholm haben die Staats- und Regierungschefs die Ampeln hierzu auf grün gestellt. Wir werden bis Ende 2003 die zentralen Gesetze und Regelungen für einen einheitlichen europäischen Wertpapiermarkt schaffen. Bis 2005 soll der gemeinsame Finanzmarkt endgültig stehen.

Unser Ziel ist, die Effizienz der Finanzmärkte zu stärken, damit diese ihre wirkliche Aufgabe auch wahrnehmen können, nämlich Kapital dort bereitzustellen, wo es innovations- und wachstumsfördernd und damit letztlich auch beschäftigungsfördernd wirkt.

Der weitere Ausbau der Arbeitslosigkeit ist und bleibt das wichtigste Ziel, das wir nicht aus den Augen verlieren und - ich betone es noch einmal - an dem wir uns auch messen lassen wollen am Ende der Legislaturperiode. Darum sind alle volks-wirtschaftlichen Akteure - Arbeitgeber, Gewerkschaften, Banken eingeschlossen - dazu aufgerufen, ihre Verantwortung wirklich wahrzunehmen. Ich denke, wir sollten daran arbeiten, dass es uns in einer gemeinsamen Anstrengung - das "gemeinsam" unterstreiche ich - gelingt, unser Land in eine nach wie vor friedliche und der Wohlfahrt der Bürgerinnen und Bürger dienende Zukunft zu führen. Ich setze darauf, dass wir diesen Weg gemeinsam gehen können, auch wenn es - das ist ja in einer Demokratie eine blanke Selbstverständlichkeit - über Stationen auf diesem Weg und über die Art und Weise, wie er ausgelegt werden soll, auch produktiven Streit zwischen uns und Ihnen gibt. Das ist Teil einer demokratischen Gesellschaft, das soll so sein. Trotzdem lassen Sie uns nicht das gemeinsame Ziel, für Beschäftigung, für die Wohlfahrt der Bürgerinnen und Bürger in diesem Land zu sorgen, aus den Augen verlieren.