Redner(in): Michael Naumann
Datum: 01.04.1999

Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/16/11816/multi.htm


Frage: Herr Staatsminister, in einem Interview mit der Wochenzeitung "Das Parlament" haben Sie als eines Ihrer Ziele die Stärkung des deutschen Films genannt. Sind Sie diesem Ziel schon einen Schritt näher gekommen?

Naumann: Die Stärkung des deutschen Films steht im Mittelpunkt meiner Aktivitäten im Filmbereich. Der diesjährige Bundeshaushalt hat in etwa die gleiche finanzielle Größenordnung für die kulturelle Filmförderung wie im letzten Jahr. Das neue Filmförderungsgesetz ist am 1. Januar in Kraft getreten und muß nun umgesetzt werden.

Abgesehen davon möchte ich Anstöße geben und auf die Bedeutung des Films als Kultur- und Wirtschaftsgut auf nationaler und europäischer Ebene aufmerksam machen. Das Hauptinteresse sollte dabei auf gemeinsame Anstrengungen zur Herstellung von erfolgreichen und kulturell wertvollen Kinofilmen gelegt werden.

Frage: In einem anderen Interview - mit "Focus" - verweisen Sie auf ein hochorganisiertes Netzwerk von staatlich subventionierten Interessenverbänden und Filmförderungen mit Kooperations-Defiziten. Wie weit ist dies ein Problem des Föderalismus, der jedes Bundesland eifersüchtig über seine eigene Filmförderung wachen läßt? Und welche Möglichkeiten sehen Sie als Staatsminister im Bundeskanzleramt, den Problemen des Föderalismus beizukommen?

Naumann: Deutschland ist ein föderaler Staat. Deshalb sehe ich meine Funktion auch nicht in Konkurrenz zur Kulturhoheit der Länder und Kommunen und deren wirtschaftspolitische Kompetenzen. Im Gegenteil. Eine wichtige Aufgabe in einem föderalen Staat besteht jedoch darin, die verschiedenen Kräfte optimal zu bündeln. Solche Synergien brauchen wir auch beim Film.

Frage: Sie haben eine Filmförderungskonferenz angeregt. Soll dies eine einmalige Veranstaltung werden oder eine Dauereinrichtung?

Naumann: Gerade aus den genannten Gründen habe ich am 9. und 10. April zu einem "Bündnis für den Film" eingeladen. In diesem Round-Table-Gespräch haben wir unter anderem über eine bessere Koordinierung der Filmförderung von Bund und Ländern sowie über die Stärkung der Rolle des Filmproduzenten vor allem gegenüber dem Fernsehen diskutiert. Diese Gespräche können bei Bedarf, eventuell in anderer Zusammensetzung und mit anderen Themen, fortgesetzt werden.

Frage: In dem Focus-Interview sprachen Sie auch von Ihrer Absicht, Berlin zu einer noch stärkeren Konkurrenz für Cannes zu machen. Wie soll das geschehen?

Naumann: Die Berliner Filmfestspiele, im nächsten Jahr am neuen Standort Potsdamer Platz in der Mitte Berlins, sollten so attraktiv wie möglich sein - filmkünstlerisch und vom Ambiente her - und damit ihren Rang hinter Cannes behaupten. Die Berlinale sollte sich dabei auf ihre spezifischen Stärken, die durchaus ausbaufähig sind, besinnen.

Frage: Sind Sie zufrieden mit der diesjährigen Präsenz des deutschen Films in Cannes?

Naumann: Ich hoffe, daß sich der deutsche Film 1999 und in den kommenden Jahren wieder erfolgreicher präsentiert. Es wäre nicht hinnehmbar, wenn dauerhaft kein deutscher Film zum Wettbewerb in Cannes zugelassen würde. Bei den vielen talentierten Produzenten, Regisseuren und Schauspielern habe ich aber keinen Zweifel, daß der deutsche Film bald wieder besser in Cannes vertreten ist.

Frage: Wieder einmal ist der deutsche Film in Cannes vor allem mit Koproduktionen vertreten, und bei manchen dieser Koproduktionen besteht der entscheidende deutsche Anteil aus Geld. Wie stehen Sie zu Koproduktionen? Welche Vorteile, welche Nachteile sehen Sie?

Naumann: Es ist bedauerlich, daß in Deutschland die Zahl der Koproduktionen mit finanziellen, künstlerischen und technischen Beiträgen aus verschiedenen Ländern zurückgeht. Andererseits ist in der Filmbranche auch eine neue Entwicklung zu beobachten: Zunehmend haben nämlich solche Filme beim Publikum Erfolg, die etwas Authentisches und "Originales" aufweisen. Diesem Trend dürfte das Modell der Kofinanzierung entsprechen. Dann ist es aber auch nicht verwunderlich, daß sich kreative Filmemacher aus anderen Ländern angesichts des starken deutschen Film- und Finanzmarktes und - nicht zu vergessen - aufgrund der deutschen Regionalförderung Koproduzenten aus Deuztschland für eine reine Finanzbeteiligung suchen. Im Prinzip ist daran nichts auszusetzen. Es darf aber nicht zu einer Einbahnstraße werden. Vielmehr muß es umgekehrt auch dazu kommen, daß kreative Ideen aus Deutschland mit mehrheitlich deutscher Beteiligung und der Kofinanzierung aus anderen Ländern realisiert werden.

Frage: Wenn Sie könnten: Würden Sie Einfluß nehmen auf die Auswahl deutscher Filme bei ausländischen Festivals?

Naumann: Grundsätzlich nein. Die Auswahlkommissionen und Festivalleiter müssen unabhängig über die Auswahl der Filme entscheiden. Die Akzeptanz deutscher Filme im Ausland ist primär durch filmische Qualität und gute Vermarktung herzustellen. Es ist jedoch legitim, auch als Politiker auf die Vorzüge eines Films hinzuweisen; so geschehen zum Beispiel letztes Jahr in Venedig mit "Lola rennt".

Frage: In der "Berliner Zeitung" kritisierten Sie die Berliner Filmfestspiele wegen mangelnder Professionalität. Sie befürchten, daß sich Italien revanchieren könnte, weil kein italienischer Film im Wettbewerb war. Läuft das so?

Naumann: Gerade wegen meiner Intervention für "Lola rennt" im letzten Jahr war ich zunächst einmal irritiert darüber, daß kein italienischer Film im offiziellen Wettbewerb der Berlinale lief.

Frage: Als Newsweek in den 70er Jahren eine Titelgeschichte über den German Film Boom veröffentlichte, sah es aus, als stünde der deutsche Film vor seinem internationalen Durchbruch. Wurde damals eine Chance vertan?

Naumann: Die 60er und 70er Jahre waren eine Zeit des Auf- und Durchbruchs für den jungen deutschen Film. Ich habe diese spannende Zeit des Autorenfilms, der ja auch die filmische Aufarbeitung unserer Vergangenheit in Angriff nahm, in München und Hamburg hautnah miterlebt. Im Ausland hatten diese wichtigen deutschen Autorenfilme damals einen ungeheuer guten Ruf, im Inland war ihr Markterfolg leider - abgesehen von Fassbinder oder Schlöndorff - nicht sehr groß. Ich glaube nicht, daß damals eine Chance vertan wurde - diese Art von Filmen konnte auf Dauer nicht produziert und dem Publikum vermittelt werden. Heute haben wir eine neue Generation von Filmemachern, die sich wieder stärker am Publikum und an der Unterhaltung orientiert.

Frage: Was läßt sich überhaupt tun für eine stärkere Präsenz des deutschen Films im Ausland? Wie weit ist das eine Frage von Strukturen, also vor allem der Arbeit der Export-Union, und wie weit hängt die deutsche Präsenz einfach von der Attraktivität der Produktion ab?

Naumann: Der deutsche Film hatte zugegebenermaßen in den letzten Jahren keinen großen Erfolg im Ausland. Man muß dabei jedoch berücksichtigen, ob der deutsche Film gute Ergebnisse in den Kinos erzielt oder ob er als kulturell wichtiger Film auf internationalen Filmfestivals wahrgenommen wird. Beides war - vielleicht kann man sagen: seit Fassbinders Filmen, seit Schlöndorff und Petersen - nicht mehr wirklich der Fall. Daran kann die Export-Union, die sich in erster Linie um den wirtschaftlichen Erfolg des deutschen Films kümmert, auch nicht viel ändern. Insoweit kann man von einer Strukturveränderung in der Außenvertretung des deutschen Films auch keine Wunder erwarten.

Wir werden der Frage, wie die Außenvertretung des deutschen Films gestärkt werden kann, gemeinsam - Bund, Filmförderungsanstalt, Länder und Wirtschaft - nachgehen.

Frage: Sehen Sie irgendwo in Europa ein Filmland, das seine Export-Probleme besser im Griff oder gar gelöst hat?

Naumann: Das Problem der Exportfähigkeit der eigenen Filme stellt sich für jedes europäische Land. Das hängt mit der kulturellen Vielfalt in Europa zusammen, die sich in den unterschiedlichen Sprachen und im besonderen Charakter der Filme äußert. Für die meisten europäischen Filme ist der Weltmarkt verschlossen. Dies darf aber nicht für den Austausch der Filme innerhalb Europas gelten.

Die Außenvertretungen der europäischen Länder im Bereich Film sind sehr unterschiedlich strukturiert. Die bei weitem größte und aktivste ist Uni-France, was dem gegenüber Deutschland fast doppelt so großen Produktionsvolumen im Bereich Kinospielfilm und der relativ gut funktionierenden Filmwirtschaft in Frankreich entspricht. Mein Eindruck ist aber auch, daß kleine Produktionsländer wie die Schweiz, Österreich oder die skandinavischen Länder eine auf ihre Aufgaben gut ausgerichtete Außenvertretung haben.

Frage: Welchen Stellenwert würden Sie dem gegenwärtigen deutschen Film in Europa zuweisen? Wievielen deutschen Filmen der letzten Jahre würden Sie - bei perfekten Export-Strukturen - Chancen auf dem europäischen Markt einräumen? Wieviele sind darunter, die auch in den USA eine nennenswerte Chance haben müßten?

Naumann: Die Bewerbung und der Verkauf einzelner deutscher Filme zählt nicht zu den Aufgaben der Export-Union. Das ist vielmehr Sache des Produzenten und Vertriebe. Um ein Beispiel zu nennen: Auch die Präsenz und der Ruf des französischen Films sind im Ausland erheblich zurückgegangen, ganz zu schweigen von den deutschen oder französischen Filmexporten in die USA. Der Anteil des nicht englischsprachigen Films liegt dort bei weniger als ein Prozent. Hier wirken Marktstrukturen als Eintrittshindernisse, die nur sehr schwer zu überwinden sind. Diese Schwierigkeiten lassen sich offenbar leichter lösen durch europäische Filmemacher wie Roland Emmerich, Wolfgang Petersen oder Luc Besson, die in die USA gehen und amerikanische Filme drehen.

Frage: Noch ein Zitat aus dem "Parlament". Da sagen Sie im Hinblick auf die Kultur: Das Europa der Zukunft wird nicht als reine Interessenunion bestehen können. Wenn aber der Film als Wirtschaftsgut gehandelt wird, nicht zuletzt auch von einem Großteil unserer Förderungsinstitutionen, wie werden sich die materiellen Interessenkämpfe in Bahnen lenken lassen, die auch für den deutschen Film produktiver funktionieren?

Naumann: Ich bleibe dabei: Europa wird nicht als reine Interessenunion bestehen können. Ich will nicht so weit gehen wie Jean Monnet, der gesagt haben soll, wenn er heute Europa neu aufbauen müßte, würde er mit der Kultur anfangen. Aber wir müssen auf nationaler Ebene leistungsstarke Strukturen der Filmwirtschaft sicherstellen und darüber hinaus die einzelnen Filmwirtschaften auf EU-Ebene wirksam unterstützen.

Frage: Im Grunde sind alle europäischen Filmländer - und nicht nur die Filmländer in Europa - der Übermacht aus Hollywood fast chancenlos unterlegen. Alle sorgen sich um das Überleben der eigenen Produktion. Wenn Sie nun eine stärkere Präsenz des deutschen Films in Italien, Frankreich oder Griechenland oder wo auch immer fordern: Wie schnell kann das in den jeweiligen Ländern wirtschaftliche Ängste auslösen?

Naumann: Ich wünsche mir eine stärkere Präsenz des jeweiligen nationalen Films in den europäischen Nachbarländern und nicht nur die Präsenz des deutschen Films in Italien oder Frankreich oder Griechenland. Im übrigen erscheint mir die Vorstellung, daß sich unsere europäischen Nachbarn gerade vor der Dominanz des deutschen Films sorgen, ziemlich weit hergeholt.

Frage: Die Angst vor dem filmischen "Europudding" ist nicht neu. Steht sie in einer allgemeinen Stärkung des europäischen Films im Weg? Kann es jemals eine gemeinsame europäische Filmpolitik geben, vor allem eine, die nicht nur wirtschaftlich, sondern auch kulturell erfolgreich wäre?

Naumann: Ich sage ja gerade, daß es nicht um einen filmischen "Europudding" geht, sondern um eine Stärkung der nationalen Filmwirtschaften in Europa und eine stärkere Präsenz nationaler Filme in den europäischen Nachbarländern. Dies könnte nicht nur zu einer besseren Refinanzierung von Filmen beitragen, sondern darüber hinaus auch die Vielfalt und den Reichtum der Kultur in Europa deutlich machen. Es gibt daher nur begrenzte Ansätze zu einer gemeinsamen Filmpolitik in Europa, weil diese Fragen zugleich unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität gesehen werden müssen: Was können die europäischen Länder selbst regeln, und was gehört unter das Dach der Europäischen Union?

Frage: Was war in den letzten 15 Monaten Ihr deutscher Lieblingsfilm, was war Ihr internationaler Lieblingsfilm?

Naumann: "Aimée und Jaguar" und "Lulu on the Bridge".