Redner(in): Julian Nida-Rümelin
Datum: 07.05.2001

Untertitel: In seinem Grußwort würdigte Staatsminister Nida-Rümelin die herausragende Bedeutung der Dauerausstellung "Atomphysik" und der Sonderausstellung "Geheimdokumente zum deutschen Atomprogramm 1938-1945", die während der Jahresversammlung des Deutschen Museums in München am 7. Mai 2001 mit einem Festakt eröffnet wurde
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/42/39742/multi.htm


Der Reichtum und die Komplexität unseres Lebens spiegelt sich in der Vielgestaltigkeit unserer Kultur. Museen leisten mit ihren mannigfaltigen Angeboten einen ganz außerordentlichen Beitrag, um einzelne Facetten dieser Kultur zu erschließen. Das gilt auch und besonders für das Deutsche Museum in München und seine junge, erfolgreiche Außenstelle in Bonn. Das Deutsche Museum hat sich mit vielen seiner Ausstellungen in den vergangenen Jahren über Deutschland hinaus einen guten Namen gemacht. Dem Werk des Malers Paul Klee und seinen vielen Bezügen zum Fliegen und zum Krieg spürte eine Ausstellung nach, die im Zusammenhang mit dem Festakt der Jahresversammlung vor vier Jahren eröffnet wurde. Im Frühjahr 2000 war es dann die große Pompeji-Ausstellung, die das naturkundliche und technische Wissen und Können der Römer wieder lebendig werden ließ. Heute geht es um die Eröffnung der neu konzipierten Dauerausstellung zur Atomphysik und der Sonderausstellung "Geheimdokumente zum deutschen Atomprogramm 1938 - 1945". All diese Ausstellungen vermitteln eine Botschaft, die zum Signum des Deutschen Museums geworden ist: Kunst und Technik sind gleichermaßen kulturelle Leistungen, sie entspringen der schöpferischen Kraft des Menschen und sind Ausdruck unseres Selbstverständnisses.

Ebenso wie die Kunst sind Wissenschaft und Technik Ausdruck von spezifischen kulturell geprägten Mentalitäten. Über viele Jahrzehnte hatten die Deutschen sich nicht nur den Ruf erarbeitet, ein "Volk der Dichter und Denker", sondern auch eines von Naturwissenschaftlern, Ingenieuren und Technikern zu sein. Der Bruch in der Entwicklung unseres Landes durch die nationalsozialistische Diktatur hat nicht nur unsere kulturelle und künstlerische Innovationskraft, sondern auch unsere wissenschaftliche Wettbewerbsfähigkeit schwer beschädigt. Dafür genügt schon ein Blick auf die jährliche Liste der Nobelpreisträger. Es wird noch großer Anstrengungen bedürfen, um in diesen verschiedenen Bereichen einen Standard zu erreichen, der im internationalen Kontext dem der Vorkriegszeit entspricht.

Ein Blick auf die jüngere Geschichte ist zwangsläufig mit der Frage nach der ethischen Gesamtverantwortung der Wissenschaft verbunden. Sie bedarf mehr denn je einer institutionellen Stützung. Ein bewährtes Instrument sind zum Beispiel Ethik-Kommissionen, die bis vor kurzem in Deutschland noch ein Schattendasein fristeten. Sie sollten nicht als Kontroll-Gremium verstanden werden, sondern als ein Angebot, den ethischen Klärungsprozess innerhalb der Wissenschaft zu gestalten und voranzutreiben. Ganz wesentlich ist dabei der interdisziplinäre Aspekt.

Wissenschaft und Kunst bieten ganz spezifische Innovationspotentiale und das Deutsche Museum als eine Institution mit weltweiter Ausstrahlung ist ein hervorragender Mittler für den Transfer dieser Potentiale in die Lebenswirklichkeit unserer Gesellschaft. Dieses Museum ist geradezu ein Kulturereignis, in dem diese Zusammenhänge sichtbar und erlebbar gemacht werden - und das vorzugsweise auch für junge Menschen. Mehr als die Hälfte der etwa 1,4 Millionen Besucher, die das Deutsche Museum als das besucherstärkste Museum in Deutschland jährlich zählt, ist weniger als 30 Jahre alt. Damit erfüllt das Deutsche Museum einen wichtigen bildungspolitischen Auftrag im Bereich der Naturwissenschaften und Technologie. Für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes kann das gar nicht hoch genug gewürdigt werden.

Wissenschafts- und technikhistorische Forschung, wie sie hier betrieben werden, haben einen zentralen Stellenwert für die ethische Dimension der Wissenschaft. Hier wird deutlich, in welcher Weise philosophische Grundannahmen, weltanschauliche Prägungen, ökonomische Interessen, interne wissenschaftliche Prozesse und technische Entwicklungen miteinander verknüpft sind. Die Komplexität der wissenschaftlich-technischen Zivilisation kommt dadurch in den Blick. Genau das bezweckt in eindrucksvoller Weise die Ausstellung "Geheimdokumente zum deutschen Atomprogramm 1938 - 1945". Sie stellt anhand von Exponaten und Dokumenten die Frage, was den Bau des Atomreaktors oder die Konstruktion einer Atombombe - beides war nach dem damaligen Erkenntnisstand möglich - verhindert hat. Waren es der Materialmangel, die geringen personellen Ressourcen oder gar eine gezielte Verweigerungshaltung führender Wissenschaftler? Eine ganz wichtige und spannende Fragestellung. Besonders dankenswert, dass das Deutsche Museum dem eine Ausstellung widmet.

Die Bundesregierung bekennt sich nicht nur zur Unterstützung bedeutender Kunstmuseen, sondern über das Instrument der "Blauen Liste" auch zur Förderung von Forschungsmuseen auf dem Gebiet der Naturwissenschaft und Technik. Ich nutze diese Gelegenheit gern - auch wegen meiner sehr positiven Erfahrungen mit dem Deutschen Museum während meiner Tätigkeit als Kulturreferent der Stadt München - , um Ihnen zu versichern, dass dieses Engagement trotz angespannter Finanzlage nicht nachlassen wird.

Ich wünsche dem Deutschen Museum auf seinem Weg in die Zukunft weiterhin überzeugende Ideen, große Erfolge und viele interessierte Besucherinnen und Besucher.