Redner(in): Joschka Fischer
Datum: 09.05.2001

Untertitel: Die Eröffnung der neuen israelischen Botschaft in Berlin ist für Israelis wie für Deutsche ein außergewöhnliches, ein bewegendes Ereignis. Der Staat Israel ist von nun an mit einem eindrucksvollen Gebäude an dem Ort präsent, von dem aus das Menschheitsverbrechen des Holocaust geplant und durchgeführt wurde.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/95/39795/multi.htm


Die Eröffnung der neuen israelischen Botschaft in Berlin ist für Israelis wie für Deutsche ein außergewöhnliches, ein bewegendes Ereignis. Der Staat Israel ist von nun an mit einem eindrucksvollen Gebäude an dem Ort präsent, von dem aus das Menschheitsverbrechen des Holocaust geplant und durchgeführt wurde. Die sechs Säulen dieser Botschaft erinnern an die sechs Millionen Ermordeten. Diese Erinnerung und die Verantwortung, die aus ihr erwächst, wird Deutschlands Politik auch künftig, auch von Berlin aus prägen. Kein anderes Thema rührt so tief an unser Selbstverständnis als Nation, an unsere Identität, wie das Verhältnis zu Israel und zu den jüdischen Gemeinden. Die Beziehungen zwischen Israel und Deutschland werden für beide Seiten immer besondere bleiben.

Die Eröffnung dieser Botschaft ist ein Anlaß zur Erinnerung, aber auch ein Anlaß zur Freude und zur Zuversicht. Wer hätte am 9. Mai 1945 oder am 14. Mai 1948, dem Gründungstag des Staates Israel, zu hoffen gewagt, dass Deutschland und Israel 50 Jahre später eine enge und vertrauensvolle Partnerschaft verbindet? Dass Israelis Deutschland einmal als ihren wichtigsten Partner nach den Vereinigten Staaten ansehen würde? Dass jüdische Gemeinden und jüdische Kultur in unserem Land wieder wachsen? Nach den furchtbaren Verbrechen, die Deutschland gegenüber den Juden in Deutschland und Europa begangen hat, ist dies für uns wie ein Wunder, ein großes, unverhofftes Geschenk der Geschichte.

Früher lebten in Berlin 200.000 Juden. Über Jahrhunderte bereicherten sie mit ihrer blühenden Kultur und ihrem Geistesleben diese Stadt; das großartige jüdische Museum wird hieran erinnern, wenn es am 9. September seine Türen öffnet. Heute ist die jüdische Gemeinde in Berlin die am schnellsten wachsende in ganz Europa. 11.000 jüdische Mitbürger, viele von ihnen zugewandert aus der ehemaligen Sowjetunion, bemühen sich hier um den Aufbau des jüdischen Gemeindelebens, neuer Schulen und Synagogen.

Umso mehr empört es uns, dass antisemitische und fremdenfeindliche Gewalttaten in Deutschland wieder zugenommen haben. Diese Verbrechen treffen nicht nur die Juden in Deutschland, sie sind auch ein Angriff auf die deutsche Demokratie und den elementaren Grundsatz der Unantastbarkeit der Menschenwürde, auf dem sie aufbaut. Die Antwort des deutschen Staates und der großen Mehrheit unserer Gesellschaft ist deshalb eindeutig: Wir werden es nie wieder zulassen, dass Menschen in Deutschland auf Grund ihrer Religion, Hautfarbe oder Herkunft ausgegrenzt oder verfolgt werden. Wir wollen, dass jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger in Deutschland sicher und frei leben können. Wir wollen, dass die jüdischen Gemeinden in Deutschland weiter wachsen und Teil des gesellschaftlichen Lebens sind.

Die besondere Verantwortung Deutschlands wirkt aber auch nach außen. Das entschiedene Eintreten für das Existenzrecht Israels und für das Recht seiner Bürger, in sicheren Grenzen zu leben, bleibt ein unverrückbarer Pfeiler der deutschen Außenpolitik. Diese feste Position wird auch künftig den einzigartigen Charakter unserer Beziehungen zu Israel bestimmen. Weil wir Israel so eng verbunden sind, verfolgen wir die gegenwärtige Entwicklung im Nahen Osten mit großer Sorge. Der Weg zum Frieden kann nur über den Respekt beider Seiten für das Existenzrecht und die Würde des anderen führen. Wir sind bestürzt über den Versuch Syriens, den historischen Papstbesuch durch eine verurteilenswerte Polemik gegenüber Israel politisch auszunutzen. Mit Empörung haben wir die Aufrufe zu immer neuem Terror vernommen, die z. B. von einer Konferenz in Teheran zu hören waren. Deutschland verurteilt diese Haltung auf das Schärfste.

Wir wünschen Ihnen, verehrter Shimon Peres, Erfolg bei Ihren Bemühungen, den Friedensprozess am Verhandlungstisch wieder in Gang zu bringen. Deutschland wird Israel dabei, wo immer es uns möglich ist, unterstützen.

Zum 53. Geburtstag Ihres Staates gratulieren wir Ihnen herzlich. Wir gratulieren Ihnen zu diesem neuen Botschaftsgebäude, dem das Unmögliche gelingt, Erinnerung und Zuversicht zugleich zum Ausdruck zu bringen. Wir wünschen Ihnen, dass der Weg des israelischen Volkes zu einem Leben in Sicherheit und in Frieden mit seinen Nachbarn führen wird. Wir wünschen uns ein blühendes jüdisches Leben in Deutschland, in Israel und in der übrigen Welt.

Vielen Dank. Shalom.