Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 11.05.2001

Untertitel: Das ist schon ein besonderes Jubiläum, das wir heute hier gemeinsam feiern. 50 Jahre Deutscher Behinderten-Sportverband ...
Anrede: Sehr verehrter Herr Bürgermeister Runde, Frau Präsidentin, lieber Herr Präsident Zühlsdorf, Herr Präsident Steadward, meine sehr verehrten Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/62/39962/multi.htm


Ich finde, es ist ein besonderes Jubiläum, das wir heute miteinander feiern. 50 Jahre Deutscher Behinderten-Sportverband, das ist natürlich zunächst einmal eine sehr beeindruckende Erfolgsgeschichte eines wirklich wichtigen Spitzenverbandes im deutschen Sport. Ich glaube, das wird von allen so gesehen und wo noch nicht, wird das noch kommen, nicht zuletzt durch Ihre Arbeit und unseren gemeinsamen Einsatz. Es ist die Erfolgsgeschichte von Sportlerinnen und Sportlern, Verantwortlichen und Mitgliedern, die es eben in vielerlei Hinsicht nicht so einfach haben wie andere und deren Leistungen deshalb umso höhere Anerkennung verdienen.

Ich halte den Film, den wir eben haben sehen können, übrigens für einen geglückten, einen wunderbaren Film. Er zeigte für mich zweierlei: Zum einen, welch ungeheurer Leistungswille, welche Kraft in diesen Menschen steckt, ungeachtet ihrer Behinderungen, und zum anderen, welcher Wille auch zur Integration. Es wäre um unsere Gesellschaft schlecht bestellt, wenn wir diesen Willen nicht zur Kenntnis nehmen und darum müssen wir ihn ernsthaft erwidern. Diejenigen, die nicht behindert sind, haben mindestens eine so große Verantwortung, diese Gesellschaft entsprechend auszugestalten, wie diejenigen, die etwa politische Entscheidungen treffen.

Zum anderen rede ich auch von der Erfolgsgeschichte - das sollten wir nicht vergessen - , dass dieser Verband die unveränderte Attraktivität und die ungebrochene Kraft von "Selbsthilfe" - ein schönes Wort, wie ich finde - deutlich macht. Gerade im Sport und insbesondere im Behindertensport wird der Gedanke der Selbsthilfe in geradezu beispielhafter Weise vorgelebt. Es ist ja noch gar nicht so lange her, da galten behinderte Menschen als "Randgruppe" in unserer Gesellschaft, wie es damals genannt wurde und gelegentlich immer noch genannt wird. Man spürt daran: Bis in die Sprache hinein können sich Diskriminierung und Benachteiligung auch und gerade im Alltag fortsetzen.

Heute haben Sie - und Ihre Arbeit hat ebenso wesentlich dazu beigetragen wie der Leistungswille und das Engagement Ihrer Sportler - , haben wir alle in vielen Bereichen große Fortschritte erzielt; das kann man gar nicht bestreiten. Mutige und aktive Menschen, auch und gerade in Ihrem Verband haben dabei Pionierarbeit geleistet. Behindertenbeauftragte in den Städten und Gemeinden, den Ländern und auch im Bund haben dazu beigetragen, das Problembewusstsein in unserer Gesellschaft für die Sorgen und die Anliegen von Behinderten zu schärfen.

Unsere Gesellschaft - noch nicht ausreichend; deswegen braucht es auch noch immer einen kräftigen Schub - unternimmt inzwischen einige Anstrengungen, das Leben für Menschen mit Behinderungen, soweit es eben geht, zu erleichtern und den Umgang - das ist nicht ganz unwichtig, vielleicht mindestens so wichtig wie vernünftige Rahmenbedingungen - , mit ihnen selbstverständlich werden zu lassen, also nicht Mitleid zu verstreuen, sondern Respekt entgegenzubringen. Ich glaube, das ist das, was wirklich notwendig ist. So ist es heute selbstverständliche Pflicht - so steht es jedenfalls in dem, was wir wollen - , die Belange von Menschen mit Behinderungen bei öffentlichen Projekten zu berücksichtigen, beim Bauen zum Beispiel, aber auch im Verkehr, in den öffentlichen Verkehrsmitteln.

Behinderten Menschen ein möglichst selbstbestimmtes Leben im Beruf und in der Gesellschaft zu ermöglichen, das ist auch ein Ziel unserer Politik. Und wenn ich "Selbstbestimmung" sage, dann meine ich das auch. Dann geht es mir darum, dass wir Rahmenbedingungen schaffen, in denen diese Selbstbestimmung und das Ausleben der eigenen Persönlichkeit objektiv möglich wird.

Dafür kann Politik eine Menge tun. Wir wissen es, wir versuchen es und werden es auch weiterhin machen, aber nur mit Politik allein - das muss genauso klar sein - kann man ein solches Ziel der vollständigen Integration Behinderter in die Gesellschaft nicht erreichen. Wenn man es wirklich erreichen will - und wir wollen das - , dann braucht man die Mithilfe und die Mitarbeit ganz vieler in der Gesellschaft. Dazu bedarf es - auch das wird in dem Film deutlich - auch der Eigeninitiative von Menschen mit Behinderung und gerade auch ihrer Verbände. Beides muss zusammenkommen: Die Bereitschaft der Gesellschaft, Integration zu ermöglichen, und der feste Wille, auch der organisierte Wille derer, die behindert sind, eine solche Integration auch einzufordern.

Verbände, die das unterstützen, haben eine gesellschaftspolitische Bedeutung, die weit über ihr eigenes Anliegen hinausgeht. Eine Gesellschaft kann sich nicht wirklich human nennen, wenn sie ausgrenzend mit den Behinderten umgeht.

Es ist ein Verband, der sich in den vergangenen Jahren besonders hervorgetan hat, wenn es darum ging, mehr Akzeptanz für Menschen mit Behinderungen zu schaffen. Ich meine den Deutschen Behinderten-Sportverband. Ich sage das wirklich mit Respekt und mit höchster Anerkennung für das, was Sie alle zusammen in den vergangenen 50 Jahren, gelegentlich - ich sage es einmal frei heraus - unter verdammt schwierigen Bedingungen, geleistet haben.

Kaum etwas kann Menschen so unkompliziert zusammenbringen wie Sport und Spiel. Wir alle wissen: Sport - auch das wurde im Film sichtbar - überwindet die Grenzen von Sprache, Hautfarbe und Religion fast mühelos. Wo gibt es das schon? Und auch eine Behinderung - auch das wird sichtbar - schließt sportliche Betätigung keineswegs aus. Übrigens: Die sichtbare Emotionalität, mit der im Film Medaillen entgegengenommen worden sind, lässt einen spüren, was sich an Selbstbestätigung auch hinter dem Engagement und dem zum Ausdruck gekommenen Leistungswillen verbarg. Sport ist aber nicht nur etwas, das beinahe jeder tun kann. Er ist für Menschen mit und ohne Behinderung eben auch die beliebteste Form der Freizeitgestaltung. Sport - das wird sichtbar - vermittelt Lebensfreude und verschafft damit höhere Lebensqualität. Das sagt jemand, der aus zeitlichen Gründen kaum noch Gelegenheit hat, Sport zu treiben. Weswegen mein üblicher Satz - ich spiele gelegentlich Tennis, vom Fußball kommend - , ich hätte im Tennis nur noch Opfer, keine Gegner mehr, immer weniger zutrifft.

Sport ist nicht nur die Lust am spielerischen Üben der Kräfte des eigenen Körpers. Wer selbst einmal aktiv Sport getrieben hat, der weiß: Beharrliches Training dient nicht nur der körperlichen Fitness und Ertüchtigung, sondern hat auch etwas mit der Herausbildung von Persönlichkeit zu tun. Sportliche Leistungen, schon gar Höchstleistungen, gelingen eben doch nur demjenigen, der sich gewissenhaft vorbereitet, übrigens auch nur demjenigen - ich glaube, das ist in Ihrem Verband besonders kennzeichnend - , der wirklich geduldig ist, über genügend Konzentration und auch Kondition verfügt und seine Fähigkeiten exakt zum richtigen Zeitpunkt einzusetzen vermag. Dazu gehört übrigens auch, Siege fröhlich zu feiern, selbstbewusst, aber niemals überheblich mit ihnen umzugehen und ebenso, sich von Niederlagen nicht umwerfen zu lassen.

Das alles gilt für Sportler mit und ohne Behinderung gleichermaßen. Ob im Breiten- oder im Leistungssport: Wer in Sport und Spiel etwas zuwege bringt, der ist mit Recht stolz und selbstbewusst. In diesem Zusammenhang kann man wirklich sagen: Für Menschen mit Behinderung hat diese Stärkung des Selbstbewusstseins - so glaube ich jedenfalls spüren zu können - eine besondere Bedeutung. Solange nämlich Behinderten aufgrund vielfältiger Diskriminierungen Anerkennung und Bestätigung im Alltag immer wieder und immer noch versagt bleiben, bot und bietet ihnen der Sport eine großartige Gelegenheit zu zeigen, was sie wirklich leisten können. Der Sport bietet eine Möglichkeit, anderen nahe zu bringen, was nahe gebracht werden muss, dass dort nämlich Leistungsvermögen und Leistungswille allemal so entwickelt sind wie im Bereich der Menschen, die keine Behinderung haben.

Ich sage es noch einmal. Gerade in Ihrem Verband, in der Tätigkeit Ihrer Mitglieder wird deutlich: Menschen mit Behinderung wollen Anerkennung, Respekt und nicht Mitleid. Unsere Gesellschaft hat lange gebraucht, das zu verstehen, aber ich glaube, wir alle haben es endlich kapiert. Im Sport - vor allem im Sport - haben sich behinderte Menschen diesen Respekt und diese Anerkennung erkämpft. Ihre Tätigkeit, die Tätigkeit dieses Verbandes, hat dazu beigetragen; denn ohne den Behindertensport-Verband wäre das kaum möglich gewesen.

Sport ist darüber hinaus wirklich gut geeignet, Vorurteile, zwischen Menschen abzubauen. Er ermöglicht - das haben wir in den Bildern gesehen - nicht nur die Begegnung von Menschen mit und ohne Behinderung - er erfordert häufig auch die bewusste Kooperation zwischen ihnen. Dadurch trägt Sport nachhaltig zur Integration der gesamten Gesellschaft bei und nicht von Teilen der Gesellschaft.

Die Forderung nach gleichberechtigter Teilhabe aller Menschen am öffentlichen Leben muss sich vor allem im Alltag bewähren und nicht nur in Feierstunden, sondern gerade im Alltag. Deswegen ist der Sport ein wichtiges Feld, auf dem wir lernen können, Diskriminierungen und auch Stigmatisierungen aktiv zu bekämpfen und ihnen entgegenzutreten.

Für Menschen mit einer Behinderung besteht der große Vorzug des Sports aber auch darin, dass die verschiedenen Formen sportlicher Betätigung den jeweiligen Behinderungen gut angepasst werden können. So werden im Behinderten-Sportverband heute von Körperbehinderten, Sinnesbehinderten, geistig und seelisch Behinderten fast 50 verschiedene Sportarten ausgeübt. Man muss das einmal dick unterstreichen und diejenigen, die über die Medien verfügen, bitten, es richtig bekannt zu machen: 50 verschiedene Sportarten. Anders ausgedrückt: Jeder, der eine Behinderung hat, kann die zu ihm passende und auf seine Behinderung abgestimmte Sportart tatsächlich ausüben und sie betreiben. Ich finde, ein bisschen Werbung dafür bei denen, die nicht oder noch nicht so weit sind, sich zu engagieren, macht gerade auf einem solchen Kongress, macht gerade auf Ihrem Verbandstag viel Sinn.

An allem sieht man übrigens auch, was für eine moderne und innovative Bewegung Ihr Verband, werter Herr Präsident Zühlsdorf, wirklich ist. Ich unterstreiche: Eine moderne und innovative Bewegung, also kein Verein von Menschen, die sich zusammengeschlossen haben, aus welchen Gründen auch immer, sondern von Menschen, die in unsere Gesellschaft mehr Modernität bringen, weil es allemal richtig ist, dass die Gesellschaft human und modern ist, die die Integration wirklich verkörpert.

In der Gründungsphase - das ist klar - standen eher die traditionellen Spiele und Sportarten im Vordergrund. Aber im Laufe der Jahre hat es dann ganz eigene Bewegungsformen und auch -techniken gegeben. Ihr Verband war eine reine Selbsthilfeorganisation von Kriegsversehrten, als er gegründet wurde. Diesen Kreis zu erweitern, ist die eigentliche Leistung, die der Verband geschafft hat. Im Laufe der Zeit kamen sehr schnell Menschen hinzu, die an Lähmungen oder Fehlbildungen der Gliedmaßen leiden, die Unfallopfer sind, Hirnschädigungen haben, Lernbehinderte, aber eben auch geistig Behinderte.

Die Öffnung des Verbandes für Unfallverletzte und Zivilbeschädigte in den 70er Jahren war ein ganz wichtiger und sehr sinnvoller Schritt. Konsequent haben Sie in jüngeren Zeiten Sport- und Therapiegruppen für an Asthma Leidende oder für Patienten, die sich von den Folgen eines Schlaganfalls, eines Herzinfarkts oder einer Krebserkrankung erholen, eingerichtet. Also das, was Sie in der Rehabilitation tun - auch das haben wir gesehen - , ist wichtig.

Das alles zeigt, dass die Ihnen angeschlossenen Landesverbände und Vereine ihr Sportangebot viel schneller als andere auf das einstellen, was man etwas technokratisch Bedarfslagen nennt. Das ist nicht wirklich so gemeint. Besser ist zu sagen, dass Sie sich sehr schnell auf das einstellen, was es an Problemen in der Gesellschaft und für Menschen, die mit Problemen beladen sind, gibt.

Unbestritten ist der Deutsche Behinderten-Sportverband ein anerkannter und gleichberechtigter Spitzenverband unter dem Dach des Deutschen Sportbundes. Mehr als 300.000 behinderte Menschen - diese Zahl wurde uns eben erläutert; es sind 350.000 - sind in Vereinen organisiert, um Sport zu treiben. Ich bin ganz sicher: Dies ist ein wachsender Verband und keiner, der unter Rückgang von Mitgliederzahlen zu leiden haben wird, und zwar ganz einfach deswegen, weil das Engagement und die Freude daran, Sport treiben zu können, viele, die unter Behinderungen leiden, auf den Weg bringen werden.

Sie wissen so gut wie ich, dass es diese Akzeptanz nicht immer gegeben hat. Auch darüber muss man bei einem Jubiläum reden, um so etwas für immer auszuschließen. Noch bis 1993 - ich muss einräumen, dass man mir das aufgeschrieben hat; ich gebe zu, ich habe es nicht glauben wollen - hat das offizielle Protokoll bei der Ordensverleihung des Bundes zwischen Medaillengewinnern der Olympischen Spiele und Athleten der Paralympics unterschieden. Das war so. Das war so aber nicht richtig. Das Silberne Lorbeerblatt war den nicht behinderten Olympioniken vorbehalten, während behinderte Medaillengewinner die Silbermedaille für den Behindertensport erhielten. Und dann wurden die Auszeichnungen auch noch in getrennten Veranstaltungen vergeben. Wissen Sie, ich bin wirklich froh, dass mit dieser Trennung, die ja auch immer etwas von Diskriminierung hat - ich denke, wir haben einen fröhlichen Verbandstag vor uns und will es deswegen so freundlich sagen - , ein für alle mal Schluss ist. Es ist ja wohl völlig klar, dass das niemals wiederkommen kann.

Üblicherweise ist der Sport in freien Gesellschaften auf zwei Säulen aufgebaut. Man kennt den Leistungs- , und man kennt den Breitensport. Aber im Bereich des Behindertensports kommt eine dritte Säule hinzu. Man sollte wohl besser sagen, es ist der tragende Stamm; denn er geht gewissermaßen auf die historischen Wurzeln des Behindertensports zurück. Ich meine den Rehabilitationssport. Gerade in der Rehabilitation lässt sich die positive Wirkung des Sports besonders gut erkennen. Sport und Spiel sind seit Jahren wichtige Elemente jeder erfolgreichen Rehabilitation. Beim Sport werden Ausdauer, Kondition, Kraft und Belastungsfähigkeit von Menschen mit Behinderungen gestärkt. Sportliche Betätigung hilft den Betroffenen aber auch - das war in dem Film ebenfalls kennzeichnend - , Lebensfreude und auch Selbstvertrauen wieder zurückzugewinnen, Eigeninitiative, von der so oft die Rede ist, erst einmal zu aktivieren und damit die innere Stabilität der eigenen Persönlichkeit zu festigen. Rehabilitation setzt die Motivation der Betroffenen zum Bewegungstraining voraus und stärkt damit die Verantwortung für die eigene Gesundheit. Es wird also die eigene Verantwortung gestärkt.

Leider haben immer noch zu wenige der Betroffenen erkannt, wie wichtig und hilfreich es sein könnte, nach dem Rehabilitationssport, also nach der Behandlung im eigentlichen Sinne, nicht aufzuhören, sondern weiterzumachen. Vielleicht kann das auch ein Signal sein, das von hier ausgeht: dass das sinnvoll, nützlich, ja notwendig ist. Noch immer steigen allzu viele nach der Rehabilitationsphase aus und verzichten danach auf sportliche Betätigung. Das sollte nicht sein.

Hier läge übrigens aus meiner Sicht auch ein Feld gemeinsamer Arbeit zwischen Politik auf der einen Seite, und zwar auf allen Ebenen, und dem Behinderten-Sportverband auf der anderen Seite. Wir sollten uns also einmal darum kümmern, ob wir uns nicht darauf verständigen können, dass wir an einer Brücke zwischen Rehabilitationssport auf der einen Seite und Breitensport auf der anderen Seite arbeiten. Ich glaube, das könnte lohnen und für uns alle wichtig sein.

Für die Bundesregierung hat die Förderung des Behindertensports einen hohen Stellenwert. Das betrifft zum Beispiel die Olympiastützpunkte und die Leistungszentren, die natürlich auch für Sportler mit Behinderungen offen stehen; das kann man gar nicht oft genug sagen. Das ist so und wir wollen auch, dass die genutzt werden. Der Behindertensport ist zwar ein sehr wichtiger Bestandteil der Behindertenpolitik der Bundesregierung, doch er ist nur ein Teil einer umfassenden integrativen Politik. Uns geht es darum, Rahmenbedingungen zu schaffen, damit auch Menschen mit Behinderungen ein selbstbestimmtes und vor allen Dingen, bezogen auf die Gesellschaft, gleichberechtigtes Leben in unserer Gesellschaft führen können. Wir unternehmen deshalb Anstrengungen, um die Selbstbestimmung und die gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe zu fördern. Dem im Grundgesetz verankerten Benachteiligungsverbot für Behinderte werden wir Schritt für Schritt noch mehr Geltung als in der Vergangenheit verschaffen.

Wir sind 1998 ins Amt gekommen und haben seitdem schon einiges auf den Weg gebracht. Ich möchte das Gesetz zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter und auch das SGB IX erwähnen, wie es so schön heißt. Mit dem Gesetz zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter werden wir die Situation am Arbeitsmarkt für Schwerbehinderte verbessern. Ziel des Gesetzes ist, die Zahl der arbeitslosen Schwerbehinderten um rund 50.000 zu verringern. Und auch dort brauchen wir Hilfe aus Ihrem Bereich, denn wir müssen es zusammen schaffen.

Eine wichtige Maßnahme dieses Gesetzes ist die Staffelung der Ausgleichsabgabe. Wenn Unternehmen mehr einstellen, was wir wollen und Sie auch wollen sollten, dann sollen sie bei der Abgabe entlastet werden. Eine weitere wichtige Maßnahme ist der Aufbau und Ausbau eines flächendeckenden Netzes von Fachdiensten zur Integration. Wir wollen also die Beratung, die Betreuung deutlich verbessern. Auch die Stärkung der Rechte von Schwerbehinderten ist eine wichtige Maßnahme. Sie erhalten künftig, wenn notwendig, eine Arbeitsassistenz und - ich glaube, das ist nicht unwichtig - auch einen Rechtsanspruch auf Teilzeitbeschäftigung; denn vielleicht ist das der Weg, einen besseren Zugang zum ersten Arbeitsmarkt zu verschaffen.

Vielen Menschen mit Behinderungen können wir nur helfen, wenn wir sie in die Rehabilitationseinrichtungen bringen. Auch hier wollen wir einiges verbessern. Unser Ziel ist ein modernes, effizientes, aber auch praktikables Rehabilitationsrecht. Nicht selten haben wir das Problem, dass eine Rehabilitation erforderlich ist, bevor eine Integration in den Arbeitsmarkt erfolgen kann. Diesen Zusammenhang muss man sehen.

Wir haben deshalb ein großes Gesetzgebungsprojekt angepackt; ich habe das SGB IX erwähnt. Nach mehr als zehn Jahren und mehreren gescheiterten Versuchen in der Vergangenheit wird das Rehabilitationsrecht jetzt auf eine einheitliche gesetzliche Grundlage gestellt. Damit wollen wir erreichen:

Erstens: Die Teilhabe von behinderten oder von Behinderung bedrohter Menschen am gesellschaftlichen Leben zu sichern und auszubauen.

Zweitens: Die Eigenverantwortlichkeit der Rehabilitanten durch Wunsch- und Wahlrechte zu stärken.

Drittens: Wir müssen die zum Teil unglaublich langwierigen Verwaltungsverfahren straffen. Ich denke, das ist dringend notwendig.

Zudem wird die Koordination und die Kooperation der Leistungsträger, die sehr unterschiedlich sind, untereinander verbessert. Dazu brauchen wir zum Beispiel gemeinsame Servicestellen, die die Menschen unter ihre Fittiche nehmen können. Ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, dass der Bundesrat dem SGB IX heute zugestimmt hat. Die Reform kann also wie geplant zum 1. Juli in Kraft treten. - Das ist ganz witzig: Als die Rede geschrieben wurde, wusste ich das noch nicht. Jetzt hat hier einer einen Haken dran gemacht.

Die letzten Sommer-Paralympics in Sydney waren nicht nur für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ein unvergessliches Erlebnis. Übrigens meine ich: Zu den Paralympics und auch zu den Olympischen Spielen muss man den Australiern sagen, sie haben einen wirklich tollen Job gemacht. Auch ich hätte sie mir gerne angesehen, aber dann hätte man gesagt: Der hat zu Hause nichts zu arbeiten und treibt sich in Australien herum. - Deswegen konnte ich es mir nur im Fernsehen ansehen. Aber es muss schon schön gewesen sein.

Dadurch, dass ARD und ZDF täglich von diesen Spielen berichten - liebe Frau Pleitgen, ich finde es schön, dass wir uns immer wieder, fast ausschließlich, auf Veranstaltungen wie dieser sehen - , konnten viele Zuschauer und beileibe nicht nur bereits Begeisterte des Behindertensports die wirklich unglaublichen Leistungen ihrer Athleten verfolgen. Ich denke, man kann wirklich sagen, dass die Resonanz beim Publikum großartig war. Ich bin sicher, dass durch diese Übertragungen - gerade des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, also von ARD und ZDF - der Behindertensport einmal integrativ in die Gesellschaft hineinwirkt, und darüber hinaus auch neue Freundinnen und Freunde gewonnen hat. Sie sehen also: Die tun etwas, und zwar nicht nur für die Weltmeisterschaften 2006. Die Programmverantwortlichen, übrigens ruhig auch einmal bei den kommerziellen Sendern - auch dort könnte das ja einmal in Gang gebracht werden - , sollten sich also überlegen, ob man das Angebot nicht ausweiten kann.

Im Augenblick befindet sich das Paralympics-Team schon wieder mitten in den Vorbereitungen für die Winter-Spiele in Salt Lake City. Dann werden sich die deutschen Athleten wieder mit den Besten der Welt messen. Aber - ich glaube, das ist auch das Besondere daran - bei aller Konkurrenz geht es nicht zuletzt darum, dass auch die internationalen Freundschaften gepflegt werden, die sich entwickelt haben. Das ist der Grund, warum ich nicht nur den Aktiven dieser Spiele, sondern allen Mitgliedern, allen Verantwortlichen des Deutschen Behinderten-Sportverbandes für Salt Lake City viel Glück und eine erfolgreiche Arbeit wünsche, und zwar eine so erfolgreiche Arbeit, wie Sie sie in den letzten 50 Jahren geleistet haben.

Ich wünsche Ihnen einen erfolgreichen und übrigens auch, was den - wie heißt es so schön, Mr. President? - "Social Evening" angeht, einen guten und schönen Verlauf Ihres Kongresses.