Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 16.05.2001

Untertitel: Im ersten Teil seiner Rede geht der Bundeskanzler auch auf das Thema Gentechnologie ein.
Anrede: Lieber Dr. Hoppenstedt, meine sehr verehrten Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/94/40494/multi.htm


Wer in den letzten Wochen die Wirtschaftszeitungen und die Wirtschaftsteile der Zeitungen gelesen hat, ist immer wieder auf Schlagzeilen über Megafusionen - mehr oder minder geglückte - und neue Firmenzusammenschlüsse gestoßen. Kaum eine Branche, aus der nicht Konzernzusammenschlüsse und Unternehmensübernahmen gemeldet werden. Meist heißt es, die mit der Globalisierung einhergehende Ausweitung der Märkte zwinge zur Größe.

Ich habe nicht nur Zweifel an dieser These. Ich bin der Meinung, dass die Berichterstattung über solche Megafusionen wichtige Strukturen, vor allen Dingen aber wichtige Trends überlagert. Denn die deutsche Wirtschaft ist vor allem mittelständisch organisiert. Mehr als drei Millionen Unternehmen gehören dazu. Wie schnell und mit welchen brillanten Ideen neue kommen, haben wir gerade heute wieder gesehen.

Diese Unternehmen - und das ist ja auch hier sichtbar geworden - sind nicht nur in vielen Bereichen Innovationsträger, sie sind vor allem verantwortlich für den Beschäftigungsaufbau in Deutschland. Wir sollten wirklich nicht vergessen - und das sage ich nicht nur an die Adresse der hier vertretenen Fachleute - , dass kleine und mittlere Unternehmen 70 Prozent aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigen und übrigens so gut wie 80 Prozent aller Auszubildenden ausbilden.

Die hohe Aufmerksamkeit für das Gelingen und Scheitern von Großfusionen, die ich nachvollziehen kann - mich interessiert es ja auch, das ist gar keine Frage - , verdeckt außerdem, dass sich Deutschland in den letzten Jahren wirklich zu einem Gründerland entwickelt hat. Der Anteil der Existenzgründer an der Zahl der Erwerbspersonen hat sich von rund zwei Prozent im Jahr 1999 auf beinahe vier Prozent im letzten Jahr verdoppelt. Damit hat sich unser Land im vergangenen Jahr unter den zehn wichtigsten westlichen Industrienationen auf Platz drei vorgearbeitet. Das ist übrigens ein Spitzenplatz in Europa.

In dem Zusammenhang: Wer sich über Wachstumskennziffern verbreitet und dabei etwa die deutsche Volkswirtschaft mit der durchaus interessanten Lage in Irland oder Portugal vergleicht, vergleicht natürlich Äpfel mit Birnen. Es ist schon ein Unterschied, ob eine so entwickelte Volkswirtschaft wie die deutsche, die stärkste Europas, um zwei Prozent wächst, oder eine andere, weit weniger entwickelte, um vier Prozent. Ich denke, diesen Unterschied sollte man gelegentlich deutlich machen, wenn man sich über unterschiedliche Wachstumsraten sachverständig unterhalten will.

Bestes Beispiel dafür ist die Biotechnologie. Im letzten Jahr konnte Deutschland seinen erst 1999 gewonnenen europäischen Spitzenplatz noch vor Großbritannien bei der Anzahl der Biotechnologie-Unternehmen weiter ausbauen. Mittlerweile kommen mehr als 20 Prozent der europäischen Biotechnologie-Firmen aus Deutschland. Und die Beschäftigung in diesem Sektor hat in nur einem Jahr um mehr als 30 Prozent auf immerhin jetzt schon 11.000 Beschäftigte zugenommen.

Ich denke, jede und jeder von uns hat großen Respekt und großes Interesse an einer möglichst breiten Debatte über die Chancen, aber auch über die ethischen Grenzen dieser Technologie. Aber diese Diskussion muss mit hohem Sachverstand und in Abwägung der unterschiedlichen Argumente fair geführt werden. Es ist zum Beispiel auch ein ethisches Gebot, sich darüber Gedanken zu machen, wie in zehn, fünfzehn, zwanzig Jahren die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes sein würde, wenn man bestimmte Chancen nicht ergriffe. Es ist nicht unethisch, darüber nachzudenken, was mit jungen Forschern geschähe und wohin sie gingen, wenn ihre Forschungsmöglichkeiten hier entscheidend eingeengt würden. Es ist durchaus notwendig in dieser Debatte, die Gefährdung durch das, was Menschen machen können, ins Auge zu fassen. Es ist aber genauso richtig, darüber nachzudenken, ob denn das Unterlassen nicht auch Gefährdungen zum Beispiel hinsichtlich der Heilungschancen für schwerstkranke Menschen mit sich bringt.

Ich glaube, dass es in Deutschland an der Zeit ist, eine wirklich breite, vorurteilsfreie Diskussion zu organisieren, die alle Aspekte dieses so schwierigen, aber auch wichtigen Themas beinhaltet und die vor allen Dingen auch den internationalen Aspekt mit berücksichtigt. Ich denke, eine solche Diskussion, aus den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen mitgetragen, in fairer Wägung der Argumente, kann die Entscheidungen, die zu treffen sein werden, nur befruchten und wird die ganze Gesellschaft weiterbringen.

Das jedenfalls ist meine Hoffnung. Denn die Biotechnologie ist eine Schlüsseltechnologie dieses Jahrhunderts. Ob ein Land die Potenziale einer solchen Technologie nutzen will oder nicht, ob ein Land die Chancen auf Wohlstandsmehrung und auf zukunftssichere Arbeitsplätze nutzen will oder nicht - auch dies sind Fragen von hoher sozial-ethischer Bedeutung. Denn verantwortlich sind wir immer auch für das, was wir unterlassen oder auch verhindern. Und die ethischen Fragen in diesem Zusammenhang stellen sich nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa und sogar weltweit. Wenn es um die Nutzung und Anwendung von Gentechnik geht, wird gern auf das "Prinzip Verantwortung" hingewiesen, und das ist richtig so. Das halte ich auch für sehr vernünftig, jedenfalls solange Verantwortung wirklich in einem umfassenden Sinne verstanden wird.

Moralisch ist es eben nicht nur, über den Schutz von Embryonen nachzudenken. Das ist es in der Tat. Moralisch ist es genauso, die vielen Menschen mit zum Teil schwersten Erkrankungen nicht zu vergessen, die um ihr Leben bangen und die sich durch gentechnisch hergestellte Medikamente Heilung und Linderung erhoffen. Moralisch ist es auch, sich um Arbeit und Wohlstand zu kümmern, denn die Würde des Menschen liegt nicht vor oder außerhalb der Gesellschaft, sondern in der gleichberechtigten Teilnahme und Teilhabe am Leben der Gesellschaft. Das heißt eben immer noch und zuallererst: im Zugang zur Erwerbsarbeit.

Nicht nur in der Biotechnologie, sondern in der gesamten Volkswirtschaft lagen - wie die OECD festgestellt hat - die Zuwächse bei den Selbständigen in Deutschland während der 90er Jahre deutlich über der allgemeinen Beschäftigungszunahme. Für die Jahre vor 1998 erklärt sich das sicher auch dadurch, dass in dieser Zeit mehr als eine Million Beschäftigungsverhältnisse verloren gingen. In den vergangenen beiden Jahren ist es gelungen, die Arbeitsplatzverluste aus den Jahren 1991 bis 1998 wieder aufzuarbeiten und auszugleichen. Ich bin unbescheiden genug, darauf hinzuweisen, dass das auch mit der Finanz- und Wirtschaftspolitik der Bundesregierung zu tun hat. Voraussichtlich werden in den vier Jahren von 1998 bis 2002, also in dieser Legislaturperiode, insgesamt 1,6 Millionen neue Arbeitsplätze - vor allem im mittelständischen Bereich - entstanden sein.

Wenn nun die Gründungsquote in Deutschland sogar noch höher ist als die Dynamik der Beschäftigungszunahme, dann zeigt uns das, dass immer mehr Menschen nicht nur kreative Ideen haben, sondern dies auch mit dem Mut und dem Wunsch verbinden, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Der diesjährige StartUp-Wettbewerb belegt das, wie ich denke, in eindrucksvoller Weise. Alle Teilnehmer sind Gewinner. Sie haben Eigeninitiative gezeigt, und sie haben allemal in jedem Fall verantwortliche und wertvolle Erfahrungen gesammelt. Initiativen wie StartUp und die neue Gründerdynamik in Deutschland bestätigen außerdem, dass wir mit unserer Zielvorstellung vom "aktivierenden Staat" richtig liegen. Also mit der Meinung, dass die soziale Komponente unserer Marktwirtschaft ein funktionierendes und bezahlbares Sozialsystem sein muss, nicht aber "rundum sorglos" geboten werden kann.

Unser Leitbild ist deswegen der Staat, der sich durchaus auf seine Kernaufgaben konzentriert und auf diese Weise auch privater Gestaltungskraft ihren Raum lässt. Selbsthilfe und auch Eigeninitiative gezielt zu fordern und zu fördern, ist auch eine Aufgabe von Gesellschaft und Staat. Das ist der Grund, warum spürbare Steuererleichterungen und nachhaltige Haushaltskonsolidierung zwei Seiten einer Medaille unserer Wirtschafts- und Finanzpolitik sind.

Dank der konsequenten Politik des Bundesfinanzministers werden wir den Bundeshaushalt bis 2006 ausgleichen und danach den in mehreren Jahrzehnten aufgetürmten Schuldenberg in Höhe von 1,5 Billionen Mark schrittweise abtragen müssen. Ich will richtig verstanden werden: An dieser Konsolidierungsaufgabe können wir nichts abstreichen - so richtig und so wichtig auch die Forderung aus einem Bereich sein mag. Die Forderungen, die ich gelegentlich inflationär erhoben zur Kenntnis nehmen muss, gipfeln dann immer darin, dass der eine etwas Wunderschönes fordert und Hans Eichel es bezahlen soll. Das sind Verträge zu Lasten Dritter, die auch bei Ihnen als sittenwidrig gelten, denke ich. Durch diese Politik gewinnen wir mehr und mehr finanzielle Handlungsfähigkeit zurück. Gleichzeitig betreiben wir aktive Zukunftsvorsorge. Denn jede Mark, die wir heute sparen, belastet unsere Kinder später nicht mehr mit Zins- und Tilgungsleistungen.

Wir haben uns ja - und das ist auch gut so - zum Beispiel in der Umweltpolitik angewöhnt, den Begriff der "Nachhaltigkeit" als Kennzeichen einer zukunftsfähigen Politik zu benutzen. Ich denke, es ist an der Zeit - und ich will hier keine einseitigen Schuldzuweisungen machen, denn mitgewirkt haben alle - , die alten Pfade zu verlassen und den Begriff der "Nachhaltigkeit" auch auf die Finanzpolitik zu übertragen. Es ist eben nicht richtig, wenn wir eine Finanzpolitik betreiben, die unseren Kindern und deren Kindern alle Handlungsmöglichkeiten im Politischen nimmt. Das ist gegenüber künftigen Generationen nicht fair. Deswegen muss und wird dies beendet werden.

Angesichts der zunehmenden Alterung unserer Gesellschaft standen wir vor der wichtigen Aufgabe, mit vorausschauender Politik die Zukunftschancen der nachkommenden Generationen zu sichern, also das Rentensystem zukunftsfähig zu machen. Wir haben das jetzt geleistet. Das war aus zwei Gründen notwendig. Zwei Gründe sind es gewesen, die vor allen Dingen Druck auf das Rentensystem und dessen Finanzierbarkeit ausgeübt haben. Einmal die erfreuliche Tatsache, dass die Menschen in unserer Gesellschaft älter werden, und zwar mit der ganz natürlichen Folge, dass die Rentenbezugszeiten länger sind. Dass das auf die Finanzierung drückt, muss ich in diesem Kreis nicht besonders erläutern.

Es gibt einen zweiten Grund: Ein in Deutschland wachsendes Bruttoinlandsprodukt wird mit tendenziell immer weniger Vollerwerbsarbeitsverhältnissen hergestellt. Wenn nun aber Finanzierungssysteme vor allen Dingen an Vollerwerbsarbeitsplätze gekoppelt sind, diese aber weniger werden, gibt das einen ganz natürlichen Druck auf die Finanzierbarkeit. Hierin lag der Grund, warum wir gesagt haben, dass wir neben die Säule "gesetzliche Rentenversicherung" eine zweite Säule bauen müssen, damit das Dach, das wir uns vorstellen und das Sicherheit für Menschen im Alter heißt, auch in Zukunft getragen werden kann. Der strategische Ansatz war, das aufzubauen, was Sie Kapitaldeckung nennen. Ich glaube, dass das schon ein großer Reformschritt gewesen ist.

Ich bin froh darüber, dass es gelungen ist, dem Bundesrat - seiner Mehrheit jedenfalls - dies nach schwierigen und langwierigen Diskussionen nahe zu bringen. Es gibt gelegentlich historische Momente, in denen eine solche Reform möglich ist. Nutzt man sie nicht oder - besser - schafft man es nicht, sie zu nutzen, kommen sie möglicherweise nicht wieder. Ich glaube deshalb, dass neben der Steuerreform diese Rentenreform ein ganz wichtiger Punkt gewesen ist, an dem national wie international deutlich geworden ist, dass von Reformstau in Deutschland, von "german disease", das heißt der deutschen Krankheit, wirklich nicht mehr die Rede sein kann.

Mit dem Einstieg in die kapitalgedeckte Altersvorsorge stärken wir das Prinzip der Eigenvorsorge auch in der Alterssicherung, eröffnen wir - ganz nebenbei - den Kreditinstituten die Chance, mit eigenen Produkten die Alterssicherung mitzugestalten, und helfen wir denjenigen Menschen, die diese dritte Säule aus eigener Kraft nicht errichten können, durch Zulage oder durch steuerliche Maßnahmen - je nachdem, was für den Einzelnen günstiger ist - ein Stück private Vorsorge für sich selbst im Alter aufzubauen.

Im Bündnis für Arbeit haben sich die Tarifpartner verständigt, rechtzeitig vor der nächsten Tarifrunde Vorschläge für eine Weiterentwicklung der tariflichen und betrieblichen Möglichkeiten zur Altersvorsorge und Vermögensbildung vorzulegen. Jetzt sind die Tarifpartner aufgerufen, die durch die neuen gesetzlichen Möglichkeiten geschaffenen Chancen durch tarifliche Vereinbarungen auch wirklich zu nutzen.

Ein starker, aktivierender Staat muss Rahmenbedingungen setzen, um den notwendigen Strukturwandel zu fördern und die Innovationsdynamik der Wirtschaft zu stärken. Das ist der Grund, warum wir in der Steuerpolitik Schluss gemacht haben mit kurzfristigen und kurzatmigen Jahressteuergesetzen, warum wir ein in sich konsistentes Steuerkonzept vorgelegt und durchgesetzt haben, das Planbarkeit für die Investoren sicherstellt und Kalkulierbarkeit bis zum Jahre 2005 garantiert. Bei diesem Konzept haben wir zunächst einmal Schluss gemacht mit der unsinnigen Debatte, ob Steuerpolitik nun nachfrage- oder angebotsorientiert sein soll. Wir haben, so finde ich - das bestätigen uns auch Fachleute - , einen sinnvollen Mix gefunden zwischen Angebotsorientierung auf der einen Seite und Nachfrageorientierung auf der anderen Seite.

In puncto Nachfrageorientierung haben wir mit den Verbesserungen insbesondere für die aktiv Beschäftigten - Frauen wie Männer - und mit der Tatsache, dass sie von dem, was sie an Einkommen haben, netto mehr behalten, nicht nur ein Stück sozialer Gerechtigkeit realisiert, was auch ein wichtiges Anliegen ist; nein: Ökonomisch betrachtet haben wir der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage aufgeholfen und auf diese Weise die Binnenkonjunktur stimuliert.

Auf der Angebotseite - das ist das, was Ihre Kunden insbesondere interessiert, soweit sie kleine und mittelständische Unternehmen sind - haben wir eine Steuerreform gemacht, die die Unternehmen auch im europäischen Wettbewerb und darüber hinaus wettbewerbsfähiger macht.

Nun habe ich gehört, dass gelegentlich - das soll auch hier der Fall gewesen sein - geklagt wird, dass es einen Unterschied zwischen den Kapital- und den Personengesellschaften gäbe, und zwar einen Unterschied zu Lasten der Personengesellschaften. Diejenigen, die das sagen, haben es entweder nicht verstanden oder - was in dem speziellen Fall, an den ich jetzt denke, ohne es natürlich zu sagen, näher liegt - sie wollen es nicht verstehen; denn über die intellektuellen Kapazitäten, es zu verstehen, wird durchaus verfügt. Das will ich nicht bestreiten. Aber ich verstehe die Bayern. Ich wollte nur darauf hinweisen, dass da etwas durcheinander kommt. Ich werde gelegentlich gerügt, dass ich das immer wieder sage, aber ich sage das so lange bei jedem öffentlichen Auftritt, solange die Legende aufrechterhalten wird.

Was haben wir gemacht? Das ist übrigens etwas, was andere nie zu Stande gebracht haben. Wir haben die Körperschaftsteuern in der Tat auf 25 Prozent heruntergesetzt, hinzu kommen aber - wie Sie alle wissen - im Bundesdurchschnitt gesehen 13 Prozent Gewerbeertragssteuer für die Körperschaften. Nun weiß hier wirklich jeder, dass das, was die zahlen müssen, also durchschnittlich insgesamt 38 Prozent, Definitivbesteuerung ist. Das heißt, das Geld wird fällig von der ersten verdienten Mark an. Da beißt die Maus keinen Faden ab, und da kann auch kein noch so geschulter Steuerberater helfen. Das muss gezahlt werden.

Sehen wir uns jetzt einmal den Mittelstand an. Die Unternehmen sind in der Regel als Personengesellschaften organisiert und werden deshalb nach Einkommensteuerrecht veranlagt. Was ist da passiert? Jetzt beträgt der Spitzensteuersatz bei der Einkommensteuer 48,5 Prozent. Er wird im Jahr 2005 auf 42 Prozent gesetzt. Allerdings haben wir etwas hinbekommen, was eine uralte Forderung des Mittelstandes war, die aber nie realisiert und angepackt worden ist, und zwar aus Angst vor den Oberbürgermeistern - den Präsidenten des Städtetages sehe ich dort sitzen - , nämlich der Frage nachzugehen: Was machen wir eigentlich mit der Gewerbeertragsteuer? Wir haben sie faktisch, nicht rechtlich - das hätten wir unserer kommunalen Schwestern und Brüder wegen nicht gekonnt - abgeschafft, denn sie kann bis zu einem Pauschalsatz von 360 Punkten voll von der Einkommensteuer abgezogen werden.

Jetzt kommen zwei Einwände. Einen Einwand kann ich ganz leicht kontern. Einer heißt: "Aber viele mittelständische Betriebe haben doch die Gewerbeertragsteuer wegen der hohen Freibeträge nie gezahlt." Diese Klage habe ich auch schon einmal anders gehört. Außerdem gilt: Steuern, die jemand nicht bezahlt, kann ich ihm auch nicht erlassen. Das wäre schwierig.

Es gibt ein zweites Argument, das mit der Legende aufräumt. Jeder hier im Saal weiß, dass die Einkommensbesteuerung im Unterschied zur Besteuerung der Kapitalgesellschaften eine Grenzbesteuerung ist und keine Definitivbesteuerung. Sie wird also nicht von der ersten Mark geschuldet; ganz im Gegenteil: Allen kommt die Progression zugute.

Wenn man dies nimmt, dann muss man zu der Feststellung kommen: Der eine oder andere kapiert es nicht, und der andere kapiert es, hat aber finstere Absichten, wenn er es trotzdem bestreitet. Was immer das für Absichten sind, weiß man nicht - darauf müssen wir noch ein Jahr warten - , aber immerhin: Die Argumentation, wie ich sie Ihnen vorgetragen habe, lässt sich nachvollziehen. Sie ist richtig und gibt korrekt wieder, was wir mit der Steuergesetzgebung gemacht haben.

Natürlich ist es gerade vor diesem Gremium, vor dieser Versammlung wichtig, auch ein paar Sätze dazu zu sagen, was die übrigen Dinge angeht, die wir in der Wirtschafts- und Finanzpolitik machen. Ich habe gesagt: Wir wollen die Innovationsdynamik der Wirtschaft stärken. Wir brauchen dazu nicht nur vernünftige Steuer- und Haushaltspolitik. Von zentraler Bedeutung ist dabei ein effizient funktionierender Wissens- und Technologietransfer. Wir haben ja hier Beispiele erlebt.

Der in diesem Frühjahr vorgelegte Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit unseres Landes zeigt, wie wichtig dieser Transfer für volkswirtschaftlich wertvolle Erfindungen ist. Universitäten und Forschungsinstitute bilden für viele Unternehmen - gerade auch aus dem Mittelstand - eine wichtige Informationsquelle für ihre Innovationsaktivitäten. Die Effizienz des Wissens- und Technologietransfers sowie die Fähigkeit zur Zusammenarbeit entscheiden zunehmend über Position und Erfolg im internationalen Wettbewerb.

Das ist der Grund, warum wir mit der Reform des Hochschuldienstrechts die innovativen Kräfte an den Hochschulen stärken und gezielt Anreize für Wissenschaft und Forschung geben. Ich halte die Einwände nicht für berechtigt. In der Wirtschaft hat sich bewiesen, dass eine Bezahlung nach Leistungsgesichtspunkten - jedenfalls zum Teil - ein vernünftiger Anreiz für die Erzielung von mehr Leistung ist. Warum sollte das, was in der Wirtschaft gilt, nicht auch für die deutschen Hochschulen und die dort Beschäftigten und Lehrenden gelten? Wir wollen das jedenfalls machen, und wir werden es tun. Wir werden das auch gegen manchen, nicht ganz frei von Eigeninteressen vorgetragenen Einwand durchsetzen.

Wir werden also bei der Besoldung von Hochschullehrerinnen und -lehrern künftig nicht mehr in erster Linie das Lebensalter, sondern stärker als bisher Engagement und Leistung honorieren. Der Qualifikationsweg für den wissenschaftlichen Nachwuchs wird kürzer und vor allen Dingen übersichtlicher werden. Mit der Einführung der sogenannten "Junior-Professur" wollen wir angehenden Hochschullehrerinnen und -lehrern die Möglichkeit geben, bereits im Alter von 30 Jahren und nicht erst mit 40 Jahren oder noch später selbstständig zu forschen und zu lehren.

Mit dem Programm "Existenzgründer aus Hochschulen" - kurz "EXIST" - verbessern wir gleichzeitig das Gründungsklima an den Hochschulen. Damit begleiten wir Unternehmensgründer von der Ausbildung bis in die Wachstumsphase ihres Unternehmens hinein und tragen zur Entstehung von innovativen Wachstumskernen rund um hoch leistungsfähige Wissenschaftseinrichtungen bei.

Vor allem in den neuen Ländern fördern wir mit dem Wettbewerb "InnoRegio" den Aufbau innovativer regionaler Netzwerke. Bis 2005 stehen hierfür 500 Millionen Mark zur Verfügung. Ich kann mir schon vorstellen, dass es manch einen gibt, der sich auch mit großem Interesse an diesem Wettbewerb beteiligt hat oder beteiligen wird. Durch die gezielte Förderung werden wir in den regionalen Wachstumskernen zunehmend zukunftsfähige Arbeitsplätze schaffen.

Mit diesen Maßnahmen und dem neuen Aktionsprogramm "Wissen schafft Märkte" zur Förderung einer schnellen Marktreife von Forschungsergebnissen wollen wir den Rückstand zu den besonders forschungsstarken Ländern wie den USA, Japan und Schweden weiter aufholen. Ich bin zuversichtlich, dass wir das schaffen. Dazu haben wir auch den Bildungs- und Forschungsetat trotz strikter Sparanstrengungen seit 1998 drei Mal in Folge um insgesamt 2,5 Milliarden DM auf die Rekordhöhe von fast 16 Milliarden DM gesteigert.

Insbesondere Existenzgründer und junge Unternehmen werden durch Beteiligungskapital-Programme des Bundes und durch Kreditfinanzierungen der Kreditanstalt für Wiederaufbau und der Deutschen Ausgleichsbank gefördert. Damit unterstützt der aktivierende Staat innovative kleine und mittlere Unternehmen und Existenzgründer - und arbeitet übrigens auf diese Weise sehr häufig Hand in Hand mit den Sparkassen und Landesbanken. Denn mehr als zwei Drittel aller Kredite, die der unternehmerische Mittelstand erhält, kommen - wer wüsste das besser als Sie - von Sparkassen und Landesbanken. Als Partner von Existenzgründern und mittelständischen Betrieben sind die Sparkassen wirklich unentbehrlich. Das - und nicht, weil man sich so gut kennt - ist einer der Gründe dafür, dass die Bundesregierung wirklich engagiert arbeitet, wenn im Zuge der europäischen Integration bei uns gewachsene und bewährte Strukturen zur Disposition gestellt werden. Ich glaube, dass die enge Zusammenarbeit, die wir, Dr. Hoppenstedt und die Bundesregierung, miteinander pflegen, auch dazu geführt hat, dass wir, bezogen auf die kritischen Themen wie Anstaltslast und Gewährträgerhaftung, doch deutlich weitergekommen sind, wenn man das einmal mit dem Anfang der Diskussion vergleicht.

Wir haben auf diese Weise die Hoffnung, dass die Europäische Kommission einsieht, dass diese gewachsenen Strukturen, die angesichts einer anderen Geschäftspolitik der Großbanken für die kleinen und mittleren Unternehmen nicht etwa weniger wichtig, sondern wichtiger werden, erhaltenswert sind und erhalten werden müssen. Ich habe gegenüber Kommissionspräsident Prodi und dem zuständigen Kommissar Monti wiederholt deutlich gemacht, dass die flächendeckende, umfassende Versorgung aller Bevölkerungsgruppen mit kreditwirtschaftlichen Leistungen Bestandteil der Daseinsvorsorge ist - und dies aus guten Gründen. Hieran darf sich durch die beihilferechtliche Diskussion über Anstaltslast und Gewährträgerhaftung prinzipiell nichts ändern.

Bund und Länder suchen in Zusammenarbeit mit Ihnen gemeinsam nach einer Lösung, um die beihilferechtlichen Bedenken der Kommission auszuräumen. Dabei - das will ich deutlich machen - kommen nur Lösungen in Frage, die dem berechtigten Interesse der öffentlich-rechtlichen Kreditwirtschaft auch wirklich hinreichend deutlich entsprechen und Rechnung tragen. Diese Arbeiten machen gute Fortschritte. Ich bin zuversichtlich - ich sage das einmal in Klammern - , dass wir auch in der Frage unter Umständen notwendiger Übergangsfristen zu einer befriedigenden Lösung kommen. Diese muss aber so sein, dass die Sparkassen, um die es hier vor allen Dingen geht, damit auch wirklich leben können. Wenn ich "leben" sage, dann meine ich das auch.

Die Bundesregierung stärkt Selbsthilfe und Eigeninitiative. Sie verbessert auch die Rahmenbedingungen für innovative Unternehmen und Existenzgründer. Vor allem aber: Sie sorgt auch dafür, dass die Menschen durch Bildung und Ausbildung in die Lage versetzt werden, eigenverantwortlich zu handeln und an Fortschritt und Wohlstand unserer Volkswirtschaft teilzuhaben.

Mir ist besonders wichtig, dass der im Bündnis für Arbeit vereinbarte Ausbildungskonsens dazu geführt hat, dass im letzten Jahr erstmals seit 1995 das bundesweite Ausbildungsplatzangebot wieder größer war als die Nachfrage nach Lehrstellen. Der Lehrstellenmarkt in Deutschland befindet sich, wenn auch mit regionalen Unterschieden - und am schwierigsten ist er im Osten unseres Landes, das ist gar keine Frage - insgesamt ganz deutlich im Aufschwung. Und mit der beim letzten Bündnistreffen vereinbarten Qualifizierungsoffensive wollen und werden wir der drückenden Langzeitarbeitslosigkeit zu Leibe rücken und umfassende Rahmenbedingungen für lebenslanges Lernen schaffen.

Darüber hinaus - auch das sollte nicht unerwähnt bleiben - sichern wir mit unserer BAföG-Reform, dass nicht nur die Kinder, die das Glück haben - das ihnen gegönnt ist - , über Eltern zu verfügen, die ein Studium selbst finanzieren können, die Chance haben, zu Deutschlands höheren und hohen Schulen zu gehen, sondern dass das auch für Jungen und Mädchen aus Arbeitnehmerfamilien möglich ist. Die Erfolge sind sichtbar. Die Zahlen derjenigen, die aus diesen Familien kommen und studieren, steigen. Das war - gestatten Sie, wenn ich das auch aus eigenem Erleben sage - für mich immer eine Frage der Gerechtigkeit in der Gesellschaft. Inzwischen ist das mehr als eine Frage der Gerechtigkeit. Inzwischen ist es so, dass eine entwickelte Volkswirtschaft wie die unsere es sich buchstäblich nicht leisten kann, eine einzige Begabungsreserve in unserem Volk aus materiellen Gründen unausgeschöpft zu lassen. Das können wir uns nicht mehr leisten.

Durch Steuerreform, Haushaltskonsolidierung und die Dinge, die ich Ihnen gesagt habe, wird die Staatsquote bis 2004 voraussichtlich auf 44 Prozent sinken. Darin sehe ich auch einen Erfolg unserer Reformbemühungen. Noch Mitte der 90er Jahre erreichte die Staatsquote - natürlich teilungsbedingt - einen Höchststand von 50 Prozent.

Mit dem, was wir eingeleitet haben an Auflösung des Reformstaus, schaffen wir mehr Spielraum für Bürgerinnen und Bürger, leisten aber gleichzeitig mehr an Investitionen für Bildung, Forschung und Entwicklung und machen unser Land auf diese Weise wirklich zukunftsfähig. Damit sollte klar sein: Der aktivierende Staat versteht sich als Partner und Garant innovationsfördernder Rahmenbedingungen.