Redner(in): Rolf Schwanitz
Datum: 17.05.2001
Untertitel: Der Aufbau Ost gelingt und die Richtung stimmt. Das ist nicht nur die Überzeugung der Bundesregierung, sie trifft sich hierin auch mit der Überzeugung der ostdeutschen Ministerpräsidenten.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/17/40817/multi.htm
Der Aufbau Ost gelingt und die Richtung stimmt. Das ist nicht nur die Überzeugung der Bundesregierung, sie trifft sich hierin auch mit der Überzeugung der ostdeutschen Ministerpräsidenten. Niemand bestreitet, dass längst nicht alle Probleme gelöst sind, aber was wir in gut zwei Jahren für Ostdeutschland erreicht haben, das kann sich wirklich sehen lassen. Wir, das sind nicht nur die Bundesregierung, das sind insbesondere die ostdeutschen Menschen mit ihrer Ausdauer, mit ihrer Leistungskraft und ihrer enormen Flexibilität, sich auf neue Herausforderungen einzustellen. Das sind aber auch Landesregierungen und engagierte Kommunalpolitiker ebenso wie Unternehmer und Gewerkschaften. Deshalb sagen wir: Der Aufbau Ost gelingt, weil Solidarität, Leistungsbereitschaft und unsere Richtung stimmen. Dass die Richtung stimmt, zeigt der - und dabei sage ich bewusst - differenzierte Blick auf die wirtschaftliche Entwicklung. Wer eine ehrliche Debatte über den Osten will, kann eben nicht über einen Kamm scheren. Das Bild von der Schere zwischen Ost und West wird der tatsächlichen Entwicklung nicht gerecht. Unzweifelhaft belastet der strukturelle Anpassungsprozess der Bauwirtschaft die Durchschnittswerte für das wirtschaftliche Wachstum ebenso wie den Arbeitsmarkt. Aber: wer ehrlich mit den Menschen sein will, muss auch sagen, dass dieser Anpassungsprozess nach dem Bau-Boom der 90er Jahre unumgänglich ist, wenn im Osten eine zukunftsfähige, auf internationalen Wettbewerb ausgerichtete Wirtschaftsstruktur entstehen soll. Und diese entwickelt sich von Jahr zu Jahr dynamischer; mit Zuwachsraten, von denen der Westen nur träumen kann. So wuchs die industrielle Produktion im letzten Jahr um 13 % , der Export sogar um 28 % . Dem stand der belastende Produktionsrückgang der Bauwirtschaft um 10 % gegenüber. In gleicher Weise wird die Beschäftigung vom Strukturwandel bestimmt.
Dem Arbeitsplatzzuwachs beim Verarbeitenden Gewerbe vons 30.000 neuen zukunftssicheren Arbeitsplätzen stand im letzten Jahr der Beschäftigungsrückgang in der Bauwirtschaft ( -54.000 ) gegenüber.
Richtig bleibt, dass sich die neuen Länder inmitten eines erfolgreichen Aufbauprozesses befinden. Ohne die Bauwirtschaft liegt das gesamtwirtschaftliche Wachstum in Ost und West mit mehr als 3 % fast wieder gleich auf. Wer den Menschen ein wahres Bild vermitteln will, wer Mut machen will, der muss bereit sein, die ganze Brandbreite der Entwicklung wahrzunehmen und die Ursachen der unterschiedlichen Wachstumsgeschwindigkeiten klar zu benennen: Sie haben einen einzigen Grund: den Rückgang am Bau.
Die Bundesregierung will den erfolgreichen Prozess des wirtschaftlichen Aufbaus der neuen Länder entschlossen fortsetzen. Ein allgemeiner Wettlauf um die Forderung nach dem schönsten, milliardenschweren Sonderprogramm hilft niemandem weiter. Wer die Solidarität zwischen West und Ost stärken will, sollte keine maßlosen Forderungen um ihrer selbst willen stellen. Solidarität ist kein Konto, von dem man beliebig abbuchen kann. Die muss gepflegt werden, dafür müssen wir werben, in Ost und West.
Obwohl in den zurückliegenden Jahren über 500.000 selbständige Unternehmen mit über 3 Millionen neu geschaffenen Arbeitsplätzen gegründet wurden, wollen wir zusätzliche Beschäftigung über neue Unternehmensgründungen schaffen. Wir haben unsere Förderpolitik neu ausgerichtet, um die innovativen Wirtschaftsregionen zu stärken. Wir unterstützen technologieorientierte Existenzgründer und angesichts der mittelständischen Struktur der Wirtschaft insbesondere Kooperationen von Unternehmen zu schlagkräftigen Verbänden. Wir haben mit InnoRegio und regionalen Netzwerken neue erfolgreiche Wege beschritten.
Wir stärken die Investitionen in Hochschulstandorte und Forschungseinrichtungen und unterstützen gleichzeitig Unternehmensausgründungen aus dem Forschungsbereich.
Wir setzen zweitens zwei klare Schwerpunkte beim Ausbau der Verkehrsinfrastruktur: 60 % der Investitionen im Bereich Straße fließen in die neuen Länder; im Bereich Schiene sind es 45 % . Damit schaffen wir ein modernes, leistungsfähiges Verkehrssystem, das die Wirtschaft in den neuen Ländern braucht.
Und wir gehen mit einem umfassenden Konzept zum Stadtumbau die strukturellen Probleme der ostdeutschen Städte und Gemeinden an, die kurz mit dem Stichwort Leerstand bezeichnet werden. Da geht es eben nicht einfach um Abriss, sondern um Stadtumbau. Dabei ist wichtig, die Biografie und das Lebensgefühl der Menschen dort zu respektieren.
Aber bereits in wenigen Jahren werden die neuen Länder aufgrund der demografischen Entwicklung mit einer Fachkräftelücke fertig werden müssen. In einzelnen technischen Bereichen besteht diese Lücke schon heute. Und deshalb geht es darum, die Bürger zu ermutigen, sich vorausschauend zu qualifizieren. Es geht darum die Qualität des Ausbildungsangebotes zu steigern und das Bewusstsein der Unternehmen dafür zu schärfen, dass sie für qualifiziertes Personal Vorsorge treffen müssen. Denn es kann nicht sein, dass bereits heute 70 % der Unternehmen, die Facharbeitskräftemangel beklagen, selbst nicht ausbilden. Die ostdeutsche Jugend hat eine klare Zukunftschance, und die liegt im Osten, nicht im Westen.
Gegenwärtig konzentrieren wir uns gemeinsam mit den Ländern darauf, bis zum Sommer die Vereinbarungen über den Finanzausgleich und den Solidarpakt II abzuschließen. Damit werden wir das Generationenprojekt des Aufbaus der neuen Länder auf eine langfristige verlässliche Grundlage stellen.
Wir geben gleichzeitig ein langfristiges Signal für die Wirtschaft, dass die Rahmenbedingungen für betriebliche Investitionen stimmen, damit die gewerbliche Wirtschaft der Wachstumsmotor in Ostdeutschland bleibt.
Wie die Vereinbarungen der letzten Tage gezeigt haben, sind wir dabei ein gutes Stück vorangekommen. Die Eckdaten sind klar: Die neuen Länder erhalten im Länderfinanzausgleich nicht weniger Geld als bisher. Ausgangspunkt der zusätzlichen Leistungen im Rahmen des Solidarpaktes II ist das bisherige Volumen von über 20 Mrd. DM. Der Zeithorizont ist nicht nur auf 10, sondern auf 15 Jahre ausgelegt. Und innerhalb dieses Langenfristprogramms orientieren sich die Leistungen am noch bestehenden Nachholbedarf im Bereich Infrastruktur.
Beides zusammen, Solidarpakt und das strategische Konzept zur wirtschaftlichen Modernisierung des Landes bilden die Basis, von der aus wir sagen: Der Aufbau gelingt, weil die Richtung stimmt.