Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 18.05.2001
Untertitel: Gleich zu Beginn will auch ich all jenen danken, die diese Kunsthalle möglich gemacht haben.
Anrede: Verehrter lieber Herr Bundespräsident, verehrter Herr Professor Würth, liebe Familie Würth, meine sehr verehrten Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/78/41678/multi.htm
Herr Ministerpräsident, ich bin sehr erfreut über den freundlichen Empfang, den Sie mir bereitet haben. Wer - wie ich zum Beispiel - nicht das Glück hatte, mit Bildern, Büchern und Musik aufwachsen zu können, der weiß sehr zu schätzen, was es bedeutet, wenn man sich den Zugang zu Kunst und Kultur erarbeiten muss. Er weiß das in doppelter Hinsicht zu schätzen: Einmal spürt man durch diese Arbeit an sich selber, was man für neue Facetten von sich und in sich entdecken kann. Zum anderen erlebt man die Begegnung mit Kultur als eine ungeheure Herausforderung, die einen selber weiterbringt.
Darum ist das, was Sie, Herr Würth, tun, so besonders wichtig, nämlich anderen den Zugang zu verschaffen und Begegnungsmöglichkeiten für ganz viele zu eröffnen. Wir sollten gerade bei einem solchen Ereignis Menschen, die sich diesen Zugang noch nicht haben verschaffen können, ermuntern, das zu tun. Es lohnt sich in einem Sinne, der nicht materiell auszudrücken ist. Aber es lohnt sich, glaube ich, für jeden und jede Einzelne.
Gleich zu Beginn will auch ich all jenen danken, die diese Kunsthalle möglich gemacht haben. Der Dank gilt Herrn Reinhold Würth und seiner Firmengruppe, dem Architekten Henning Larsen, aber natürlich auch all den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Kunsthalle.
Es ist schön, hier zu sein, Herr Oberbürgermeister, dieser wunderschönen Altstadt wegen - das ist gar keine Frage - und seiner Menschen sowieso. Aber noch schöner ist natürlich, dass man einen solchen Termin unglaublich gern wahrnimmt, wenn man hier eine neue Kunsthalle eröffnen darf. Das ist der Grund, warum ich für diesen Termin am Freitag Nachmittag wirklich dankbar bin, der eigentlich weniger eine Last als eine Freude ist.
Die Kunsthalle Adolf Würth, benannt nach dem Firmengründer, öffnet eine der bedeutendsten Privatsammlungen moderner Kunst für das Publikum, nämlich die Sammlung von Ihnen, Professor Würth. Zugleich präsentiert sich damit wohlverstandenes Mäzenatentum eines florierenden Unternehmens - es ist sogar noch mehr als das - und das glückliche Ergebnis einer engagierten persönlichen Initiative. Herr Würth, ich gratuliere Ihnen zu dem gelungenen Stück privater Kunstförderung und bin ganz sicher, dass Sie all die Zeit über unglaublich viel Freude an der Möglichkeit gehabt haben, diese Sammlung aufzubauen. Der Oberbürgermeister und der Ministerpräsident haben darauf hingewiesen. Vor allem den an Kunst Interessierten in der Stadt und der Region haben Sie ein unglaubliches Geschenk gemacht.
Vor Sammlern wie Sie muss man deshalb Respekt haben, weil Sie nicht einfach etwas besitzen wollen. Kunst zu besitzen ist im Übrigen auch etwas Schönes. Aber Sie erwerben Kunst sehr kenntnisreich und überlegt und lassen vor allen Dingen andere daran teilhaben. Das ist wichtig in dem Sinne, anderen den Zugang zur Kunst und Kultur zu ermöglichen. Das ist Ausdruck von Verantwortung gegenüber der Kunst, aber auch gegenüber der Öffentlichkeit, gegenüber den Mitmenschen.
Sie haben, wenn ich das richtig aufgeschrieben bekommen habe - davon gehe ich aus - einmal selber gesagt, dass Sie das auch aus einem Pflichtgefühl heraus gegenüber Ihrer Belegschaft tun. Das ist richtig. Auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter spüren natürlich durch diese Sammlungstätigkeit, dass der Mensch doch nicht vom Brot allein lebt. Ich bin ganz sicher, dass Sie über Ihre Sammlung vielen Ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Zugang zu Bildern und damit Zugang zu anderen Dingen als denen des täglichen Lebens eröffnet haben.
Sie haben als Unternehmer Herausforderungen angenommen und brillant bewältigt. Sie haben in der Tat auch - ich unterstreiche, was Herr Ministerpräsident Teufel gesagt hat - soziale Verantwortung bewiesen. Ich habe das mitbekommen, als ich Ihren Betrieb in Künzelsau besuchen konnte. Aber Sie haben als Unternehmer nicht nur selbstverständliche soziale Verantwortung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und ihre Familien verspürt, sondern Sie haben diesen Begriff um eine kulturelle Dimension erweitert.
Sie handeln, wenn ich das richtig verstanden habe, in der Überzeugung, dass Kultur für möglichst alle zur Weltoffenheit und auch zu positivem Denken beiträgt und damit ein unverzichtbarer Bestandteil einer demokratischen Gesellschaft ist. Wenn das so sein soll, müssen Kunst und Kultur möglichst viel von unserem Alltag bestimmen - nicht jede Stunde. Es weiß jeder: Das würde nicht gehen. Aber Integration von Bildern, Büchern und Musik in den Alltag wäre schon schön und wichtig. All das sollte es jedenfalls sein. Denn - ich habe es eingangs gesagt - das bedeutet: Auseinandersetzung, neue Anstöße und Vergewisserung - aber allemal auch Herausforderung.
Kunst kann - wir wissen es; der eine oder andere hat es bei sich persönlich erlebt - , Horizonte öffnen und Sichtweisen verändern. Das ist für die Politik nicht ganz unwichtig. Kunst kann Schönheit erfahrbar machen und tut das. Aber sie kommentiert auch, hinterfragt, versieht die Wirklichkeit gleichsam wie mit einem Fragezeichen. Manchmal ist es auch ein kräftiges Ausrufungszeichen. Deswegen braucht man Kunst und Künstler in einer Gesellschaft. Übrigens, die Unruhe, die Kunst und Künstler mitbringen, können wir auch ganz gut brauchen. Sie verhindert nämlich, dass wir zu viel auf ausgetretenen Pfaden wandern.
Kunst - das muss man natürlich insbesondere als Oberbürgermeister, Ministerpräsident oder Bundeskanzler wissen - ist nichts Staatstragendes, sondern ist vitaler, allemal auch kritischer Beitrag zur gesellschaftlichen Auseinandersetzung. Es ist ja noch kein Menschenleben her, da versuchte der deutsche Staat, Kunst zu Propagandazwecken zu missbrauchen. Die dafür ungeeigneten Künstler und ihre Kunst stempelte man ab."Entartet" hieß das. Viele von denen, die die Klassische Moderne ausmachen, haben sie, wenn ich das richtig weiß, gesammelt. Als Folge dieser Verachtung und Ausgrenzung von Kunst folgte ein hasserfüllter Angriff auf die bedeutendsten Künstler des Jahrhunderts. Einige der so diffamierten Werke - etwa Bilder von Nolde, Beckmann oder auch Otto Freundlich - sind ab heute hier in der Kunsthalle Adolf Würth zu sehen.
Auch das sollte deutlich werden, was das bedeutet und dass das kein Zufall ist, sondern bewusster, auch politisch zu sehender Akt. Heute muss man keinen Streit mehr darüber führen, dass die Kunst frei ist. Nicht nur, weil unsere Verfassung die Kunstfreiheit garantiert - das ist auch wichtig - , aber dass Kunst vor staatlichen Eingriffen geschützt ist und geschützt werden muss, ist zu einer Selbstverständlichkeit in unserem gesellschaftlichen Zusammenleben geworden. Und diese Selbstverständlichkeit muss verteidigt werden. Bücher zu verbrennen oder Kunst als entartet auszugrenzen, das - ich denke, das eint uns - darf es nie wieder geben; gleichgültig, wo wir uns ansonsten politisch verorten oder welche Meinungsverschiedenheiten wir ansonsten auszutragen haben.
Übrigens: Wenn man Mäzene würdigt und ehrt - worauf sie ihrer Verdienste wegen Anspruch haben - , dann darf man das als Vertreter des Staates nie dazu benutzen - und darf sich auch gar nicht erst in die Nähe bringen lassen - , zu sagen: Macht ihr das einmal, wir können das angesichts des Diktats unserer Finanzminister dann ja lassen. Nein: Was sich verändert hat, ist nicht nur die Tatsache, dass es Ausgrenzung nicht mehr gibt und nie mehr geben darf, sondern was sich verändert hat, ist auch: Positives staatliches Handeln zur Förderung der Kultur ist integraler Bestandteil unserer Demokratie. Wir haben als Regierungen, also als Gemeinden, Länder und Bund, die Rahmenbedingungen zu organisieren, in denen sich ein kreatives kulturelles Klima entfalten kann. Wir können und sollen dafür auch wirklich Geld ausgeben. Wir müssen aufräumen - und wir tun das - mit dem gelegentlich gepflegten Urteil beziehungsweise Vorurteil: Wenn es eng wird - bei der Kunst könnt ihr am ehesten sparen. Dieses Land ist in seinen verschiedenen Ebenen allemal immer noch so reich, dass das Ausspielen von Kunst gegen Soziales oder von Kunst gegen Ökologisches eigentlich etwas ist, was wir miteinander zurückweisen sollten.
Als Bund werden wir - lassen Sie mich diese Zahlen nennen - in diesem Jahr etwa 1,8 Milliarden DM für Kulturförderung als Gesamtstaat ausgeben. Wir geben diese 1,8 Milliarden DM aus, obwohl uns jeder Ministerpräsident wegen der kulturellen Kompetenzen kritisch auf die Finger schaut. Da auch ich schon fast hinter jedem Busch gesessen habe, kenne ich das auch aus der anderen Perspektive, Herr Ministerpräsident. Trotzdem ist es richtig, dass wir bei aller Achtung der Kulturhoheit der Länder nicht aufhören, bestimmte Projekte, die wir "Leuchtturmprojekte" nennen, auch als Bundesregierung zu fördern, und damit dazu beitragen, dass unser Land nicht nur als ein wirtschaftlich, sondern auch kulturell starkes Land begriffen wird.
Glücklicherweise - das ist hier sichtbar - gibt es in Deutschland nicht nur staatliche Kulturförderung, sondern auch Mäzenatentum und Stiftungswesen. Der Ministerpräsident hat auf die Einmaligkeit der Leistung von Herrn Würth sehr deutlich hingewiesen. Wir haben versucht - und sind dabei - , die Rahmenbedingungen für ein solches Mäzenatentum durch ein verändertes Stiftungsrecht besser zu gestalten - das sollte man bei dieser Gelegenheit auch einmal sagen - , dass auch diejenigen, die keine so großartige Kunsthalle bauen und dort ihre Sammlung zeigen können, sondern die kleinere Beträge in Kunst investieren wollen, das tun können, ohne dafür vom Staat bestraft zu werden. Das ist Sinn dieses Stiftungsrechtes. Es kann sich ruhig herumsprechen, dass das steuerlich vernünftig geregelt worden ist.
Die Rollenverteilung in unserer entwickelten Demokratie wird - auch, was das Verhältnis zwischen Staat und Gesellschaft angeht - neu zu überdenken sein. Unter dem Stichwort "Zivilgesellschaft" organisiert sich ein neues, mehr partnerschaftliches Selbstverständnis im Miteinander von Staat und Gesellschaft. Es kann nicht schlecht sein, wenn wir diesen Weg weiter beschreiten.
In einem solchen Selbstverständnis des Verhältnisses von Staat und Gesellschaft ist es gut, wenn Unternehmen aktiv Verantwortung für die gesellschaftliche Entwicklung übernehmen - und längst nicht mehr nur aus privaten oder wirtschaftlichen Erwägungen heraus. Privates Geld wird für Kultur ausgegeben, die allen zugute kommt. Dies ist allemal auch ein zivilgesellschaftliches Engagement. Noch gehören solche Public-Private-Partnerships zu Gunsten der Kultur, wie hier in Schwäbisch Hall, zur Avantgarde dieses neuen Selbstverständnisses. Doch man kann spüren: Die Tendenz ist steigend, und Ereignisse wie dieses werden das befördern. Davon bin ich fest überzeugt; auch deshalb bin ich hier. Prosperierende Unternehmen wie Ihres, Herr Würth, haben die innovative Kraft, die in einer so entschlossenen Kulturförderung auch steckt, schon erkannt.
Ich habe auf dem Markt vorhin ein Plakat gegen die Kommerzialisierung von Kunst gesehen. Rezzo Schlauch hat mir erklärt, das wäre die seinerzeit von ihm gegründete Jugendinitiative gewesen, aber so ist er nun einmal. Man wird seine Kinder nicht los, Rezzo, und soll es vielleicht auch gar nicht. Ich denke, dass man denjenigen sagen muss, dass es kein Widerspruch sein muss, wenn sich Unternehmen mit dem, was sie erwirtschaften, für die Kunst und damit eben auch für die Künstler engagieren. Denn - das muss man den jungen Leuten sagen - auch die Künstler leben von denjenigen, die ihre Kunst sammeln und - wenn sie sie sammeln - auch kaufen. Es ist durchaus erlaubt, darauf hinzuweisen. Sie sind, was diese Tendenz angeht, die ich beschrieben habe, zweifellos Vorreiter. Wie gesagt: Wir wollen ein solches Engagement durch vernünftige Rahmenbedingungen fördern.
Ihnen, Herr Würth, ist es gelungen, neben einer erfolgreichen Arbeit als Manager eines, wie es früher hieß, mittelständischen Unternehmens eine solche Kunstsammlung aufzubauen. Ihre Frau hat mir erzählt, dass es nicht, wie Herr Teufel gesagt hat, 35.000, sondern 37.000 Mitarbeiter sind; das wächst ständig. Damit sind Sie sicherlich einverstanden. Ein Unternehmen mit 37.000 Beschäftigten kann man kaum mehr ein mittelständisches Unternehmen nennen; aber immerhin: Neben der Arbeit als Manager eine solche Kunstsammlung aufzubauen, die heute zu den bedeutendsten Privatsammlungen der Kunst des 20. Jahrhunderts zählt, ist schon eine reife Leistung.
Es wird hier nicht alles gezeigt werden, sondern, wenn ich das richtig verstanden habe, bleibt das, was in Künzelsau ist, dort. Frau Weber hat darauf hingewiesen: Es wird eine sehr enge Möglichkeit bestehen, beide Orte, in denen die Bilder und die Skulpturen ausgestellt sind, zu sehen. Ich bin übrigens sicher, dass Sie durch eine sehr kluge Ausstellungspolitik Wege finden werden, die Distanz von 20 Kilometern zwischen Künzelsau und Schwäbisch Hall vergessen zu lassen.
Ich bedauere übrigens, dass ich das wunderbare Rahmenprogramm, von dem ich in dem Programmheft gelesen habe, nicht miterleben kann. All diejenigen, die die Möglichkeit haben, das, was vor allen Dingen morgen stattfinden wird, mitzuerleben, werden das gewiss nicht vergessen. Auch das gehört zu dem Konzept, das Sie vertreten, nämlich Kunst und die Bilder, die Sie ausstellen, spielerisch erleben zu können, ihnen spielerisch begegnen zu können und nicht unbedingt mit dem Text des einen oder anderen Kulturhistorikers unter dem Arm.
Ich bin sicher, dass die Kunsthalle Adolf Würth sehr bald zu einem Wahrzeichen und Treffpunkt in dieser Region werden wird. Die Bürgerinnen und Bürger werden, um es auf den Begriff zu bringen, zu Recht stolz darauf sein, dass sie diese Kunsthalle hier in Schwäbisch Hall haben. Die auswärtigen Gäste werden kommen und neugierig sein - dies natürlich auch zu Recht - , werden Begegnungen mit wunderbaren Bildern und Skulpturen haben und werden reicher - in einem ganz anderen Sinne, als das der Begriff ansonsten bedeutet - von hier weggehen.
Diese schöne Region, vor allen Dingen aber das, was Sie, Herr Würth, und Sie, Frau Würth, ins Werk gesetzt haben, wird für diejenigen, die hier waren, und für alle, die an dieser Eröffnung teilhaben konnten, unvergessen bleiben. In diesem Sinne: Viel Glück und alles Gute! Denn die Einweihung dieser neuen Kunsthalle ist schon ein wunderbares Ereignis.