Redner(in): Angela Merkel
Datum: 16. März 2017

Anrede: liebe Kolleginnen und Kollegen aus Bund und Ländern,meine Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2017/03/2017-03-16-demografiegipfel.html


Sehr geehrte Herren Bundesminister, lieber Gastgeber Thomas de Maizière und lieber Christian Schmidt, sehr geehrte Vertreter der Kommunalpolitik, der Sozialpartner und Verbände, Mitglieder der Arbeitsgruppen, vor allem auch liebe Jugendliche, die Sie heute da sind,

Bevor ich mit meiner Rede anlässlich des Demografiegipfels beginne, möchte ich aus aktuellem Anlass etwas sagen. Gestern haben in den Niederlanden Wahlen stattgefunden. Die Niederlande sind unser Partner, unser Freund, unser Nachbar. Deshalb habe ich mich sehr gefreut und ich denke, es geht vielen so, dass eine hohe Wahlbeteiligung zu einem sehr pro-europäischen Ergebnis geführt hat. Ein klares Signal und das nach Tagen, in denen die Niederlande Anwürfe und Vorwürfe zu ertragen hatten, die aus der Türkei kamen und völlig inakzeptabel sind; und nach Tagen, in denen wir ihnen unsere Solidarität gezeigt haben. Ich konnte gestern meinem Kollegen Mark Rutte gratulieren. Wir freuen uns auf die zukünftige Zusammenarbeit. Ich glaube, es war ein guter Tag für die Demokratie.

Meine Damen und Herren, wir sind heute hier am Berliner Westhafen zusammengekommen, der in den Zwanzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts zum zweitgrößten deutschen Binnenhafen ausgebaut wurde. Berlin war schon damals eine pulsierende Metropole, deren Einwohnerzahl die Vier-Millionen-Grenze überstieg. Fast 100 Jahre später leben in Berlin über 3,5 Millionen Menschen; die Tendenz ist steigend. Man kann damit rechnen, dass in den Zwanzigerjahren dieses Jahrhunderts in Berlin wieder vier Millionen Menschen leben werden. Von Bevölkerungsschwund kann also in Berlin erst einmal keine Rede sein.

Aber es zeichnet sich in Deutschland insgesamt ein etwas anderes Bild ab allerdings auch ein etwas anderes als vor fünf Jahren, als wir die Demografiestrategie verabschiedet haben. Thomas de Maizière hat vorhin von vergangenen Sorgen gesprochen. Damals sind wir davon ausgegangen, dass zwar die Ballungszentren weiter wachsen, aber die Bevölkerungszahl bundesweit doch abnehmen werde. Jetzt sehen wir, dass wir bezüglich unserer Prognosen leicht im Plus liegen. Gründe dafür sind vor allen Dingen die Zuwanderung aus europäischen Ländern, aus dem Raum der Freizügigkeit, und auch die vielen Flüchtlinge, die in der letzten Zeit zu uns gekommen sind. Deshalb wird Deutschland heutigen Prognosen zufolge in den nächsten 20 Jahren eine recht stabile Bevölkerungszahl haben. Sie wird in etwa auf dem Niveau von heute bleiben.

Hinzu kommt, dass es uns heute ich spreche immer von Momentaufnahmen wirtschaftlich recht gut geht, die Erwerbstätigkeit auf Rekordniveau liegt und die Zahl der Arbeitslosen zurückgegangen ist. Dass das natürlich auch Auswirkungen auf die sozialen Sicherungssysteme hat, spüren wir jeden Tag. Vielleicht ist das Thema demografischer Wandel auch deshalb in der Gesellschaft und in der öffentlichen Diskussion im Augenblick etwas weniger präsent und wird nicht mehr als ganz so dringend empfunden; aber ich glaube, zu Unrecht. Wir sollten und müssen uns mit dem Thema beschäftigen hier im Raum tun das natürlich auch alle, denn auch wenn wir in den nächsten zwei Jahrzehnten voraussichtlich eine stabile Entwicklung der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter haben werden, bleibt es bei der Grundtendenz, dass den Erwerbstätigen eine wachsende Zahl älterer Menschen gegenüberstehen wird. So schön eine höhere Lebenserwartung natürlich ist, so sehr stellt sie uns trotzdem vor eine Bewährungsprobe ganz besonders auch mit Blick auf unsere sozialen Sicherungssysteme.

Es ist recht interessant: Thomas de Maizière hat eben auf das Älterwerden und Ältere hingewiesen. Er hat gesagt: Niemand möchte alt sein. Ich empfinde es manchmal als ganz seltsam, dass ich bin ja auch über 60 man damit aus dem Blickwinkel von Enkeln und Kindern natürlich alt ist. Aber wenn man sich sozusagen unter Älteren bewegt, dann will in der Tat keiner alt sein. Ich weiß nicht, ob das richtig ist. Man sollte sich dazu bekennen, so wie man sich dazu bekennt, jung zu sein, weil das Alter in seiner ganz anderen Ausprägung als vor 100 Jahren sein Gesicht ja nur zeigen kann, wenn es auch Menschen gibt, die zugeben, dass sie alt sind. Wenn man immer erst kurz vorm Sterben alt ist, dann bekommt das Alter auch kein Gesicht. Und dieses Gesicht des tatkräftigen Älteren gehört einfach dazu. Ich würde also sagen: Mut zum Alter im positiven, selbstbewussten Sinne. Aber ich erlebe es auch selbst: Wenn ich sage "Ich bin ja jetzt schon alt", dann heißt es "Nein, nein, nein, keine Sorge; Sie sehen noch ganz jung aus". Man versucht dies ja auch jeden Tag. Aber trotzdem finde ich, Älterwerden muss man einfach akzeptieren.

Jetzt aber zurück zum Thema im rationalen Sinne: Die Bevölkerungsentwicklung zeigt sich regional teils sehr unterschiedlich. Nicht umsonst ist der Minister, der sich mit den ländlichen Räumen ganz besonders beschäftigt, heute auch von Anfang an hier mit dabei. Wir haben Regionen, in denen die Bevölkerung deutlich wächst, und wir haben Regionen, in denen sie abnimmt. Wir haben auch sehr unterschiedliche Durchschnittsalter in den verschiedenen Regionen Deutschlands. Ich glaube, diese Vielfalt der Regionen wird sogar noch zunehmen. Das heißt, wir stehen vor verschiedenen Herausforderungen.

Deshalb war es richtig, eine Demografiestrategie zu entwickeln und den Dialog voranzutreiben. Dabei haben wir ja erlebt, dass alle gefordert sind der Bund, die Länder, die Kommunen, die Sozialpartner, die Verbände, viele Bürgerinnen und Bürger. Denn es geht letztendlich um den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Thomas de Maizière hat eben von Verlierern und Gewinnern gesprochen. Das ist ja eine permanente und beständige Sorge. Politik hat natürlich die Aufgabe, an alle zu denken, Vorschläge für alle zu unterbreiten, um den Zusammenhalt der ganzen Gesellschaft zu fördern. Aber natürlich gelingt uns das selten zu hundert Prozent. Deshalb leben wir in einem permanenten Spannungsverhältnis. Und trotzdem haben wir uns mit diesen Fragen eigentlich täglich zu beschäftigen.

Gestern war ich in Bonn beim Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen. Weil bei uns viele Menschen ein höheres Alter erreichen, steigen auch die Risiken, zum Beispiel an Demenz oder an Parkinson zu erkranken. Umso wichtiger ist es, so viel wie möglich über diese Erkrankungen herauszufinden, um Prävention und Versorgung der Patienten verbessern zu können. Ich glaube, die Gesundheitsforschung ist in Deutschland in ganz besonderer Weise gut angesiedelt. Hier können wir auch mit einer hohen Akzeptanz für eine solche Forschung Höchstleistungen erreichen. Im internationalen Vergleich sind wir hier insgesamt sehr, sehr gut aufgestellt.

Ich möchte mich bei allen bedanken, die zur Ausarbeitung der Demografiestrategie beigetragen haben insbesondere bei den Mitgliedern der Arbeitsgruppen, die ja dann später auch noch hier diskutieren werden. Ich möchte mich auch bei den über tausend Jugendlichen bedanken, die in den vergangenen Jahren Lösungsvorschläge auch ganz konkret für ihre Heimatregionen entwickelt haben. Einige sind ja auch heute aktiv dabei. Es ist gut, dass Sie sich von jung auf an solchen Diskussionen beteiligen und einbringen. Natürlich möchte ich mich auch beim Bundesinnenministerium bedanken, das den gesamten Prozess der Erarbeitung der Strategie koordiniert.

Ich möchte heute auf drei Themenschwerpunkte eingehen, die etwas mit den verschiedenen Veränderungen zu tun haben, erstens auf das Beispiel Familie, zweitens auf die Gemeinschaft vor Ort, die Kommune, und drittens auf das Thema "Arbeit und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit", das für unsere Zukunftsgestaltung natürlich auch von großer Bedeutung ist.

Familie ist dort, wo Menschen dauerhaft Verantwortung füreinander übernehmen, auch generationenübergreifend. Familie kann nicht verordnet werden, sondern Familie existiert. Menschen können sich aus einem Familienverband nicht einfach lösen, sondern sie gehören zu einer Familie. Familie ist praktisch permanent gelebte Verantwortung und Quelle unseres gesellschaftlichen Zusammenhalts. Deshalb sollten wir auf politischer Seite versuchen, Familien durch Leitplanken und Maßnahmen zu schützen und sie in die Lage zu versetzen, Familie auch wirklich verantwortlich leben zu können.

Dabei hat sich in den letzten Jahren herausgestellt, dass neben der finanziellen Ausstattung, die natürlich nach wie vor wichtig ist, das Thema Zeit, Zeitsouveränität, immer wichtiger geworden ist. Zeit ist oft die knappste Ressource in Familien. In der Rushhour des Lebens, wie wir in Form von Anglizismen sagen, ist alles Arbeit, Kinder, vielleicht auch Pflege in eine Lebensphase gepackt. Dies führt oft zu einem schwierigen Spagat zwischen beruflicher Karriere und Zeit für die Familie. Deshalb gibt es eine Vielzahl von Maßnahmen, die zum Teil auch heiß diskutiert werden. Steffen Kampeter vonseiten der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände ist heute hier. Nicht über jede dieser Maßnahmen ist er unendlich glücklich, aber er hat immer viel Verständnis. Ich hoffe, diese Bemerkung diskreditiert dich nicht in der Bundesvereinigung.

Seit 2007 gibt es das Elterngeld. Wir haben das ElterngeldPlus eingeführt. Wir arbeiten daran das finde ich sehr spannend, Mütter und Väter gleichermaßen in die Familienarbeit einzubeziehen, weil vollkommen klar ist, dass Gleichberechtigung nicht gelebt werden kann, wenn die Frauen für Familie und Beruf zuständig sind und die Männer und Väter nur für den Beruf. Es gibt einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz nicht nur im Kindergartenbereich, sondern seit 2013 auch für den Kitabereich. Wir fördern seitens des Bundes die Betreuung der Kinder massiv.

Wir schauen, dass Beruf und Pflege miteinander vereinbart werden können. Denn zwei Drittel der Pflegebedürftigen leben zu Hause bei ihren Angehörigen und werden von ihnen gepflegt. Damit Angehörige diese Pflege ausüben können, gibt es auch den Rechtsanspruch auf Familienpflegezeit. Ich will zum Thema Familie noch anmerken: Die Aufgabe der Pflege ist so umfassend und so fordernd, dass der Staat Hilfeleistungen geradezu geben muss. Aber natürlich kann auch eine Familienpflegezeit kein Ersatz für das sein, was an Kraft, Mühe und auch an Liebe und Aufopferung in der Pflege aufgebracht wird. Deshalb bleibt es dabei, dass wir neben der materiellen Anerkennung auch immer sehen müssen, was für wunderbare Arbeit geleistet wird, für die wir auch ein allgemeines gesellschaftliches Verständnis haben müssen.

Man kann sagen, dass sich trotzdem in Bezug auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf vieles verbessert hat. Interessant ist, dass der Anteil der Väter, die das Elterngeld nutzen, kontinuierlich auf inzwischen über ein Drittel gestiegen ist. Das gibt mehr Müttern auch die Chance, erwerbstätig zu sein. Das gibt auch die Möglichkeit, dass Arbeitgeber nicht mehr genau sagen können, wer sich denn Zeit für die Familie nimmt. Das verändert natürlich auch die Gesamteinstellung zum Thema Familie und Beruf.

Die Geburtenentwicklung hat sich etwas verbessert. Das ist aber noch kein Grund zur Entwarnung und bietet auch keine Möglichkeit, sozusagen den Altersaufbau grundsätzlich zu verändern. Die Entscheidung für ein Kind ist eine persönliche Entscheidung. Aber gesellschaftliche Zuversicht und vernünftige Rahmenbedingungen sind sicherlich auch Faktoren, um sich für Kinder zu entscheiden.

Der zweite Bereich bezieht sich auf die Frage: Wo findet Leben statt? Leben findet nicht auf der Bundesebene statt, sondern Leben findet ganz konkret in den Kommunen vor Ort statt. Das stellt uns seitens der Bundespolitik natürlich vor große Herausforderungen. Auf der einen Seite erwarten die Menschen von uns, von ihrer Bundesregierung, dass wir uns um gesellschaftliche Themen kümmern. Sie haben immer weniger Verständnis, wenn wir sagen: Wisst ihr, das ist jetzt aber eine kommunale Entscheidung; damit haben wir nichts zu tun. Auf der anderen Seite schätzen die Menschen die Vielfalt, die Entscheidungsfreiheit einer Kommune, einer Stadt, einer Region und die Unterschiedlichkeit in Deutschland. Man ist stolz auf die eigene Geschichte. Hierbei immer wieder die richtige Antwort zu finden, sich als Bund nicht in alles einzumischen, das sogenannte Subsidiaritätsprinzip gelten zu lassen und trotzdem zu helfen, wo Hilfe notwendig ist, beschäftigt uns in unserer Arbeit eigentlich täglich.

Wir sehen auch hierbei wieder völlig unterschiedliche Herausforderungen. In den ländlichen Regionen ich kenne das auch aus meinem Wahlkreis haben wir es mit einem Rückgang der Bevölkerung zu tun. Dort stellt sich das elementare Thema der Daseinsvorsorge. Ist der Staat noch in der Lage, die tägliche Daseinsvorsorge Einkaufsmöglichkeiten, Gesundheitsversorgung, Zugang zu Behörden, Krankenhaus usw. zu realisieren? Wie steht es um den öffentlichen Nahverkehr? Es gibt viele, viele Probleme.

Der Bundeslandwirtschaftsminister hat sich mit unser aller Unterstützung dafür entschieden, ein Programm aufzulegen, das nicht in die Rubrik "Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit" passt, sondern es ist bewusst ein Förderungsprogramm für ländliche Regionen, das wir ausbauen werden, um einfach diese Fragen, die sich nicht nur mit Wettbewerbsfähigkeit oder Kosteneffizienz beantworten lassen, für die ländlichen Regionen besser zu beantworten. Ich sehe ähnlich wie der Bundesinnenminister, dass die Digitalisierung, die für viele heute fast noch eine Schreckensnachricht ist, trotzdem zur Verbesserung gerade auch der Lebenssituation in den ländlichen Räumen beitragen kann vorausgesetzt, man hat erst einmal die technische Infrastruktur dafür. So, wie man Wasser- und Stromleitungen in die ländlichen Regionen gebracht hat, muss man auch den Breitbandausbau dazu nehmen. Das ist Daseinsvorsorge für die Zukunft. Ansonsten brauchen wir von einer Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen in Deutschland nicht zu sprechen. Und deshalb fördern wir das auch.

Es geht natürlich auch darum ich nehme die Anwesenheit des DGB-Vorsitzenden, Herrn Hoffmann, zum Anlass, dies zu sagen, sich auf die Möglichkeiten der Digitalisierung einzustellen. Wenn man sich zum Beispiel den öffentlichen Personennahverkehr ansieht, dann kann man erahnen, dass es so kommen wird, dass vielleicht diejenigen, die heute noch Busse fahren, in Zukunft viel individuellere, kleinere und flexiblere Transportvarianten anbieten müssen. Ich glaube, wir müssen hierbei Bildung, Weiterbildung und Lernen im Bereich Technik all das begleitend mit einbeziehen und die Chancen sehen, die sich ergeben.

Es geht in den Ballungsgebieten natürlich wieder um ganz andere Fragen, etwa um bezahlbaren Wohnraum, um Kontakte und um die Aufgabe, die Bildung von Parallelgesellschaften zu vermeiden. Ich war heute Morgen im Berliner Wedding und habe mir das Stadtteil- und Familienzentrum des Paul Gerhardt Stifts angeschaut. Es wird dort für generationenübergreifende Angebote für diejenigen, die schon lange dort leben, und für diejenigen, die erst kurz dort leben, gesorgt. Das ist eine sehr interessante und zusammenhaltstiftende Tätigkeit, die haupt- und ehrenamtlich erfolgt nach dem Motto dieses Demografiegipfels: "Jedes Alter zählt".

Es gibt in der Bundesrepublik Deutschland ganz viele Antworten auf den demografischen Wandel. Quartiersmanager motivieren Bewohner, ihr eigenes Umfeld aktiv mitzugestalten. Das ist zum Beispiel auch beim Paul Gerhardt Stift der Fall. Es gibt Pflegenetzwerke, die Demenzpatienten und ihre Angehörigen unterstützen. Es gibt flexiblere und erweiterte Betreuungszeiten in Kitas. Es gibt in den ländlichen Regionen unterschiedliche Vernetzungsangebote. Ich denke, Konzepte, wie zum Beispiel die der Gemeindeschwester, tragen auch zu einer flächendeckenden Gesundheitsversorgung bei und müssen dies noch zunehmend tun. Rufbusse oder Sammeltaxis ergänzen den klassischen Liniennahverkehr ich sprach schon darüber. Und natürlich sind auch Kooperationen im Zusammenhang mit ehrenamtlicher Feuerwehrtätigkeit und anderen Vereinen und Verbänden zu erwähnen.

Dennoch ist das alles nicht so einfach. Ich kenne das auch wiederum aus eigener Erfahrung. Wenn etwa die Schule weit weg ist, ist die Vereinsarbeit erschwert, weil die Kinder erst wieder am Nachmittag in ihre Wohnorte zurückkommen. Seitdem die Wehrpflicht weggefallen ist, gibt es kaum mehr einen, der die Lkw-Fahrerlaubnis erlangt. Die freiwilligen Feuerwehren haben Riesenmühe, Fahrer für ihre Fahrzeuge zu finden. Das sind praktische Probleme, auf die wir schneller Antworten finden müssen. Eine Fahrerlaubnis kostet Tausende von Euro. Und das kann sich eine freiwillige Feuerwehr nicht einfach leisten. Früher kamen Fahrer von der Bundeswehr, aber heute kommt keiner mehr. Ich glaube, wir müssen lernen, auf solche Fragen unkompliziert Antworten zu geben.

Wir müssen vor allen Dingen immer mehr lernen, wie wir haupt- und ehrenamtliche Strukturen besser miteinander vernetzen. Sicherlich ist für den Bund eine der ganz großen Herausforderungen, dass wir an vielen Stellen nur Projektangebote machen können, die nie verstetigt sind. Wenn sie verstetigt und gesetzlich geregelt sind, gehen sie zu den Ländern und Kommunen über. So sind diejenigen, die von uns und unseren Projekten profitieren, in einem permanenten Antragsstellungsprozess gefangen. Ich habe dafür auch keine abschließende Lösung. Wir müssen natürlich das sage ich, auch wenn ich nicht weiß, ob ich mich damit besonders beliebt mache auch schauen, welche sozialen Projekte gut funktionieren und welche nicht. Es darf auch keine Versteinerung von bestimmten Projektideen geben, weil man natürlich immer wieder dazulernt. Das ist also ein Thema, mit dem wir uns noch beschäftigen müssen.

Wir haben versucht das ist trockene Materie, durch den Bund-Länder-Finanzausgleich die Länder und damit indirekt auch die Kommunen auch nach 2019 in die Lage zu versetzen, ihre Pflichten und ihre Aufgaben im Zusammenhang mit dem Zusammenhalt der Gesellschaft gut ausführen zu können. Wir haben zum Beispiel auch die Regionalisierungsmittel, die den Personennahverkehr stärken, verstetigt. All das sind wichtige Bausteine, um Daseinsvorsorge in umfassendem Sinne zu gewährleisten.

Wir haben schon darüber gesprochen, dass wir medizinische Versorgung gewährleisten müssen. Dazu haben wir ein Gesetz zur Sicherung einer guten medizinischen Versorgung verabschiedet. Dennoch: Wenn wir uns die Realitäten anschauen, dann wissen wir, dass noch viel zu tun ist. Der Gesundheitsminister wird heute ja auch noch hier dabei sein.

Wir müssen den Breitbandausbau weiter voranbringen, um flächendeckend eine wettbewerbsfähige Infrastruktur sicherzustellen. Wir müssen in Bildung und Forschung investieren. Auch ein Land, in dem das Durchschnittsalter steigt, muss innovativ bleiben; das wird eine der großen Aufgaben sein. Deshalb ist lebenslanges Lernen keine Drohung, sondern eine Ermutigung, als Land, als Gesellschaft neugierig zu bleiben. Ich freue mich, ehrlich gesagt, über immer mehr Volkshochschulbesuche und Universitätskursteilnahmen von Älteren, die einfach bereit sind, noch einmal Neues aufzunehmen und sich neu zu orientieren.

Wir glauben, dass mit Blick auf den Zusammenhalt der Gesellschaft und die Zukunftsvorsorge auch das Thema Haushaltsführung ein wichtiger Beitrag ist. Alle Schulden, die wir heute nicht machen, und jeder ausgeglichene Haushalt sind eine Investition in die kommende Generation. Das hört sich immer so trocken an, bedeutet im Grunde aber Spielräume für zukünftige Generationen.

Damit bin ich bei meinem dritten Punkt, nämlich beim Thema Arbeitswelt, Wirtschaft und Fachkräfte. Wir haben im Augenblick einen Rekord an offenen Stellen. Wir erleben, dass die fachlichen Anforderungen immer höher werden, was uns natürlich bezüglich der Schulausbildung vor riesige Herausforderungen stellt. Deshalb werden wir weiter darüber nachdenken müssen, wie auch der Bund helfen kann, zum Beispiel die Digitalisierung und ihre Möglichkeiten schneller in die Schulen zu bringen. Wir können sicherlich nicht jede Schule mit Breitband innenversorgen, aber wir können so, wie wir jeden Haushalt an ein Breitbandnetz anbinden wollen, auch sagen: Gewerbegebiete und Schulen gehören genauso dazu. Wir können auch Lehrinhalte über eine bundesweite Cloud zur Verfügung stellen. Ich glaube, neben Lesen, Schreiben, Rechnen gehört in Zukunft auch Programmieren zu den Basisfähigkeiten unserer jungen Leute. Das heißt allerdings nicht, dass man nicht mehr Lesen, Schreiben, Rechnen braucht; vielmehr kommt das Programmieren dazu. Das ist eine vierte Grundfähigkeit und ersetzt keine der anderen Grundfähigkeiten.

Die Tatsache, dass einfache Tätigkeiten immer rarer werden und immer höhere Anforderungen an die Berufsausbildung gestellt werden, ist durchaus eine Herausforderung für uns. Deshalb müssen wir uns mit unserem Bildungssystem darauf einstellen. Ich möchte in den nächsten Jahren vor allen Dingen auch darauf achten, dass wir das duale Berufsausbildungssystem stärken. Dabei müssen wir aber auch noch einen harten Kampf mit der Europäischen Kommission ausfechten. Denn wir haben wieder eine Richtlinie bekommen, die unter der Maßgabe "Freifahrt und keine Barrieren für Dienstleistungen" ganz klar darauf ausgerichtet ist, dass Verkammerung, Meisterbrief, Qualitätssicherung und duale Ausbildung sozusagen nicht gewünscht sind, weil sie irgendwie den Wettbewerb verzerren würden. Dazu kann ich nur sagen: Nachhaltigkeit ist wie in anderen Lebensbereichen auch im Handwerk und bei der Berufsausbildung eine Qualität an sich. Wir werden daher auf deutscher Seite die duale Berufsausbildung hochhalten und ihr eine Zukunft ermöglichen. Denn man kann nicht von der dualen Berufsausbildung schwärmen, aber ansonsten nichts dafür tun wollen. Ich glaube, da sind Arbeitgeber, Gewerkschaften und Politik auf einer Linie und werden gemeinsam kämpfen.

Wir haben erlebt, dass im Zeitraum von 2005 bis 2015 2,3 Millionen mehr Frauen erwerbstätig sind. Das ist eine sehr erfreuliche Tatsache. Aber auch hierbei haben wir unser Potenzial noch nicht ausgeschöpft. Deutschland gehört zu den Ländern, in denen Frauen auch sehr stark Teilzeitarbeit leisten. Ich will Wahlfreiheit für alle. Aber Wahlfreiheit bedeutet eben auch, dass die Rahmenbedingungen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie richtig gestaltet sind.

Es gelingt uns heute besser, ältere Beschäftigte im Beruf zu halten. Ich weiß, dass hier im Vorfeld schon Kritik bezüglich der Rente mit 63 aufkam. Da bitte ich obwohl ich, ehrlich gesagt, auch kein besonderer Befürworter dieser Maßnahme war doch eines zu berücksichtigen: Es sind Menschen, die 45 Jahre lang gearbeitet haben, die den Anspruch haben, mit 63 in Rente zu gehen; und Jahr für Jahr wächst das Renteneintrittsalter wieder bis auf 65. Das heißt, wenn wir ein allgemeines Renteneintrittsalter von 67 haben, sind wir wieder bei der Rechtslage, die wir hatten. Das wird Ende der 20er Jahre sein, also genau dann, wenn der Fachkräftemangel und die Herausforderungen durch die Demografie besonders hoch sein werden. Es geht bei der Rente mit 63 eben um Generationen, die ganz andere Erwerbsbiografien haben, als das bei jüngeren Generationen der Fall ist. Das möchte ich wenigstens zur Berücksichtigung hinzufügen.

Wir können heute sagen: Die Erwerbstätigenquote der 60- bis 64-Jährigen hat sich in den vergangenen zehn Jahren fast verdoppelt. Das ist ein ganz wichtiger Schritt, damit diejenigen, die später als mit 65 in Rente gehen, nicht den Eindruck haben, es gehe nur um Rentenkürzung. Unser ganzes Arbeiten und Trachten muss vielmehr darauf ausgerichtet sein, dass wir das Arbeiten bis zum Renteneintrittsalter ermöglichen. Ansonsten haben wir gerade auch die Erwerbsunfähigkeitsrente besonders gestärkt. Denn Altersarmut tritt heute vor allen Dingen da auf, wo Menschen erwerbsunfähig werden. Deshalb muss man genau an dieser Stelle ansetzen.

Wir haben auch mehr ausländische Fachkräfte. Wir haben damit auch einen Beitrag zur Bewältigung der großen Arbeitslosigkeit in der Europäischen Union geleistet. Viele Menschen aus Spanien, Portugal und anderen Ländern haben inzwischen Arbeit in Deutschland gefunden. Das kann vielleicht nur eine temporäre Entwicklung sein, aber das zeigt, welche Möglichkeiten die Freizügigkeit bietet. Wir müssen deshalb gerade auch im Bereich der Facharbeiter noch mehr tun, um Sprachbarrieren abzubauen; das heißt, vor allem Englisch zu lernen. Fremdsprachen zu lernen, ist nicht nur etwas Wichtiges für diejenigen, die studieren, sondern es ist auch etwas Wichtiges für diejenigen, die eine duale Berufsausbildung haben.

Um Erwerbstätigkeitspotenziale auszuschöpfen, ist es auch wichtig, Arbeitsplätze altersgerecht zu gestalten. Prävention ist hierbei ganz wichtig. Wir brauchen flexible Arbeitsmodelle. Ich bin auch sehr froh, dass wir jetzt die Flexibilitätsrente haben man kann eben länger arbeiten, wenn man es möchte. Dazu gehört auch, dass wir Existenzgründern nicht dauernd bürokratische Hürden in den Weg legen, sondern bürokratische Hürden abbauen. Außerdem gehört dazu das riesige Thema Weiterbildung. Darüber wird es sicherlich noch manche politische Auseinandersetzung geben. Aber ich glaube, das Thema lebenslanges Lernen ich würde es gerne auch "duale Weiterbildung" nennen, weil Weiterbildung auch im Betrieb stattfinden muss wird ein Thema sein, aus dem sich der Staat nicht völlig heraushalten kann. Das alles wird unsere Diskussion in den nächsten Jahren bestimmen.

Meine Damen und Herren, wir können Thomas de Maizière hat es gesagt die Zukunft nicht exakt voraussagen; das ist ja auch das Schöne an der Zukunft. Wir können aber versuchen, uns auf sie vorzubereiten. Deshalb, liebe Jugendliche, ganz zum Schluss: Wir können nicht voraussagen, welche Erfahrungen Sie und Ihre Generation im Erwerbsleben machen werden. Ich finde es aber wichtig, dass auch Sie sich aktiv in die Gestaltung der Zukunft einbringen. Denn in einer Gesellschaft, in der es mehr Alte oder Ältere gibt und weniger Jüngere, besteht natürlich die Gefahr, dass diejenigen, die älter sind, an ihren Besitzständen hängen. Das liegt in der Natur der Sache. Deshalb müssen wir uns der Diskussion stellen. Deshalb brauchen wir generationenübergreifenden Austausch und Disput, der ja hier auch stattfindet. Sie müssen Ihre Wünsche selbstbewusst vorbringen nicht im Sinne eines Kampfes gegen die Älteren, aber im Sinne einer fairen Ressourcenteilung und im Sinne dessen, dass auch Sie einmal Kinder und Enkel haben werden, an die wir auch denken müssen.

Deshalb ist es eigentlich nur möglich, den Zusammenhalt der Gesellschaft zu schaffen, wenn Politik vernünftige Leitplanken setzt und gleichzeitig in der gesamten Gesellschaft auch ein Gefühl für die Belange der jeweils anderen da ist. Bei allen Vorzügen der Digitalisierung wir sehen im Augenblick manchmal Entwicklungen, bei denen sich jeder sozusagen in seiner Kommunikationsecke nur mit seinesgleichen, seiner Altersgruppe und seinen Freunden zusammensetzt. Demografischer Wandel und Zusammenhalt der Gesellschaft werden aber nur dann gut zu gestalten sein, wenn man nicht nur das Gemeinschaftliche feststellt, sondern auch einen produktiven Streit und Disput sucht. Dazu dient auch dieser Demografiegipfel als ein Ort der gegenseitigen Achtung und des gegenseitigen Respekts, aber auch der Auseinandersetzung mit verschiedenen Meinungen und der produktiven Entwicklung gemeinsamer Ideen.

Ich wünsche Ihnen einen guten Tag mit diesem Demografiegipfel.