Redner(in): k.A.
Datum: 30.05.2001

Untertitel: Herr Präsident, meine Damen und Herren, heute halte ich meine dritte letzte Rede vor dem Deutschen Bundestag.
Anrede: Herr Präsident, meine Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/60/42660/multi.htm


Sperrfrist: 30. Mai 2001, 15.30 UhrRede desBeauftragten des Bundeskanzlers

für die Stiftungsinitiative deutscher UnternehmenDr. Otto Graf Lambsdorffvor dem Deutschen Bundestag

am 30. Mai 2001

heute halte ich meine dritte letzte Rede vor dem Deutschen Bundestag.

Bitte sehen Sie es mir nach.

Es soll wirklich meine letzte sein.

Ich bin keine alternde Operndiva.

Ich will noch einmal in drei Sätzen skizzieren, worum es bei der ausreichenden Rechtssicherheit in Amerika ging:

Wir mussten einen Weg finden, der es amerikanischen Richtern erlaubt zu akzeptieren, dass sich Regierungen und legitimierte Vertreter ehemaliger Zwangsarbeiter und NS-Opfer auf eine komplexe Lösung geeinigt hatten, die der Individualgerechtigkeit überlegen ist und dass das Engagement der amerikanischen Regierung den Gerichten die Zuständigkeit für eine individuelle Entscheidung entzieht.

Die US-Regierung musste dabei verständlicherweise darauf achten, nicht die Linie zu überschreiten, die sie ihrerseits wegen Eingriff in Eigentumsrechte ihrer eigenen Bürger angreifbar machen könnte.

Die Lösung, von Juristen der Stiftungsinitiative und US-Regierungsanwälten ersonnen, hat nach einigen positiven Einzelentscheidungen ihre Feuerprobe vor dem Berufungsgericht New York großartig bestanden und damit das Präjudiz geschaffen, das die Unternehmen der Stiftungsinitiative von ausreichender Rechtssicherheit überzeugte.

Ich unterstreiche mit Nachdruck:

Das Statement of Interest ist von der US-Administration vereinbarungsgemäß abgegeben worden und es hat in allen Fällen Erfolg gehabt.

Darauf gründet sich meine Zuversicht, dass sich die US-Regierung auch bei den noch anhängigen und eventuellen künftigen Klagen für "legal peace" einsetzt und dass sie auch administrativen Behinderungen, vor allem in den Einzelstaaten der USA, entgegentreten wird. Es ging aber nicht nur um Rechtssicherheit.

In den für ehemalige Zwangsarbeiter endlosen Monaten der zähen und arbeitsintensiven juristischen Verhandlungen vollzog sich in Deutschland eine eindrucksvolle Entwicklung, die lange weiterleben soll:

In zahlreichen Gemeinden, Betrieben und Familien fragten sich Junge und Alte, was es mit den Zwangsarbeitern und den KZ-Arbeitern vor mehr als 55 Jahren gerade an ihren deutschen Leidensorten auf sich hatte.

Die Arbeit, die Organisationen wie der Verein "Gegen Vergessen - für Demokratie" oder Aktion Sühnezeichen seit Jahrzehnten eher im Verborgenen geleistet hatten, blühte vielerorts auf und trägt weiter Früchte.

Kleine Betriebe - ich denke an das Beispiel einer privaten Hamburger Baumschule - , Landwirte - ich denke an ein Beispiel aus dem Saarland - Familien erinnerten sich an kleine Gruppen von Zwangsarbeitern, selbst an ein ukrainisches Hausmädchen, und zogen, im Dialog mit mir, mit der Stiftungsinitiative oder mit der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" daraus moralische und materielle Konsequenzen.

Die veröffentlichte Meinung in Deutschland stand in dieser Frage eindeutig auf Seiten des Bundestags, der Bundesregierung und meist auch der deutschen Wirtschaft.

Die meisten der vielleicht 2000 Briefe, die mich erreichten, brachten Anerkennung zum Ausdruck.

Die vielen Beweise der Zustimmung haben mich bei meiner Arbeit ermutigt;

so der Taxifahrer in Berlin oder die Lufthansa-Stewardess während des x'ten Fluges nach Washington.

Wir sollten uns aber keinen Illusionen hingeben: zu tief sind die Wunden, die Krieg und Vertreibung auch bei unseren Landleuten hinterlassen haben, zu groß ist das menschliche Bedürfnis, Vergangenes zu verdrängen und zu vergessen.

Auch wenn ich selbst von Ausländerfeindlichkeit und Antisemitismus wenig erfahren habe - es gibt das leider auch in Deutschland.

Wegsehen hilft da nicht.

Wir müssen dem entgegenwirken, wir alle.

Deswegen ist der Zukunftsfonds, den wir mit 700 Mio. DM versehen haben, so wichtig.

Meine Damen und Herren,

in den zweijährigen Verhandlungen ging es um zweierleiErstens: Auf eine moralische und politische Last aus der deutschen Vergangenheit eine angemessene Antwort zu finden,

Zweitens: Das Ansehen der deutschen Wirtschaft in der Welt und die transatlantischen wirtschaftlichen und politischen Beziehungen vor weiterem Schaden zu bewahren.

Ich glaube, beides ist im Rahmen des wirtschaftlich und politisch Möglichen gelungen.

Dieser Lösung - und das ist für mich das Wunder - haben zum Schluss alle zugestimmt: Die maßgeblichen Kräfte der deutschen Wirtschaft unter der Führung von Dr. Gentz, die US-Regierung, bis zum Januar 2001 vertreten durch meinen langjährigen Bekannten Stuart Eizenstat, jetzt vertreten durch Vize-Außenminister Richard Armitage. Einige persönliche und briefliche Kontakte haben mich von der vollen Loyalität der neuen Administration gegenüber allen Verpflichtungen überzeugt. Die Regierungen Polens, Russlands, der Tschechischen Republik, Weißrußlands und der Ukraine, die Regierung des Staates Israel und die Claims Conference als maßgebliche Vertreter der Sklavenarbeiter und nicht zuletzt die von Prof. Neuborne koordinierten amerikanischen Klägeranwälte. Die Entsendung von Prof. Neuborne in das Kuratorium der Stiftung hat sich als besonders glücklicher Schritt erwiesen.

Dieser Konsens, trotz aller möglichen Vorbehalte, ist ein hohes politisches Gut, das die Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" im Kuratorium unter Leitung von Botschafter Kastrup und durch den Vorstand aus Dr. Jansen, Dr. Bräutigam und Botschafter Primor erhalten muss.

Der Deutsche Bundestag - und dabei vor allem seine Mitglieder Herr Beck, Herr Bosbach, Frau Jelpke, Herr Reuter und Herr Stadler - wird darüber wachen, dass diese Gemeinsamkeit der Überzeugungen erhalten bleibt.

In dieser Stunde, meine Damen und Herren, gedenken wir der Sklaven- und Zwangsarbeiter, Menschen, die Deutsche vor mehr als zwei Generationen in ihrer Menschenwürde verletzten, ihrer Arbeitskraft und Jahre ihre Jugend raubten.

Wir denken vor allem an diejenigen, die verstorben sind, für die unsere Bemühungen Jahrzehnte zu spät gekommen sind.

Meine Aufgabe, Herr Bundeskanzler, ist damit im wesentlichen beendet.

Ich habe sie aus meiner Verantwortung als deutscher Staatsbürger übernommen und - wenn auch mit vielen Mühen - mit großer Befriedigung bis zum heutigen Punkt geführt.

Ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen und danke dem Deutschen Bundestag in all seinen Fraktionen für die unerschütterliche Unterstützung - auch in schwierigen Phasen - in den letzten zwei Jahren.

Ich bin vielen Menschen für ihre Hilfe, ihren Rat, ihre Begleitung Dank schuldig.

Ich kann hier nur wenige nennen: Bundespräsident Rau hat mit seiner Erklärung vom 17. Dezember 1999 die moralische und historische Verantwortung der Deutschen in den Mittelpunkt unserer Anstrengungen gerückt. Dr. Manfred Gentz und Stuart Eizenstat haben immer wieder Lösungen für schwierige Probleme gefunden, weil sie ein Ergebnis wollten. Die Verhandlungsführer der MOE haben es fertiggebracht, einen Aufteilungsschlüssel unter sich zu vereinbaren. Es wäre für mich eine nahezu unlösbare Aufgabe gewesen. Der frühere US-Außenminister Lawrence Eagleburger hat in einer entscheidenden Frage das Zustandekommen der Stiftung ermöglicht. Ohne die unermüdliche Arbeit von Michael Geier vom Auswärtigen Amt hätte ich das alles nie geschafft."Arbeitsstab" nannte sich das ganze ziemlich pompös. Der Arbeitsstab war im wesentlichen eine Person:

Michael Geier!

Ihnen allen und vielen anderen danke ich, nicht zuletzt auch dem früheren US-Präsidenten Bill Clinton und Bundeskanzler Schröder.

Aber ich habe mich auch zu entschuldigen.

Bei denen, für die unsere Arbeit zu lange gedauert hat.

Die Verzögerungen waren und sind schmerzlich, weil wir viele der Opfer nicht mehr lebend erreichen.

Herr Präsident,

meine Damen und Herren!

Erlauben Sie mir eine Schlussbemerkung, auch wenn ich mich damit wiederhole:

Wir haben uns bemüht, einen finanziellen Schlussstrich unter das dunkelste Kapitel unserer Geschichte zu ziehen.

Einen finanziellen Schlussstrich.

Einen moralischen Schlussstrich kann und darf es nicht geben.

Nur wenn wir das einsehen, kann es den Weg aus einer dunklen Vergangenheit in eine helle Zukunft geben.