Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 03.04.1999

Anrede: Meine Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/37/11737/multi.htm


VORS. GERTLER eröffnet die Pressekonferenz und begrüßt BK SCHRÖDER, BM FISCHER und BM SCHARPING.

BK SCHRÖDER: wir haben uns auf der Hardthöhe getroffen, um uns über die Situation im Kosovo und in den Anrainerstaaten informieren zu lassen.

Es hat einen umfassenden Lagebericht durch die Mitarbeiter des Bundesverteidigungsministers gegeben. Wir haben leider feststellen müssen, daß die Situation im Kosovo sich weiter dramatisch verschärft. Die Deportationen der Menschen dort nehmen zu. Wir halten es für nicht mehr angemessen, von Flüchtlingselend und Flüchtlingen zu sprechen, sondern hier geht es um planmäßig vorbereitete Deportationen, wo Menschen lediglich die Alternative haben, sich vertreiben zu lassen oder aber Schlimmeres erleiden zu müssen.

Angesichts dessen sind die politischen Ziele, die die NATO hat und die Deutschland in der NATO hat, nach wie vor die gleichen. Wir wollen das Morden im Kosovo beenden, und wir wollen das unermeßliche Elend der Menschen, die dort deportiert werden, beenden. Ich denke, das ist die westliche Staatengemeinschaft sich selbst und den Menschen im Kosovo schuldig.

Daneben wird immer deutlicher, daß wir nicht nur die politischen und bis auf weiteres militärischen Voraussetzungen schaffen müssen, damit die Flüchtlinge zurückkehren können, damit die Menschen, die man vertrieben hat, zurückkehren können, sondern wir müssen in der Zeit, in der das nicht möglich ist, auch dafür sorgen, daß die Vertriebenen humanitäre Hilfe erfahren. Insbesondere die Situation in den Anrainerstaaten Mazedonien und Albanien spitzt sich gefährlich zu. Das ist übrigens Teil des Milosevic-Plans, denn er hat vor, die gesamte Region zu destabilisieren. Insofern ist das Teil seines von langer Hand vorbereiteten politischen Plans.

Aber wie auch immer: Wir haben jetzt die Aufgabe, für die betroffenen Menschen unmittelbar Hilfe anlaufen zu lassen. Der Bundesverteidigungsminister ist schon seit geraumer Zeit mit Hilfsmaßnahmen tätig geworden. Ab jetzt gibt es täglich mindestens sechs Bundeswehrflüge nach Skopje mit Lebensmitteln, mit Medikamenten, mit Decken und mit Zeltmaterial. Bisher sind es bereits über 100 Tonnen Hilfsmittel, die wir geliefert haben.

Wir werden bis heute abend Zelte für 10 000 der Vertriebenen geliefert haben und daneben sanitäre Einrichtungen, Wasseraufbereitungsanlagen, aber auch medizinische Versorgungsein-richtungen mit einem mobilen Ärztehaus mit bis zu 40 Betten. Wir werden auch Ärzte insbesondere nach Mazedonien schicken, um eine gesundheitliche Betreuung der Menschen dort sicherzustellen.

Der dritte Punkt, zu dem ich etwas sagen sollte, betrifft die politischen Aspekte. Es ist nach wie vor so, meine Damen und Herren, daß es eine politische Möglichkeit gibt, das Morden dort zu beenden. Das liegt allein in der Hand von Milosevic. Was wir im Interesse der Menschen, um die es uns geht, einfordern müssen, ist eine überprüfbare Einstellung der Kampfhandlungen und des Mordens im Kosovo, zweitens einen überprüfbaren Rückzug aller jugoslawischen militärischen und Sondereinheiten und besonders der berüchtigten Sicherheitskräfte sowie der paramilitärischen und irregulären Einheiten, die es im Kosovo gibt und die für den dort ablaufenden Völkermord verantwortlich sind, und drittens eine Stationierung internationaler Sicherheitskräfte, damit Flüchtlinge auch wirklich ohne Furcht vor weiteren Repressalien und vor weiteren Menschenrechtsverletzungen, ohne Furcht vor Leid und Tod zurückkehren können.

Wenn diese Forderungen erfüllt werden - aber auch nur dann, wenn diese Forderungen erfüllt werden - , kann man von einem Signal für eine politische Lösung reden. Unterhalb dessen ist die NATO bereit und in der Lage, zur Verhinderung der Katastrophe, die es dort unten gibt, zur Verhinderung des Völkermordes ihre militärischen Aktionen fortzuführen und, wo immer nötig, auch zu verschärfen.

Das ist das Ergebnis dessen, was wir heute haben zur Kenntnis nehmen müssen, aber auch dessen, was angelaufen ist.

Vielleicht noch einen Satz zu der Frage der Aufnahme der Deportierten: Ich habe mit dem mazedonischen Präsidenten Gligorov eben telefoniert und habe ihm auch gesagt, daß eine der mazedonischen Forderungen - aber nicht nur der mazedonischen Forderungen - , die dahin geht, daß sich auch andere Staaten an der Aufnahme der deportierten Menschen beteiligen, sicher berechtigt ist. Wir werden deswegen auf der Ebene der EU und vor allen Dingen auf dieser Ebene dafür sorgen, daß es auch den EU-Staaten angeraten wird, angemessene Kontingente von Flüchtlingen auf Zeit aufzunehmen, weil wir natürlich deren Rückkehr wollen und wollen müssen. Das ist Teil der politischen Ziele, die wir verfolgen.

Aber ich denke, daß zur Solidarität auch gehört, die Anrainerstaaten mit der Last der Aufnahme nicht allein zu lassen. Wir können das selbstverständlich nur auf europäischer Ebene machen. Aber ebenso selbstverständlich ist es, daß Deutschland sich an der Aufnahme angemessen beteiligen wird. Wir erwarten das allerdings auch von unseren Partnern in der EU. Auch insoweit muß es eine faire Lastenverteilung geben. Wir werden noch über Ostern dafür sorgen, daß die Diskussionen um diese Frage und die entsprechenden Entscheidungen beginnen. Das ist das, was ich Ihnen sagen wollte.