Redner(in): Julian Nida-Rümelin
Datum: 01.06.2001

Untertitel: In seiner Rede auf der 57. Jahrestagung des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen am 1. Juni 2001 in Köln befasst sich Staatsminister Julian Nida-Rümelin mit dem Thema: "Auf dem Weg zur Bürgergesellschaft - Die Rolle der Stiftungen"
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/15/49815/multi.htm


überarbeitete Fassung eines frei gehaltenen Vortrages )

ich denke, dass die Thematik, die bei Ihren Beratungen im Mittelpunkt steht - Bürgergesellschaft und die Rolle der Stiftungen - , in einen größeren Zusammenhang gehört. Ich möchte diesen Zusammenhang heute in groben Linien skizzieren. Wenn ich dabei nicht ganz verleugnen kann, dass ich ja nicht immer den Beruf gehabt habe, den ich gegenwärtig ausübe, so bitte ich dafür um Nachsicht. Aber ich denke, der eine oder andere philosophische Gedanke schadet in diesem Zusammenhang nicht.

In letzter Zeit ist viel die Rede von "Bürgergesellschaft","Zivilgesellschaft", der Vitalisierung des bürgerschaftlichen Engagements. Manche Beobachter haben den Eindruck, das diene in erster Linie dazu, den Staat zu entlasten, und das sei der eigentliche Hintergrund der Debatte. Nun will ich überhaupt nicht leugnen, dass dies eine gewisse Rolle spielt. Der Staat hat sich in seinen Aufgaben teilweise übernommen. Er muss diese Aufgaben auch wohlüberlegt und zielgerichtet an einigen Stellen zurückfahren. Wer die Steuereinnahmen absenkt - das ist allgemeiner politischer Wille und erfolgt zum Beispiel durch Steuerentlastungen - , muss auch Aufgaben zurückfahren. Aber man würde zu kurz springen, wenn man die Frage der Aufgaben des Staates und deren möglicher oder notwendiger Reduktion zum Ausgangspunkt der Debatte über die Bürgergesellschaft machen würde. Deswegen möchte ich ein wenig ausholen.

Die Diskussion um die Bürgergesellschaft ist keineswegs erst einige Jahre alt. Wieder aufgenommen und mit Intensität geführt wurde sie interessanterweise gerade infolge der Veränderungen östlich von Deutschland, die Mitte der 80er Jahre begannen und zum Einschnitt in den Jahren 1989/90 führten. Aber die Debatte hat eine lange Tradition, und wir sollten den größeren historischen Rahmen sehen. Ich möchte versuchen, diesen Rahmen in knapper und sicher auch vereinfachender Form darzustellen. Ich glaube, es gibt im Wesentlichen zwei Grundmodelle einer Gesellschaft der Bürgerinnen und Bürger.

Das eine Modell datiert auf die Antike. Es ist das Polis-Ideal, das sicher in dieser Form nirgends realisiert war, aber unser Denken nach wie vor stark beeinflusst - zum Teil durch die Schriften von Aristoteles, Platon und vielen anderen, zum Teil durch die Faszination, die die griechische Klassik bis heute auf uns ausübt. Viele zeitgenössische Vorschläge sind von diesem Geist beseelt - ich denke dabei zum Beispiel an Benjamin Baber, der von "strong democracy" spricht. Ein anderer wichtiger neuzeitlicher Denker, der nun schon einige Jahrhunderte zurückliegt, aber auch heute noch das Denken stark prägt, nämlich Jean Jacques Rousseau, ist ebenfalls deutlich erkennbar von diesem antiken Polis-Ideal beeinflusst.

Was macht dieses antike Ideal aus? Die Idee besteht darin, dass es eine Gemeinschaft der Bürgerinnen und Bürger gibt, die zusammengehalten wird durch einheitliche Wertorientierungen - auch durch einheitliche religiöse Orientierungen, man kann hier durchaus von "Ziviltheologie" sprechen - , und die im Großen und Ganzen so verfasst ist, wie eine funktionierende, von Respekt geprägte großfamiliäre Gemeinschaft. Ich sage das mit einigem Vorbehalt, weil es leicht Missverständnisse auslösen kann. Die kulturellen Gemeinsamkeiten, die Gemeinsamkeiten der Herkunft, der Wertorientierung, bilden den Kern des Zusammenhalts der Bürgerschaft nach diesem Verständnis.

Dazu gibt es ein Gegenmodell. Das Gegenmodell könnte man verbinden mit dem Namen Thomas Hobbes' . Es ist bis heute mindestens ebenso wirkungsmächtig in unserem Denken wie das Polis-Modell. Dieses Gegenmodell besagt: Verlasst Euch nicht auf solche Gemeinsamkeiten. In der größeren Gesellschaft jedenfalls, die die Moderne ja im Gegensatz zum antiken Ideal der relativ autarken Stadtgesellschaft ausmacht, bedarf es lediglich bestimmter Vorkehrungen, die sicherstellen, dass die Konflikte zwischen Gruppen und zwischen Einzelpersonen nicht zum Bürgerkrieg eskalieren. Der Staat muss Gesetze erlassen, diese sanktionieren, notfalls auch mit Gewalt durchsetzen, um so jeden Einzelnen daran zu hindern, seine Interessen mit Mitteln zu verfolgen, die am Ende von allen praktiziert das Gemeinwesen zu Grunde richten. Der Staat soll sich aus Sicht des Hobbesianischen Modells zurückhalten. Er ist wertneutral. Der Staat ist kompatibel mit einer Vielfalt von Lebensformen. Der Staat mischt sich nicht ein in diese Lebensformen. Er schreibt nicht vor, wie man zu leben oder nicht zu leben hat. Der Staat ist in diesem Sinne neutral und distanziert.

Ich glaube, dass beide Modelle - trotz aller Faszination, die von ihnen ausgeht - unzureichend sind. Aber man muss wesentliche Elemente beider Modelle ernst nehmen, wenn man zu einer angemessenen Konzeption einer modernen Gesellschaft der Bürgerinnen und Bürger gelangen will. Um an diesem Punkt begriffliche Klarheit zu bekommen, habe ich vorgeschlagen, den Begriff der Kooperation in den Mittelpunkt des Verständnisses einer Bürgergesellschaft zu rücken. Wer sich dafür interessiert - ich mache mal ausnahmsweise Eigenwerbung - , kann das ausführlicher nachlesen in dem Suhrkamp-Band "Demokratie als Kooperation". Bürgergesellschaft ( oder Zivilgesellschaft oder genuine Staatsbürgerschaft im Sinne von citizenship ) sind dadurch geprägt, dass die einzelnen Bürgerinnen und Bürger Teile eines Netzwerkes der Kooperation sind. Damit dieses Netzwerk der Kooperation nicht reißt, ist es erforderlich, dass der Staat Institutionen bereitstellt und die Konformität mit diesen Institutionen sanktioniert. Ich verwende den Institutionenbegriff hier sehr weitgehend, also unter Einschluss von Gesetzen etc. Diese staatlich sanktionierten Institutionen wären aber viel zu schwach, um dieses notwendige, reichhaltige, dicht geknüpfte Netz der Kooperation alleine zu tragen. Was hinzutreten muss, sind normative Übereinstimmungen, d. h. Übereinstimmungen der Bürgerinnen und Bürger zum Beispiel darüber, was die Aufgaben des Staates sind, oder zu was man verpflichtet ist.

Artikel 1 - 19 unseres Grundgesetzes - der vermutlich freiheitlichsten Verfassung der Welt, auch unter dem Schock der Erfahrungen des Krieges und des Nationalsozialismus entstanden - hat allerdings eine Schieflage, es ist nämlich dort nur von Rechten und kaum von Pflichten die Rede. Und ohne Pflichten lässt sich eine Bürgergesellschaft nicht organisieren. Dieses Netzwerk der Kooperation bedarf auch der Verpflichtungsgefühle, der Verpflichtung gegenüber der Gemeinschaft, der Verpflichtung gegenüber all denjenigen, die es mir ermöglichen, ein Leben nach meinen Wertvorstellungen zu gestalten, die mit mir kooperieren und zugleich nicht intervenieren in dem Moment, in dem sie ihre eigenen Interessen tangiert sehen. Rücksichtnahme, Empathie, Großzügigkeit sind die entscheidenden Begriffe. Mit anderen Worten: Eine Vertrauenskultur ist unverzichtbar für eine genuine Bürgergesellschaft. Damit grenzt sich nach diesem Verständnis die Bürgergesellschaft ab von zwei anderen Grundmodellen, in der Menschen miteinander in einer Gesellschaft umgehen oder interagieren.

Das ist nämlich auf der einen Seite der reine Markt, der lehrbuchmäßig verstandene Markt, in dem die Menschen sich gegenübertreten als Nachfrager oder Anbieter, als Verkäufer und Käufer, als Wirtschaftssubjekte. Kooperation schadet dem Markt. Deswegen gibt es ein Kartellrecht, ein Kartellgesetz und ein Kartellamt. Kooperation ist auf dem Markt nicht vorgesehen. Der ideale Markt kennt keine Kooperation, er kennt nur den je individuellen Austausch, die Begegnung von Angebot und Nachfrage. Und das andere Modell, zu dem sich die Bürgergesellschaft abgrenzt, ist der auf Weisung, auf Loyalität beruhende Staat mit einer hierarchischen Organisation, die notwendig ist, damit der politische Wille auch am Ende umgesetzt wird in die konkrete Praxis.

Wenn man diese zwei Idealmodelle jetzt der genuinen Bürgergesellschaft entgegensetzt, so liegt auf der Hand, dass ein modernes Konzept von Bürgergesellschaft integrativ sein muss. Es kann sich nicht in einen Gegensatz zum Markt stellen, sondern muss mit dem Markt kompatibel sein, sogar den Markt im Wesentlichen mitgestalten. Auf der anderen Seite muss die Bürgergesellschaft mit dem Staat kooperieren. Ein modernes Konzept von Bürgergesellschaft steht gewissermaßen im Zentrum und zivilisiert sowohl den Markt wie den Staat - ich verwende diesen Begriff jetzt ganz bewusst im Wortsinne: Civis ist der Bürger.

Im Rückblick ist es ganz interessant zu sehen, wie Sozial- und Kulturpolitik in der Antike ihre Wurzeln haben. In einigen Poleis, in einigen Stadtstaaten also des klassischen Griechenland, hatte es sich eingebürgert, dass die wohlhabenderen Bürger für Phasen der Not, insbesondere Zeiten der Missernte, dafür sorgen, dass die Getreidespeicher gefüllt sind. Die Getreidespende war eine moralische Pflicht, keine gesetzliche. Und jetzt kommt das aus der Sicht eines Kulturpolitikers besonders Interessante: Es gab noch eine zweite Art von Spende, die genauso essenziell erschien, nämlich die Chorspende - was täte eine Polis ohne den Tragödienchor. Wie fast zu erwarten, hat diese moralische Pflicht gerade in den größeren Poleis nicht ausgereicht, weil sich manche derjenigen, die es sich eigentlich leisten konnten, ihrer moralischen Pflicht entzogen haben. Und daraufhin gab es Gesetze. Das ist eigentlich der Beginn des Sozialstaates und des Kulturstaates, wenn man so will, der Beginn der Kulturstaatstradition.

In manchen Regionen der Welt hat heute diese Verstaatlichung moralischer Pflichten - so will ich das mal nennen - so stark überhand genommen, dass die Verantwortung für eine sozial- und kulturellgedeihliche Entwicklung des Gemeinwesens primär als eine staatliche Verantwortung wahrgenommen wird. Das hat zur Folge, dass das individuelle Engagement, das bürgerschaftliche Engagement stark in den Hintergrund tritt.

Wir haben in Deutschland dieses Missverhältnis zwischen Etatismus auf der einen Seite und bürgerschaftlichem Engagement auf der anderen Seite. Wir haben ein Missverhältnis trotz der großen Anstrengungen, die gerade der Bundesverband Deutscher Stiftungen unternommen hat, und trotz der Verbesserungen im Stiftungssteuerrecht, die die Bundesregierung durchgesetzt hat, und die jetzt auch ganz offensichtlich zu einem starken Zuwachs bei der Neugründung von Stiftungen geführt haben.

Ich möchte das skizzierte Missverhältnis für den Bereich der Kunst und Kultur beziffern. Je nachdem, wie man die Abgrenzungen genau zieht, kommen wir auf Steuermittel für die Kultur - von Bund, Länder und Gemeinden zusammen - in Höhe von gut 15 Milliarden Mark. Wir haben eine private Unterstützung - ich zähle jetzt zusammen Sponsoring und Mäzenatentum, obwohl das systematisch gesehen zu trennen wäre - in Höhe von rund einer Milliarde. Das heißt, wir haben ein Verhältnis von 1 zu 15. In anderen Regionen der Welt ist dieses Verhältnis ganz anders.

Wir müssen schauen, dass sich dieses Missverhältnis in Deutschland ändert, und zwar nicht dadurch, dass der Staat sich zurücknimmt, sondern dadurch, dass sich das bürgerschaftliche Engagement in der Kultur erweitert. Ich bitte, das nicht misszuverstehen: Es geht mir nicht um Kritik an Stiftern und Stiftungen, sondern um eine Aufforderung an die Gesellschaft.

Auch nach den Erfahrungen, die ich in München gesammelt habe, bin ich zuversichtlich, dass wir hier ein Potenzial haben.

Die Rahmenbedingungen für dieses Potenzial sind nicht so schlecht, wie es manchmal heißt. Dennoch sollten wir weiter daran arbeiten, diese Rahmenbedingungen so günstig wie nur möglich zu gestalten. Dazu gehört auch, dass ganz konkrete Projekte angeboten werden, Projekte, die faszinierend sind, und die sich auch zur Kooperation zwischen staatlichem und bürgerschaftlichen Engagement eignen.

Es mag in diesem Zusammenhang helfen, daran zu erinnern - ohne jede Nostalgie - , dass das 19. Jahrhundert in Deutschland eine Blütephase des Stiftungswesens erlebt hat, die seit dem nicht wiedergekehrt ist. Das deutsche Stiftungswesen ist durch zwei Kriege und durch zwei totalitäre Bewegungen nahezu zerstört worden und musste mühselig wieder aufgebaut werden. Ein Beispiel: Ich habe vor kurzem die Frankeschen Stiftungen in Halle besucht. Die Leistung der Franckeschen Stiftungen ist faszinierend. Und doch ist es auf der anderen Seite ein Trauerspiel, dass es diese Stiftungen im ursprünglichen Sinne nicht mehr gibt, dass sie im Grunde verstaatlicht sind - so beeindruckend die Arbeit ist, die dort geleistet wird.

Um eine Zahl zu nennen: Es gab um 1900 in Deutschland rund 100.000 Stiftungen. Heute haben wir - nicht zuletzt Dank des Engagements des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen - wieder 10.000. Ein Zehntel.

Ich möchte vor diesem Hintergrund abschließend drei Thesen entfalten. Erstens: Wir müssen die öffentliche Debatte über die Rolle der Stiftungen fortsetzen und intensivieren. Derzeit haben wir in Deutschland bereits eine Art Stiftungsoffensive. Die Bundesregierung hat mit der Reform des Stiftungssteuerrechts einen Schub ausgelöst, die Verbesserungen zeigen die intendierte Wirkung. Wichtiger noch als die steuerlichen Verbesserungen ist aber nach meiner Auffassung, dass wir weiter öffentlich über das Stiftungswesen debattieren. Wir brauchen eine neue Sensibilität und eine neue Aufmerksamkeit für diesen Bereich, unabhängig von Diskussionen über Einzelheiten weiterer Reformschritte.

Meine Erfahrung aus vielen persönlichen Gesprächen ist: Es besteht immer noch eine gewisse Ratlosigkeit, wenn man darauf hinweist, dass es doch Möglichkeiten gibt, sich zu engagieren, einen Teil des erworbenen Vermögens dem Gemeinwesen und der Kultur zur Verfügung zu stellen. Um dieser Ratlosigkeit entgegentreten zu können, brauchen wir die mehr öffentliche Aufmerksamkeit für Stiftungen.

Zweite These: Wir brauchen eine weitere Stärkung des Stiftungswesens durch eine Verbesserung der zivilrechtlichen Rahmenbedingungen. Ich kann an dieser Stelle nicht auf alle Details dieser Reform eingehen. Einzelheiten des zivilrechtlichen Teils der Stiftungsrechtsreform werden gegenwärtig in einer Arbeitsgruppe zwischen Bund und Ländern beraten, im Herbst wird sie ihren Bericht vorlegen. Ich möchte aber einige der wichtigsten Punkte ansprechen.

Mir scheint es angemessen - auch aus Gründen des Respekts - zu sagen: Es gibt ein Recht auf Gründung einer Stiftung. Daher halte ich es für sinnvoll, vom Genehmigungs- zu einem Anerkennungsverfahren überzugehen. Die zweite Frage ist, inwieweit die Gründungsvoraussetzungen in Deutschland vereinheitlicht werden sollten. Diese Voraussetzungen sind in den Bundesländern unterschiedlich, nicht extrem, aber immerhin unterschiedlich. Wir sollten genau prüfen, ob hier nicht eine Vereinheitlichung sinnvoll wäre. Das Dritte ist die Stärkung der Stifterautonomie. Ein Stifter hat Möglichkeiten, aber diese Möglichkeiten lassen sich verbessern. Wir sollten zum Beispiel die Zulässigkeit von Verbrauchsstiftungen und von Stiftungen auf Zeit diskutieren. Und schließlich geht es um einen - wie wir das einmal genannt haben - "Service aus einer Hand", der darin besteht, dass die Stiftungsbehörde sowohl über die Anerkennung der Stiftungen als auch über die Anerkennung der Gemeinnützigkeit entscheidet. Über diese und weitere Verfahrensvereinfachungen sind wir im Gespräch mit dem federführenden Justizministerium und liegen, wenn ich das recht sehe, auch mit dem Bundesverband Deutscher Stiftungen ganz auf einer Linie.

Die Fraktion die SPD im Bundestag hat kürzlich angekündigt, dass sie in näherer Zukunft einen Entwurf zur Reform des zivilen Stiftungsrechts vorlegen wird. Die Arbeitsergebnisse der Bund-Länder-Arbeitsgruppe werden in diesen Entwurf mit eingehen.

Mit der dritten These bin ich wieder mehr beim Grundsätzlichen: Obwohl ich gerade vom 19. Jahrhundert geschwärmt habe, dürfen wir ein Zurück zu diesen Zuständen nicht wirklich wollen. Es wird auch gar nicht möglich sein, ein solches Zurück zu organisieren. Dennoch warne ich ein wenig vor einer zu positiven, zu idyllischen Betrachtung des damaligen Zustandes. Das Stiftungsengagement ist faszinierend im Rückblick, ich sage das ohne jede Schmälerung. Aber die gemeinsame Verantwortung für die kulturelle Entwicklung des Landes muss durch die konkrete Praxis der Kommunen, der Länder und des Bundes ein öffentlich-politisches Gesicht behalten.

Ein Zurückfahren zum Beispiel der kommunalen Möglichkeiten in der Kulturpolitik in der Hoffnung, dass wir dann schon eine ähnliche Entwicklung wie im 19. Jahrhundert auslösen würden, wäre gefährlich. Kulturelle Einrichtungen würden dann ganz schnell in eine Notlage kommen. Umgedreht wird ein Schuh daraus: Die kommunale Ebene der Kulturförderung ist die Nahtstelle zwischen Zivilgesellschaft und Staat. In der Kommune wird gestaltet, dort werden die konkreten Projekte im Einzelnen organisiert. Der Bund sollte nicht versuchen, damit zu konkurrieren. Er bestimmt vor allem die Rahmenbedingungen der kulturellen Entwicklung in Deutschland, aber nicht die einzelnen Umsetzungsschritte.

Und wenn ich nun sehe, dass in den Kommunen auf Grund zahlreicher finanzieller Restriktionen das Engagement deutlich zurückgeht, einzelne Theater in den mittelgroßen Städten in einer echten Notlage sind, dann müssen wir aufpassen, dass uns damit nicht ein wesentliches Fundament des Kulturstaates wegbricht. Ich erhoffe mir, besonders für die Kommunen, aber auch für den Bund, dass wir diese Problematik kooperativ angehen. Es geht einerseits um die Stärkung der Kommunen gerade in der Kulturpolitik. Ich könnte mir zusätzliche Pflichtaufgaben der Kommunen im Bereich der Kultur sehr gut vorstellen - da ist jetzt eine Debatte ausgelöst, die ich für wichtig halte. Aber diese Debatte ändert zunächst nichts an den finanziellen Restriktionen. Auch angesichts dieses Umstandes geht es auf der anderen Seite darum, durch bürgerschaftliches Engagement Einrichtungen zu stützen. Man könnte viele Beispiele nennen, wie das konkret möglich ist.

Der Staat erbringt Vorleistungen, erstellt Grundsicherungen und schafft damit erst die Voraussetzungen dafür, dass die örtliche Bürgerschaft sich engagiert und dazu beiträgt, dass kulturelle Einrichtungen auf Dauer getragen werden. Das betrifft Freundeskreise, das betrifft auch die Umwandlung von staatlichen Einrichtungen in Stiftungen mit privater Beteiligung. Wir haben sehr viel Spielräume, um die Kooperation zwischen Staat und Bürgerschaft stärker voranzutreiben.

Auch die von mir angestrebte Nationalstiftung der Bundesrepublik Deutschland für Kunst und Kultur ist übrigens so angelegt. Sie ist so angelegt, dass wir einen Rahmen schaffen, innerhalb dessen privates Engagement für Kultur möglich ist. Innerhalb dieses Rahmens würde zum Beispiel sichergestellt, dass jede Mark, die von einem Stifter einem bestimmten Projekt zugedacht wird, tatsächlich in dieses Projekt fließt. Realisiert werden kann dies über Fonds, wobei die Verwaltungsausgaben ausschließlich mit Bundesmitteln bestritten werden. Auch das ist ein zusätzlicher Anreiz, abgesehen von der Möglichkeit zur Kooperation.

Die Bürgergesellschaft, so meine dritte These, braucht Initiative und Struktur. Initiative erhält sie in erster Linie von den stiftungsbereiten Bürgerinnen und Bürgern. Initiative geht aber auch aus von Projekten, die faszinieren, die Bürgerinnen und Bürger dazu bringen, eigene Anstrengungen zu unternehmen. Die Bürgergesellschaft braucht Initiative von Seiten des Staates, damit die Rahmenbedingungen so günstig wie nur möglich geschaffen werden, sie braucht Initiative durch Vereinigungen wie Ihre, und sie braucht Struktur. Wir sind dabei, über einzelne Strukturelemente zu sprechen. Ich möchte Ihnen herzlich für Ihr bisheriges Engagement danken, hoffe, dass wir weiter kooperieren und wünsche Ihnen viel Erfolg auf Ihrem Weg. Vielen Dank.