Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 09.06.2001
Untertitel: Ich wünschte mir viele Apotheken dieser Art in Deutschland und auch viele Apotheker, denn das kann uns allen miteinander nur helfen.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/37/44037/multi.htm
Verehrter Herr Dr. Heraeus, liebe Familie Heraeus, verehrte Gesellschafterinnen und Gesellschafter, aber vor allen Dingen liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Firma Heraeus,
es ist ein guter Tag, den 150. Geburtstag zu feiern. Ein solches Jubiläum, 150 Jahre, zu haben, das wünschte ich mir in meinem Amt auch. Aber damit bin ich an einem wichtigen Punkt: Das bekommt man nur über viele Generationen hin. Dynastien wollen wir in Deutschland zwar nicht wieder entwickeln - darunter haben wir genug gelitten - , aber unter einer hat diese Stadt nie gelitten, unter einer Familie, die vor 150 Jahren, wenn ich es richtig weiß, aus einer ganz normalen Apotheke ein wirklich blühendes Unternehmen entwickelt hat. Ich wünschte mir viele Apotheken dieser Art in Deutschland und auch viele Apotheker, denn das kann uns allen miteinander nur helfen.
Was ist der Grund für diese Erfolgsstory? Der Grund ist, dass es immer wieder Leute gegeben hat, die auf der Suche nach Neuem waren, die sich mit dem, was ist, nicht zufrieden gegeben haben. Der Grund ist aber nicht nur, dass es im Laufe dieser langen Zeit Führungen in den Unternehmen gegeben hat, die geschickt waren, vielleicht auch mal Glück gehabt haben, sondern auch, dass Sie da sind und die, die vor Ihnen da waren, denn letztlich kann ein Unternehmen auf Dauer nur erfolgreich sein, wenn es einer guten Führung gelingt, alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu motivieren, sie das tun zu lassen, was jeder kann, und dabei darauf zu achten, dass jeder seine Leistungen und das, was er in der Lage ist zu leisten, erbringt, dass niemand überfordert, aber auch nicht unterfordert wird. Ich glaube, dass das in einem Familienunternehmen wie diesem nicht zuletzt die Grundlage für Erfolg gewesen ist und weiter sein wird. Darauf kann man durchaus stolz sein.
Was in den letzten Jahrzehnten, aber auch in den letzten Jahren begonnen und ins Werk gesetzt worden ist, zeugt von einer doppelten Verantwortung: Einmal hat man die Beschäftigung an diesem Standort nicht abgebaut, sondern, wenn auch in bescheidenem Ausmaß, wie die Geschäftstätigkeit das zulässt, aufgebaut. Aber das ist es nicht alleine, sondern hinzu gekommen - sicher sind sehr viele aus Bitterfeld hier - ist ein Investment in Bitterfeld, das den Menschen dort Arbeit gebracht hat, aber das auch Ausdruck von Zusammengehörigkeitsgefühl und Verantwortung füreinander in Deutschland gewesen ist.
Wenn ich höre, dass das Unternehmen seine Investitionen hier wie dort ausbauen und nicht zurücknehmen wird, dann ist das ein gutes Signal an einem Geburtstag wie diesem, denn Sicherheit für die Menschen, die arbeiten, ist allemal ein Gut, um das wir uns gemeinsam bemühen wollen und bemühen müssen. Dieses Unternehmen zeigt, dass das möglich ist, und Sie zeigen jeden Tag durch Ihre Arbeit, dass letztlich Sie es ermöglichen.
Ich finde es auch gut, dass hier ausgebildet wird. Das ist bedauerlicherweise in Deutschland keine Selbstverständlichkeit mehr, jedenfalls nicht überall. Hier betrachtet man es als Selbstverständlichkeit, übrigens eine Selbstverständlichkeit, die dem Unternehmen ebenso nutzt wie unserer gesamten Gesellschaft. Es macht doch keinen Sinn, sich über junge Leute, die dem Suff verfallen oder sich Glatzen schneiden lassen, allein zu erregen, sich über die zu erregen, die aus der Gesellschaft aussteigen wollen, wenn wir es nicht schaffen, ihnen einen Einstieg in die Gesellschaft zu geben. Das läuft nun einmal über Ausbildung und Arbeit. Deswegen ist es so wichtig, dass man sich das hier auf die Fahnen schreibt. Es ist aber auch wichtig für die Zukunft von Unternehmen selbst.
All denen, die zögerlicher sind, was Ausbildungsplätze für junge Leute angeht, muss man sagen: Ihr sägt doch den Ast ab, auf dem ihr sitzt. Die Kraft dieser Volkswirtschaft kommt gewiss auch aus einer guten Infrastruktur, aus verfügbarem Kapital, auch aus vernünftigen politischen Rahmenbedingungen, aber das ist doch nicht das Wesentliche. Die Kraft dieser Volkswirtschaft kommt aus gut ausgebildeten Menschen. Wenn und wo wir besser sind als andere in der Welt, sind wir es deshalb, weil unsere Berufsausbildung besser ist und unsere Universitäten und Fachhochschulen zwar besser werden könnten, aber immer noch jeden Vergleich aushalten. Dies zu erhalten, Ausbildung, Bildung und Weiterbildung also in den Mittelpunkt unserer gemeinsamen Arbeit zu stellen, das ist für den Zusammenhalt unserer Gemeinschaft, aber auch für jedes Unternehmen gleichermaßen wichtig.
Wir werden als Bundesregierung dafür sorgen, dass bei allen Sparnotwendigkeiten - mein eiserner Hans kommt ja nicht weit entfernt von hier - jedenfalls in Forschung und Entwicklung, in Bildung und Ausbildung nicht weniger, sondern mehr investiert wird. Das müssen wir leisten im Interesse der Zukunft unserer Gesellschaft, im Interesse unserer Kinder und deren Kinder, und das werden wir auch leisten.
Ich will Sie, meine Damen und Herren, liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieses Unternehmens, nicht zu lange vom Feiern abhalten, nicht, weil ich mitfeiern will - das wird mir immer fälschlicherweise nachgesagt - , sondern weil Sie feiern sollen. Ich will aber gerne noch eine Bemerkung machen, die sich mit Fragen beschäftigt, die uns jetzt alle unheimlich interessieren, nämlich: Wie schaffen wir es, die Forschung und Entwicklung in Deutschland so einzurichten, dass unsere jungen Leute, die etwas leisten wollen, die von den Universitäten kommen, nicht ins Ausland gehen, sondern hier in Deutschland bleiben?
Wir entwickeln uns zu einer Wirtschaftsgesellschaft, die immer mehr auf Wissen basiert. Sie wissen am besten, dass das so sein wird. Also ist der Rohstoff, den wir brauchen, sicher auch jene Edelmetalle, mit denen Sie hier Handel treiben, aber noch wichtiger ist der Rohstoff in den Köpfen unserer Menschen. Diesen Rohstoff müssen wir nutzen.
Wir haben gegenwärtig eine Diskussion über die Frage, die gar nicht so sehr Sie betrifft - vielleicht früher auch einmal betroffen hat - , sondern diejenigen betrifft, die in den neuen biomedizinischen Technologien, in der Biotechnologie forschen und arbeiten. Ich bin weit davon entfernt, diejenigen, die da Ängste haben, die auf ethische Grundnotwendigkeiten hinweisen, nicht zu verstehen oder nicht zu respektieren. Aber weil ich nicht nur Entscheidungen treffe, die für mich alleine gelten, sondern für Sie alle, muss ich im Interesse der gesamten Gesellschaft zwar darauf achten, dass ethische Grundsätze hoch gehalten werden, aber dass Entwicklungen, auf die wir alle angewiesen sind, beispielsweise die Möglichkeit, Krankheiten zu heilen und dabei vorne zu sein, in Konkurrenz zu anderen bei uns auch möglich sind.
Was wir in der nächsten Zeit also schaffen müssen und schaffen werden, ist - das ist es, was ein solches Unternehmen groß gemacht hat - , Verantwortung für das, was wir tun, zu verspüren, aber auch nicht außer Acht zu lassen, dass wir Verantwortung haben für das, was wir nicht tun, denn dies könnten uns spätere Generationen vorwerfen, wenn wir da nicht aufpassen.
Ich wünsche Ihnen und diesem Unternehmen, dass das Geschäft in den nächsten Jahren und Jahrzehnten genauso gut läuft, wie es bisher gelaufen ist. Beim nächsten Jubiläum, vielleicht dem 200. - ich bin dann nicht mehr im Amt und Herr Dr. Heraeus nur noch als der oberste Aufseher - , sehen wir uns wieder und trinken dann nicht ein Glas Wein oder Bier, sondern vielleicht ein Glas Milch.
Ich jedenfalls freue mich, dass es dem Unternehmen gut geht, denn wenn es dem Unternehmen gut geht, geht es den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gut und dann hat die Stadt auch etwas davon, Hanau wie Bitterfeld. Ich hoffe, dass das noch lange, lange Jahre so weitergeht. Ihnen allen und jedem Einzelnen sowie Ihren Familien wünsche ich alles, alles Gute und heute einen fröhlichen Abend. Wenn ich gleich wieder nach Hause muss, nehme ich den Regen mit. Das verspreche ich Ihnen.
Jetzt hätte ich fast den Satz vergessen, mit dem ich enden sollte und wollte: Und jetzt hol mir mal einer 'ne Flasche Bier!