Redner(in): Julian Nida-Rümelin
Datum: 20.06.2001
Untertitel: Das Taut-Stipendium soll dazu beitragen, Kulturpolitik und Architektur in ein engeres Verhältnis zu bringen.
Anrede: Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/53/60353/multi.htm
leicht überarbeitete Fassung eines frei gehaltenen Vortrages]
anlässlich dieser ersten Verleihung des Taut-Stipendiums möchte ich zu der Thematik Baukultur und Architektur einige Bemerkungen aus einer durchaus recht persönlichen Perspektive machen. Bitte sehen Sie es mir nach, wenn diese Überlegungen zu persönlich - das heißt: doch zu stark von meiner Herkunft als Philosoph - geprägt sein sollten.
Es gibt eine interessante Verbindung. Und diese Verbindung hat etwas mit einem der Namensgeber dieses Stipendiums zu tun. Bruno Taut war 1919 als Leiter des Bayerischen Bauwesens in die Bayerische Räteregierung berufen worden. Ein von mir sehr geschätzter Philosoph, Otto Neurath, war in derselben Regierung zuständig für die Sozialisierung der bayerischen Wirtschaft. Sie sind nicht sehr weit voran gekommen, denn bevor sie ihr Amt antreten konnten, wurde die Regierung gestürzt. Ich lasse offen, ob man das bedauern oder begrüßen soll. Jedenfalls gibt es eine Nähe zwischen der von Neurath maßgeblich mitgeprägten Philosophie des Wiener Kreises - aus der sich die analytische Philosophie entwickelt hat - und führenden Architekturbewegungen im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts: Bauhaus, aber auch Max und Bruno Taut. Stichwortartig kann man die inhaltliche Schnittmenge so charakterisieren: soziales Bewusstsein von Architektur, unprätentiöse Formen, bürgerschaftliche Verantwortung und eine Verbindung von Ästhetik und Ethik.
Ein zentraler Kopf dieser neuen Art von Philosophie, Ludwig Wittgenstein, war ja ein Ästhetiker. Er hat sich selber sogar als Architekt versucht, mit durchaus, wie ich finde, interessantem Ergebnis - wenn auch verständlicherweise die Zunft der Architekten sagt: "Man merkt deutlich, er war ein Laie". Wittgenstein war ein Philosoph, der eine besondere Sensibilität für die Kunstentwicklung hatte und zur gleichen Zeit sinngemäß sagte: "Lasst uns als Philosophen nicht darüber reden, denn die Kunst eignet sich nicht für klare Sätze." Und ebenso: Was wir als ethische Verantwortung empfinden, eigne sich nicht für die Wissenschaft. Das habe andere Wurzeln, Wurzeln in der Lebensform, in der Existenz. Und das, was dann in der Regel in einer Form von Pseudorationalisierung als Auseinandersetzung mit ästhetischen und ethischen Fragen komme, sei unbefriedigend. Ich stimme Wittgenstein da nicht vollständig zu, wie Sie sich denken können, aber ich bin der Auffassung, dass dahinter eine sehr richtige Beobachtung steht, die Beobachtung nämlich, dass sich die ästhetische wie die ethische Dimension nur zu einem kleinen Teil für die sprachliche Darstellung, den Diskurs und die diskursive Klärung eignen.
Der Zusammenhang von Ästhetik und Lebensform zieht sich auch durch die Architekturdiskussion der Gegenwart. Ich denke hier vor allem an die einflussreiche, faszinierend zu lesende und oft imitierte Zivilisations- , Architektur- und Stadtplanungskritik Richard Sennetts. Wenn man sich die zentralen Thesen Sennetts vor Augen führt, wird deutlich, dass dort eine antimodernistische Melodie angeschlagen wird - auf beeindruckend hohem intellektuellem Niveau, vor dem Hintergrund immenser historischer Kenntnisse, aber eben doch antimodernistisch. Man hört diese Melodie in einfacherer Form auch, wenn es zu begründen gilt, warum auf dem Berliner Schlossplatz nur eine 1: 1-Rekonstruktion des Schlosses in Frage komme."Man schaue sich doch Berlin an, in welcher Verfassung Berlin unterdessen ist, angesichts des Wütens der zeitgenössischen Architektur." Ich teile diese Perspektive nicht. Ich weiß, es gibt viele Bausünden, auch in der jüngsten Architektur. Aber dieser Ansatz, der sich da durchhält, und der in einer wirklich sehr fesselnden Form bei Richard Sennett seinen Ausdruck findet, dieser Ansatz geht, wie mir scheint, nicht in die richtige Richtung. Ich will einige Motive hier kurz herausgreifen.
Die zentrale These Sennetts besagt, dass der desolate Zustand der modernen Architektur und Stadtgestaltung auch damit zusammenhänge, dass wir Probleme mit dem menschlichen Körper hätten, dass das moderne Bauen von einem Fluch verfolgt würde, der Ausdruck einer umfassenden Verarmung der Sinne sei. Körperempfindungen, so Sennett, werden in den modernen Lebensformen zurückgedrängt, und parallel dazu verarmt der Raum sinnlich als Resultat einer nachlassenden menschlichen Anteilnahme. Und die Frage, die sich dann stellt, ist: Was muss geschehen, dass man den Körper wieder sinnlicher und moralisch empfindsamer macht, damit die räumlichen Beziehungen der Körper zueinander wieder intimer werden, dass die Tendenz der Zivilisationsentwicklung nicht mehr in die Richtung der Ruhigstellung von Körpern geht, dass wir wieder Sinn für die taktile Realität gewinnen, dass der Raum nicht bloßes Medium der Fortbewegung ist und sonst nichts, dass der Wunsch, den menschlichen Körper von Widerständen zu befreien, nicht mehr im Mittelpunkt steht. Das sind jetzt nicht wörtliche Zitate, aber doch Zusammenfassungen der zentralen Formulierungen von Richard Sennett. Und ich bezweifle nicht, sonst wäre seine Studie ja auch nicht so faszinierend, dass er auf ein reales Problem aufmerksam macht. Aber mir scheint, das Problem ist unzureichend beschrieben, wenn es wie bei Sennett in einer Art umgekehrten Geschichtstheologie dargestellt wird, als eine kontinuierliche Entwicklung zum Schlechteren.
Ich will einmal ein Gedankenexperiment machen. Es sieht folgendermaßen aus: Man kann dazu sogar ein Kapitel des im Deutschen mit "Fleisch und Stein" überschriebenen Buches von Richard Sennett heranziehen, nämlich das über das Paris des 18. und 19. Jahrhunderts. Man kann sich vorstellen, dieses Paris wäre das heutige Berlin. Ich bin nicht sicher, ob Berlin wirklich das beste Beispiel ist; nehmen wir lieber das heutige München und nehmen wir an, es entwickele sich in die Richtung des Paris des frühen 19. , des späten 18. Jahrhunderts. Man könnte diese Entwicklung wie folgt beschreiben: Was da passiert, ist eine Vergröberung unserer Lebensformen, eine zunehmende Entsensibilisierung durch ein immer lauteres Anschwellen der Geräusche, des Gestankes in den Straßen, des Menschengewühls. Niemand kann mehr ein gepflegtes Gespräch führen, weil die Räume nicht mehr hinreichend abgetrennt sind, jedenfalls was die unteren und mittleren Schichten der Gesellschaft angeht. Die Überfüllung verbietet jede Privatheit, jedes vertraute Gespräch, jede musikalische Darbietung, und die dauernde Belastung mit schlechter Luft, auch mit alltäglicher Aggression auf den Straßen, lässt einen zivilisierten Lebensstil nicht mehr zu.
So kann man argumentieren, da wäre zumindest ein Körnchen Wahrheit dabei. Aber die einfache Übertragbarkeit der Beschreibung des Paris des 19. Jahrhunderts auf das München der Gegenwart weckt doch Zweifel an der Differenziertheit und historischen Adäquatheit von Sennetts Analyse, ein teleologischer Einschlag scheint mir jedenfalls unverkennbar. Insofern muss man bei den Bildern, die Sennett evoziert, sehr genau hinsehen. Ich möchte einen Zusammenhang herstellen zwischen Baukörpern und Menschenbildern, wobei ich "Baukörper" in einem relativ umfassenden Sinne verstehe. Auch die Stadt ist ein Baukörper: uneinheitlich, vielfältig konturiert, es gibt Einbrüche der Natur, die aber gewissermaßen gezähmt werden von einer Kultur, die Teil ist dieses Baukörpers.
Ich mache jetzt einen ganz großen Sprung, nämlich zu einer interessanten Passage in der Politeia von Platon, in der er von der Entwicklung der Stadt spricht und sinngemäß sagt: Die ursprüngliche Stadt ist eine Stadt der Bedürfnisbefriedigung. Sie entsteht, weil Hausgemeinschaften feststellen, dass sie nicht vollständig autark sind, dass sie besser leben können, wenn sie sich in ein Austauschverhältnis mit anderen Hausgemeinschaften bringen.
Diese Stadt, die ursprüngliche Stadt, die Stadt der Bedürfnisbefriedigung, entwickelt eine Dynamik, die ihr gewissermaßen eingepflanzt ist, nicht als ein Akt menschlicher Planung, sondern als Ausdruck der Bedürfnisbefriedigung und der jeweilig anwachsenden Wünsche, wenn Bedürfnisse befriedigt sind. Sie entwickelt eine Dynamik im doppelten Sinne: eine ökonomische und eine kulturelle.
Und nun kommt das Merkwürdige - deshalb habe ich diesen großen Sprung über 2500 Jahre gemacht, weil man damit auch eine gewisse Distanz zu den eigenen Ideologemen bekommt, die einem tief eingepflanzt sind: Für Platon ist das Ergebnis dieser Entwicklung die kranke Stadt. Es ist nämlich die Stadt, die nur existieren kann, wenn sie expandiert, wenn sie sich weitere Räume zu eigen macht, wenn sie in Dynamik bleibt. Und er setzt dagegen die Stadt der Stabilität, eine Stadt, die autark ist, die nicht wachsen muss, um zu existieren, und bei der das große Streben nach ökonomischer und kultureller Bedürfnisbefriedigung ersetzt wird - ich sage es so wie es dort gemeint ist - durch eine Stadt, die auf Erkenntnis baut. Diese Form von Erkenntnis schließt ein, dass man sich in der Stadt über die Proportionen einig sein muss, darüber, was einen gerechten Anteil ausmacht. Also kurz: Die gerechte Stadt ist nicht dynamisch, sondern statisch. Sie ist stabil. Sie wächst nicht, sondern sie bleibt, wie sie ist. Jede Stadt, die "dynamisch" ist, zeigt, dass sie ungesund ist, dass sie nicht mit sich im Gleichgewicht ist.
Jetzt befürchten sicher manche, dass ich in eine ökologistische Ideologie der statischen Stadt rutsche. Das will ich nicht tun, sondern ich möchte nur sagen, dass wir implizit Wertungen vornehmen, zum Beispiel Wertungen dergestalt, dass jede Unterbrechung von Entwicklung ein Warnsignal ist. Aber die Gültigkeit dieser Wertungen ist nicht ausgemacht.
Ich glaube, wir sind gegenwärtig in einer schwierigen Phase, in der die europäische Stadt versucht, ein Paradigma aufrecht zu erhalten, nämlich das Paradigma ihrer Gestaltung im Sinne humaner Kriterien. Dieses Paradigma gerät in Schwierigkeiten angesichts der von Platon wunderbar zutreffend beschriebenen Dynamik der Bedürfnisse, der individuellen, oft durch Unternehmen repräsentierten Bedürfnisse, die insbesondere über das Kriterium des Standortvorteils ( also auch durch politische Pressionen, die damit jeweils in der Kommune zum Ausdruck kommen ) bestimmte partikulare, ökonomische Interessen in der Entwicklung von Städten dominant machen. Hinzu kommen allerdings auch die partikularen Interessen der Vielen, die für sich entscheiden, dass sie zum Beispiel eine wesentlich größere Wohnfläche pro Kopf offensichtlich vorziehen, auch wenn sie teurer kommt als früher - was das für Stadtplaner ärgerliche Phänomen nach sich zieht, dass die meisten Großstädte nicht mehr wachsen, sondern zahlenmäßig eher schrumpfen. Trotzdem wird der Platzbedarf für die Wohnungen immer größer. Die Wohnungsnot nimmt zu, obwohl die Anzahl der Wohnungen gestiegen und die Anzahl der Bewohner gesunken ist. Da kommen also dynamische Momente ins Spiel, die politisch nur sehr eingeschränkt zu steuern sind. Diese Momente stehen in einem merkwürdigen Kontrast zu dem Selbstbild der meisten in diesem Bereich aktiven Politiker. Sie gehen davon aus, dass es hier um einen planbaren Prozess geht, nämlich darum - um auf Sennett zurückzukommen - , den Körpern auch einen entsprechend strukturierten Raum anzubieten, in dem sie miteinander in ein vernünftiges Verhältnis treten.
Die Gestaltbarkeit dieses Prozesses ist aber in hohem Maße eingeschränkt. Vor diesem Hintergrund möchte ich einige Gedanken einfach zur Diskussion stellen. Diese Gedanken sind bei weitem nicht ausgereift. Ich muss auch selbstkritisch sagen, ich habe vor einigen Jahren einen Band herausgegeben," Ästhetik und Kunstphilosophie
von der Antike bis zur Gegenwart ", und jetzt bei der Durchsicht der Artikel festgestellt, dass die Baukultur, die Bauästhetik, darin fast nicht vorkommt. Also hier nur einige wenige Gedanken.
Der erste betrifft das Verhältnis von Ästhetik und Lebensform, noch einmal am Beispiel Sennett. Bei Sennett scheint es mir so zu sein, dass er bestimmte, meist nicht ausgesprochene Kriterien eines humanen Lebens, einer humanen Lebensform anlegt. Ich habe einige Punkte genannt, die zeigen, in welche Richtung diese Kriterien gehen: Herstellung von Nähe, Sinnlichkeit, Austausch usw. Das Ästhetische misst dann die Gestaltung der Baukörper daran, ob sie diesen Kriterien entsprechen. Und daran ist offensichtlich auch etwas Wahres, denn im Gegensatz zu manch anderen Sparten der Kunst ist die Baukunst immens wirksam, wenn es um die Gestaltung individueller Lebensformen geht. Sie prägt diese Lebensformen mit, sie steht in einem Austausch- und Abhängigkeitsverhältnis mit den jeweils konkreten Lebensformen. Das ist zumindest in anderen Bereichen der modernen Kunst seit Ende des 19. Jahrhunderts nicht mehr so, weil sich die Kunst in autonome Räume zurückgezogen hat und ihren Anspruch auf Gestaltung von Lebensformen der Alltagswelt zumindest wesentlich zurückgenommen hat. Das heißt, es ist durchaus angemessen, diese Kriterien anzulegen.
Aber jetzt kommt ein interessantes Phänomen ins Spiel, der Umstand nämlich, dass die Frage der gewünschten, der guten, der gelungenen Lebensform selbst eine ästhetische Dimension hat. Die Selbstbilder, die Menschen haben ( individuell oder kollektiv, d. h. auf das Selbstverständnis, das in einer Gemeinschaft entsteht bezogen ) , haben offensichtlich eine Auswirkung auf die Bedürfnisbefriedigung, die Menschen für ihre Lebensform für angemessen halten. Und zu dieser Bedürfnisbefriedigung gehört das bauliche Umfeld, in dem sie leben. Also, um das etwas konkreter zu machen: die Frage zum Beispiel der Distanz und der Nähe. Es ist nicht so, dass es eine unverrückbare conditio humana gibt, die festlegt, wie viel Nähe gut ist und wie viel Distanz notwendig. Dies ist vielmehr in hohem Maße kulturvariant. Es gibt interessante sozialpsychologische Untersuchungen, die beispielsweise zeigen, dass Menschen, die miteinander reden, in unterschiedlichen Kulturen unterschiedliche Abstände zueinander einhalten. Was dem einen geradezu als aufdringliche Nähe erscheint, erscheint einem anderen aus einem anderen Kulturkreis schon als distanzierende Ferne. Und die Tatsache, dass etwa im ostasiatischen Kulturkreis die Quadratmeterzahl pro Kopf Wohnfläche so viel niedriger ist als etwa in Europa, ist nicht nur ein Ausdruck von Not, sondern, wie mir scheint, auch ein anderes Wahrnehmen von Nähe und Distanz, als es sich unterdessen hier entwickelt hat. Und in diese Zusammenhänge spielt die formende Kraft der Stadtplanung und der Architektur hinein.
Ich will ein Beispiel nennen: In einem neuen Stadtviertel in München ( in der Messestadt Riem ) ist eine wunderschöne Schule gebaut worden. Sie ist von großer Eleganz, wie ich finde, da gibt es Holz, da gibt es Glas und Stahl, und sie ist sehr groß. Die Kinder, die diese Schule besuchen, kommen ganz überwiegend aus den unteren und mittleren sozialen Schichten. Man hat nun festgestellt, dass diese Schüler zusammen mit ihren Lehrern die wunderbare Transparenz des Gebäudes wieder zerstören, indem sie zum Beispiel die Fenster zukleben. Die Großzügigkeit der Räume wird offenbar mehr als Bedrohung denn als Gewinn wahrgenommen. Es ist allem Anschein nach sehr stark schichtenspezifisch, auch bei Erwachsenen, welche Form von Ästhetik als angenehm oder als unangenehm empfunden wird. Andererseits gibt es einen Effekt der Gewöhnung in dem Sinne, dass bestimmte ästhetische Ideale dann am Ende auch das Empfinden von angenehm und unangenehm prägen. Das heißt, um es jetzt ein bisschen pathetisch auszudrücken: Es geht hier um eine anthropologische Dimension. Es geht um die Frage des Menschenbildes, nicht als invariante conditio humana, sondern als Frage des individuellen und kollektiven Selbstverständnisses. Diese anthropologische Komponente beeinflusst offenbar die Ideale einer angemessenen baulichen Strukturierung unserer Lebenswelt.
Ich habe nur einen Aspekt angesprochen: das Verhältnis von Distanz und Nähe. Es gibt weitere, zum Beispiel den der Disziplinierung. Disziplinierung - der eigenen Empfindungen, der Ausdrucksformen von Emotionen - schlägt sich auch in den Baukörpern nieder. Es gibt disziplinierendere Baukörper und es gibt verspieltere, sinnlichere Baukörper. Hierarchisches Bewusstsein spiegelt sich in den baulichen Formen. Und es gibt Idealtypen, Leitbilder, die architektonische Entwicklungen steuern. Insbesondere die Oberschichten vergangener Zeiten haben zum Beispiel das Bild des homo ludens in den Mittelpunkt gerückt; man sieht das an Bauten wie dem Versailler Schloss. Oder nehmen Sie den homo spiritualis, der vor allem in den sakralen Bauten sein bauliches Selbstbild wiederfindet. Es gibt des weiteren den im 17. und 18. Jahrhundert entstandenen homo oeconomicus, der auf Effizienz, Klarheit und Sachlichkeit achtet ( und in der berühmten Studie von Albert O. Hirschman,"The Passions and the Interests", ja nicht einfach als der rationale Mensch charakterisiert wird, sondern als der Mensch, der seine Regungen, seine Ansprüche, sein Streben nach Ehre usw. unter Kontrolle hat; da geht es gar nicht so sehr um Triebunterdrückung, sondern zum Beispiel um die Unterdrückung des Wunsches nach Anerkennung in Absetzung zum ritterlichen Ideal des Mittelalters ) . Und es stellt sich am Ende auch die Frage, ob wir - bislang sicher nur ein Minderheitenphänomen - einen homo aestheticus, der seine Lebensform ästhetischen Idealen unterordnet und nicht umgekehrt, zu einer Orientierungsmarke unserer Architektur und Stadtplanung machen.
Ich möchte es bei diesen Bemerkungen bewenden lassen. Vielleicht ist deutlich geworden, dass Wittgenstein recht hat: Man soll nicht über Dinge reden, die man nicht klar sagen kann. Ich bitte dafür um Nachsicht und wünsche, dass dieses Stipendium als Signal verstanden wird für eine Verbindung zwischen Kultur, Kulturpolitik und Architektur - ein Signal, dass wir diese beiden Gebiete in ein engeres Verhältnis bringen sollten.