Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 26.06.2001

Anrede: Lieber Lothar Späth, verehrter Herr Ministerpräsident, verehrter Herr Oberbürgermeister, meine sehr verehrten Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/06/46106/multi.htm


Kein Zweifel: All diejenigen, die heute Morgen und sicherlich während der Feierlichkeiten, die noch folgen werden, auf die Erfolgsgeschichte von Jenoptik hingewiesen haben, haben natürlich völlig Recht, und Recht haben sie auch, wenn sie gleichzeitig darauf hingewiesen haben, dass diese zehn Jahre deutscher Erfolgsgeschichte auch die Erfolgsgeschichte von Lothar Späth sind. Ich denke, dass kann gerade jemand sagen, der sich zu allen möglichen, manchmal sogar zu allen unmöglichen Zeiten, mit eben diesem Lothar Späth nicht nur gut verstanden, sondern gelegentlich auch schwer gefetzt hat. Die Lebensleistung, nach einer glanzvollen politischen Karriere hier in Thüringen eine derartige Aufbauarbeit zu leisten, lässt sich wohl nicht hoch genug einschätzen, auch, wenn sie nach dem Urteil aller, wie der Ministerpräsident sagen würde, erst die halbe Wegstrecke darstellt. Sie, Lothar Späth, wissen damit, was von Ihnen weiterhin erwartet wird.

Ich denke, bei zehn Jahren Erfolgsgeschichte Jenoptik macht es schon Sinn, sich ein wenig mit den gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen zu befassen, die wir gegenwärtig vorfinden. Schließlich ist die Erfolgsgeschichte Jenoptik nur denkbar, weil man sich auf Realitäten eingelassen und solide analysiert hat, wie die Wirklichkeit denn aussieht, und daraus entsprechende Schlüsse gezogen hat. Deswegen erscheint es mir angemessen zu sein, einen kleinen, sehr geringen Beitrag dazu zu leisten, die gegenwärtige wirtschaftspolitische und finanzpolitische Debatte wieder vom Kopf auf die Füße zu stellen.

Was sind die zentralen Probleme, und wer hat die Lösungen dafür anzubieten? Kein Zweifel: Im Vergleich zur Situation, die wir im letzten Jahr um diese Zeit vorgefunden haben, hat sich die Weltwirtschaft eingetrübt. Das ist zentral auf die konjunkturelle Schwäche in den Vereinigten Staaten zurückzuführen, die übrigens kein einziges Institut und kein Einziger der von mir natürlich sehr verehrten Volkswirte, die ihre Prognosen jetzt in Zwei-Monats-Rhythmen abgeben, vorausgesehen hat. Kein Zweifel also: Die Weltwirtschaft hat sich eingetrübt. Dass das Auswirkungen auf Deutschland hat, kann niemanden überraschen.

Waren wir vorher von Eintrübungen der amerikanischen Konjunktur fast ausschließlich über den Export betroffen, so hat sich angesichts der immer enger werdenden Verflechtung der deutschen und der amerikanischen Wirtschaft eine zusätzliche Betroffenheit ergeben, die aus eben dieser engeren Verflechtung resultiert. Anders ausgedrückt: Krisenhafte Erscheinungen in dem für uns so wichtigen Markt der Vereinigten Staaten schlagen anders und vor allen Dingen schneller auf Deutschland durch, als es in der Vergangenheit der Fall war. Übrigens gilt das Gleiche auch umgekehrt, wie wir feststellen werden. Angesichts dieser Probleme, die Wirkungen auf Deutschland haben, gibt es trotzdem keinen Grund, in Panik zu machen, und auch keinen Grund, eine Krise, die es objektiv betrachtet nicht gibt, herbeizureden.

Was kann angesichts dieser Situation, in der wir von zwar reduzierten, aber immer noch deutlichen Wachstumsraten auszugehen haben, geschehen, was ist nützlich, und was wäre schädlich? Ich meine, es macht Sinn, sich und auch der Öffentlichkeit bei einer solchen Veranstaltung klar zu machen, dass angesichts der Konjunktureintrübung, die weltmarktbedingt ist, nationale Handlungsmöglichkeiten zwar vorhanden sind, sie aber Grenzen haben. Daran kann überhaupt kein Zweifel bestehen. Es gibt drei wesentliche Akteure, die makroökonomische Daten setzen, nämlich den Staat - ich werde darauf zurückkommen - , die Tarifparteien und früher die Bundesbank beziehungsweise heute die Europäische Zentralbank. Der Europäischen Zentralbank, um diesen wichtigen Akteur wenigstens zu nennen, habe ich keine Ratschläge zu geben. Gäbe ich sie - zumal öffentlich - , dann könnte das kontraproduktiv sein, weil sie falsch aufgefasst würden, nämlich so, als wolle sich Politik anmaßen, die verbriefte Unabhängigkeit der Zentralbank in der Geldpolitik in Frage zu stellen, und das will ich natürlich nicht. Einen direkten Einfluss auf diesen so wichtigen geldpolitischen Akteur, der, wie wir alle wissen, über Höhe und Reichweite von Zinsen allein und unabhängig entscheidet, hat die Politik also nicht. Das müsste eigentlich jeder, der sich an der politischen Debatte beteiligt, wissen. Er sollte es jedenfalls.

Zweitens werden makroökonomische Daten - das ist gar keine Frage - von den Tarifparteien gesetzt. Sie sind, das kann nachgelesen werden, im letzten Jahr - ein wenig vor dieser Zeit, aber noch im Frühsommer - außerordentlich verantwortlich von den beiden Tarifparteien gesetzt worden, nämlich gesamtwirtschaftlich betrachtet durchaus vernünftig. Die Tarifpolitik hat Deutschland international viel Lob eingetragen. Dies zeigt, dass die Tarifparteien in der Lage sind, sich vor dem Hintergrund der aktuellen wirtschaftlichen Situation gesamtwirtschaftlich vernünftig zu verhalten. Sich gesamtwirtschaftlich vernünftig zu verhalten, heißt eben, sowohl auf die Nachfrageseite zu schauen, weil ja daraus kaufkräftige Nachfrage resultiert, als auch im Auge zu behalten, dass die kaufkräftige Nachfrage im Inland angesichts der Globalisierung jedenfalls dann nicht zu mehr Arbeitsplätzen führt, wenn die Kostenseite der Unternehmen überfordert wird. Dass es dabei eine schwierige, gelegentlich schwer zu entwickelnde Balance gibt, weiß jeder, der sich damit beschäftigt, und jeder, der hier ist. Aber es gibt angesichts der verantwortlichen Positionen beider im letzten Jahr überhaupt keinen Grund, davon auszugehen, dass diese gesamtwirtschaftliche Vernunft den Akteuren, die diese makroökonomischen Daten setzen, inzwischen abhanden gekommen ist. Ich setze jedenfalls darauf, dass das auch in der nächsten Runde nicht so sein wird, und es gibt keinen Grund, anderes anzunehmen.

Ich sagte, dass es drei wesentliche Akteure gibt, die makroökonomische Daten setzen, und habe mich jetzt mit dem Staat auseinander zu setzen, für den Politik in Deutschland ja handelt, übrigens, wie wir wissen, auf den unterschiedlichsten Ebenen, was gelegentlich Probleme macht, wenn das nicht koordiniert geschieht. Von Europa will ich in dem Zusammenhang gar nicht erst reden. Ich bleibe einmal bei der nationalen Finanz- und Wirtschaftspolitik.

Ich beginne mit der Finanzpolitik. Was haben war da gemacht? Wir haben gesagt: Wir müssen einen Pfad in der staatlichen Finanzpolitik finden, der einen Weg in die Zukunft dadurch beschreibt, dass auf der einen Seite Konsolidierungspolitik in den öffentlichen Haushalten gemacht wird - übrigens auch international vereinbarte Konsolidierungspolitik; ich erinnere an den Stabilitätspakt, der international vereinbart wurde, keine Erfindung von mir war und trotzdem richtig ist - und auf der anderen Seite die öffentlichen Investitionen verstetigt werden, um dadurch Wachstum zu ermöglichen. Das sind die beiden Leitplanken, an die sich staatliche Finanzpolitik halten muss, wenn sie vernünftig sein soll. Wir haben etwas zur Entwicklung der Nachfrage getan, dabei aber auch die Angebotsseite beachtet. Wir haben bisher 45 Milliarden DM - bis 2005 werden es 90 Milliarden DM sein - an Steuermitteln an die wirtschaftlichen Akteure, also die Nachfrageseite, und die Wirtschaft zurückgegeben beziehungsweise werden es tun. Das ist sowohl ein Beitrag zur Entspannung der Kostensituation als gleichermaßen auch ein Beitrag zum Generieren privater Nachfrage durch die Tatsache, dass den Beschäftigen - jedenfalls, was die Steuerpolitik angeht - netto mehr übrig bleibt. Das ist nachweisbar so. Wir haben auf der anderen Seite Konsolidierungspolitik gemacht und werden - unterstellt, dass diese Konsolidierungspolitik nicht konterkariert wird - im Jahre 2006 einen Bundeshaushalt vorlegen können, der ohne Neuverschuldung auskommt.

Das darf übrigens nicht missverstanden werden. Zu glauben, dass dann die Verschuldung des Staates zu Ende sei, ist ganz falsch. Sie steigt lediglich nicht. Die 1,5 Billionen DM, die wir auf dem Buckel haben, bleiben auf dem Buckel und können erst dann abgebaut werden - im Interesse von Kindern und Kindeskindern, die ja auch eine Chance haben wollen, ein einigermaßen selbstbestimmtes Leben zu führen - , wenn wir einen, was die Nettoneuverschuldung angeht, verschuldungsfreien Haushalt erreicht haben werden.

Erst dann wird sozusagen die Phase beginnen, in der sich andere europäische Länder wie Dänemark oder Schweden - kleinere Länder, das ist zuzugeben - schon befinden. Erst dann wird die Phase beginnen, die man als "Abbau von Verschuldung" bezeichnen kann.

Wer angesichts dieser Situation Forderungen nach noch mehr verfügbaren Mitteln für welche wirtschaftspolitischen Akteure auch immer - seien es die Privaten oder die Unternehmen - beziehungsweise nach größeren öffentlichen Infrastrukturinvestitionen, als wir sie leisten - ich werde darauf noch zurückkommen - , stellt, der muss sagen, wie er sie bezahlen will. Bezahlen kann er sie entweder, indem er die Steuern erhöht - ich meine, das wollen wir nicht - , oder indem er die Verschuldung erhöht, also das Konsolidierungsziel aufgibt. Wenn jemand in diesem Land derzeit sagt, er wolle in einem Jahr 90 Milliarden DM zusätzlich verteilen, dann will er entweder weiter in die Verschuldung, er will die Steuern erhöhen oder - was noch schlimmer ist - er hat keine Ahnung von wirtschaftspolitischen Zusammenhängen. Andere Möglichkeiten gibt es objektiv betrachtet nicht.

Dabei wird nicht daran gedacht, dass wir international und europäisch verpflichtet sind, das Konsolidierungsziel beizubehalten. Ich möchte nicht wissen, was auf den internationalen Finanzmärkten beispielsweise mit dem Euro passierte, wenn ausgerechnet die stärkste Volkswirtschaft, nämlich die deutsche, dieses Konsolidierungsziel aufgäbe.

Es leuchtet jedem, der sich mit Finanz- und Wirtschaftspolitik befasst, unmittelbar ein, dass das nicht geht. Dabei rede ich jetzt nicht - weil das, das weiß ich auch, im Streit ist - über die Frage, ob bezahlbare Konjunkturprogramme die erhoffte Wirkung auf die Beschäftigung haben. Diejenigen, die das befürworten, können nur sehr kurzfristige Beweise dafür antreten. Da wird dann gelegentlich mit der früheren Situation Neuseelands argumentiert oder auch mit anderen, kleineren, geschlossenen Volkswirtschaften, die international nicht so vernetzt sind.

Aber diejenigen, die der Meinung sind, dass diese Strohfeuerprogramme nichts nutzen, können mit gutem Recht auf eine Finanz- und Wirtschaftspolitik in Japan verweisen, die über Jahrzehnte darauf ausgerichtet war, aktuelle Schwierigkeiten mit finanziell sehr hoch angesetzten Baufinanzierungsprogrammen zu lösen. Das Ergebnis einer solchen Lösungsstrategie ist evident. Jeder kann es sehen.

Ich bitte also einfach darum, zu verstehen, dass die Bundesregierung den Kurs, den ich beschrieben und begründet habe, beibehalten wird, dass sie sich einer hektischen Debatte nicht anschließen will und aus nationalen wie internationalen Erwägungen nicht darf sowie dass sie ganz entschieden eine Politik weiterverfolgen wird, die in der Finanz- und Wirtschaftspolitik auch deshalb eine Politik der ruhigen Hand genannt wird, weil sie auf Kalkulierbarkeit setzt. Ich bin fest davon überzeugt, dass das mittelfristig das einzige Rezept ist, um die Wachstumsdelle, die in Deutschland weltwirtschaftlich verursacht worden ist, auszugleichen.

Ich komme nun zu einem zweiten Bereich, der den Staat betrifft. Der Herr Ministerpräsident hat darauf abgehoben. Es ist ja eigenartig, dass in ganz Deutschland gelegentlich neue Programme wie Konjunktur- oder mittelfristig angesetzte Programme gefordert werden. Dabei wird übersehen, dass wir - John Maynard Keynes würde sich wirklich freuen - in Deutschland eines der entschiedensten und üppigst ausgestatteten - wenn Sie so wollen - Konjunkturprogramme nach seinem Muster hatten und gerade wieder beschlossen haben. Wir haben nämlich aus guten Gründen - der Herr Ministerpräsident hat darauf hingewiesen - den Solidarpakt II unter Dach und Fach gebracht.

Mir liegt übrigens daran, dass klar wird, dass ich den neuen Bundesländern nicht zuletzt deshalb weiter entgegengekommen bin, als ich es ursprünglich wollte, weil ich erstens nicht lange über die Berechtigung der Forderung streiten wollte - denn es gibt diese Berechtigung, und deshalb war es richtig, das, was uns möglich ist und in anderen Bereichen ungefährlich ist, für diesen Solidarpakt zu mobilisieren - , und zweitens, weil ich - das kann ich Ihnen hier jedenfalls sagen - mit der Planbarkeit für die nächsten 15 Jahre und den schnellen Entscheidungen vor einem möglichen Krach in Deutschland vor und während der Sommerpause auch ein makroökonomisches Datum setzen wollte. Ich wollte nämlich den Finanzmärkten wie den wirtschaftspolitischen Akteuren signalisieren: Dieses Land, föderal aufgebaut - was ja gelegentlich durchaus zu Schwierigkeiten bei Entscheidungen führen kann - , ist in der Lage, komplizierteste Entscheidungen mit weit reichenden Folgen in kurzer Zeit und großer Einigkeit zu fällen. Es ging hier nicht nur um die Bewährungsprobe für den Föderalismus, sondern auch darum, mit dieser schnellen Entscheidung ein makroökonomisches Datum zu setzen, das Akteuren weltweit deutlich macht: Die können entscheiden in Deutschland, und wenn es notwendig ist, dann tun sie es auch.

Ich komme gerade aus Slowenien, einem kleineren Land, das etwa so groß wie Thüringen ist. Wir werden in den nächsten 15 Jahren rund 300 Milliarden DM für die zweite Hälfte der Wegstrecke mobilisieren, von der Herr Vogel geredet hat. Ich stimme ihm in dieser Frage ausdrücklich zu. Mein slowenischer Kollege, mit dem ich das diskutiert habe, wäre fast vor Neid erblasst; denn dieses Land - inzwischen beträgt das dortige Bruttoinlandsprodukt 93 Prozent des Durchschnitts in Europa - hat das ohne einen großen Bruder schaffen müssen und geschafft. Das ist keine Kritik an der Notwendigkeit, sondern zeigt nur, was wir in richtiger Solidarität zwischen West und Ost mobilisiert haben, welche Wirkungen es hat und auch weiterhin haben wird. Denn diese 300 Milliarden DM werden Hilfe für eine zweite Aufgabe sein, die Herr Späth erwähnt hat: Es gibt ein deutsches Interesse - man darf ruhig sagen: ein nationales Interesse der Deutschen - an der zügigen Osterweiterung. Das ist ein politisches, ein kulturelles, aber auch ein ökonomisch verursachtes Interesse. Wir sind diejenigen, die am nächsten und fast überall die wichtigsten Partner dieser Märkte sind, und von der Entwicklung dieser Märkte werden wir aus diesem Grunde am meisten profitieren.

Aber mit der Mobilisierung jener 300 Milliarden DM - mir ist wichtig, dass auch das öffentlich bekannt wird - haben wir den neuen Ländern, also dem Osten Deutschlands, die Chance eingeräumt, und wir werden sie nutzen, das, was Du, lieber Lothar Späth, eingefordert hast, auch zu machen, nämlich die noch vorhandene Infrastrukturlücke so zu schließen, dass wir im Standortwettbewerb wettbewerbsfähig bleiben; denn darin liegt unsere Chance. Deshalb war es wohl richtig, zu sagen: Wir mobilisieren dieses Geld nicht nur für die Infrastruktur, sondern in gleicher Weise für den anderen Bereich, der genannt worden ist. Die alte Gleichung -ich kritisiere das gar nicht; ich weiß auch nicht, ob mir 1990 etwas anderes eingefallen wäre - lautete: "Wenn ihr durch steuerliche Erleichterungen in bestimmten Bereichen, sei es bei den Bürobauten oder beim Bauen von Wohnungen in den schönen Innenstadtbereichen, privates Kapital mobilisiert, dann werdet ihr ungeheuer großen Erfolg haben." Dadurch ist übrigens sogar eine Menge passiert, aber es hat auch eine Menge an Fehlallokationen gegeben. Das kann man nicht ernsthaft bestreiten.

Es gibt aber wohl - egal, welche Parteifarbe man hat - eine große Einigkeit darüber, dass diese Milliarden des neuen Solidarpakts vor allem das leisten müssen, was hier eingefordert worden ist, nämlich erstens, an die lokalen und regionalen Potenziale, die es gibt, anzuknüpfen, aus denen heraus neue Chancen entwickelt werden können, statt auf den Superinvestor zu hoffen, wo immer er auch herkommen mag.

Zweitens stimmen wir darin überein, dass sich das - ich sage das mit Respekt - , was ich zum Beispiel in Ilmenau an Ausgründungen aus Universitäten und Fachhochschulen selbst habe sehen können und was es hier in Jena in gleicher Weise gibt, sehen lassen kann. Genau das ist der Punkt, an dem wir mit unserem Projekt Innoregio ansetzen.

Dabei geht es erstens darum, die in den Hochschulen und Fachhochschulen vorhandenen Potenziale zu stabilisieren und die Abwanderung von erstklassigen Leuten zu vermeiden, und zweitens darum, Transfer aus diesen Hochschulen und Fachhochschulen in eine darum herum strukturierte mittelständisch orientierte Wirtschaft hinzubekommen.

Der dritte Punkt, den wir leisten müssen, liegt ebenso auf der Hand und hat etwas mit Qualifizierung zu tun. Dabei will ich auf die Erfolgsgeschichte von Jenoptik zurückkommen. Wir, lieber Lothar Späth, sind uns wohl einig, wenn ich sage: Auch die wäre ohne hoch qualifizierte Menschen nicht möglich gewesen. Das waren und sind übrigens Menschen, die gelebtes Leben hinter sich haben und ihre Qualifikationen unter manchmal verdammt schwierigeren Bedingungen erworben und genutzt haben. Ich meine, das anzuerkennen, gebietet der Respekt vor gerade diesen Menschen, die hier zum zweiten Mal nach dem Krieg eine große Aufbauleistung in ihrem Leben erbracht haben. Ich glaube deswegen, dass wir gut daran tun, neben dem, was ich über die Zusammenarbeit zwischen Universitäten und Wirtschaft gesagt habe und dem, worum es bei den Ausgründungen geht, sowohl in der Wirtschaft als auch im Staat lebenslange Qualifizierung in den Mittelpunkt unseres gesellschaftspolitischen und auch betriebswirtschaftlichen Denkens zu stellen. Wenn wir Qualifizierung als eine lebenslange Aufgabe begreifen und dann noch hinzukommt, dass wir uns daran erinnern, dass es eine unglaublich große Anzahl hervorragend ausgebildeter Frauen gibt, die ihre Qualifikationen aus Mangel an Betreuungseinrichtungen häufig nicht richtig anwenden können - das liegt nicht an den Frauen, sondern an fehlenden Einrichtungen - , dann bin ich sicher, dass wir die Greencard nicht mehr in erster Linie brauchen werden, um Arbeitskräftemangel in speziellen Bereichen aufzuheben, sondern deshalb, um für Wettbewerb zwischen den dann besten Deutschen und anderen zu sorgen; denn diesen Wettbewerb brauchen wir auch.

Ich hoffe, ich habe skizziert - natürlich, wie es sich für eine Feierstunde gehört, ganz unpolemisch - , was wir nicht für gut halten, was wir dagegen tun werden, und ich hoffe, ich habe Sie nicht gelangweilt. Ich will mit meiner erneuten Verbeugung vor denen schließen, die hier etwas ins Werk gesetzt, angepackt, sich auf die Realität eingelassen haben und nicht vor ihr geflohen sind. Das freut mich für die Menschen, aber es freut mich auch für Lothar Späth, dem auch ich ein ganz herzliches Dankeschön für seine Arbeit sage.