Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 05.07.2001
Untertitel: Von diesem Bahnhof Grunewald haben vom Oktober 1941 an Transporte Berliner Juden in die Todeslager der Nazis begonnen.
Anrede: Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/26/47726/multi.htm
Es ist so, wie es der Premierminister gesagt hat: Von diesem Bahnhof Grunewald haben vom Oktober 1941 an Transporte Berliner Juden in die Todeslager der Nazis begonnen. Für Zehntausende waren die Züge, die hier abfuhren, Züge in grausame, entwürdigende Gefangenschaft und in Folter. Für die meisten von ihnen waren die Züge Transporte in die Vernichtung.
Das Mahnmal, das an dieser Stelle errichtet worden ist, soll das Gedenken an die Verbrechen wach halten. Das Gedenken braucht solche Orte, aber diese Orte dürfen niemals die Erinnerung und die Auseinandersetzung mit diesem Teil der Geschichte ersetzen. Es gibt nur einen Weg, uns dem unvorstellbaren Grauen dieser Verbrechen zu stellen: Wir müssen unseren Kindern die Zusammenhänge erklären, und wir müssen die Erinnerung an das, was Menschen ihren Mitmenschen antun können, weitergeben, und zwar als ständige Mahnung zu immer währender Wachsamkeit.
Die Erinnerung an diese Verbrechen ist aber auch die Mahnung an uns alle, dass die Menschenwürde und die Freiheit des einzelnen Individuums unantastbar sein müssen. Nie wieder dürfen wir zulassen, dass in Deutschland oder auch anderswo Menschen auf Grund ihrer Religion, ihrer Hautfarbe, ihrer Herkunft oder auch ihrer politischen Überzeugung wegen ausgegrenzt und verfolgt werden. Wir alle müssen und werden alles daran setzen, dass bereits den Anfängen von Intoleranz und Diskriminierung, also von Ausländerhass, Antisemitismus, Ausgrenzung und damit von Verletzung der Würde und der Rechte Anderer, gewehrt wird.
Unsere moralische Pflicht ist die Erinnerung an den Holocaust, und sie geht einher mit unserer politischen Verpflichtung, alles für Frieden in und um Israel zu tun. Wir sind Israel auf vielen Ebenen und in vielen Bereichen verbunden, und wir wollen uns an der Seite unserer Partner nachdrücklich weiterhin dafür engagieren, dass die Menschen in Israel ein Leben in Frieden und Sicherheit führen können. Wir sind das nicht nur den Opfern des nationalsozialistischen Rassenwahns, sondern auch unseren Kindern schuldig. Wir sind ihnen schuldig, dass Gewalt, Hass, Unterdrückung und Diskriminierung weltweit überwunden werden. Wir alle sind dafür verantwortlich, sichere Grundlagen für eine friedlichere und menschlichere Zukunft unserer Völker zu schaffen, und wir alle wollen in Erinnerung dessen, was hier geschehen ist, entschlossen und entschieden an dieser Aufgabe arbeiten.