Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 07.07.2001
Untertitel: Anlässlich des Bestehens der Universität hat Bundeskanzler Schröder u.a. über ihre Erfolge, das Engagement ihrer Studierenden und Lehrenden sowie die BeföG-Reform gesprochen.
Anrede: Meine sehr verehrten Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/30/47930/multi.htm
liebe Studentinnen und Studenten,
es war wirklich Zufall, Herr Professor Sigmund, dass der Bewilligungsbescheid für das Magnesiumprojekt zwei Tage vor meinem Besuch hier einging. Aber - um das mit den Worten des Studentenvertreters zu sagen - "auch das war gut so".
Gut ist auch, wenn man sich zu einem Anlass wie dem heutigen noch einmal heraussuchen lässt, was vor zehn Jahren gesagt worden ist. In der Tat, Herr Ministerpräsident, ist damals Fontane zitiert worden, und zwar vom Gründungsrektor. Er zitierte den berühmten Satz, dass der Erfolg am Mute hänge.
Das waren, so glaube ich, mit Bedacht gewählte Worte, denn es war bei der Gründung dieser Universität überhaupt nicht sicher, wie sie sich im Zusammenspiel mit den anderen bundesdeutschen Universitäten, aber eben vor allen Dingen auch international würde platzieren können. Es war also eine mutige und ehrgeizige Entscheidung der damaligen Landesregierung - natürlich auch damals schon unter Manfred Stolpe, und auch das ist gut so - , sich den Aufbau von drei Universitäten und sechs Fachhochschulen in dem damals wirklich noch sehr jungen Bundesland Brandenburg vorzunehmen.
Die Brandenburger waren sich darüber bewusst, dass es für den Aufbau einer vielfältigen und vorbildlichen Hochschullandschaft nicht nur gewaltiger finanzieller Anstrengungen, sondern - das war mindestens ebenso wichtig - auch einer Menge innovativer Konzepte bedurfte. Brandenburg stand damals vor zwei Herausforderungen: Die neuen Hochschulen mussten sich zum einen in der bestehenden Hochschullandschaft in Deutschland etablieren und sich ihren Platz erkämpfen, und sie mussten sich gleichzeitig so dynamisch entwickeln, dass sie von vornherein darauf vorbereitet waren, den unterschiedlichen und sich wandelnden Anforderungen im 21. Jahrhundert gerecht werden zu können. Denn wie kaum eine andere gesellschaftliche Einrichtung sind Hochschulen nicht nur, aber vor allen Dingen heute Werkstätten der Zukunft. In ihnen werden entscheidende Grundlagen für die wissenschaftliche und technische, aber auch für die soziale und kulturelle Fortentwicklung unserer Gesellschaft gelegt.
Von Ihnen, den Hochschullehrerinnen und -lehrern, den Studentinnen und Studenten, erwartet diese Gesellschaft zu Recht einen wesentlichen Beitrag dazu, und zwar von jedem Einzelnen. Damit Sie ihn aber erbringen können, müssen zunächst die Voraussetzungen stimmen. Und genau hierfür versuchen wir, die Bundesregierung, einen, wie ich finde, ansehnlichen Beitrag zu leisten.
Ungeachtet der Notwendigkeit der Haushaltskonsolidierung - und das ist notwendig, nicht zuletzt, um Nachhaltigkeit in der Finanzpolitik zu einem Maßstab auch dieses Politikbereichs werden zu lassen, damit auch unseren Kindern und deren Kindern Möglichkeiten eines selbstbestimmten politischen Lebens bleiben - , ungeachtet dieser Konsolidierung also haben wir die Ausgaben des Bundes für Bildung und Forschung im Haushalt 2001 bereits zum dritten Mal auf jetzt immerhin 16 Milliarden DM deutlich erhöht. Das sind teilweise zweistellige Zuwachsraten gewesen. Im Haushaltsentwurf 2002 haben wir eine erneute Steigerung der Mittel für Wissenschaft und Forschung vorgesehen.
Die Mittel des Bundes für den Hochschulbau sind allein seit dem Amtsantritt meiner Regierung um 350 Millionen DM gestiegen. Das reicht nicht - ich weiß das sehr wohl - , aber es ist das Setzen eines Schwerpunktes, und das ist verbunden mit der Bitte um Beachtung. Aus den Zinsersparnissen durch die UMTS-Erlöse stehen 1,8 Milliarden DM für Bildung und Forschung zur Verfügung - allein 1 Milliarde DM davon für die "Zukunftsinitiative Hochschule". Die finanziellen Grundlagen der Hochschulen sind sicherlich bedeutsam - auch hier gilt: "ohne Moos nichts los", das ist klar - , aber mir liegt daran, dass deutlich wird: Sie sind bei weitem nicht alles. Unsere Hochschulen müssen, um zukunfts- und wettbewerbsfähig zu sein, vor allem deutlich effizienter strukturiert werden, sie müssen international ausgerichtet, kooperationsfähig und nicht zuletzt für alle kreativen Köpfe einer Gesellschaft offen sein.
Ich weiß aus eigener Erfahrung sehr gut - ich werde das auch nicht vergessen - um die Bedeutung eines offenen Zugangs zu den hohen und höchsten Schulen im Land für alle gesellschaftlichen Gruppen und Schichten. Nicht das Einkommen der Eltern, sondern Leistung und Qualifikation müssen und sollen auch zukünftig darüber entscheiden, ob eine junge Frau oder ein junger Mann studieren kann oder nicht. Deshalb wird das Studium auch in Zukunft bis zum ersten berufsqualifizierenden Abschluss gebührenfrei bleiben. Übrigens: Aus meinen Erfahrungen, auch bei internationalen Begegnungen, weiß ich, dass die Tatsache, dass das erste Studium bis zum berufsqualifizierenden Abschluss gebührenfrei gemacht werden kann, nicht unerhebliche Bedeutung für die Attraktivität des Studienstandortes Deutschland für ausländische Studentinnen und Studenten hat.
Wir haben zum Sommersemester 2001 eine BAföG-Reform in Kraft gesetzt, die genau diesem Gebot der fairen Chancen für alle klugen Köpfe entspricht: Die Studierenden erhalten höhere Bedarfsätze und - ein gutes Signal gerade hier in Cottbus - die Unterschiede zwischen Ost und West fallen weg. Schließlich schaffen wir mit der verbesserten Förderung für Auslandsaufenthalte die materielle Grundlage dafür, dass Studenten auch tatsächlich möglichst früh internationale Erfahrungen sammeln können.
In der sich immer stärker vernetzenden Wissensgesellschaft des 21. Jahrhunderts eine moderne Hochschulstruktur zu entwickeln, heißt aber zunächst - und dies ist kein Widerspruch - , sich der Tradition der Universalität verpflichtet zu fühlen. Fächer und Fachbereiche, Hochschullehrer und Studierende müssen also gemeinsam die Bereitschaft und die Fähigkeit entwickeln, interdisziplinär zu arbeiten. Die Technische Universität Cottbus hat hier - das gilt es wirklich mit Respekt festzustellen - durch die enge Vernetzung der einzelnen Studiengänge bereits sehr erfreuliche Schritte getan. Man kann die Universität, alle in ihr Lehrenden und Lernenden nur ermuntern, auf diesem Wege weiterzugehen.
Zu wettbewerbsfähigen Rahmenbedingungen einer Hochschule gehört aber ebenso eine Personalstruktur, die jungen qualifizierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gute Entwicklungschancen gibt und dem gesamten Hochschulpersonal Leistungsanreize sowohl für Forschung als auch für Lehre bietet. Dies ist gut für die Wissenschaftler, vor allem aber gut für die Studierenden.
Wir werden deshalb eine umfassende Reform des Hochschuldienstrechtes noch in dieser Legislaturperiode verabschieden. Kernstück dieser Reform werden die so genannten "Juniorprofessuren" - also die Möglichkeit selbstständiger Forschung und Lehre für junge Hochschullehrer - sowie eine neue Besoldungsstruktur sein. Bei der Besoldung steht dann nicht mehr das Dienstalter im Vordergrund, sondern Engagement und Leistung sollen den Ausschlag bei der Bezahlung geben.
In kaum einem gesellschaftlichen Bereich ist die Bedeutung nationaler Grenzen so stark zurückgedrängt worden wie in Wissenschaft und Forschung. Das war immer so, hat in den letzten Jahrzehnten aber aus guten Gründen dramatisch zugenommen. Qualifizierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fühlen sich dort "zu Hause", wo sie optimale Lebens- und Arbeitsbedingungen vorfinden. Brilliante Köpfe sind auf dem internationalen akademischen Markt - und kaum einer ist so international wie dieser - begehrt und umworben. Und alle, die in diesem Bereich arbeiten, wissen das sehr wohl.
Wenn wir im weltweiten Wettbewerb um die besten Köpfe und fähigsten Wissenschaftler mithalten wollen, dann müssen wir in Deutschland noch internationaler werden, als wir das ohnehin sind. Wissenschaftlicher Austausch und wissenschaftliche Kooperation sind die Schlüssel dafür. Sie öffnen uns den Zugang zu Wissen und Erfahrung, insbesondere aber zu Kulturen und Lebenswelten anderer Gesellschaften. Das ist auch für die Entwicklung der eigenen Gesellschaft und Kultur wichtig. Hier leisten internationale Hochschulkooperationen in ganz besonderer Weise Schrittmacherdienste.
Für Ihre Universität, für die BTU Cottbus, ergeben sich gerade in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit neue Chancen, aber auch neue Verpflichtungen: Denn als Universität in der Grenzregion zu Polen sitzen Sie - der Ministerpräsident hat drauf hingewiesen - an der Nahtstelle einer sich erweiternden Europäischen Union. Das heißt: Sie können zu einem Katalysator des europäischen Einigungsprozesses und, man möchte das fast so sagen, zum "natürlichen Partner" der wissenschaftlichen Welt in Ost- und Mittelosteuropa werden. Damit eröffnet sich, wie die Volkswirte heute zu sagen pflegen, für die BTU Cottbus und ihre Partner eine "win-win" Situation. Dass die BTU Cottbus bereit ist, diese Herausforderung anzunehmen, zeigen beispielhaft die Zusammensetzung der ausländischen Studentenschaft und das Angebot internationaler Studiengänge.
Wissenschaft braucht Weltoffenheit - das ist hier deutlich geworden. Universitäten brauchen Universalität und Internationalität. Deswegen muss unsere Gesellschaft, müssen wir alle mit ganzer Entschlossenheit und wirklich mit aller Konsequenz im ureigenen Interesse - auch und gerade im Interesse dieser Region - gegen rechtsradikale Hetze, nationalistische Vorurteile und ausländerfeindliche Gewalt vorgehen. Die vielen Studierenden, aber auch die Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer der BTU, die sich gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern in Cottbus für Weltoffenheit und Toleranz einsetzen, engagieren sich beispielhaft für ihre Region und für eine gemeinsame Zukunft in der Region und darüber hinaus. Denen gebührt alle Anerkennung der Gesellschaft. Jenen, die dagegen arbeiten, gebührt ein klares Nein unserer gesamten zivilen Gesellschaft und ihrer Politik.
Ohne Forschung gibt es keine Innovation - und ohne Innovationen keine Investitionen, keine neuen Arbeitsplätze, kein Wachstum, keinen Wohlstand. Die enorme Bedeutung der BTU für die ganze Region und für ihre Wirtschaft als ein Kompetenz-Center, an das man anknüpfen kann und aus dem heraus auch ökonomische Potenziale entwickelt werden können, ist gar nicht hoch genug einzuschätzen. Förderung, wirtschaftliche Förderung mit der Gießkanne - das hat sich erwiesen - bringt nicht den erhofften Erfolg, aber Förderung klug angesetzt an Kompetenz-Zentren wie dieser Universität, bringt nicht nur Erfolg für die Lehrenden und Lernenden, sondern auch für die Stabilisierung und Entwicklung dieser wie anderer regionaler Wirtschaften. Entscheidend für die Wirkungskraft erfolgreicher Forschung - für die Umsetzung in Innovationen also - ist der zügige Transfer der gewonnenen Erkenntnisse und die ständige Rückkopplung mit innovativen Unternehmen, insbesondere in den Bereichen, die man als "Mittelstand" bezeichnet. Wissenschaft und Wirtschaft müssen sich, um erfolgreich und wettbewerbsfähig zu sein, heute mehr denn je als kommunizierende Röhren verstehen.
Die BTU Cottbus und ihre Partner aus der Wirtschaft dieser Region - die Vertreter dieser Unternehmen sind heute auch anwesend - nutzen diese Möglichkeiten bereits. Das lässt sich noch weiter entwickeln, denn dort kann dann sinnvoll die Förderung des Landes und des Bundes ansetzen. Es ist zu entwickeln und muss entwickelt werden. Darum: Die Innovationspartnerschaften zwischen der Universität und den Unternehmen müssen weiter ausgebaut werden, übrigens auch, um ein Problem zu lösen, das dazu führt, dass manch Studierender, obwohl er gerne bleiben würde, gehen muss, weil er zusätzlich zu dem, was er als Stipendium oder von zu Hause bekommt, keine Arbeitsmöglichkeiten in der Region hat. Mein Appell an die Wirtschaft lautet daher, den Studentinnen und Studenten, die das wollen, zum Beispiel in den Semesterferien, Möglichkeiten zu geben, in die Betriebe hineinzukommen und damit möglichst frühzeitig betriebliche Erfahrungen gewinnen zu können - natürlich gegen ein angemessenes Entgelt.
Man kann wirklich mit Respekt sagen: Die Studierenden und Lehrenden an dieser Hochschule sind solche mit bedarfsorientierten, zukunftsrelevanten Themenfeldern wie Umwelt- , Material- und Energieforschung. Man studiert hier in einer Region, die sich schon bald in der Mitte des sich erweiternden Europas befinden wird. Daraus kann und muss man Chancen entwickeln. Ich weiß sehr wohl, dass es in der Region auch Ängste gibt. Ängste, die sich auf Arbeitsmöglichkeiten und unlauteren Wettbewerb beziehen, ausgelöst durch Lohndumping und anderes. Wir bemühen uns, insoweit sinnvolle Übergangsfristen zu organisieren und haben uns in der Europäischen Union damit auch durchsetzen können.
Mir kommt es jedoch darauf an, dass begriffen wird - bei allem Respekt vor dem einen oder anderen, der seine Ängste nicht los wird - : Es gibt überragende Chancen, gerade für diese Regionen, auf der einen wie auf der anderen Seite. Es gibt überragende Chancen bei der Erweiterung der Europäischen Union. Also gibt es die Notwendigkeit, mit rationaler Politik Nachteile so klein wie möglich zu halten, es gibt vor allen Dingen aber die Notwendigkeit eines jeden Einzelnen, fest daran zu glauben - weil es richtig ist, daran zu glauben - , dass die Chancen in dem erweiterten Europa allemal größer sind als noch so ernst zu nehmende Bedenken. Deswegen: All denjenigen, die Ängste mit sich herumtragen, muss man sagen: Kommt mit auf einen Weg in ein einiges Europa, das insbesondere den früheren Grenzregionen unglaubliche Chancen eröffnen wird!
Wir haben als jetzt agierende Generation oder Generationen die unvergleichbare Chance, dieses alte Europa, in dem im letzten Jahrhundert so viel Blut vergossen worden ist, dieses alte und wunderbare Europa zu einem Ort dauerhaften Friedens und der Wohlfahrt seiner Menschen zu machen. Wir alle zusammen - diejenigen, die hier lehren und lernen, die gesamte Politik, gleichgültig, von welchem Standpunkt aus sie formuliert wird - dürfen uns eines niemals vorwerfen lassen, nämlich diese gewaltige Chance nicht ergriffen zu haben. Das sind wir unserer gemeinsamen Geschichte schuldig. Das sind wir aber vor allen Dingen künftigen Generationen schuldig, jenen Generationen, die in zehn oder zwanzig Jahren hier unter noch besseren Bedingungen studieren sollen.
Das ist eine großartige Aussicht auf eine gute Zukunft für diese so wichtige Universität, und wir alle miteinander sollten sie nutzen.