Redner(in): Hans Martin Bury
Datum: 18.07.2001

Untertitel: Corporate Citizenship, also bürgerschaftliches Engagement von Unternehmen, hat in Deutschland noch eine junge Tradition - aber schon eine sehr erfreuliche Entwicklung.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/58/49058/multi.htm


Sehr geehrter Herr Prof. Schweitzer, sehr geehrte Damen und Herren,

Corporate Citizenship, also bürgerschaftliches Engagement von Unternehmen, hat in Deutschland noch eine junge Tradition - aber schon eine sehr erfreuliche Entwicklung. Immer mehr Unternehmen engagieren sich als "gute Bürger" für das Gemeinwohl und übernehmen so gesellschaftliche Verantwortung.

Wenn wir heute nicht mehr - wie noch vor ein paar Jahren - über "downsizing" ( das fortschreitende Absenken sozialer Standards ) reden, sondern über "corporate citizenship" und "corporate social responsibility", zeigt dies einen politischen Klimawandel und auch eine neue Unternehmenskultur:

Gesellschaftliches Engagement wird in Management und Vorstand zunehmend auch als ein wichtiger Wirtschaftsfaktor gesehen.

Unternehmen, die am Markt erfolgreich sein wollen, überlegen mehr denn je, wie sie sich sozial, ökologisch oder kulturell engagieren, weil das ihr Renommee und damit ihre Wettbewerbsfähigkeit verbessert.

Corporate Citizenship bringt sozusagen eine doppelte Rendite: Für das Unternehmen und für die Gesellschaft.

Betriebe, die gemeinnützige Projekte unterstützen,

die Angestellten ermöglichen, als Mentoren Jugendliche bei ihrer Schulausbildung zu betreuen die Mitarbeiter frei stellen, für die Renovierung von Kindergärten oder Schulen bis hin zu einer temporären Mitarbeit in sozialen Einrichtungen verbessern nicht nur ihr Image beim Kunden.

Sie erhöhen die Identifikation der Mitarbeiter mit dem Unternehmen. Sie bieten ihnen Gelegenheit, Erfahrungen in unterschiedlichen Arbeitswelten zu sammeln und soziale Kompetenzen zu erwerben.

Für eine begrenzte Zeit begegnen sich Menschen aus völlig verschiedenen Welten, um den Blickwinkel zu wechseln und voneinander zu lernen.

Wie beispielsweise bei einem Programm von IBM Deutschland, bei dem freigestellte Mitarbeiter der Computerfirma den Aufbau eines grafisch orientieren EDV-Netzes für Blinde und Sehbehinderte betreuen.

Oder auch den "Pro Bono" -Aktivitäten von McKinsey, die Initiativen für Drogenabhängige und Obdachlose, aber auch zur Bekämpfung von Aids, Multiple Sklerose oder Krebs starteten.

Die Unterstützung der deutschen "Tafel", die Lebensmittel an Bedürftige verteilt, ist ein anderes besonders erfolgreiches Beispiel.

Wohlgemerkt auch der erste Sektor profitiert von Denk- und Arbeitsweisen des Non-Profit-Bereichs und kann Synergieeffekte nutzen.

Ich meine Team- und Kommunikationsfähigkeit, Verantwortungsbereitschaft, Verständnis für andere Lebenszusammenhänge, auch Kreativität und Phantasie.

Für die neue Arbeitsgesellschaft, die in Zukunft immer stärker eine Wissensgesellschaft und damit eine lernende Gesellschaft sein wird, ist diese Form von Wissenszuwachs von unschätzbarem Wert.

Soziale Kompetenz und Teamfähigkeit sind Schlüsselbegriffe in der modernen Unternehmensführung. Nicht ohne Grund sollen schließlich Ihre Mitarbeiter genau dies in mitunter recht teuren Kursen lernen. Bei einer vorübergehenden Mitarbeit in einem sozialen Projekt können Ihre Angestellten außerhalb von sicher lehrreichen Seminaren den unmittelbare Praxistest machen.

Experten in "change management", die Fachkompetenz und soziales Einfühlungsvermögen vereinen, werden dringend gesucht.

Unternehmen, die besser sein wollen, müssen "soziales Kapital" bilden - also die Fähigkeit, menschliche Beziehungen auszubauen, Vertrauen und Bindungsfähigkeit zu stabilisieren.

Dabei wird "Soziales Kapital" auch künftig nicht an der Börse gehandelt. Aber ein Unternehmen, das sich so als Partner der Zivilgesellschaft begreift, nimmt gleichsam teil an seiner "Verzinsung". So kann diese neue Form von Humankapital zu einem wichtigen Standortfaktor werden.

Make a difference durch Corporate citizenship und Corporate social responsibility kann eine erfolgreiche Unternehmensstrategie werden.

Nicht als eine reine PR-Maßnahme, die unreflektiert jeden neuen Trend mitmacht, aber als langfristig angelegte Haltung eines Unternehmens, das nachhaltig eine neue Unternehmenskultur entwickelt. Corporate citizens " sind Teil der Bürgergesellschaft und stärken deren Fähigkeit zu Eigenverantwortung und Selbstorganisation.

Für die Bundesregierung, die die "Zivile Bürgergesellschaft" fördern will, ja sie zu einem zentralen Leitbild ihres politischen Handelns gemacht hat, sind engagierte Unternehmen deshalb von großem Interesse.

Und zwar nicht als "Ausfallbürge" für vorhandene oder vermeintliche Defizite des Staates. Der Staat wird sich auch in Zunkunft nicht aus seiner sozialen Verantwortung verabschieden.

Aber er kann nicht alle Bedürfnisse befriedigen, er muß nicht alles an sich reißen und auch nicht alles entscheiden. Jedenfalls entspricht dies unserem modernen Staatsverständnis von einem partnerschaftlichen und aktivierenden Staat - den auch die Bürger mehrheitlich wollen.

Ihrem gewachsenen Bedürfnis nach Teilhabe und Mitbestimmung könnte ein bevormundender, einengender "Fürsorgestaat" gar nicht gerecht werden.

Mehr Zivilgesellschaft heißt deshalb nicht weniger Staat, sondern weniger etatistisches Denken und Handeln. Das Verhältnis von Staat und Bürgergesellschaft ist kein Nullsummenspiel, es ist eine Zugewinngemeinschaft. Erst recht dann, wenn Aufgaben und Verantwortung von Staat und Gesellschaft neu bestimmt werden.

Weil nicht für jedes gesellschaftliche Problem ein Gesetz her muß und immer weniger soziale Probleme über weitere Umverteilung zu lösen sind, geht es vor allem darum, Zugangschancen und Optionen zur Selbstentfaltung zu öffnen. Darum, Befähigungen und Begabungen aller zu fördern und zu fordern, beispielsweise durch verstärkte Bildungsanstrengungen.

So - richtig - verstanden konkurrieren Staat und Zivilgesellschaft nicht miteinander. Sie ergänzen und stärken sich vielmehr gegenseitig.

In dieser Abkehr von der Dominanz des Staates, hin zu mehr Eigenverantwortung begründet sich das langfristig angelegte Projekt dieser Bundesregierung, eine zivile Bürgergesellschaft zu fördern.

Ein Musterbeispiel für public private partnership ist für mich die Initiative D 21, mit der wir Deutschland fit machen für das Online-Jahrhundert. Die Initiative ging von Unternehmen aus. Den Vorsitz des Beirates hat Bundeskanzler Gerhard Schröder übernommen.

D21 bringt konkrete Maßnahmen auf den Weg, um bspw. Schulen oder öffentliche Büchereien mit Computern auszustatten, neue Qualifikationen zu schaffen und insbesondere auch Frauen beim Einstieg in neue Kommunikationsberufe zu fördern.

Gemeinsam arbeiten wir - Wirtschaft und Politik - daran, den Weg in die Informations- und Wissensgesellschaft erfolgreich zu beschreiten.

Uns geht es darum, Chancen aufzuzeigen, Teilhabemöglichkeiten zu schaffen und eine Spaltung der Gesellschaft in Vernetzte und Unvernetzte zu verhindern.

Zu lange wurde public private partnership in Deutschland verkürzt für die private Finanzierung öffentlicher Aufgaben gebraucht. Uns geht es um mehr. Es geht um die gemeinsame Definition von Zielen und die Vereinbarung konkreter Umsetzungsschritte.

Das ist nicht weniger als ein neuer Politikstil:

Vom "Vater Staat" zum "Partner Staat".

Anrede,

die Bundesregierung hat mit der Förderung der Zivilgesellschaft einerseits eine Debatte um das politische Selbstverständnis unserer Gesellschaft angestoßen.

Und sie hat andererseits Reformen durchgeführt und eingeleitet, um die öffentliche und politische Verantwortung neu zu justieren.

Bürger und Wirtschaft wurden von Steuern und Abgaben auch deshalb entlastet, um Mittel frei zu machen für mehr Engagement. Denn nur wer mehr Freiheit bekommt, kann und soll mehr Verantwortung übernehmen.

Die Modernisierung des Sozialstaates haben wir vorangetrieben. Nicht nur weil ein allgegenwärtiger Wohlfahrtstaat ineffizient und unbezahlbar geworden ist. Die Qualität des Sozialstaats bemisst sich nicht an den Milliarden, die er ausgibt, sondern an den Problemen, die er löst, und den Chancen, die er eröffnet.

Wir orientieren uns am Leitbild eines aktivierenden und vorsorgenden Sozialstaates. Das bedeutet: Den Menschen Chancen zur eigenen Entwicklung geben, sie fördern und fordern.

Wenn z. B. Alleinerziehende nicht erwerbstätig sein können, weil ihre Kinder nicht betreut werden, löst man dieses Problem nicht, indem man die Sozialhilfe erhöht, auch nicht dadurch, dass man sie kürzt. Die Lösung liegt vielmehr in flächendeckenden, bedarfsorientierten Kinderbetreuungsangeboten.

Gerade hier haben wir in Deutschland Nachholbedarf.

Im Gegensatz zu unseren europäischen Nachbarn, bspw. in Frankreich oder Skandinavien, gibt es bei uns noch immer viel zu wenig Kinderkrippen, Horte oder Schulen, die eine Ganztagsbetreuung anbieten.

Der Bund wird mit dem Familienförderungsgesetz die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erheblich erleichtern. Das gilt insbesondere für die steuerliche Abzugsfähigkeit erwerbsbedingter Betreuungskosten.

Neben der erneuten Erhöhung des Kindergeldes werden wir dafür sorgen, dass - über den ebenfalls erhöhten Freibetrag hinaus - erwerbsbedingte Betreuungskosten bis zu 3000 DM von der Steuer absetzbar sind.

Wir wollen ganz bewusst Verantwortung teilen und den Bürgerinnen und Bürgern Handlungsmöglichkeiten zurückgeben, die sie eigenständig nutzen können. Mehr Selbstbestimmung durch korporatistische Netzwerke kann Politik so auf vielfache Weise ergänzen.

Die Möglichkeiten von Zivilgesellschaft und bürgerschaftlich engagierten Unternehmen sind noch nicht annähernd ausgelotet und ausgeschöpft.

Denn wo durch wirtschaftliche Globalisierung vom Einzelnen immer häufiger Mobilität und Flexibilität verlangt werden, braucht es eine solidarische Gemeinschaft, die den Menschen das Gefühl der Zusammengehörigkeit vermitteln kann.

Deshalb ist bürgerschaftliches Engagement in Initiativen und Vereinen wichtig. Wir brauchen Orte, an denen sich die Menschen eingebunden und aufgehoben fühlen können.

Unternehmen und Unternehmer, die sich wie Sie im klassischen Sinne nicht als "Bourgeois", sondern als "Citoyen" verstehen, können den Menschen durch bürgerschaftliches Engagement Teilhabemöglichkeiten aufzeigen.

Im bürgerschaftlichen Miteinander können Werte, demokratische Gesinnung und soziales Verhalten vorgelebt und weitergegeben werden. Ein solches Netz trägt die Menschen auch in schwierigen Situationen.

Übrigens, viele der hierzulande so typischen mittelständischen Betriebe, die vor Ort verwurzelt sind, engagieren sich auf lokaler Ebene schon lange für gemeinnützige Zwecke. Ohne sie wäre beispielsweise unser charakteristisches Vereinsleben kaum denkbar.

Dort wo der soziale Zusammenhalt aktiv gelebt wird, wachsen Wertegemeinschaften, die noch dazu sehr produktive Wertschöpfungsgemeinschaften sein können.

Wer die Bürgerinnen und Bürger zu Freiheit und Eigenverantwortung ermutigen will, soll ihnen auch ein Umfeld der Stabilität sichern. Beides gehört untrennbar zusammen. Erst recht in Zeiten raschen Wandels.

Anrede,

das gesellschaftliche Engagement zu ermuntern und zu fördern, entspricht dem Bedürfnis vieler Menschen, denn es bereichert ihr Leben.

So sind mehr als mehr als zwei Millionen Bundesbürger in gemeinnützigen Einrichtungen und Projekten beschäftigt. Und jeder jeder dritte Erwachsene engagiert sich ehrenamtlich.

Meist sind es Feierabende und Wochenenden, oft sind es Nächte, die man hergibt für den Sportverein, für den Einsatz bei der Feuerwehr, bei der Altenhilfe oder der Ausländerintegration, in Kirchen, Parteien oder Freiwilligenagenturen.

Es stimmt zwar, dass die Zahl derjenigen, die sich auf lange Zeit freiwillig binden, stagniert oder abnimmt, aber das ehrenamtliche Engagement insgesamt ist nicht weniger geworden. Im Gegenteil. Gerade bei jungen Menschen gibt es einen sehr ausgeprägten Wunsch, sich auch für die öffentliche Sache einzusetzen. Oft zeitlich begrenzt und projektbezogen, im unmittelbaren sozialen Umfeld, orientiert auch daran, sich selbst entfalten zu können.

Die neuen Freiwilligen brauchen keine Ehrennadeln, sie wollen sich auch nicht unbedingt an die großen Organisationen anlehnen.

Die gesellschaftlich Engagierten von heute überlegen sehr genau, was sie selbst davon haben, wenn sie beispielsweise ein Freiwilliges Soziales - oder Ökologisches - Jahr ableisten. Das im übrigen sehr beliebt ist. Auch in diesem Jahr haben sich wieder weit mehr junge Menschen beworben als Plätze angeboten werden.

Freude haben und gleichzeitig Menschen helfen, die eigenen Fähigkeiten erweitern und dabei gesellschaftliche Probleme in die eigene Hand nehmen und mithelfen sie zu lösen, sind wichtige Motive für soziales oder gemeinnütziges Engagement.

Sie sind charakteristisch für eine neue Form einer stärker rational, durchaus auch an anspruchsvollen eigenen Interessen begründeten Solidarität durch Eigenverantwortung.

Das von manchen düster gezeichnete Bild einer egoistischen Gesellschaft stimmt demnach nicht. Auch der These von einer weitverbreiteten Politikverdrossenheit widerspricht ein solcher Befund.

Die organisatorischen Formen des Engagements mögen sich geändert haben, aber die Bereitschaft der Bürgerinnen und Bürger sich gesellschaftlich zu engagieren, bleibt unverändert hoch.

Anrede,

wir wollen, dass gute Beispiele Schule machen. Ein Beitrag dazu ist der Wettbewerb "Freiheit und Verantwortung", den die Wirtschaftsverbände gestartet haben. Vorbildliches gemeinwohlorientiertes Engagement von Unternehmen wird öffentlich ausgezeichnet, um die Attraktivität von corporate citizenship zu erhöhen. startsocial "ist eine weitere Initiative der Wirtschaft, bei der Bundeskanzler Schröder die Schirmherrschaft übernommen hat. startsocial" organisiert Hilfe für Helfer. Fachleute aus der Wirtschaft stellen ihr Know-how für gemeinnützige Projekte zur Verfügung.

Sie helfen bei der Professionalisierung gemeinnütziger Arbeit. Sie unterstützen soziale Einrichtungen dabei, Kontakte zu knüpfen und eine lokale Infrastruktur zu Sponsoren aufzubauen.

Ich will den Berichten aus den einzelnen Unternehmen und Projekten, die hier gleich vorgetragen werden, nicht vorgreifen.

Schon ein Blick in die Liste der heute Vortragenden und der Teilnehmer zeigt, dass sich - wie in den USA und Großbritannien - auch in Deutschland immer mehr Unternehmen bürgerschaftlich engagieren.

Aber es stimmt schon, dass hier noch etliches mehr und auch einiges anders gemacht werden kann.

Zum Beispiel bei den Möglichkeiten jenseits des klassischen Mäzenatentums oder Sponsoring, selbst aktiv zu werden, unternehmerisches Können einzusetzen und die Selbsthilfe zu stärken.

Beispielsweise indem gemeinnützigen Initiativen und Projekten verstärkt modernes Management Know-How zur Verfügung gestellt wird, um die Effizienz sozialer Arbeit zu steigern und die Öffentlichkeitsarbeit zu professionalisieren.

Anrede,

2001 ist als "Internationales Jahr der Freiwilligen" ausgerufen worden. Solch eine plakative Werbemaßnahme ist zweifellos sinnvoll, weil sie hilft, das öffentliche Interesse auf das Thema Ehrenamt zu lenken. Noch wichtiger aber ist die alltägliche, kontinuierliche Arbeit für mehr gesellschaftliches Engagement.

Die von Ihnen, Herr Professor Schweitzer, maßgebliche geprägte "Aktion Gemeinsinn" leistet diese Arbeit in hervorragender Weise. Dafür möchte ich Ihnen persönlich und allen, die sich in der Aktion Gemeinsinn für mehr gesellschaftliches Engagement einsetzen, sehr herzlich danken.