Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 24.08.2001
Untertitel: Ich begrüße Sie recht herzlich zur Eröffnung der 43. Internationalen Funkausstellung hier in Berlin.
Anrede: Sehr geehrter Herr Dr. Hecker, sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister, meine Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/19/53619/multi.htm
Ich begrüße Sie recht herzlich zur Eröffnung der 43. Internationalen Funkausstellung hier in Berlin.
Eine "Messe der guten Laune", ein Forum für Funk und Fernsehen ist die IFA unterm Funkturm ja schon traditionell. In diesem Jahr aber kann sie wieder einmal viel mehr sein: Ein Signal für Zuversicht und Kreativität, für die Kraft menschlichen Erfindergeists, für die Chancen einer dynamischen, zukunftsorientierten Wirtschaft. Mithin: Ein Signal zum Aufbruch.
Ich habe natürlich zur Kenntnis genommen, dass sich die Stimmung in der deutschen Wirtschaft laut ifo-Index wieder bessert. Und so skeptisch ich gegenüber den fast täglich neuen Wirtschaftsumfragen und Konjunkturprognosen geworden bin: Die Aussagen über das sich bessernde Geschäftsklima sind ja durch Fakten gedeckt.
Gerade hat die deutsche Automobilindustrie beeindruckende Wachstumszahlen bekannt gegeben. DaimlerChrysler wird 2000 neue Arbeitsplätze in Deutschland schaffen. Und - was mir, weil ich auch ein bisschen daran beteiligt war, besonders am Herzen liegt: Das innovative Beschäftigungsmodell "5000 mal 5000" bei VW wird definitiv umgesetzt.
Aber nicht nur das. Die Inflation ist rückläufig. Dies stärkt die Binnennachfrage. Die Entlastung der Familieneinkommen durch die Steuerreform wird jetzt auch als Konsumnachfrage spürbar. Dadurch hat sich bereits die Stimmung im Einzelhandel grundlegend gewandelt. Im Verarbeitenden Gewerbe ist der Rückgang der Produktion gestoppt. Und in den Monaten Mai und Juni sind bereits wieder deutlich mehr Aufträge eingegangen als in den Vormonaten.
Wir sehen also: Es bewegt sich was in Deutschland. Auch wenn wir natürlich nach wie vor die Auswirkungen von außenwirtschaftlichen Entwicklungen, die wir nicht beeinflussen können, zu spüren bekommen.
Meine Damen und Herren!
Wenn ich sage: Es bewegt sich was in Deutschland - dann ist die IFA natürlich ein besonders geeigneter Ort für diese Aussage. Und zwar nicht nur wegen der "bewegten Bilder" oder der mobilen Kommunikation. Schon eher wegen der Verbindung, die beide eingehen und die enorme Zukunftschancen bietet.
Allein die Wachstumsaussichten für die sogenannten "Konvergenzmärkte", also für Produkte, die aus der gemeinsamen Entwicklung von Informationstechnik, Medien und Telekommunikation entstehen, sind beeindruckend: Hier wird von bis zu 65 Prozent Wachstum pro Jahr gesprochen und einem Umsatzziel von 100 Milliarden Mark im Jahr 2004. Es sind ja auch faszinierende Möglichkeiten, die sich durch diesen nächsten "Technologiesprung" bieten.
Mehr als 900 Aussteller aus 40 Ländern - wenn ich das richtig sehe, wird das ein neuer Messerekord - werden in den nächsten Tagen vorführen, wie das Zusammenwachsen von Hörfunk und Fernsehen, von Computer, Internet und Telefon unseren Alltag verändern kann, und wohl auch verändern wird. Es entsteht eine ganz neue Generation von Multimedia-Geräten, die gewöhnliches Radiohören und Fernsehen ebenso ermöglichen wird wie die Zusammenstellung individueller Hörfunk- und Fernsehprogramme auf Knopfdruck.
In der Fotografie besorgt der Computer die Ausschnittvergrößerung des digital erzeugten oder entwickelten Bildes nach eigenen Wünschen. Selbst der "sprechende Kühlschrank", den wir vom Handy aus steuern und der per Internet seine Bestände à jour bringt, ist heute offensichtlich keine Utopie mehr.
Für die Medien bedeutet diese Konvergenz, dass integrierte Vertriebs- und Produktionsplattformen entstehen, die sowohl konventionell als auch multimedial genutzt werden können. Das Ganze bedeutet für mich nicht so sehr "Schöne neue Welt" - oder auch nur "Schöne neue Technik".
Hier wird vielmehr etwas viel Wichtigeres anschaulich gemacht:
Das Zusammenwachsen und gegenseitige Durchdringen von "Old" und "New Economy", oder, wenn man so will: Synergie und Synthese von "analog" und "digital". Die Verbindung von Qualität und Produktionserfahrung auf der einen Seite, mit höchster technischer Finesse und Innovation auf der anderen Seite. Darin liegen meiner Ansicht nach die langfristig großartigen Wachstumschancen hoch entwickelter Volkswirtschaften wie der unseren.
Ein weiteres Beispiel ist die Digitalisierung von Hörfunk und Fernsehen - die Schlüssel-Technologie schlechthin zur Verbindung von Rundfunk- und Computerwelt. Die von Bund und Ländern eingerichtete Initiative "Digitaler Rundfunk" hat sich dafür klare Ziele gesetzt. Bis zum Jahr 2010 soll das heutige analoge Fernsehen durch digitales Fernsehen ersetzt werden. Und spätestens 2015 wird der derzeitige analoge Hörfunk durch das Digital-Radio abgelöst werden. Hier sind allerdings noch besondere Anstrengungen notwendig, denn vor allem im Hörfunk nutzen noch längst nicht alle Teilnehmer Satellit oder Kabel.
Es geht also darum, das Netz für digitale Radiosendungen konsequent auszubauen und verfügbare Frequenzen verstärkt zum Ausstrahlen digitaler
Hörfunkprogramme zu nutzen. Dabei müssen wir den Rundfunkteilnehmern eine vernünftige Übergangszeit einräumen bis zum Auslaufen der analogen Übertragungstechnik. Und zweitens eröffnet eine möglichst rasche Digitalisierung unserem Land die Chance, in dieser Zukunftstechnologie eine Führungsposition im internationalen Wettbewerb zu erreichen.
Meine Damen und Herren,
es ist überhaupt keine Frage, dass es bei der konjunkturellen Entwicklung nicht so gelaufen ist, wie wir das alle gerne gehabt hätten. Gerade jetzt müssen wir unsere Politik der Modernisierung bei gleichzeitiger Konsolidierung konsequent fortsetzen. Vergessen wir nicht: In den vergangenen zwei Jahren sind mehr als 1 Million neuer Arbeitsplätze geschaffen worden. Die Zahl der Arbeitslosen ist vom ersten Halbjahr 1998 bis zum ersten Halbjahr 2001 um 600 000 zurückgegangen.
Aber selbst in einer Phase, in der der Konjunktureinbruch in den USA zu einer Abschwächung des wirtschaftlichen Wachstums bei uns geführt hat, dürfen wir die Vorsorge und die langfristigen Ziele nicht aus dem Auge verlieren. Mit der für spätestens nächstes Jahr von allen Instituten erwarteten, kräftigen Konjunkturbelebung wird sich wieder stärker bemerkbar machen, was wir selbst zum gegenwärtigen Zeitpunkt beobachten können: ein spürbarer Mangel an Fachkräften in vielen Branchen und Regionen unseres Landes. Deshalb ist und bleibt es von entscheidender Bedeutung für unsere Volkswirtschaft, nicht nachzulassen in der Bereitschaft, rechtzeitig zu investieren in eine erstklassige Ausbildung junger Menschen.
Es ist erfreulich, dass es im letzten Jahr bundesweit erstmals seit 1995 wieder mehr unbesetzte Ausbildungsplätze als noch nicht vermittelte Bewerber gab. Für das neue Ausbildungsjahr erwarten wir eine Fortsetzung dieses positiven Trends.
Besonders dynamisch hat sich übrigens die Lehrstellen-Situation in den IT- und Medienberufen entwickelt. Das Ziel, bis 2003 in diesem Bereich 60 000 Ausbildungsplätze bereitzustellen, ist bereits Ende vergangenen Jahres fast erreicht worden. Ich finde es daher nur konsequent, dass die Medienberufe auf der diesjährigen Funkausstellung erstmals in einem gesonderten Ausstellungs-Bereich von Jugendlichen selbst vorgestellt werden.
Angesichts der demografischen Entwicklung müssen wir uns aber auch frühzeitig daran machen, langfristig eine ausreichende Zahl von Fachkräften für unsere Volkswirtschaft zu gewinnen. Um diese Fachkräfte gibt es einen heftigen internationalen Wettbewerb. Mit der Green Card-Initiative haben wir dem Thema Zuwanderung kräftige Impulse gegeben. Seit Inkrafttreten dieser Regelung vor einem Jahr sind 9 000 Green Cards für ausländische Computerspezialisten vergeben worden.
Mit diesem Beitrag zur raschen Linderung des Fachkräftemangels im IT-Bereich sorgen wir für zusätzliche Arbeitsplätze auch für die Menschen hier zu Lande. Denn statistisch gesehen, hat jeder Green Card-Experte im Durchschnitt zweieinhalb weitere Arbeitsplätze geschaffen. Vor allem aber - und dies ist fast noch wichtiger: Mit der Green Card haben wir in der Öffentlichkeit einen großen Schritt zur Versachlichung des bislang sehr emotionsbeladenen Themas Zuwanderung getan.
Deshalb wird es uns auch möglich sein, das Thema Zuwanderung umfassend zu regeln. Die Bundesregierung hat ihren Entwurf für ein Zuwanderungsgesetz vorgelegt. Unser Ziel ist, dass dieses Gesetzesvorhaben noch vor Jahresende verabschiedet wird. Dabei streben wir einen breiten, parteiübergreifenden Konsens an. Und den werden wir - so sehr sich manche heute noch sträuben - auch erreichen: Weil er gesellschaftlich und volkswirtschaftlich vernünftig ist.
Meine Damen und Herren,
diese Funkausstellung zeigt uns die gesamte Vielfalt des Informationszeitalters. Nun könnte man ja, angesichts der rasanten Entwicklungen gerade in diesem Bereich, zu dem Schluss kommen: Für die Politik ist in dieser neuen Medienwelt gar kein Platz mehr. Ich denke: Das Gegenteil ist richtig. Gerade weil diese neuen Möglichkeiten den selbstbestimmten, mündigen Bürger ansprechen, braucht es eine Politik, die auf der Höhe der Zeit ist und die Bürger "aktivieren" kann.
Die "Vernetzung" verschiedener Bereiche, von der im Zusammenhang der IFA ständig gesprochen wird, ist ja längst auch eine Anforderung an die Politik, der wir nachzukommen versuchen. Vernetzte Technik ist eben nicht viel wert ohne vernetztes Denken. Und deswegen gehören für mich Innovation und Solidarität genau so zusammen wie Information und Ausbildung, Verbraucherschutz und Familienpolitik. Denn eine starke Medien- und Kommunikationsgesellschaft ist nicht etwa eine Gesellschaft stark vereinsamter Mediennutzer. Sondern eine Gesellschaft, in der neue Medien- und Kommunikationstechniken den Zusammenhalt stärken und die gemeinsamen Lebenschancen und Lebensumstände verbessern.
Andererseits spielt die Politik aber auch eine zentrale Rolle, wenn es um die Rahmenbedingungen geht, die der volkswirtschaftlichen und auch der innovativen Entwicklung gesetzt werden. Da handelt es sich dann um so handfeste Dinge wie Steuern und Märkte. Bereits in diesem Jahr sind Arbeitnehmer und Unternehmen um 45 Milliarden Mark entlastet worden. Dabei geht es uns vor allem um den Mittelstand - den Motor und das Rückgrat der wirtschaftlichen Entwicklung. Es ist der Mittelstand, der die Arbeits- und Ausbildungsplätze der Zukunft schafft.
Dabei benötigt der Mittelstand Hilfe und Unterstützung. Genau die haben wir ihm gegeben und werden wir weiter geben. Mit der Steuerreform haben wir vor allem kleine und mittlere Unternehmen entlastet. So haben wir den Mittelstand seit Anfang diesen Jahres fast vollständig von der Gewerbesteuerlast befreit. Und im kommenden Jahr werden die steuerlichen Rahmenbedingungen weiter verbessert. Außerdem haben wir beschlossen, die Investitionskraft von Personenunternehmen - und das sind mittelständische Unternehmen - dadurch zu verbessern, dass der Erlös aus dem Verkauf von Firmenanteilen zunächst steuerfrei bleibt, wenn das Geld innerhalb einer bestimmten Frist wieder im Unternehmen investiert wird. Dadurch werden Investitionen angeregt und können neue Arbeitsplätze entstehen.
Und wir verschieben das für 2002 vorgesehene Inkrafttreten der überarbeiteten branchenbezogenen Abschreibungs-Tabellen. Auch das ist ein zusätzlicher Anreiz für Investitionen. Das kostet übrigens Geld, aber ich bin sicher, dieses Geld ist gut angelegt, wenn wir damit die Eigenkapitalbasis und die Investitionskraft der mittelständischen Wirtschaft zusätzlich stärken. Und noch etwas werden wir machen, von dem kleine und mittlere Unternehmen profitieren werden. Bei den Fristen für die Überlassung von Leiharbeitnehmern werden wir für neue Regelungen sorgen, die praxisgerechter sind und die Vermittlung von Arbeitnehmern in eine dauerhafte Beschäftigung erleichtern.
Meine Damen und Herren,
eine wichtige Rolle spielt die Politik natürlich auch bei den Marktbedingungen. Ich denke zum Beispiel an die Liberalisierung des Energie- und des Telekommunikations-Marktes. So lag beispielsweise der Preis für die Internet-Nutzung nach Angaben des Statistischen Bundesamtes im Juli um 30 Prozent niedriger als noch ein Jahr zuvor. Dies ist nach meiner Auffassung ein substantieller Beitrag zu einem "Internet für alle" : ein Internet, das für immer mehr Menschen auch vom Preis her erreichbar ist.
Darüber hinaus haben wir mit der Versteigerung der UMTS-Lizenzen nicht nur einen Beitrag zum Abbau der Staatsverschuldung geleistet. Sondern wir fördern mit der UMTS-Freigabe auch die enge Kooperation zwischen Medien und Telekommunikation, wenn Sie so wollen: zwischen "Inhalt" und "Technik". Welch enorme Wachstums- , Gewinn- und Beschäftigungschancen in dieser Zusammenarbeit liegen, muss ich Ihnen sicher nicht erklären. Es liegt an Ihnen, diese Chancen zu nutzen. In diesem Sinn wünsche ich uns allen eine erfolgreiche und ertragreiche IFA. Und ich erkläre die 43. Internationale Funkausstellung 2001 für eröffnet.