Redner(in): Michael Naumann
Datum: 06.01.1999

Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/37/11837/multi.htm


Dieses Interview wird am 07. Januar 1999 im Hamburger Abendblatt veröffentlicht.

Frage: Herr Naumann, was wollen Sie in der Kulturpolitik bewegen?

Naumann: Es geht mir vor allem darum, die Ausgabenpolitik der Bundesrepublik für die Kultur transparenter zu machen, zu koordinieren und der parlamentarischen Kontrolle zu öffnen. Auch will ich dafür sorgen, daß die Belange der Künstler und Autoren, der Verlage, Theater, Opern und Museen angemessen artikuliert, verteidigt und auf politischer Ebene repräsentiert werden.

Frage: Mit Ihrem Amt und Ihrer Person verbinden gerade Künstler ziemlich hohe Erwartungen. Sind angesichts Ihrer doch eher beschränkten Handlungsmöglichkeiten Enttäuschungen absehbar?

Naumann: Mir war schon vorher klar, daß Enttäuschungen im politischen Geschäft der Kammerton des Lebens sind. Daß ich nach 16 Jahren Kohl übrigens ohne mein Zutun zu einer Art Projektionsfläche für viele Wünsche geworden bin, ist mir natürlich klar.

Frage: Macht Ihnen das manchmal Angst?

Naumann: Nein, allerdings weiß ich, daß diese Projektion auf eine Figur, die gleichsam funktionales Charisma zu verbreiten und alle Probleme der Welt zu lösen hatte, eine medial verstärkte, deutsche Sehnsucht ist. Ich weise darum immer wieder darauf hin, daß Kulturpolitik nicht mit radikalen Erlösungsprogrammen zu leisten ist. Sondern nur durch Einflußnahme auf konkrete Gesetzgebung, durch Steuerung von Subventionen, durch gutes Zureden. Das ist vielleicht weniger als erwartet wurde, aber gewiß mehr als wir bisher hatten.

Frage: Sie haben in den USA ein sehr ausgeprägtes Kultursponsoring kennengelernt. Sollte sich der Staat angesichts knapper Kassen auch bei uns stärker zurückziehen und Sponsoren Platz machen?

Naumann: Der Staat soll sich auf keinen Fall weiter zurückziehen. Doch gerade in den Kommunen bleibt aufgrund der unaufhaltsam steigenden Fixkosten der Museen, Theater und anderer Kultureinrichtungen immer weniger Geld für die eigentlichen künstlerischen Produktionen übrig. Hier wäre es wichtig, daß sich Sponsoren engagieren. Da das Sponsorenwesen in Deutschland aber noch relativ neu ist, räumen die Politiker wie die Empfänger den Werbenden - denn das sind die Sponsoren ja - in ihrer übergroßen Dankbarkeit einen nach meinem Geschmack allzu großen Raum für Selbstdarstellung ein.

Frage: Nennen Sie ein Beispiel.

Naumann: Ich finde es peinlich, wenn ich bei der Ausstellungseröffnung in einem ganz bedeutenden deutschen Museum nicht ein einziges mal den Namen einer der dort ausgestellten jungen Künstler gehört habe, aber mindestens zehnmal den Namen Philipp Morris. Da ist etwas nicht in Ordnung. Sponsoring sollte sein. Aber ich bin dafür, daß dieses Sponsoring nicht nach der Maßgabe der fast schon eitlen Selbstdarstellung, sondern nach der des mäzenatischen, gesellschaftspolitisch verantwortlichen Handelns von Sponsoren geschieht.

Frage: Sind nicht auch im Stiftungsrecht Korrekturen dringend notwendig?

Naumann: Selbstverständlich, das ist auch in unserer Koaltionsvereinbarung festgeschrieben. Wir werden das versuchen, wahrscheinlich gegen den erbitterten Widerstand des Finanzministers.

Frage: Was wollen Sie konkret ändern?

Nauman: Die Gründung von Stiftungen mit kulturpolitischer Absicht muß deutlich erleichtert werden. Der Gesetzgeber muß auch ermöglichen, daß mit Hilfe des Spendenrechts mehr Geld für Kultur mobilisiert werden kann. Allerdings glaube ich nicht, daß mit den Verbesserungen im Stiftungs- und Spendenrecht auch nur eine Verdopplung der bisher aufgebrachten Gelder erreichbar ist.

Frage: Bisher sind Sportvereine hier deutlich besser gestellt als Kulturinstitutionen.

Naumann: Das ist in der Tat nicht einzusehen. Das wollen wir übrigens mit voller Unterstützung unseres Koalitionspartners ändern. Und die Opposition wird sich auch nicht sträuben.

Frage: Sie haben sich für die länderübergreifende Buchpreisbindung eingesetzt. Die Sache scheint aber schon verloren.

Naumann: Das sehe ich nicht so. Die Bundesregeirung hat klargemacht, daß sie gegen eine entsprechende EU-Entscheidung klagen werde. Ich muß den Verlagen jedoch den Vorwurf machen, daß sie meinen Job mit ihrer sehr aggressiven Ramschpolitik keineswegs erleichtern.

Frage: Wem werfen Sie das vor?

Naumann: Allen.

Frage: Leidtragende sind die Kleinen?

Naumann: Eher die mittelgroßen Verlage, doch wenn man genau hinsieht, gehören die ja inzwischen oft schon zu Konzernen. Doch auch diese werden vom gebundenen Ladenpreis gleichsam geschützt: Nur so läßt sich schwer verkäufliche Belletristik kalkulieren.

Frage: Lohnt es sich überhaupt noch, für die Preisbindung zu kämpfen?

Naumann: Doch. Ich setze mich vor allem für die 25.000 Buchhändlerinnen und Buchändler ein. Sie stehen für ein weltweit einmaliges Kulturnetzwerk, das die Grundversorgung des Landes mit Literatur garantiert. Ihre berufliche Existenz wurde durch den gebundenen Ladenpreis gesichert.

Frage: Als ähnlich bedrohlich empfindet die Buchbranche das vom Finanzministerium geplante Verbot der Teilwertabschreibung.

Naumann: Das Thema wird im Laufe dieses Monats im Kabinett diskutiert.

Frage: Mit welchem Ergebnis rechnen Sie?

Naumann: Ich bin da guter Hoffnung. Jedenfalls habe ich das Thema bis zur Ermüdung des Finanzministers dargelegt und diskutiert.

Frage: Wenn Sie dieses Vorhaben kippen, müssen Sie einen Vorschlag für eine Gegenfinanzierung machen. Wo wollen Sie sparen?

Naumann: Ich hätte eine Menge Vorschläge zur Gegenfinanzierung, allerdings nicht aus meinem Ressort.

Frage: Wie hoch ist denn Ihr Etat?

Naumann: Er liegt bei etwa 1,7 Milliarden Mark. Die Verhandlungen mit dem Finanzminister sind aber noch nicht abgeschlossen.

Frage: Wer hat denn bei Ihnen schon um Geld gebeten?

Naumann: Chronisch unterfinanziert gibt sich Berlin in seinen kulturpolitischen Ausgaben. Gleichwohl hat die Hauptstadt pro Kopf gesehen einen besseren Haushalt als die Bundesrepublik. Der kulturpolitische Kurs Berlins mit jährlichen Kürzungen bis 30 Millionen Mark hat dazu geführt, daß heute Not am Mann ist. Also aus Berlin erhalte ich lebhafte Wünsche, aber auch aus den neuen Ländern. Selbst Bayerns Kulturminister Hans Zehetmaier, der aus föderalistischer Tradition gegen meine Installation als Kulturpolitiker gewettert hat, kann sich Bonner Zuschüsse nun sehr wohl vorstellen.

Frage: Sie haben die Bedeutung der Bibliotheken in der Informationsgesellschaft mehrfach hervorgehoben. Seit 1992 werden jährlich bundesweit 300 Bibliotheken geschlossen. Können Sie dagegen angehen?

Naumann: Nein. Hier sind die Kommunen gefordert. Ich kann nur mahnen.

Frage: In Hamburg droht den Öffentlichen Bücherhallen die nächste Schließungswelle.

Naumann: Ich bin aber sicher, wenn der HSV sich ein neues Stadiondach wünscht, baut Hamburg auch das noch. Bibliotheken zu schließen, ist politisches Analphabetentum. Unfaßlich! Und Christina Weiß wird das genauso sehen wie ich.

Frage: Statt des bisher geplanten Holocaust-Mahnmals wollen Sie in Berlin ein Museum bauen, das mit einer Bibliothek und einer Forschungsstätte verbunden ist. Das wurde sogleich massiv kritisiert.

Naumann: Ich wünsche mir eine Erinnerungsstätte nach dem Vorbild des Holocaust-Museums in Washington. Mit dessen Initiatoren habe ich gesprochen, um mir Zusagen für die archivalische Zusammenarbeit zu holen. Die habe ich erhalten. Wer das Holocaust-Museum in Washington besucht, verläßt es übrigens nicht mit einem abgrundtiefen Haß auf uns, auf die Deutschen. Sondern geht meistens tief erschüttert. Das sieht man den Besuchern an.

Frage: Haben Sie sich auch an das Yad Vashem Museum in Jerusalem gewandt?

Naumann: Ja, ich habe gerade am Dienstag mit dem Vorsitzenden der Yad Vashem-Gedenkstätte, Avner Shalev, gesprochen. Auch er würde uns helfen. Ich bin im übrigen durchaus der Meinung, daß ein Museum Mahnmal-Charakter haben und auch Elemente des Entwurfs von Eisenmann aufnehmen kann.

Frage: Wie schnell wird das Projekt realisiert werden können?

Naumann: Das liegt nicht an mir, sondern am Bundestag und auch an Berlin. Die Stadt soll auch in den Entscheidungsprozess mit einbezogen werden. Aber es ist eine nationale Angelegenheit.

Frage: Wird auch der Förderkreis um Lea Rosh beteiligt?

Naumann: Selbstverständlich. Doch in letzter Instanz entscheidet der Bundestag.