Redner(in): Michael Naumann
Datum: 18.01.1999
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/36/11836/multi.htm
Dr. Michael Naumann, Beauftragter der Bundesregierung für Angelegenheiten der Kultur und der Medien beim Bundeskanzler
DLF: Wolf Renschke
Dieses Interview wurde am Sonntag, 17. Januar 1999, um 11.05 Uhr im "Deutschlandfunk" als "Interview der Woche" gesendet.
DLF: Der Zeitraum von hundert Tagen, der ja üblicherweise einer neuen Regierung eingeräumt wird, ist in Ihrem Falle - also dem Ihrer Regierung und auch in Ihrem persönlichen, Herr Naumann - noch nicht ganz erreicht. Ich will Sie dennoch zu einer ersten Bilanz befragen. Konkret: Sehen Sie denn in der - wie Sie es einmal ausgedrückt haben - kulturpolitischen Sahel-Zone in bezug auf Deutschland schon erste gärtnerische Erfolge inmitten der einstigen Dürre?
Naumann: Sie wissen, es hat sich ja schon einmal einer gerühmt, blühende Gärten und Landschaften zu produzieren. In diese Gärtnerfalle meiner eigenen Metaphorik werde ich nicht hineintreten. Ich glaube, es hat sich ein bißchen was verändert. Erstens ist es sicherlich so - das entnehmen Sie ja den Feuilletons der Zeitungen - , daß das Gespräch über Kultur und Kulturpolitik in Deutschland inzwischen ein fester Bestandteil des politischen und journalistischen Diskurses geworden ist. Das war früher nicht der Fall. Zum zweiten gibt es jetzt einen kulturpolitischen Ausschuß im Bundestag, der mir bereits das Leben schwer macht. Das ist seine Aufgabe. Das hat es früher auch nicht gegeben. Zum dritten gibt es - vielleicht für einige bis zum Überdruß - eine kulturpolitische Debatte über das Holocaust-Mahnmal. Das gehört mit zur politischen Kultur Deutschlands. Diese Debatte war früher in den Feuilletons, heute ist sie - zumindest in Berlin - auf den ersten Seiten der Zeitungen. Und schließlich gibt es eine öffentlich geführte Debatte über den gebundenen Ladenpreis, das heißt also - das muß man fast schon sagen - über das Heiligtum des deutschen Buchhandels, was den Buchhandel, so wie wir ihn kennen, möglich macht. Diese Debatte wurde früher in der Öffentlichkeit überhaupt nicht geführt, weil die Öffentlichkeit sich für diese Kleinigkeiten nicht interessierte. Auch dieses würde ich mir zugute schreiben - nicht mir persönlich, sondern der neuen Funktion, ein bißchen natürlich auch dem, der diese Funktion ausübt. Und schließlich sehen Sie ja, daß es auch in der Steuerdebatte bisweilen ganz sinnvoll ist, wenn jemand mitredet, der die Belange der Kultur - in diesem Falle auch der Buchverlage - kennt und thematisieren kann. Hier rede ich von dem sogenannten Verbot der Teilwertabschreibung, - etwas, das Ihre Hörer ebenso wenig verstehen wie ich meine Steuererklärung. Aber es ist etwas ganz Wesentliches. Ich glaube, daß es uns gelingen wird, dieses Verbot der Teilwertabschreibung zu verhindern.
DLF: ... alles konkrete Einzelheiten, über die wir im Laufe des Interviews im einen oder anderen Fall noch etwas detaillierter sprechen werden. Ich will zunächst noch mal etwas allgemeiner fragen: Was hat sich denn als schwieriger erwiesen, als Sie es sich vor Amtsantritt vorgestellt haben, was Ihr Amt angeht - vielleicht auch in Hinblick auf bürokratische Detailarbeit?
Naumann: Was schwieriger war, war sicherlich eine völlig neue Arbeitskultur, die ich erlebt habe. Ich komme aus der freien Wirtschaft und aus dem wunderbaren Leben des CEO, das heißt des Vorsitzenden Geschäftsführers in Amerika oder des Geschäftsführers in Deutschland. Dort ist man gezwungen, schnelle Entscheidungen zu treffen und die dann auch sehr schnell umzusetzen - ganz einfach, weil man sonst keine Gewinne machen kann. Der Markt bewegt sich schnell und eilig, der Staat hingegen bewegt sich träge und langsam. Ich bin in ein anderes Milieu geraten, in ein Milieu, in dem die Dinge hin- und hergewendet werden und in dem vor allem die Selbstsicherung aller Entscheidungsträger - ob groß oder klein - gewissermaßen die Melodie der Entscheidungsabläufe bestimmt. Diese Selbstabsicherung heißt Verwaltungsrecht, dahinter steht drohend der Bundesrechnungshof. Und hinter allem steht der Souverän, das Parlament. Mit anderen Worten: Die Langsamkeit der Entscheidungsabläufe hat mich am Anfang in schiere Verzweiflung getrieben, richtige Verzweiflung.
DLF: Die Verzweiflung hat Sie noch nicht dazu gebracht, den Wunsch zu hegen, das neue Milieu wieder zu verlassen?
Naumann: Nein. Wissen Sie: Ich habe mir schon sehr genau überlegt, was ich mache, als ich hier hergekommen bin. Mir war klar, daß der berühmte Spruch von Max Weber, wonach Politik nichts anderes heiße als "dicke Bretter bohren" - oder wie eine Zeitung in Berlin sagte: "dünne Bretter bohren", in Berlin sind sie eben dünn - in Wirklichkeit war mir klar, daß das ein langwieriges Geschäft ist.
DLF: Die kulturpolitischen "Bretter" des Bundes - ganz gleich, ob sie nun dick oder dünn sind - sind ja auf verschiedene Ministerien verteilt, verteilt gewesen. Die Kulturabteilung des Innenministeriums ist Ihnen schon zugeordnet worden. Welche Schwierigkeiten sehen Sie dann da noch auf sich zukommen??
Naumann: Schwierigkeiten sehe ich - wie übrigens alle meine Kollegen rings um den Kabinettstisch - im Augenblick eigentlich in wachsendem Maße nur aus dem Haushalt auf uns zukommen. Der Haushalt, den wir geerbt haben und den wir, die Sozialdemokraten und die Grünen, in dieser Form nicht zu verantworten haben, ist durch ein fleißiges Arrangement von Schattenhaushalten belastet und durch einen in den letzten Monaten seiner Amtszeit - man muß wirklich sagen - seiner Sache überdrüssig gewordenen und schließlich flüchtigen Finanzminister Waigel zu verantworten. Der Haushalt ist um zehn Milliarden Mark ungedeckt. Da kann man nur - wie früher meine Mutter zu sagen pflegte - fragen,"woher nehmen und nicht stehlen?". Die Schwierigkeiten, die Etats, die wir uns vorgenommen habe, die wir auch im Wahlkampf versprochen haben und an deren Sinnhaftigkeit wir auch geglaubt haben und auch glauben - die nun gegen einen Finanzminister durchzusetzen, der sich plötzlich in der verblüfften Verdopplung von Waigel wiederfindet - also eigentlich ist ja seine Stärke groß, makro-ökonomisch seine Überlegungen. Nun muß er aber mikro-ökonomische Schlachten mit seinen Kollegen schlagen. Da hagelt es dann Drohungen, und Tränen fließen, und Blut bedeckt den Boden. Am Ende hofft man, seinen eigenen Etat über die Runden zu bringen. Ich glaube, das ist mir gelungen.
DLF: Das heißt, es ist wichtiger für Sie, ein gutes Verhältnis zum Finanzminister zu haben; ein besseres, als zum kulturpolitischen Ausschuß des Bundestages?
Naumann: Um die Wahrheit zu sagen, ja. Wer zahlt? Das ist in der Tat immer die Frage. Allerdings gibt es neben dem kulturpolitischen Ausschuß ja auch noch den Haushaltsausschuß. Der ist fast noch wichtiger. Der ist so wichtig wie der Vatikan. Also mit anderen Worten: In Bonn sind alle wichtig.
DLF: Für Sie besonders wichtig ist der kulturpolitische Ausschuß - jenseits der finanziellen Probleme. Sie haben es bereits erwähnt, daß dieser Ihnen das Leben ein bißchen schwer machen würde. Es sind ja auch Äußerungen bekannt von der Vorsitzenden dieses Ausschusses, die eher strukturierte Vorlagen eingefordert hat. Wird das noch schwieriger werden? Verstehen Sie diese Kritik?
Naumann: Nein, sie hat ja eher gesagt, sie liefert die strukturierten Vorlagen, und wir haben die dann durchzuführen. Sie hat ein amerikanisches Parlamentsverständnis, was mich etwas erstaunt hat. Aber so ist es. Ich glaube, wir werden uns schon zusammenraufen. So ein Ausschuß existiert zum ersten Mal. Da versucht jeder, seine Rolle zu definieren.
DLF: Im Zusammenhang mit Ihrer Ernennung, Ihrer Berufung, ist ja Kritik von Seiten verschiedener Länder gekommen, weil das föderalistische Prinzip als gefährdet angesehen worden ist. Sehen Sie da jetzt noch Probleme, Schwierigkeiten auf sich zukommen von Seiten der Länder?
Naumann: Erstens sehe ich nicht nur keine Schwierigkeiten auf mich zukommen, sondern im Gegenteil, ich muß sagen, meine Erfahrungen mit den Ländervertretern in Brüssel - das heißt mit Ministerpräsident Beck und Kulturminister, damals noch Kultusminister, Zehetmair aus Bayern, das ist er immer noch, aber er hat einen Teil seines Ressorts, nämlich Wissenschaft, Erziehung und Bildung, glaube ich, verloren - waren sehr positiv. Das heißt: Zum ersten Mal tritt auf europäischer Ebene, wo in der Tat fast 60 Prozent unserer Gesetze mitformuliert beziehungsweise abgesegnet werden müssen, wo also auch sehr viel Macht versammelt ist, ein Repräsentant deutscher Kulturpolitik auf, der für das ganze Land spricht, im Range eines Staatsministers. Das wird von den Herrschaften in Brüssel begrüßt, übrigens auch von den ausländischen Kollegen. In der ersten Kulturministerratssitzung, die wir hatten, konnte ich mit großem Vergnügen beobachten, wie man buchstäblich in Windeseile Allianzen schließen kann, die in der Vergangenheit in dieser Art und Weise nicht möglich waren, weil der Sprecher der Bundesregierung im Grunde genommen immer nur der Sprecher des Auswärtigen Amtes war, nicht aber der Kulturpolitik des Bundes. Das sind für Ihre Hörer vielleicht schwer vermittelbare Vorteile, die aber sofort langfristige Konsequenzen haben werden, zum Beispiel bei der Ausstattung - will ich doch hoffen - der europäischen Kulturfonds mit einem höheren Etat, als das bisher der Fall war, übrigens nicht zu Lasten der Bundesrepublik.
DLF: Eines der konkreten Probleme auf europäischer Ebene ist das Thema Buchpreisbindung. Sehen Sie da noch irgendwelche Chancen, daß sie zu Gunsten der kleineren Verlage, der kleineren Buchhandlungen erhalten bleiben kann?
Naumann: Bei der Buchpreisbindung geht es darum, dafür zu sorgen, daß die Buchpreise in allen Buchgeschäften Deutschlands gleich sind, so daß die Großeinkäufer nicht durch Masseneinkäufe in die Lage versetzt werden, durch Billigangebote die kleinen Verlage und die kleinen Buchgeschäfte zu ruinieren. Diesen Schutz für fast 4.000 deutsche Buchgeschäfte aufrechzuerhalten, habe ich mir - wie Sie ja wissen - buchstäblich zu meiner Herzensangelegenheit gemacht, weil ich aus dem Verlagswesen komme und weil ich weiß, welchen Stellenwert Buchhandel in Deutschland hat. Zu meiner großen Überraschung hat sich jetzt in den letzten Tagen der Wind ein bißchen gedreht, und ich glaube, daß wir irgendwann - ich würde sagen Mitte März - diesen Konflikt hinter uns haben werden. Mehr möchte ich dazu nicht sagen. Ich kann nur eines sagen: Ich glaube, der gebundene Ladenpreis wird in Deutschland - nach meinem derzeitigen Gefühl - erhalten bleiben.
DLF: Buchhandlungen gibt es in kleinen und in großen Städten. Eine der großen Städte ist Berlin, und die Förderung der Hauptstadtkultur ist auch eines Ihrer Aktivitäten. Was heißt das konkret?
Naumann: Die Hauptstadtkultur in Berlin ist schon längst strukturiert, es bedarf keines Kulturpolitikers, der da hinkommen muß, um zu sagen, was die Kultur in Berlin zu tun hat. Tatsache ist, daß traditionell die Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Bundesbesitz ist. Das ist nicht nur eine kleine Versammlung von Museen, das sind die größten und wichtigsten Museen zwischen Paris und Moskau. Das muß man einfach sehen - die Neue Galerie, die Nationalgalerie, unendlich viele größere und kleinere Museen, Bode- und Pergamon-Museum: Das sind alles fabelhafte Perlen - muß man wirklich sagen - der kulturellen Identität der Stadt Berlin, aber auch der Bundesrepublik. Die alle stehen unter der Obhut des nun jüngst gewählten Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Auch das zähle ich mit zu den ersten positiven Ergebnissen unserer Regierung. Es hat über ein Jahr gedauert, bis ein neuer Präsident gefunden werden konnte. Beziehungsweise: Es wurde eben keiner gefunden, weil sich die Länder und der Bund gegenseitig personalpolitisch blockierten. Es gab keine Einigung. Das lag nicht nur an den Sozialdemokraten, sondern an dem sehr spezifischen politischen Wunsch des Bundeskanzlers Kohl. Der kam mit diesem Wunsch nicht durch. Also geschah nichts. Sie können sich vorstellen, bei einer Institution wie die Stiftung Preußischer Kulturbesitz mit einem hohen Anteil an Personal und einer außerordentlichen Wichtigkeit für das Kulturleben Berlins - ohne Führung, das ging nicht weiter. Wir konnten das sehr schnell lösen mit einem sehr kompetenten Mann, mit Professor Klaus Dieter Lehmann. Des weiteren gehört mit zu Berlin - obwohl rings um Berlin angesiedelt, aber für die Berliner immer wichtiger werdend - die Stiftung Preußischer Schlösser und Gärten. Das ist ein ganz enormer Schatz, den wir von den Hohenzollern geerbt haben und der zu Zeiten der ehemaligen DDR-Regierung nur punktuell gepflegt worden ist. Sanssouci ist gepflegt worden, andere Schlösser wiederum sind verrottet, und zwar auf das Dramatischste, und müssen nun peu à peu wieder aufgebaut werden. Das kostet sehr viel Geld, aber ich glaube, unsere Kinder und Kindeskinder werden es uns danken. Und die Lenné'schen Gärten rings um Potsdam sind eine der schönsten Anlagen der Welt in dieser Art und unvergleichlich. Das gehört mit zur Berliner Kultur. Was gehört noch dazu? Es gehört natürlich der Sachverhalt dazu, daß der Bund traditionell Berlin kulturpolitisch fördert. Das heißt: Die Theater, die Opern, größere und kleine kulturelle Einrichtungen werden vom Bund teilsubventioniert.
DLF: Weil Sie das Stichwort Preußen genannt haben. Bleiben Sie eigentlich bei Ihrer Idee - und ich stelle diese Frage erst recht, weil wir dieses Interview hier in Bonn, im Rheinland führen - , das Berliner Stadtschloß wieder aufzubauen?
Naumann: Also, wie man in Köln sagen würde: ja ja doch. Warum nicht? Ich halte die Idee keineswegs für absurd. Im übrigen wird sie immer in einen infamen Zusammenhang gestellt mit der Debatte um das Holocaust-Mahnmal. Diesen Zusammenhang lehne ich ab. Es geht bei dem Aufbau des Berliner Schlosses erstens darum, eine ganz manifeste stadtarchitektonische Lücke zu schließen. Wie diese geschlossen werden soll, dieser Aufmarschplatz, den sich da Walter Ulbricht freigesprengt hatte, das war ja die Idee: Man sprengt ein Schloß von großem bauhistorischem und architekturhistorischem Wert mit ein paar Dynamitstangen, damit man dort einen Aufmarschplatz für die Werktätigen hat. Dieser Aufmarschplatz existiert, der Palast der Republik existiert auch, und die Frage ist: Wie geht man mit dieser gewaltigen "Zahnlücke", diesem Platz direkt vor dem ehemaligen Zentralrat der SED, um? Mein Vorschlag, dort im Grunde genommen das hinzubauen, was da mal war, ist meines Erachtens so absonderlich nicht. Alle, die sich darüber mokieren, haben ganz vergessen, daß das Schloß Charlottenburg völlig im Eimer war, das gab es nicht mehr, das war kaputt. Das ist wieder aufgebaut worden. Wenn man die Pariser fragen würde. Stellt Euch vor, Monsieur Thorez, kommunistischer Politiker im Jahre 1948 fast an der Macht, hätte den linken Flügel des Louvre gesprengt, um dort eine Art 1. Mai-Demonstrationsfläche zu schaffen - hätten die Franzosen dieses Gebäude wieder aufgebaut, und zwar im Maßstab 1: 1? Na, aber selbstverständlich. Also, die Debatte um dieses Schloß ist natürlich noch längst nicht abgeschlossen. Es ist eine Finanzfrage und eine Nutzungsfrage. Was soll da hin? Dazu gibt es eine Fülle von Ideen, aus verschiedenen Ministerien übrigens, nicht nur von mir. Aber ich glaube, das ist nicht das, was im Augenblick das brennende Thema ist.
DLF: Den - wie Sie gesagt haben - infamen Zusammenhang zum Holocaust-Museum stelle ich natürlich nicht her, muß aber dennoch auf das Thema zu sprechen kommen. Da gibt es ja ein neues Projekt, das Sie vorgestellt haben. Eine Art "Haus des Erinnerns" mit Dokumentationszentrum, einer ständigen Ausstellung, einer Bibliothek und einer Forschungsstätte, ein Vorhaben, das aus verschiedenen Richtungen kritisiert worden ist: Eine davon lautet, dies sei eine Lösung, die alles vermeidet, was weh tut. Wenn ein Museum - wie Sie gesagt haben - auch Mahnmal-Charakter haben kann, warum dann ein Museum und kein Mahnmal?
Naumann: Noch einmal zu dem Zusammenhang der infamen Kombination Holocaust-Mahnmal und Bau eines Schlosses: Ich habe irgendwo gelesen, daß mir in der Tat vorgeworfen worden ist: "Ein Mahnmal will er nicht bauen, aber ein Schloß will er bauen". Diese Kombination finde ich in sich selbst unfair und eben - wie gesagt - infam. Ich habe mich damals sehr darüber aufgeregt, vor allem darüber, daß das ausgerechnet in der ZEIT lief, einem Blatt, das sonst zu solchen Simplifikationen nicht neigt. Was das Mahnmal selbst betrifft, so ist das Prozedere bekannt: Der Bundestag wird in letzter Instanz darüber entscheiden. Die Bundesregierung hat auf einer Pressekonferenz, vertreten durch mich, ein Modell vorgestellt, das eine Kombination von klassischem - das heißt zeitgenössisch, didaktisch modernem - Museum darstellt, in dem die Geschichte des Holocaust vor allem für Jugendliche mit all den schockhaften Erfahrungen, die Bilder und inzwischen auch Filme und Erinnerungen der Überlebenden auszulösen im Stande sind, dieses kombiniert mit einer Forschungsstelle, einem Institut, einer Bibliothek, die in Zusammenarbeit mit den Verlegern der Bundesrepublik Deutschland einen hoffentlich allumfassenden Überblick über die Geschichte - nicht nur des Holocaust, sondern auch des Dritten Reiches und des Totalitarismus im 20. Jahrhundert - ermöglichen wird, und dem angeschlossen dann auch noch eine Filiale des Leo-Baeck-Instituts, dessen Rückkehr in die Bundesrepbulik Deutschland aus New York und Israel und Großbritanien in seiner symbolischen Prägnanz meines Erachtens noch gar nicht richtig gewürdigt worden ist. Dies alles soll ergänzt werden durch ein "Genozid-Watch-Institut", also ein Institut, das nicht nur die Genese von Völkermorden in der Geschichte nachprüft und erforscht, sondern dessen Aufgabe es auch sein wird, drohenden Völkermorden in unserer Zeit rechtzeitig zu begegnen durch eine Mahnung an die Politik, sich der dort am Horizont sich abzeichnenden Gemetzel an Bevökerungsteilen in der ganzen Welt anzunehmen und das zu verhindern. Denken Sie nur an den Völkermord in Ruanda oder - mitten in Europa - an die sogenannten ethnischen Säuberungen in Bosnien. Das kann ein solches Institut im Vorgriff auf die realen Ereignisse inzwischen prognostizieren, wie wir ja alle ziemlich genau wußten, was sich im Kosovo ereignen wird. Dieses Gesamte ist auch keineswegs - wie Sie meinen - schmerzlos. Das Holocaust-Institut oder -Museum in Washington ist eines der eindruckvollsten Museen, die ich überhaupt kenne. Wer dieses Museum unberührt und gewissermaßen schmerzfrei verläßt, der muß eine Hornhaut auf der Seele haben. Ich glaube, diejenigen, die über dieses Museum so sprechen, wissen wahrscheinlich nicht, wovon sie in Wirklichkeit reden. Dann gibt es schließlich noch etwas zu diesem Museum selbst zu sagen. Es soll natürlich auch in seiner architektonischen Signifikanz wie ein Mahnmal wirken. Ich glaube, es wird - zu aller Überraschung - auch dem Architekten, der mir im Augenblick vorschwebt, gelingen, genau dieses zu realisieren.
DLF: Die Diskussion um das Holocaust-Mahnmal ist ja in engem Zusammenhang mit jener Debatte zu sehen, die Ende vergangenen Jahres stattgefunden hat. Stichwort Walser und Bubis?
Naumann: Nein, da sehe ich überhaupt keinen Zusammenhang.
DLF: Wie kann es gelingen, daß es eine gemeinsame Erinnerung in Deutschland an die Vergangenheit geben kann?
Naumann: Da sehe ich nicht den geringsten Zusammenhang. Die Debatte um das Mahnmal, die ja dann kurz vor dem Wahlkampf losgetreten wurde, stand nicht im Zusammenhang mit dem Friedennspreis. Der Friedenspreis wird im Juni, glaube ich, bekanntgegeben, und dann im Septemer respektive Anfang Oktober verliehen. Mit anderen Worten: Da sehe ich keinen direkten und auch keinen indirekten Zusammenhang.
DLF: ... höchstens einen zeitlichen...
Naumann: Das ist auch schon alles. Die Frage ist: Wie kann man erinnern in Deutschland? Da sind wir nicht anders als jedes andere Volk auch. Gesellschaftliches Erinnern ist ein Erinnern mit all den Mitteln, die eine zivilisierte Gesellschaft in diesem Zusammenhang bereithält. Das sind Geschichtsschreibung, das ist audiovisuelle Erinnerung - etwas Neues - , das ist natürlich der historische Diskurs in den Universitäten und Zeitungen und in der Politik - bis hin zum Bundestag. Und ein Element von gesellschaftlichem Erinnern ist selbstverständlich auch das Mahnmal oder das Denkmal. Alle Kenner allerdings der historischen Debatte wissen, daß dieses das schwächste Glied in der Kette ist. Denn wenn ich Sie fragen würde: Wo steht in Köln, ich glaube, Sie kommen aus Köln - das Albertus-Magnus-Denkmal...
DLF: ... vor der Universität...
Naumann: ... vor der Universität - dann sind Sie einer der ganz wenigen, die das wissen: Die Mehrzahl der Menschen weiß das nicht. Und wenn sie den Herrn da sehen mit seinem schönen Text auf dem Schoß, wissen sie nicht, wer das ist. Das ist das Schicksal von allen Denkmälern. Wie Musil sagt: "Denkmäler sind dazu da, unsichtbar zu werden."
DLF: Wenn wir uns in Deutschland nicht anders erinnern sollen oder müssen - wenn ich Sie richtig verstanden habe - als andere Länder, warum hat das dann - konkret auf das Holocaust-Mahnmal gefragt - so lange gedauert und dauert noch so lange, bis das realisiert werden kann?
Naumann: Erstens: Es ist ja nicht das erste Holocaust-Mahnmal. Es ist vor allem der - man muß wirklich sagen - kraftvollen, ja kraftvollsten, außerordentlich kraftvollen Initiative von Lea Rosh zu verdanken, daß man inzwischen der Meinung ist, es gäbe in Deutschland keine Holocaust-Erinnerungsdenkmäler. Es gibt eine Menge. Es ist nur ein besonders großes, das sie sich vorgestellt hat. Zweitens gibt es die Gedenkstätten, in denen in der Tat - furchtbares Wort - Erinnerungsarbeit geleistet wird. Dort wird erinnert und getrauert und gedacht - für diejenigen, die hingehen wollen. Die Debatte um das Holocaust-Mahnmal hat also unendlich viele Variablen und Determinanten. Sie jetzt auseinanderzubreiten, halte ich für problematisch. Es gibt - das ist sicherlich richtig - kein zentrales Holocaust-Mahnmal in Deutschland. Das hat auch damit zu tun, daß die Bundesrepublik der Meinung war, daß sie selber mitsamt ihrer Hauptstadt ein Provisorium war. Daß die Debatte jetzt kulminiert im Kontext des Umzuges der Bundesregierung nach Berlin und der im Grunde genommen Neukonstituierung dieses Landes - nicht der verfassungsmäßigen, aber bewußtseinsmäßigen - um diese Hauptstadt herum macht die Debatte über so ein Mahnmal im Augenblick so virulent und akut und aktuell. Aber wir sollten nicht glauben, daß es nicht genügend Denkmäler gäbe. Es gibt sie.