Redner(in): Michael Naumann
Datum: 20.04.1999
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/72/11772/multi.htm
I. Bei dem Wort "Selbstkontrolle" fällt mir als ehemaligem Journalisten und Verleger vor allem das Wort "Kontrolle" auf. Dieses Wort kommt in dem für die Medien einschlägigen Artikel 5 unseres Grundgesetzes nicht vor. Das heißt, der Begriff der Kontrolle ist selbst dort, wo er mit dem Präfix "Selbst" versehen ist, prinzipiell heikel. Denn auch diejenigen, die sich im Medienbereich selbst kontrollieren, tun dies ja in Gruppenkonstellationen, manchmal auch aus Machtpositionen heraus, die nicht unbedingt identisch sind mit den Interessen derjenigen, die kontrolliert werden: der Journalisten. Darum ist es außerordentlich wichtig, dass wir bei der Behandlung dieses Themas davon ausgehen, dass der Begriff der Selbstkontrolle eine ganz wesentliche Funktion hat, nämlich die Aufrechterhaltung der Informations- und Meinungsfreiheit. Es gehört allerdings zu dieser Informations- und Meinungsfreiheit auch ein erweiterter Begriff der Freiheit: Das ist die Freiheit und Würde des Publikums und desjenigen, über den berichtet wird.
Unser Thema stellt also ein schwieriges Terrain dar und geht weit über einzelne Fragen hinaus. Solange wir aber im Gedächtnis behalten, dass die Grundlage von Selbstkontrolle im Medienbereich das Vertrauen in die Meinungsfreiheit und das Wissen um die demokratischen Grundrechte der durch die Medien Informierten ist und bleiben soll, werden allfällige Gefahren, die in dem Begriff "Kontrolle" enthalten sind, sicherlich abgewehrt werden. Und das ist der eigentliche hintere, tiefere Sinn unserer Konferenz: dafür zu sorgen, dass auf diesem Gebiet das rechte Maß gewahrt wird. Das Maß,"meson" heißt es bei Platon, ist ja die eigentliche Grundlage einer vernünftigen Organisation gesellschaftlichen Lebens.
Aber wie Maßhalten in einer Datenwelt, die fast wie das Wetter über uns hereinströmt, in einer Flut von Informationen, die über das Internet abgerufen werden können und die mehr oder weniger unkontrolliert bei uns landen? Es geht in diesem Zusammenhang um Jugendschutz, es geht um Urheberrecht und es geht letztendlich sogar auch um Wahrheit oder Propaganda. Wie dieses kontrollieren in der neuen Mediengesellschaft des nächsten Jahrhunderts? Kontrollieren heißt hier nicht verbieten, sondern den eben genannten Maßstäben zu unterwerfen. Das ist das Thema dieser Konferenz.
Die Globalisierung der Wirtschaft, die geradezu sprunghaft verlaufende technische Entwicklung und die zunehmende Segmentierung der Gesellschaft in eine kaum mehr überschaubare Zahl einander nicht selten fremder Einzelgruppierungen zeigen schon jetzt Grenzen staatlicher Handlungs- und Einflussmöglichkeiten auf. Ein ordoliberaler Kritiker der Gesellschaft wird das begrüßen: Die Gesellschaft fragmentiert sich, um sich so dem Zugriff der Macht zu entziehen. Es gibt aber auch eine strukturelle Macht, die nicht unbedingt mit politischen Institutionen verbunden ist: die Macht der Wirtschaft und des Kommerzes. Und dann gibt es noch eine Macht, über die nachzudenken sich lohnt: die Macht der Dummheit. Sie setzt sich durch in einer unglaublichen Fülle von Daten, die nicht mehr verarbeitet werden können. Oder, um es anders auszudrücken: Wenn eine Gesellschaft darauf beruht, sich kontinuierlich der eigenen Grundlagen zu erinnern, dann wird ihr Erinnerungsvermögen wie auch das des einzelnen Menschen in dem Maße abnehmen, in dem die Fülle der Daten, die es zu erinnern beziehungsweise zu verarbeiten gilt, zunimmt.
Die Phänomene der Globalisierung und der zunehmenden gesellschaftlichen Differenzierung beherrschen auch die aktuelle Debatte über den Reformbedarf staatlicher Institutionen in Deutschland und in Europa. Die Konzentration der Staatstätigkeit auf den Kernbereich staatlicher Aufgaben erscheint vielen darum als das Gebot der Stunde. Es findet seinen Ausdruck in Stichworten wie "Deregulierung","lean administration" und "Stärkung der gesellschaftlichen Eigenverantwortung". Kritiker können das aber auch als eine Art Verzichtsposition angesichts einer wirtschaftlich orientierten Informationsgesellschaft bezeichnen. Der Staat zieht sich ohnmächtig zurück. Soll er das? Darüber gilt es hier zu diskutieren.
Freiwillige Selbstkontrolle jedenfalls ist eine besondere Form gestärkter gesellschaftlicher Eigenverantwortung. Eine generelle Perspektive auf dieses Thema dürfte das Erkenntnisinteresse unseres Seminars allerdings nur unzureichend beschreiben. Hier in Saarbrücken wird es in erster Linie darum gehen, die medienspezifischen Aspekte und Entwicklungsmöglichkeiten der freiwilligen Selbstkontrolle auszuloten.
Dafür gibt es eine Reihe guter Gründe: Erstens: Im Medienbereich spielt die freiwillige Selbstkontrolle eine besondere Rolle. In Deutschland und in vielen Ländern Europas ist sie seit Jahrzehnten rechtlich und gesellschaftlich anerkannt als Instrument zur Wahrung wichtiger Interessen der Allgemeinheit. Ich nenne zum Beispiel den Jugendschutz, den Schutz vor unlauterer Werbung, den Schutz der persönlichen Ehre - ein Begriff, der in der modernen Gesellschaft immer unbekannter wird. Bei Hegel heißt es noch in der Rechtsphilosophie: "Die Ehre" - er meinte die nationale, nicht die individuelle - "ist das Allerheiligste".
Hinsichtlich der Selbstkontrolle haben sich in Europa vielfältige sektorale und nationale Formen herausgebildet. Sie tragen zwei Gesichtspunkten Rechnung: den Besonderheiten der jeweiligen Medien - wie Printmedien, Film, Rundfunk sowie neue Informations- und Kommunikationsdienste - einerseits und der kulturellen und rechtlichen Vielfalt der europäischen Staaten und Gesellschaften andererseits.
Zweitens hat der Medienbereich in den modernen freiheitlichen Gesellschaften eine herausgehobene Funktion. Hier werden Informationen für alle Bürger bereitgestellt und Foren für den Meinungsaustausch in sämtlichen Lebensbereichen, insbesondere in der Politik, geschaffen. Ohne die Massenmedien wäre die moderne Demokratie, wie wir sie heute in den europäischen Staaten kennen, undenkbar. Wenige erinnern sich daran, dass die amerikanische Revolution ausbrach über den Versuch, die Gazetten mit dem so genannten "stamp act", einer Steuer, zu zensieren. Das war der Startschuss zur ersten demokratischen Revolution der Moderne.
Diskussionen über Formen der Regulierung im Medienbereich - und diese schließen die freiwillige Selbstkontrolle ausdrücklich ein - berühren damit stets auch die Grundlagen demokratischer Gesellschaften. Die Bundesrepublik - das darf ich mit einem gewissen Stolz sagen - hat ein Pressewesen von außerordentlicher Freiheit. Das hat manchmal ganz merkwürdige Manifestationen: Wenn zum Beispiel Kollegen aus London etwas publizieren wollen, das dem "defense act" in England unterliegt, dann stecken sie es den Medien-Kollegen aus Hamburg. Diese publizieren es - und dann darf man es zitieren.
Drittens: Der Medienbereich hebt sich deutlich von anderen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Feldern ab. In ihm manifestieren sich Entwicklungstendenzen, die wiederum Staat, Gesellschaft und Wirtschaft formen. Das wird, wie wir alle wissen, am Beispiel der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien sichtbar, die sich erst seit wenigen Jahren massenhaft verbreiten.
Seit Gutenberg glauben wir, wir befänden uns im Zeitalter der Informationsgesellschaft. Aber jetzt erst betreten wir es wirklich. Dass der Begriff der Informationsgesellschaft nicht nur die Versprechen der Freiheit, sondern auch eine quantifizierte Überinformation indiziert, das weiß jeder, der ein paar Stunden täglich im Internet verbringt und manchmal das Gefühl hat, er schaltet den PC dümmer aus, als er ihn eingeschaltet hat.
Mit den neuen Diensten wird nicht nur die in den traditionellen Medien bislang übliche Beschränkung auf sprachlich oder kulturell begrenzte Räume überwunden, sondern auch das Verhältnis zwischen Medienproduzent und -konsument revolutioniert nach dem Motto: "Everybody his own website". Die neuen Techniken ermöglichen es nunmehr grundsätzlich jedermann, sich von der Rolle des bloßen Rezipienten zu emanzipieren und selbst als Anbieter von Inhalten aufzutreten.
Forum und quasi Symbol dieser Kommunikation ist das Internet. Stichwort ist hier aber auch - eine besonders prägnante Formel für mediale Selbstkontrolle - Learys berühmter Satz aus den Sechzigerjahren: "If you can't communicate, the least you can do is shut up."
Ein weiterer Paradigmenwechsel vollzieht sich im Mediensektor: Neben dem Massenmarkt für die traditionellen Medien tritt eine Vielzahl mehr oder weniger ausdifferenzierter Teilmärkte, die spezielle Interessengruppen gezielt bedienen. Dies wiederum lässt die Nachfrage und damit das Wachstum in dieser Branche in einem Maße steigen, welches das Gesamtvolumen des Medienmarktes, etwa in Deutschland, in diesem Jahr erstmals den Umsatz der Automobilindustrie übertrifft: Es ist allgemein bekannt, dass der größte Exportposten in der amerikanischen Außenhandelsbilanz der Mediensektor ist.
Viertens findet ein Umbruch im Medienbereich statt. Dieser ist mit dem Begriff "Konvergenz" gekennzeichnet. Das technische Zusammenwachsen von Telekommunikation, traditionellen Medien und neuen Informations- und Kommunikationsdiensten ermöglicht es, Inhalte nicht mehr nur über jeweils ein Medium, sondern simultan über mehrere Medien und in mehreren Regionen zu verbreiten. Eine nicht unproblematische Entwicklung: Es stellt sich zum Beispiel mit Blick auf die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten die Frage, wie die Gebührenordnung zu handhaben ist, wenn der Käufer eines PC darüber in Zukunft Radiosendungen und bei weiterer Entwicklung selbstverständlich auch Fernsehsendungen empfangen kann. Ist der PC, der in seiner wesentlichen Funktion ja ein Rechner und kein Radio ist, gebührenpflichtig oder nicht?
Fünftens - hier schließt sich der Kreis - hat das Thema der "Selbstregulierung" eine wachsende Bedeutung in der Diskussion über künftige Regelungsprinzipien für die Bereiche Telekommunikation, Medien und Informationstechnologien. Mit dem Grünbuch zur Konvergenz in diesen Branchen vom Dezember 1997 hat die Europäische Kommission Anstöße für eine umfassende Debatte geliefert. Erst vor wenigen Wochen wurden dabei erste Ergebnisse vorgelegt. Es überrascht mich nicht, dass in dieser Bilanz die Selbstregulierung als wichtiger Aspekt für ein ausgewogenes künftiges Regulierungskonzept hervorgehoben wird.
Wir können derzeit nur ahnen, welche Auswirkungen die aufgezeigten Entwicklungen auf die politische Kultur und das gesellschaftliche Zusammenleben in den europäischen Demokratien auf Dauer haben werden. Und wir haben unterschiedliche Vorstellungen, wie solche Regulierungen aussehen sollen. Ich erinnere an den Tag, als deutsche Staatsanwälte gegen Compuserve Klage wegen der Verbreitung von Pornografie erhoben. In Amerika wurde dieser "Anschlag" auf die Meinungsfreiheit vom Compuserve belächelt. Man war hier der Meinung, das Internet, dieses dem Wetter gleichende Medium, sei nicht zu kontrollieren. Technologische Entwicklungen werden aber zeigen, dass es sehr wohl kontrollierbar sein wird.
Bereits heute ist zu erkennen, dass gegenläufige Tendenzen wie zum Beispiel die fortschreitende Internationalisierung bei gleichzeitiger Segmentierung der Medienlandschaft die Regulierung des Medienbereichs vor neue Herausforderungen stellen. Entsprechendes gilt für die erweiterten technischen Möglichkeiten zur Verbreitung von Inhalten, mit denen jedoch eine zunehmende Unübersichtlichkeit dieser Inhalte untrennbar verbunden scheint. Auch die veränderte Stellung des Mediennutzers ist in diesem Zusammenhang zu nennen: Mit seiner Rolle als Marktteilnehmer geht die Gefahr einer wachsenden Orientierungslosigkeit einher. Es ist Aufgabe des Staates, der Schulen, der Medien und der Nutzer, diese Herausforderungen anzunehmen. Hierzu soll dieses Seminar einen Beitrag leisten. Dabei gilt es, an die besondere Form der Partnerschaft zwischen Staat und Medienschaffenden, die über viele Jahrzehnte in Europa gewachsen ist, anzuknüpfen.
II. In der Diskussion über Notwendigkeiten und Möglichkeiten einer Regulierung des Internet gibt es eine starke Strömung, die dem Staat jegliche Legitimation abspricht, auf das weltweite Computernetz irgendeinen Einfluss auszuüben. Vergessen wird in diesem Zusammenhang, dass das Internet überhaupt nur entstanden ist, weil staatlich subventionierte Institutionen, nämlich Universitäten und Forschungsstätten, die Server weltweit bereitgestellt haben. Der Staat ist und bleibt, auch vor dem Hintergrund der Genese dieses neuen Systems, verpflichtet, die Rechte seiner Bürger vor denjenigen zu schützen, die dieses System missbrauchen. Hier darf es keine rechtsfreien Räume geben.
Geschützte Rechtsgüter, allgemein von der Gesellschaft anerkannte Werte und kulturelle Standards dürfen in einer immer mehr vernetzten Welt nicht aufgegeben werden. Es kann nicht sein, dass der Fortschritt des technisch Möglichen das für das Zusammenleben der Menschen Nötige zerstört. Gleichwohl sollten staatliche Regelungen auf ein unabdingbar notwendiges Maß beschränkt bleiben, um die mit den technischen und ökonomischen Entwicklungen einhergehenden Chancen für die Gesellschaft nicht über die Maßen zu beeinträchtigen.
Allerdings wirft die besondere Struktur des Internet die Frage auf, ob und inwieweit das Verhältnis zwischen staatlicher Regulierung einerseits und Eigenverantwortung der Medienanbieter und -nutzer andererseits neu bedacht werden muss. Quantität und Vielfalt der dort verbreiteten Inhalte sowie die Verschiedenartigkeit und Unüberschaubarkeit der Kommunikationsvorgänge setzen einem hoheitlichen Zugriff auf das Internet enge faktische und rechtliche Grenzen. Die Geschwindigkeit des Informationsflusses wird dem Staat, zum Beispiel in Fragen des Urheberrechts, immer wieder nur noch reaktive Möglichkeiten geben; Prävention fällt schwer. Deutschland hat diese Problematik mit seiner Multimediagesetzgebung zu lösen versucht. Dabei wird der freiwilligen Selbstkontrolle vor allem im Bereich des Jugendschutzes eine Schlüsselfunktion eingeräumt.
Ich erwähne die Diskussion über die Regulierung des Internet an dieser Stelle, weil dadurch das Modell der freiwilligen Selbstkontrolle erneut in Deutschland ins Blickfeld des öffentlichen Interesses gerückt wurde. Das Internet bündelt exemplarisch alle wesentlichen Entwicklungstendenzen im Medienbereich in besonders scharfer Form und wirft damit auch die entsprechenden Regulierungsfragen auf. Es lohnt daher, die in der Internet-Diskussion gewonnenen Ergebnisse auch für andere Bereiche der Medienlandschaft nutzbar zu machen.
III. Das in der Bundesrepublik Deutschland in den Nachkriegsjahren entwickelte System freiwilliger Selbstkontrollen im Medienbereich war ursprünglich die Antwort auf die totale Indienstnahme und Kontrolle der Medien während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, namentlich durch Goebbels und sein "Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda". Unter dem Titel "Aufklärung" konnte der Staat das absolute Gegenteil bewirken: Verwirrung, Verzauberung und Verführung. Weil das so war, haben sich die Medien in Deutschland in einer bewussten Distanzierung zum Staat entwickelt. Staatlichen Stellen wird daher im Prozess der Selbstkontrolle hier zu Lande kein unmittelbares Mitwirkungsrecht eingeräumt. Damit soll ein größtmögliches Maß an Freiheit auch dort Gewähr leistet werden, wo den Selbstkontrollorganisationen die Wahrung öffentlicher Belange übertragen ist. Das ist nicht in allen europäischen Staaten so geregelt, aber nicht alle europäischen Staaten haben unsere furchtbare Geschichte. Ich erwähne dies, um deutlich zu machen, wie eng die Selbstkontrollorganisationen überall in Europa mit den historischen und kulturellen Wurzeln des jeweiligen Staates verbunden sind.
Gleichwohl darf man daraus nicht den Schluss ziehen, dass eine Diskussion über das Modell der freiwilligen Selbstkontrolle oder die grenzüberschreitende Zusammenarbeit in diesem Bereich fruchtlos wäre. Im Gegenteil: Eine sorgfältige Analyse zeigt, dass es bei aller Verschiedenheit im Detail jedoch eine Vielzahl von Gemeinsamkeiten gibt, die ein weites Feld für einen regen Erfahrungsaustausch und für die Entwicklung vielfältiger Formen einer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit eröffnen, ohne dass es einer Aufhebung medienspezifischer und nationaler Unterschiede bedarf. Oder etwas klarer gesagt: Wir sollten nicht darauf setzen, dass eine zentralistische Selbstkontrollbehörde, gleich ob sie nun in Brüssel, Strassburg oder irgendeiner anderen europäischen Stadt säße, die geschilderten Probleme stellvertretend für uns alle in unseren eigenen nationalen Identitäten lösen könnte.
Europas Funktion hier ist aus meiner Perspektive die einer vermittelnden Informationsholding, einer Basis von Erfahrungsaustausch. Insbesondere im Hinblick auf die neuen Informations- und Kommunikationsdienste sind die jüngsten Empfehlungen der Europäischen Union hilfreich. Hierin wird angeregt, Selbstkontrollorganisationen auf einzelstaatlicher Ebene, deren grenzüberschreitende Zusammenarbeit und die Entwicklung von Methoden zu fördern, die einen in allen Mitgliedstaaten vergleichbaren Schutz vor schädigenden Netzinhalten Gewähr leisten sollen.
Diese Initiative der EU ist zukunftsweisend. Sie schafft die Grundlage für eine europäische Positionsbestimmung, für eine Art Problembewusstsein, die für die Wahrnehmung europäischer Interessen in diesem Bereich auf internationaler Ebene unverzichtbar ist. Vielleicht ist es eine Illusion zu glauben, dass irgendwann einmal weltweit Übereinstimmung darin, was sich auf dem Internet oder in der Medienflut gebührt, erreicht werden kann. Eines steht fest: Die grenzüberschreitenden Datenfluten, die wir heute haben, haben eine Globalisierung der Medienlandschaften schon produziert. Wir mit unseren kulturellen, zivilisatorischen, gesetzlichen Vorstellungen, wie diese Welt denn auszusehen hätte, hinken hinterher. Es ist ein Wettrennen, es ist auch ein Wettrennen um die Vernunft, ein Wettrennen um die Wahrhaftigkeit der Datenfluten. Ich hoffe, dass dieses Seminar diesem Gedanken in irgendeiner Art und Weise folgen kann und dazu beiträgt, entsprechende Perspektiven auch für andere Bereiche der Medienlandschaft aufzuzeigen.
IV. Die eingangs erwähnte Diskussion über die Modernisierung des Staates und seiner Handlungsformen wird in aller Regel recht abstrakt geführt. Ganz anders die Situation im Medienbereich: Wenn wir hier über freiwillige Selbstkontrolle sprechen, so ist immer schon deshalb ein unmittelbarer Praxisbezug gegeben, weil wir nicht nur auf jahrzehntelange Erfahrungen mit diesem Modell zurückgreifen können. Vielmehr sind Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, mit den Belangen des Medienrechts, der Medienindustrie und der Entwicklung des Medienmarktes sehr gut vertraut, besser jedenfalls als ich. Dies eröffnet die Chance, mit unserem Seminar zu Ergebnissen zu gelangen, die auch der Wirklichkeit standhalten und einen tatsächlichen Fortschritt für unser Gemeinwesen begründen.
Gelänge dies, könnte der Medienbereich in der allgemeinen Modernisierungsdebatte durchaus eine Vorreiterrolle übernehmen, eine Funktion, die ihm, wie ich meine, nicht nur gut zu Gesicht stünde, sondern die dieser Bereich auf Grund seiner Ubiquität in allen Bereichen der Gesellschaft auch ausüben könnte. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine ebenso lebhafte wie fruchtbare Diskussion und natürlich den von Ministerpräsident Klimmt angekündigten und wirklich unvermeidbaren angenehmen Aufenthalt in Saarbrücken.