Redner(in): Joschka Fischer
Datum: 29.08.2001
Untertitel: Ohne äußere Hilfe, ohne den entschlossenen Einsatz der Staatengemeinschaft wird der Frieden in Mazedonien kaum eine Chance haben.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/72/53772/multi.htm
10 Jahre ist es mittlerweile her, dass Jugoslawien zerbrach und die Reihe jugoslawischer Erbfolgekriege begann. Diese vier blutigen Kriege haben unsägliches Leid über die Menschen gebracht, Frieden und Stabilität gefährdet und Südosteuropa in eine tiefe Krise gestürzt. Nur ein Nachfolgestaat Jugoslawiens ist bisher von einem vergleichbaren Schicksal verschont geblieben: Mazedonien.
Nun steht auch dieses Land am Rande eines grausamen Krieges und droht in dessen Gefolge zu zerbrechen. Bisher ist es dank erheblicher Anstrengungen gelungen, den Ausbruch eines Bürgerkrieges zu verhindern. Aber allein die große Zahl der Flüchtlinge zeigt, wie prekär die Lage ist. Ohne äußere Hilfe, ohne den entschlossenen Einsatz der Staatengemeinschaft wird der Frieden in Mazedonien kaum eine Chance haben. Dabei kommt es in erster Linie auf Europa und damit auch auf Deutschland an. Von der heutigen Entscheidung des Deutschen Bundestages wird es daher mit abhängen, ob die Entwicklung in Mazedonien in Richtung Krieg oder Frieden verläuft.
Wir müssen alles in unseren Kräften Stehende tun, um diesmal rechtzeitig den Konflikt präventiv zu verhindern. Ein Krieg wäre nicht nur eine Katastrophe für die Menschen in Mazedonien, er könnte auch ein politisches Erdbeben in seiner Umgebung auslösen und so die Früchte jahrelanger internationaler Friedensbemühungen zunichte machen. Ein Bürgerkrieg hätte unabsehbare Auswirkungen auf die gesamte Region: auf Kosovo und Albanien, auf die Bundesrepublik Jugoslawien und Bosnien-Herzegowina, aber auch auf Bulgarien, Griechenland und die Türkei und damit direkt auf die NATO und die EU.
Seit Mazedonien 1991 unabhängig wurde, haben sich Europa, Deutschland und die USA dort aktiv um Konfliktprävention bemüht. Es ging dabei immer um eine doppelte Herausforderung: Nach außen mußte Mazedonien seine von anderen in Frage gestellte Existenz behaupten und verhindern, in den Strudel der Balkankriege gerissen zu werden. Die Staatengemeinschaft hat ihre Friedensbemühungen durch viele Maßnahmen - von der VN-Mission UNPREDEP und internationaler Wirtschaftshilfe bis zu den Aktivitäten der OSZE und des Stabilitätspakts unterstützt. Nicht ohne Erfolg: Mazedonien ist heute eine funktionierende Demokratie, international respektiert und hat mit dem unterzeichneten Stabilitäts- und Assoziierungsabkommen bisher als einziges Land in der Region neben Slowenien eine konkrete Perspektive für die Europäische Union. Im Innern ging es um eine gerechte und gleichberechtigte Teilhabe der beiden großen Volksgruppen an staatlicher Gewalt. Deutschland hat sich dabei immer für eine Ausweitung der Rechte und eine angemessene Repräsentanz der albanischen Minderheit eingesetzt, im Rahmen der territorialen Integrität und des multiethnischen Charakter des mazedonischen Staates. Dieser innere Ausgleich gestaltete sich weitaus schwieriger als die äußere Stabilisierung des Landes.
Seit dem Gewaltausbruch zu Anfang des Jahres hat sich die Bundesregierung mit unseren Partnern massiv für eine politische Lösung engagiert. Dabei war von Anfang an klar: Entscheidend für den Frieden in Mazedonien ist eine neue Grundlage des Zusammenlebens, eine gerechtere demokratische Verfassung.
Dem EU-Sonderbeauftragten Francois Léotard ist es in einer beispielhaft engen Zusammenarbeit mit dem amerikanischen Botschafter Pardew sowie mit Javier Solana und Lord Robertson gelungen, in äußerst schwierigen Verhandlungen ein politisches Rahmendokument auszuhandeln. Angesichts der bis zuletzt weit auseinander liegenden Positionen grenzt dieses Ergebnis fast an ein Wunder. Für diese bedeutende Leistung gebührt den Vermittlern unser aller Dank und Anerkennung.
Es müssen jetzt alle Anstrengungen unternommen werden, um das Rahmenabkommen so schnell wie möglich zu implementieren. Die zentrale Verantwortung liegt bei den politischen Führern in Mazedonien, auf beiden Seiten. Aber auch eine Unterstützung von außen bleibt unverzichtbar. Unsere Hauptaufgabe wird dabei weiterhin im politischen Bereich liegen. Die Umsetzung der Vereinbarungen erfordert jedoch auch eine militärische Komponente.
Beide Konfliktparteien haben auf einer von der NATO durchgeführten Operation zur Entwaffung der NLA-Rebellen bestanden. Die Einladung ging an die NATO, weil diese seit 1995 auf dem Balkan engagiert ist und sich in Mazedonien den Ruf einer unparteiischen, aber auch durchsetzungswilligen Instanz erworben hat. In der vergangenen Woche hat der NATO-Rat die Ausführungsweisung für dieOperation "Essential Harvest" gebilligt. Die Bundesregierung hat daraufhin die Beteiligung deutscher Streitkräfte im Rahmen eines französischen Bataillons beschlossen. Folgende Gründe sprechen unseres Erachtens dafür: Die Operation "Essential Harvest" ist nur ein Teil, allerdings ein unverzichtbarer, einer politischen Gesamtstrategie zur Verhinderung eines Bürgerkriegs in Mazedonien. Die Bestimmungen des Abkommens von Ohrid zur Waffenabgabe und zur Ratifizierung der Verfassungsänderungen greifen unauflösbar zeitlich ineinander. Durch diese enge Verzahnung soll verhindert werden, dass die eine oder andere Seite sich einseitig Vorteile verschafft. Nur durch eine parallele Erfüllung beider Aufgaben hat der Frieden somit eine Chance. Entfällt oder scheitert das Einsammeln der Waffen, dann bräche der mühsam erreichte politische Kompromiß zusammen. Die NATO kann sich deshalb der Bitte der Konfliktparteien nicht entziehen, ohne Verantwortung für ein Scheitern des Friedensprozesses zu übernehmen. Die von uns und unseren Partnern geforderten Voraussetzungen für den Einsatz liegen heute vor: Eine Grundsatzvereinbarung über eine politische Lösung, eine Einigung über den Waffenstillstand in Verbindung mit einer Amnestie und eine Selbstverpflichtung der NLA zu freiwilliger Waffenabgabe. Es gibt für den Einsatz eine klare Rechtsgrundlage, nämlich das Schreiben von Präsident Trajkowski, das von allen Parteien der Koalitionsregierung gebilligt wurde. Zusätzliche Unterstützung erhält er durch die Erklärung des Vorsitzenden des VN-Sicherheitsrats vom 13. August, die von allen seinen Mitgliedern mitgetragen wurde. Gerade die Einbindung Rußlands ist dabei besonders wichtig. Die Friedensbemühungen in Mazedonien ruhen damit auf einer geschlossenen Haltung der internationalen Staatengemeinschaft, von EU, NATO und Vereinten Nationen. Es wird nicht immer deutlich genug gesehen, dass der Einsatz in Mazedonien sich grundsätzlich von anderen NATO-Operationen, etwa in Bosnien oder im Kosovo, unterscheidet. Anders als dort geht es in Mazedonien nicht darum, einen voll entflammten Bürgerkrieg durch den Einsatz von Friedenstruppen zu beenden, sondern darum, dessen Ausbruch präventiv zu verhindern. Prävention, nicht Friedenssicherung ist deshalb heute die Aufgabe in Mazedonien.
Hiermit hängt der besondere Charakter des Mandats zusammen. Die NATO ist auf Einladung beider Parteien präsent und zu strikter Neutralität verpflichtet. Sie kann deshalb auch nur das tun, worum sie gebeten wird. Das Bündnis handelt im Rahmen eines robusten Mandats, soweit es den Selbstschutz der Soldaten und die Möglichkeit zur Nothilfe zugunsten unserer Partner betrifft, ansonsten wird die NATO nicht Konfliktpartei werden. Zu dem Prinzip der freiwilligen Waffenabgabe gibt es bei allen Unzulänglichkeiten und Risiken des Mandats gegenwärtig keine sinnvolle Alternative.
Die kurze Frist von 30 Tagen soll Druck auf die Konfliktparteien ausüben und einer schleichenden Ausweitung der Operation vorbeugen. Die Festlegungen des Mandats sind eindeutig und präzise. Einen "mission creep" wird es nicht geben. Sollte eine Veränderung der Lage eintreten, dann muß die NATO diese neu bewerten und der Deutsche Bundestag würde gegebenenfalls konstitutiv neu befasst. Sollte es gar zu einem Zusammenbruch des Waffenstillstands kommen, so wäre eine zentrale Voraussetzung für die Mission nicht mehr gegeben. Der SACEUR General Ralston hat eindeutig erklärt, er würde in einem solchen Fall nicht zögern, dem NATO-Rat die Rückverlagerung der Truppen zu empfehlen.
Der Einsatz der NATO ist nur ein Element aus einem Bündel von Maßnahmen zur politischen und wirtschaftlichen Stabilisierung Mazedoniens. Die Bundesregierung hat ein begleitendes präventives Konzept entwickelt, das über die 30 Tage des NATO-Einsatzes hinausreicht. Dazu gehört die Fortführung der politischen Vermittlung sowie eine ökonomische Unterfütterung des Friedensprozesses. Nach einem erfolgreichem Abschluß von "Essential Harvest" und der Annahme der Verfassungsänderungen sollte sofort eine internationale Geberkonferenz für Mazedonien stattfinden.
Deutschland ist mittlerweile seit vielen Jahren auf dem Balkan engagiert. Im Rückblick steht fest, dass die Staatengemeinschaft in Bosnien und im Kosovo zu spät gehandelt hat. Hunderttausende Unschuldiger haben dies mit ihrem Leben bezahlt. Wir wissen heute, dass die Probleme des Balkans letztlich nicht einzeln zu lösen sein werden - weder in Bosnien, noch im Kosovo oder in Mazedonien - sondern nur im Rahmen eines regionalen Gesamtansatzes. Mit dem Stabilitätspakt hat Deutschland erstmals einen regionalen Handlungsrahmen formuliert, den es heute in Richtung eines KSZE-ähnlichen regionalen Prozesses fortzuentwickeln gilt. Seine Elemente müssen sein: Vertrauensbildung, Sicherheit, Abrüstung und Rüstungskontrolle, wirtschaftliche Zusammenarbeit und ein wirksamer Minderheitenschutz.
Entscheidend dabei ist eine Perspektive für Europa. Die gesamte Region an das Europa der Integration heranzuführen, wird ein langfristiges Engagement der Europäer erfordern. Aber es ist der einzige Ausweg, die einzige "Exitstrategie" aus dem Teufelskreis von ethnischem Haß und Bürgerkrieg.
In Mazedonien liegt die Hauptlast der politischen Lösung wie auch der militärischen Komponente heute bei den Europäern. Dabei geht es nicht um ein abstraktes Solidaritätsbekenntnis gegenüber unseren Partnern, sondern ganz konkret um eine neue Rolle Europas in der entstehenden Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Es wäre deshalb höchst widersinnig, wenn Deutschland, das zusammen mit Frankreich immer der Motor der europäischen Integration gewesen ist, sich ausgerechnet diesem für die Zukunft Europas besonders wichtigen Einsatz verwehren würde.
Der Einsatz ist gewiß nicht ohne Risiken, vor allen Dingen für die Soldaten. Es gibt auch keine Garantie für den Frieden. In der Abwägung überwiegen jedoch eindeutig die Argumente für eine deutsche Beteiligung. Es geht um unsere Verantwortung für Frieden und Stabilität auf dem Balkan und um die Solidarität mit unseren wichtigsten Partnern in EU und NATO. Dieser Verantwortung darf sich das vereinte Deutschland nicht entziehen. Und deshalb bitte ich das Haus um eine breite Unterstützung für den Antrag der Bundesregierung.
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