Redner(in): Joschka Fischer
Datum: 01.09.2001

Untertitel: Diese Weltkonferenz ist von überragender Bedeutung für den Ausgleich zwischen Nord und Süd und für ein menschlicheres Zusammenleben in unserer Welt.
Anrede: meine Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/13/54113/multi.htm


Frau Vorsitzende, zunächst möchte ich Ihnen, Frau Präsidentin, zu Ihrer Wahl zur Vorsitzenden dieser Konferenz gratulieren. Der Hochkommissarin für Menschenrechte, Mary Robinson, und Botschafterin Diallo danke ich herzlich für ihren entschlossenen Einsatz in der schwierigen Vorbereitung dieses Treffens. Mein Dank geht auch an unsere Gastgeber, die südafrikanische Regierung. Dieses Land hat es geschafft, sich friedlich und aus eigener Kraft aus einer auf dem Prinzip des Rassismus gegründeten Diktatur zu befreien und den Weg in eine gerechtere Gesellschaft zu finden. Der Mut der Südafrikaner, trotz aller Narben der Vergangenheit aufeinander zuzugehen, sollte uns auf dieser Konferenz ein Ansporn sein.

Diese Weltkonferenz ist von überragender Bedeutung für den Ausgleich zwischen Nord und Süd und für ein menschlicheres Zusammenleben in unserer Welt. Rassismus und Fremdenfeindlichkeit haben die Menschheit in katastrophale Abgründe geführt, in Massenversklavung und Kolonialismus, die Ausrottung ganzer Bevölkerungen auf mehreren Kontinenten oder in neuerer Zeit den Massenmord in Ruanda und Burundi. Das schrecklichste aller Verbrechen im 20. Jahrhundert aber hat sich in meinem Land ereignet, der Genozid an sechs Millionen europäischen Juden, an Roma und Sinti. Die Erinnerung an diese durch nichts zu relativierende Tat und die Verantwortung, die aus ihr erwächst, wird Deutschlands Politik dauerhaft prägen. Eine Verharmlosung, Relativierung oder gar Leugnung des Holocaust kann Deutschland deshalb nicht hinnehmen und wird solchen Versuchen entschieden entgegentreten.

Wir müssen auf dieser Konferenz mit der Vergangenheit beginnen. In vielen Teilen der Welt reicht der Schmerz über die bis heute nachwirkenden Folgen der Sklaverei und der Ausbeutung durch den Kolonialismus noch tief. Vergangenes Unrecht lässt sich nicht ungeschehen machen. Aber Schuld anzuerkennen, Verantwortung zu übernehmen und sich seiner historischen Verpflichtung zu stellen, kann den Opfern und ihren Nachkommen zumindest die ihnen geraubte Würde zurückgeben. Ich möchte dies deshalb hier und heute für die Bundesrepublik Deutschland tun.

Gerade unsere historische Verantwortung, aber auch die allgemeinen Grundsätze der Menschlichkeit und Gerechtigkeit erfordern von Europa deshalb heute eine besondere Solidarität mit den Entwicklungsländern. Unser oberstes Ziel muß es dabei sein, ihnen bei der Überwindung der Armut und der Integration in die Weltwirtschaft zu helfen und die Fähigkeit zu guter Regierungsführung und damit zu eigenverantwortlichem Handeln zu stärken. Ein weiterer Schuldennachlaß für die ärmsten Länder, die Öffnung unserer Märkte sowie die Unterstützung der New African Initiative, des AIDS-Fonds der VN und des Ziels, die extreme Armut bis 2015 zu halbieren, sind Initiativen, die die Entwicklungsländer dringend brauchen. Gewiß müssen wir unsere Anstrengungen in Zukunft noch erheblich verstärken.

Die schockierende Zunahme von Gewalt und Haß im Nahen Osten erfüllt uns mit allergrößter Sorge. Die vielen Opfer und ihre Familien auf beiden Seiten haben unser ganzes Mitgefühl. Der Teufelskreis der Gewalt muß endlich mit allen verfügbaren Mitteln durchbrochen werden. Das israelische wie das palästinesische Volk haben ein Recht auf kollektive und individuelle Sicherheit, auf ein Leben ohne Angst, in Würde und mit einer Perspektive für Kinder und Kindeskinder. Dazu gehört das Existenzrecht Israels, das für uns unantastbar ist, genauso aber auch das dauerhafte und uneingeschränkte Recht der Palästinenser auf Selbstbestimmung einschließlich der Option für einen Staat, wie es in der Berliner Erklärung der EU heißt.

Der Mitchell-Plan ist die von beiden Seiten akzeptierte "road map", die Gewalt zu beenden, neues Vertrauen zu schaffen und die ausgesetzten Verhandlungen wiederaufzunehmen. Hierzu gibt es keine sinnvolle Alternative. Eine breite internationale Koalition, die es in dieser Geschlossenheit noch nie gegeben hat, steht hinter diesem Ansatz. Wir rufen beide Seiten, Israelis wie Palästinenser, dazu auf, die vorgesehenen direkten Gespräche rasch aufzunehmen. Diese Gespräche müssen zum Erfolg führen. Zu viel hängt für die Menschen in der Region von ihrem Gelingen ab. Wir werden unseren Beitrag dazu leisten.

Eine Polarisierung in der Debatte um den Nahostkonflikt oder gar eine Singularisierung Israels - direkt oder indirekt - hier in Durban ist dagegen in der gegenwärtigen Lage nicht geeignet, Vertrauen zu schaffen und den Friedensprozess wieder in Gang zu setzen. Einseitige Verurteilungen werden zugleich auch diese Konferenz bis hin zu ihrem Scheitern gefährden.

Ich möchte deshalb an alle Teilnehmer und besonders an unsere arabischen und palästinensischen Freunde den dringenden Appell richten, diese Gefahr für den Erfolg der Konferenz abzuwenden. Zweimal schon ist eine Weltrassismuskonferenz gescheitert. Geschieht dies noch einmal, dann wären die Verlierer erneut diejenigen, um deren besseren Schutz wir gemeinsam ringen wollen: die Unterdrückten und Entwürdigten in aller Welt.

Frau Vorsitzende, Globalisierung und Migration führen rund um den Globus zur Entstehung multikultureller und multiethnischer Gesellschaften. Hierin liegt für uns alle eine große Bereicherung. Die damit einhergehenden Ängste vor einem Verlust von Identität und Sicherheit sind zugleich aber auch ein Nährboden für Haß und Gewalt gegen Fremde. Rechtsextreme und rassistische Gruppen verbreiten heute ihr Gedankengut über das Internet und andere neue Medien und verstärken ihre Zusammenarbeit so auch international. Um die Bekämpfung dieser neuen Formen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit muss es in erster Linie auf dieser Weltkonferenz gehen. Denn dies wird die Herausforderung der Zukunft sein.

Rassismus und Xenophobie sind in vielen Ländern eine bittere Realität. Es empört und beschämt uns Deutsche zutiefst, dass in Deutschland Gewalt und Hass gegen Fremde wieder verstärkt auftreten. Unser Staat und unsere Gesellschaft sagen deshalb allen Formen von Rechtsradikalismus, Rassismus und Antisemitismus den entschiedensten Kampf an. Dazu gehören ein hartes, unmissverständliches Vorgehen des Staates gegen die Täter und zugleich Aufklärung und Überzeugung.

Deutschland richtet heute sein besonderes Augenmerk auf die Fragen der Integration. Ausländer treffen bei uns leider immer noch oft auf ein Klima von Vorurteilen und Überheblichkeit. Die Bundesregierung hat das veraltete deutsche Staatsangehörigkeitsrecht reformiert und Einbürgerung vereinfacht. Asylbewerbern und Flüchtlingen ist der Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtert worden. Vorschläge für moderne Zuwanderungsregelungen werden derzeit erarbeitet. Wir hoffen sehr, dass all dies zu grösserer Akzeptanz von Menschen fremder Herkunft in Deutschland beitragen wird. Dennoch bleibt noch viel zu tun.

Fremdenfeindlichkeit hat viel mit Unwissenheit zu tun. Erziehung und Aufklärung sind deshalb überaus wichtig. Je mehr wir tun können, um gerade junge Menschen von der Bedeutung des Respekts für die Rechte und die Würde anderer zu überzeugen, umso größer die Chance, Vorurteile zu überwinden. Maßnahmen zur Erziehung gerade auch unter Nutzung digitaler Medien müssen daher ein Schwerpunkt unserer Bemühungen sein, national wie international.

Besonders zu verurteilen ist die doppelte Diskriminierung nach Rasse und Geschlecht, von der viele Frauen und Mädchen in aller Welt betroffen sind. Millionen von Frauen und Mädchen werden weltweit immer noch als Menschen behandelt, denen man ihre Würde vorenthält, ihnen gesellschaftlich und ökonomisch ein selbstbestimmtes Leben verweigert und ihnen Bildung verunmöglicht. Frauen- und Mädchenhandel ist eine verabscheuungswürdige Form der Sklaverei.

Die Bundesregierung hat vor wenigen Tagen die Erklärung nach Artikel 14 der VN-Anti-Rassismus-Konvention abgegeben und sich damit dem Individualbeschwerdeverfahren des Abkommens unterworfen. Wir wollen so einen konkreten deutschen Beitrag zum Gelingen dieser Konferenz leisten und hoffen, dass weitere Staaten unserem Beispiel folgen. Der Beitritt möglichst vieler Staaten zur Anti-Rassismus-Konvention und ihre Umsetzung in nationales Recht müssen ein zentrales Ziel dieser Konferenz sein.

Die Vielfalt der Menschen ist ein Geschenk und keine Bedrohung. Lassen Sie uns in diesem Sinne alles versuchen, um einen konkreten Aktionsplan zu entwickeln, der uns Orientierung und Hilfe gibt für die Überwindung der brennenden Probleme von heute und morgen. Gelingt uns das, dann geht von Durban ein wichtiges Signal der Hoffnung auf eine menschlichere Welt aus. Von der Vergangenheit zu lernen, heißt die Zukunft besser zu gestalten. Dies muss das Ziel dieser Konferenz sein.

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