Redner(in): Julian Nida-Rümelin
Datum: 14.09.2001

Untertitel: ...dies sind nicht Tage, um ausgelassen zu feiern.
Anrede: Sehr geehrte Familie Harting, verehrter Mario Botta, Herr Botschafter, meine sehr geehrten Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/13/58413/multi.htm


dies sind nicht Tage, um ausgelassen zu feiern. Aber ich denke, wir würden den Anschlägen auf ein Kernstück der Zivilisation des Westens zu viel zugestehen, wenn wir zuließen, dass das feingesponnene Netz der Beziehungen zwischen Wirtschaft, Kultur, Politik und Bürgerschaft zerrissen würde. Und deswegen bin ich der Ansicht, dass es die richtige Entscheidung war, diese Eineweihung, dieses Fest - das es ja durchaus auch ist - nicht auf eine fernere Zukunft zu verschieben.

Mario Botta baut in Minden. Das hat schon deswegen Nachrichtenwert, weil Mario Botta weltweit baut, weil sein Name ein Begriff ist, weil seine Formensprache ganz wesentlich die zeitgenössische Architektur prägt, sich auch ins Gedächtnis der Menschen, in ihr Bildgedächtnis eingeprägt hat. Seine frühen Häuser, insbesondere seine Sakralbauten, sind unterdessen längst zu Klassikern geworden. Es ist nicht nur die Neugierde auf dieses Gebäude, die mich nach Westfalen lockt. Ich möchte gleich sagen, dass ich fasziniert bin - Mario Botta hat mich durch den Bau geführt und ihn mir sehr genau gezeigt. Aber hierher führt mich ebenso die Neugierde auf einen Architekten, der Bauen nicht als ein primär ästhetisches, sondern vor allem auch als ein ethisches Projekt und ein ethisches Problem sieht und behandelt. Mario Bottas philosophisch beeinflusster Ansatz ist natürlich von grundsätzlichem kulturellem Interesse, aber die Fruchtbarkeit dieses Ansatzes zeigt sich nur in seiner Konkretion, und ich denke, dieses Gebäude ist eine solche Konkretion, es ist eine Konkretion von Baukultur.

Fragen der Baukultur beschäftigen die Bundesregierung seit letztem Oktober in Form einer Initiative des Bundesbauministeriums, eine Initiative, an der auch meine Behörde beteiligt ist. Diese Initiative heißt "Architektur und Baukultur", und wir versuchen schon in naher Zukunft, vorsichtige Antworten - wie ich es einmal nennen will - auf die baukulturellen Herausforderungen unserer Zeit zu geben. Antworten, die helfen sollen, der städtischen Kultur in diesem Lande neue Perspektiven zu geben. Die Ethik des Bauens, so wie sie auch Mario Botta versteht, basiert auf Verantwortungsbewusstsein des Architekten gegenüber der Gemeinschaft. Ich verwende ich hier gerne auch den englischen Terminus community, weil er nicht genau die gleichen Konnotationen hat, wie der deutsche Terminus Gemeinschaft.

Ein Charakteristikum der Kunst der letzten Jahrzehnte ist das, was Neudeutsch "Site Specificity" heißt, das heißt die spezifische Ausgerichtetheit, Bezogenheit der Kunst auf den jeweiligen Ort. Verbunden damit ist die zum Teil rüde Abkehr von einer Kunst, die als "Drop-Art" verspottet wird, eine Kunst, die so aussieht, als wäre sie an einer Stelle aus unerfindlichen Gründen vom Himmel gefallen. Die zum Teil abwertenden Kommentare zeitgenössischer Kunsttheoretiker zur Kunst der 50er und 60er Jahre mache ich mir dabei so nicht zu eigen; auch in dieser Zeit ist Großes geleistet worden. Aber wenn es eine Kunst gibt, die "Site Specificity" im Zentrum hat, dann ist es die Architektur, die Baukunst. Einen Bewusstsein für die Bedürfnisse der Gemeinschaft, für die Eigenart des Ortes, für seine potenzielle Zukunft und seine kulturelle Vergangenheit gerecht zu werden, kann aber nicht die Aufgabe des Architekten allein sein. Er wird mit seinem Ansatz nur Erfolg haben, wenn diejenigen, die die wesentlichen Entscheidungen vorbereiten, in der Urbanistik, in der Stadtplanung, aber insbesondere auch auf Seiten der Bauherren, eine entsprechende Sensibilität mitbringen. Urbanistik ist heute leider oft - nicht immer, aber leider oft - nur ein im Wesentlichen ökonomisch begründeter Verwaltungsakt. Wenn die Raumentwicklungs- , Raumordnungs- und Bebauungspläne in Kraft treten, sind sie oft schon längst wieder von einer neuen sozialen und kulturellen Wirklichkeit überholt. Bei öffentlichen wie bei privaten Bauvorhaben, beim Wohnungs- wie beim Büro- und Gewerbebau, wird in meinen Augen das Feld allzu leichtfertig dem primär ökonomischen Kalkül einzelner Investoren oder Generalunternehmen überlassen. Da ist Baugrund gleich Baugrund und Rendite gleich Rendite.

Insofern sehe ich es als einen glücklichen Ausnahmefall an, wenn hier ein Unternehmer, ein mittelständischer zumal, sich dazu entschließt, nicht aufs freie Feld vor die Stadt zu ziehen und damit unweigerlich zur Schwächung der kulturellen Substanz der Stadt und zur Vernichtung von Landschaft beizutragen. Wenn sich hier ein Unternehmer den Herausforderungen der Kommune stellt und seinen neuen Verwaltungsbau in die Textur der vorhandenen Stadt einfügt, wie das ja letztlich Teil des Programms von Mario Botta ist. Dass sie diesen Architekten gewählt haben, ist also, denke ich, eine glückliche Entscheidung.

Unsere Städte bieten heute mehr denn je die Möglichkeit und die Chance, zentral zu bauen, zu leben und zu arbeiten. Das, was noch vor wenigen Jahrzehnten als Verdichtung der Städte geplant wurde, macht ihre urbane Qualität aus. Wir sollten nicht die Standards von Einfamilienhäusern auf der grünen Wiese in die Städte hineintragen. Wir zerstören damit ihre eigentliche Substanz. Es gibt Viertel und Areale, die ihre ursprüngliche Funktion unwiederbringlich verloren haben, gerade auch hier in Minden: Bahnanlagen, Versorgungsbauten, Industriegebiete und vor allem die preußischen Kasernen, die der Denkmalschutz unter seine Fittiche genommen hat. 1,3 Millionen Quadratmeter Kasernenanlage soll es hier geben, ich habe die Zahl nicht überprüft. Das ist ein immenses und durch die schiere Ausdehnung auch schwieriges Erbe der deutschen Nachkriegsgeschichte. Ein Erbe, das nach der deutschen Wiedervereinigung und dem Abzug der Britischen Rheinarmee nicht nur den Städtebau vor eine Herausforderung stellt. Neue, sinnvolle Nutzungen für ein solch gigantisches Arial zu finden, ist nicht leicht und bedarf einer Planung der langen Fristen. Mir wurde auf der Fahrt ins Rathaus hier in Minden berichtet, dass diese Planung schon sehr weit gediehen ist und offenbar sehr umsichtig vorbereitet wurde.

Mario Botta hat in seinem Vortrag zur Ethik des Bauens daran erinnert, dass die Stadt nur in einem geschichtlichen Prozess Gestalt gewinnen kann. Ich glaube, dass das Beispiel Berlin Mario Botta Recht gibt. Ich sage jetzt etwas, mit dem ich sicher auch anecke: Mir scheint, dass die Lücken, nicht alle Lücken, aber viele der Lücken, die die besondere Geschichte Berlins gerissen hat, allzu forsch geschlossen wurden. Dort wurden zu große Areale in die Hand von Entwicklern gegeben. Und es gibt eine starke Sehnsucht nach der Wiederherstellung des Heilen aus der Vergangenheit, den Wunsch, das Hohenzollernschloss ganz genau so, wie es vor seiner Zerstörung war, wieder aufzubauen, mit gigantischen Kosten und Problemen der Nutzung. Wir sind unterdessen weiter gekommen in der internationalen Expertenkommission, auch im Hinblick auf das, was ich ganz zu Beginn dieser Debatte in Berlin einmal eingeworfen hatte: Wir sollten diese Idee einer Heilung der Stadt durch eine 1: 1-Rekonstruktion eines völlig zerstörten Schlosses so nicht weiterverfolgen, wir sollten uns aber orientieren an der städtebaulichen Gestalt, an der Kubatur des Hohenzollernschlosses.

Die skizzierten Sehnsüchte zeigen im Grunde genommen nur, welche Probleme die zeitgenössische Urbanistik und Architektur mit sich trägt, und umso wichtiger ist es, dass einzelne Architekten diese Herausforderung annehmen und den Zusammenhang zwischen Lebensqualität und Bauen thematisieren. Ich habe vor kurzem bei der Verleihung des Taut-Stipendiums ein wenig extemporiert über den Zusammenhang zwischen Menschenbildern und Baukörpern. Diesen Zusammenhang zu sehen scheint mir wichtig, und nicht die Baukunst als rein ästethischen Akt zu verstehen, der den Bezug zur Lebenswelt, zur Lebenspraxis, zur Praxis der Arbeit verloren hat.

Nun ist dieser Ort offenbar ein besonders begünstigter durch die unmittelbare Nähe zur Altstadt, durch die zum Teil in die Schinkel-Ära zurückdatierbaren Baudenkmäler und durch die eingeleitete Umnutzung mit einer vielversprechenden Mischung aus Wohnen, Gewerbe, Kultur und Gastronomie. Sie, die Familie Harting, haben sich für diesen markanten Ort entschieden, sie haben sich entschlossen, wie wir gerade gehört haben, das Vertriebszentrum ihres Tochterunternehmens am südlichen Eingang der Stadt zu positionieren, gewissermaßen als erstes Haus am Platz. Dieser exponierten Lage entsprechend haben Sie sich für einen Architekten von internationalem Rang entschieden, nicht für ein x-beliebiges Bauunternehmen, das Ihnen den Bürobau schlüsselfertig übergeben hätte. Dies ist also der zweite glückliche Ausnahmefall, der baukulturell die Weichen stellt. Und ich sage ganz offen, ich wünsche mir manchmal, dass es mehr Bauherren gäbe, seien sie öffentlich oder privat, die vom Bewusstsein für den Ort, und zwar im topographischen wie im kulturellen Sinne, inspiriert werden. Baukultur setzt voraus, dass Bauherren die Architektur auch als ein Kommunikationsmittel verstehen.

Mit Mario Botta konnten Sie einen Architekten gewinnen, der, wenn ich ihn recht interpretiere, die urbanen Werte der europäischen Stadt verteidigt. Und eine solche Verteidigung ist nötig, weil es urbanistische Strömungen gibt, insbesondere in den USA und in Ostasien, die die besondere urbane Qualität der europäischen Stadt letztzlich als ein überholtes Relikt des 19. Jahrhunderts ansehen, das demnächst ohnehin verschwinden wird. Ich denke, dass diese Werte der europäischen Stadt in Mario Bottas Arbeit verteidigt werden.

Diese Werte verleihen dem Bauen Gewicht und Bestand, indem Sie, verehrter Herr Botta, sich auf die elementaren Bedingungen guter Architektur besinnen. Ihre Mauern sind im Vergleich zu manch anderer moderner Architektur immer auffällig solide. Es gibt eine klare Trennung von Innen und Außen. Dadurch bekommt der äußere, aber auch der innere Raum klare Konturen. Der innere Raum kann sich als Gefäß einer Lebens- und Arbeitsgemeinschaft, die an diesen Raum, diesen Bau gebunden ist, bewähren. Es kommt Ruhe in die Architektur, sie hat klare Konturen, eine neue Ordnung wird hergestellt. Die Strukturen der Gebäude sorgen dabei für Vertrautheit. Kaum ist man in diesem Raum, fühlt man sich wohl. Ich könnte Ihnen jetzt andere Bauten moderner Architektur nennen, die zum Teil von hoher ästhetischer Qualität sind, in denen man sich aber nicht wohl fühlt. In einem Teil der Glas- und Stahlarchitektur dieser Zeit fühlt man sich ausgeliefert, freischwebend im Raum. Die Architektur Bottas verstärkt hingegen die Fähigkeit von Menschen, sich zu orientieren. In diesem Gebäude orientiert man sich mit einem Blick. Die Ebenen sind klar konturiert und können nicht verloren gehen. Das Himmelslicht wird genutzt, die Verbindung nach außen wird also in einer spezifischen Weise hergestellt, die auch wieder Vertrautheit schafft. Ich will sogar sagen: Dieser Raum, in dem wir uns jetzt befinden, dieser Innenraum des Baus, hat eine poetische Dimension und - wie wir gerade feststellen konnten - eine in diesem Ausmaß unbeabsichtigte akustische Qualität.

Es ist viel diskutiert worden über Richard Sennetts Thesen zur Architektur. Ich glaube, dass er in vielem überzieht. Aber eine These ist durchaus nachdenkenswert, die These nämlich, dass der desolate Zustand, wie Sennett es sieht, eines Gutteils der modernen Architektur und Stadtgestaltung eine viel grundlegendere Ursache hat, als man zunächst meinen könnte. Er glaubt gar nicht, dass es primär die Verwertungsbedingungen sind, die die Probleme heraufbeschwören, sondern dass es der Bezug zum eigenen menschlichen Körper ist, der sich verändert hat. Sennett spricht davon, dass die moderne Architektur gleichsam von einem Fluch verfolgt würde, und dieser Fluch sei Ausdruck einer umfassenden Verarmung der Sinne. Körperempfindungen würden in den modernen Lebensformen zurückgedrängt, so Sennett, und parallel dazu verarme auch der Raum sinnlich als Resultat einer nachlassenden menschlichen Anteilnahme. Die Frage, die sich dann natürlich stellt, ist: Was muss geschehen, damit der Körper wieder sinnlicher und, wenn man so will, auch moralisch empfindsamer wird im Umgang mit anderen? Was muss geschehen, damit der Raum nicht nur Medium der Fortbewegung ist, sondern Begegnungen zulässt mit anderen Personen? Was muss geschehen, damit die Tendenz der Zivilisationsentwicklung umgekehrt wird, den Körper möglichst ruhig zu stellen, ihn festzupflanzen und den Rest - die Begegnungen -über Kommunikationsmittel zu organisieren.

Diese Tendenz hat eine Grenze, sie hat ihre Grenze dort, wo Menschen den Wunsch haben, sich in einem Lebensraum wohlzufühlen, indem sie Bezüge zu anderen Menschen entwickeln. Das ist jetzt keine Philosophie einer neuen Intimität, sondern ein Gedanke, der, denke ich, eine Rolle spielen sollte, wenn es um die Zukunft des öffentlichen Raumes geht. Wie sollte unser Verhältnis von Arbeiten und Leben organisiert werden? Was können wir tun, um der verheerenden Tendenz zur Trennung von Arbeiten und Leben, wie sie in der urbanen Stadtentwicklung nach dem 2. Weltkrieg besonders um sich gegriffen hat, entgegen zu steuern? Dies scheinen mir hochaktuelle Fragen zu sein.

Mit sparsamen Mitteln ist es Ihnen, Mario Botta, gelungen, eine unverwechselbare, eine eigene, moderne Ästethik des Dauerhaften zu entwickeln und sich gegen eine Kultur des Flüchtigen zu stellen. Ihre Architektursprache verweigert sich, und das ist mir ausgesprochen sympathisch, allem Modischen. Sie verändern ihre künstlerisch-architektonische Handschrift nicht alle paar Jahre. Ihre Bauten haben ein eigenes Gewicht. Durch den Rekurs auf mediterrane Traditionen, die ich sehe, die auch mit ihrer Herkunft aus dem südlichen Teil der Schweiz zu tun haben mögen, knüpfen Sie an archaische Traditionen des Bauens an und sind doch zugleich explizit modern. Sie scheuen sich nicht vor einem monumentalem Eindruck. Obwohl Solitäre mit offensichtlicher Signatur, verlieren ihre Bauten niemals den Bezug zu den historischen und kulturellen Gegebenheiten, zu den Erinnerungen, die einen Ort oder eine Landschaft prägen. Es geht Mario Botta nicht um Rekonstruktion, sondern um eine souveräne Bereicherung der historisch geprägten Stadt.

In seiner Ethik des Bauens erläutert Mario Botta diesen entscheidenden Ansatz der Transformation wie folgt: Demnach ist Bauen ein kultureller Akt, der ein vorhandenes Gleichgewicht in ein neues räumliches Gleichgewicht überführt, also transformiert. Wobei die Herstellung eines neuen Gleichgewichtszustandes sicher nicht mit einem Harmoniediktat verwechselt werden sollte. Schauen wir uns die beschriebenen Transformationsprozesse etwas genauer an: Architektur sei mehr als eine Disziplin, die sich mit der Bebauung eines konkreten Ortes beschäftigt. Vielmehr baue die Architektur diesen Ort selbst indem sie - jetzt zitiere ich wörtlich - "von dem Land Besitz ergreift und mit ihrer Form zur Matrix wird. Statt eines bloßen Baukörpers, der auf ein Stück Land gesetzt ist, wird die Architektur beinahe zu einer Substanz, die aus ihm hervorgeht, sich aus seiner Form, seiner Geschichte und seiner Erinnerung entwickelt, um mit den anderen vorhandenen Elementen in einer Art fließenden Kontinuität zu kommunizieren."

Mir scheint, dass Mario Botta in diesem Passus ein Schlüsselwort für einen wohlverstandenen Begriff von Baukultur liefert. Architektur baut den Ort und schafft einen Topos, das heißt, der Neubau geht mit dem Ort eine historische, intime Bindung ein. Durch diese Bindung kann der Ort auch zu einer Matrix, wie Sie es nennen, zu einem Rahmen für Neues werden. Grundlage einer Baukultur, einer qualitativ hochstehenden Baukultur, wäre demnach die Verständigung auf das Elementare, das Substanzielle. Und mir scheint, dass wir darüber zwischen Bauträgern, Urbanisten, Bauherren und Architekten in einen öffentlichen Dialog treten müssen, in einen intensiveren öffentlichen Dialog im allgemeinen wie im konkreten Fall, und dass wir dabei die Lebensform, die Alltagswelt der Menschen immer berücksichtigen müssen. Als jemand, der aus einer philosophischen Richtung kommt, die von Ludwig Wittgenstein geprägt worden ist, füge ich hinzu: Ich teile durchaus Wittgensteins Skepsis, dass ästhetische und auch ethische Fragen nur in gewissen Grenzen dafür geeignet sind sprachlich, im Diskurs geklärt zu werden. Das Wesentliche der Ethik und der Ästethik zeigt sich, zeigt sich in den Formen, zeigt sich in der Lebenspraxis, zeigt sich in der Art und Weise des Umgangs von Menschen miteinander.

Die europäische Stadt ist gebaut. Man muss sie nicht neu erfinden. Es wäre insofern geradezu fatal, dem Ruf der "Futuristen" zu folgen, die meinen, man müsse jeder Generation eine neue Stadt bauen. Das wäre der Bruch mit der europäischen Tradition der Stadt. Unsere Aufgabe wird es sein, die alte Stadt zu stärken, ohne sie einzufrieren, ohne sie zu musealisieren - da gibt es auch durchaus Auseinandersetzungen mit manchen Denkmalschützern. Es kommt darauf an, die Stadt verantwortungsvoll zu begleiten bei diesem Prozess der Transformation, sie behutsam zu erneuern, sie auch für neue Bedürfnisse zu modifizieren, ohne sie zu zerstören. Die Entwicklung der europäischen Stadt sollte in Zukunft primär nach innen gerichtet sein und nicht nach außen. Nicht die Expansion, sondern die Konzentration auf das, was ihre eigentliche Identität ausmacht, scheint mir die Orientierung zu sein, die wir zu Grunde legen sollten.

Entgegen vieler Unkenrufe und mancher voreiligen Todesanzeige wird die europäische Stadt - da bin ich ganz sicher - überleben, auch die mittlere und die kleinere, trotz Globalisierung, trotz Kommunikationen im virtuellen Raum. Wir müssen anerkennen, dass es in der europäischen Stadt Veränderungen geben wird. Aber wir müssen auch anerkennen, dass wir den geschichtlich geprägten, den unverwechselbaren Ort des direkten Austausches brauchen, den Ort der persönlichen Begegnung und der vertrauten ästethischen Erfahrung. Um die Kontinuität solcher Orte in der Zukunft sicher zu stellen, brauchen wir die Verständigung auf einen öffentlichen Diskurs über die Werte der Stadt und des Bauens. Wir brauchen eine wertorientierte Baukultur, der sich alle verpflichtet fühlen: Politik, bauende Wirtschaft, Architekten und die breite Öffentlichkeit. So wäre ein Bewusstsein für die Ethik des Bauens im Sinne Mario Bottas zu schaffen.

Signor Botta, questo edificio e un pezzo d'arte, ma arte nella quale si puo vivere e lavorare. Sono sicuro che la qualità di vita e die lavoro sara ottima in questo edificio - grazie.