Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 17.09.2001
Untertitel: Als diese Veranstaltung geplant wurde, sah die Welt noch anders aus. Heute, am Beginn dieser Veranstaltung, verspüren wir alle Trauer und mehr als das:...
Anrede: Verehrter Herr Ding, lieber Herr von Pierer, meine Herren Minister, Exzellenzen, verehrter, lieber Herr Regierender Bürgermeister, meine sehr verehrten Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/42/56242/multi.htm
Als diese Veranstaltung geplant wurde, sah die Welt noch anders aus. Heute, am Beginn dieser Veranstaltung, verspüren wir alle Trauer und mehr als das: Wir spüren, dass der Angriff auf die Vereinigten Staaten, der zu Recht als Krieg aufgefasst worden ist, ein Angriff auf uns alle ist. Worauf es jetzt ankommt, ist, dass aus Wut und Trauer Festigkeit und Entschlossenheit erwachsen - Entschlossenheit, den weltweit tätigen Terrorismus zu bekämpfen, auch mit den Mitteln demokratisch legitimierter Macht, aber eben auch mit den Möglichkeiten der Politik und all dem, was Politik an Instrumenten zur Verfügung hat.
Im übrigen, meine sehr verehrten Damen und Herren, geht es nicht um einen Kampf der Kulturen, sondern wohl eher um einen Kampf um die Kultur; denn was immer uns in unseren unterschiedlichen gesellschaftlichen Ordnungen unterscheidet, in einem - das haben die Beschlüsse des Weltsicherheitsrates gezeigt - sind wir vereint: im Kampf gegen die Geißel des weltweiten Terrorismus.
Es ist richtig, dass wir die Auseinandersetzung mit dem Terrorismus mit den Möglichkeiten staatlicher Macht führen. Es ist richtig, dass wir differenziert alle Möglichkeiten der Politik und Diplomatie einsetzen. Aber ebenso richtig ist es auch, dass die Kultur und damit die geistige Auseinandersetzung mit dem, was Terrorismus zu Grunde liegt, nicht aufhört, sondern jetzt erst richtig beginnt.
Meine Damen und Herren, es ist dieser Dreiklang - das Einsetzen staatlicher und auch militärischer Macht, das Festhalten an dem, was Politik und Diplomatie leisten können und leisten müssen, und der Einsatz der Kultur in ihrer Differenziertheit - , der Erfolg verspricht, gewiss nicht kurzfristig, sondern - ich unterstreiche ausdrücklich das, was Präsident George W. Bush gesagt hat - gerade weil es auch um eine geistige Auseinandersetzung geht, wird es eine langwierige, aber eben mit Bestimmtheit zu führende Auseinandersetzung sein. Es wird eine Auseinandersetzung sein, die Kräfte in der Außenpolitik ebenso wie im Inneren freisetzen muss. Es wird eine Auseinandersetzung sein, an der sich alle beteiligen müssen. Das ist keine Frage, die nur der Politik auferlegt ist. Es ist eben auch eine Frage an die Kultur und auch an die Wirtschaft. Auch sie wird ihren Beitrag zur Überwindung der Geißel, die Terrorismus heißt, leisten müssen.
Meine Damen und Herren, warum habe ich die Eröffnung dieser Asien-Pazifik-Wochen trotz der aktuellen Ereignisse übernommen? - Mir liegt in dieser Situation auch daran, dass deutlich wird, dass auch in der Wirtschaft und für die wirtschaftliche Entwicklung aus Trauer und aus Wut Festigkeit und Entschlossenheit erwachsen müssen. Der Terrorismus darf keinen Sieg über die Kräfte der wirtschaftlichen Entwicklung erlangen - in New York an der Börse nicht, hier in Deutschland nicht, bei Ihnen in China nicht und in der Weltwirtschaft insgesamt nicht.
Das, was die vorhatten, war nicht nur ungeheuerlich in dem zum Ausdruck gekommenen Vernichtungswillen von Menschen, sondern es war auch der Versuch, die wirtschaftlichen Kräfte der freien Welt zu lähmen. Und das darf ihnen nicht gelingen, meine Damen und Herren.
Deshalb setze ich darauf, dass weltwirtschaftlich betrachtet - ausgehend von der Kraft, die in Amerika vorhanden ist und die wir alle zu unterstützen haben - jetzt nicht Pessimismus und Erschrecken überhand nehmen, sondern dass aus dem, was wir erlebt haben und wogegen wir stehen, Kraft für erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklung entsteht.
Das ist eine Sache, die diejenigen angeht, die als Unternehmer und Arbeitnehmer in der Wirtschaft tätig sind. Es ist aber auch eine Sache, die diejenigen angeht, die sich als Verbraucher fragen: "Was sollen wir jetzt tun?". Auch denen muss man sagen: Es darf den Terroristen nicht gelingen, durch Pessimismus in allen Bereichen die wirtschaftliche Entwicklung in der Welt auch nur im Ansatz zu schädigen.
Meine Damen und Herren, wenn man sich das klar macht, dann weiß man auch, welche Verantwortung und welche Notwendigkeit gerade jetzt darin liegen, Veranstaltungen wie diese mit noch mehr Elan und - ich sage das bewusst - nicht ohne Optimismus, was die Entwicklung der Weltwirtschaft angeht, zu machen und sich eben nicht beirren zu lassen.
Es gibt, wenn ich mir die Entwicklung des wirtschaftlichen Austausches zwischen Europa, Deutschland zumal und der südostasiatischen Region anschaue, wahrlich keinen Grund, pessimistisch zu sein. Das betrifft insbesondere die sehr, sehr entwickelten Beziehungen zwischen China auf der einen Seite - das hier als Schwerpunktland vertreten ist - und Deutschland auf der anderen Seite. Was diesbezüglich in den letzten Jahren erreicht worden ist, darf nicht preisgegeben werden, sondern muss entwickelt werden. Das betrifft nicht nur jene Projekte, die man in den wirtschaftlichen Beziehungen zwischen China und Deutschland als "Leuchttürme" bezeichnen könnte, also nicht nur das, was im Automobilbau, was in der Elektrotechnik oder was im Transportbereich mit dem Transrapid ins Werk gesetzt worden ist. Die großen wirtschaftlichen Einheiten aus Deutschland sind mit ihren Produkten von hoher Qualität in China wohl bekannt.
Nein: Es betrifft auch die inzwischen Gott sei Dank zahllosen Aktivitäten etwa des deutschen Mittelstandes in diesem riesigen Markt China. Das sind Aktivitäten, ohne die sich die wirtschaftliche Entwicklung nicht so positiv gestaltet hätte.
Der Bundesregierung ist es insbesondere wichtig, dass in Ihrem Land, Herr Ding - ich weiß, dass man das erkannt hat - , noch klarer wird, dass die Erfolge der deutschen Wirtschaft auf einer ausgewogenen Struktur zwischen global tätigen großen Unternehmen beruhen, aber eben auch auf einer Struktur, die durch die Tatsache gekennzeichnet ist, dass mehr als zwei Drittel des Bruttoinlandsproduktes in diesem Land vom Mittelstand erwirtschaftet werden. Das darf und das soll nicht vergessen werden, denn das ist die Struktur, die unser wirtschaftliches Wohlergehen sichert. Deswegen lassen wir es uns auch wirklich angelegen sein, diesen Strukturen auf den internationalen Märkten ein Höchstmaß an Förderung angedeihen zu lassen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie haben die Nachrichten vernommen: China wird - das wird den Austausch von Waren und Dienstleistungen noch einmal nach vorne bringen - Mitglied der WTO werden. Dies war ein lang gehegter Wunsch, auch und gerade aus Deutschland, der jetzt in Erfüllung gehen wird.
Das sind Nachrichten, die hinter all der Trauer, hinter all den politisch schwierigen Entscheidungen, die jetzt bevorstehen, nicht verloren gehen dürfen, weil sie Teil einer Gesellschaft sind, deren universalen Behauptungswillen die Terroristen nicht unterschätzen sollten. Denn es ist wahr, was die gesamte amerikanische Führung gesagt hat: Wir werden diese Auseinandersetzung gewinnen - unserer Werte wegen, unserer Kulturen wegen. Es ist eine Auseinandersetzung, die wir gewinnen wollen und die wir um der Entwicklung der zivilisierten Welt wegen gewinnen müssen und werden.
In diesem Sinne wünsche ich diesen Asien-Pazifik-Wochen einen guten Verlauf, einen Verlauf, der deutlich macht, wo wir stehen und auf was wir uns miteinander verlassen können. - Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.