Redner(in): Hans Martin Bury
Datum: 28.09.2001

Untertitel: Thema: Die politischen Ziele der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung und der Weg nach Johannesburg 2001
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/79/58179/multi.htm


Thema: Die politischen Ziele der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung und der Weg nach Johannesburg 2001

welche Prioritäten müssen wir am Beginn des 21. Jahrhunderts setzen? Welche Weichenstellungen sind national und international notwendig, damit auch zukünftige Generationen gute Voraussetzungen vorfinden, um ihr Leben zu gestalten?

Das sind die Kernfragen der nachhaltigen Entwicklung. Darauf wollen wir national mit unserer Nachhaltigkeitsstrategie und international mit der Weltkonferenz in Johannesburg im Herbst 2002 eine Antwort geben.

Nachhaltige Entwicklung kann nicht vom Staat verordnet werden. Nur wenn die Akteure in Wirtschaft und Gesellschaft das Thema zu ihrer eigenen Sache machen, werden wir Erfolg haben. Wer als Unternehmer investiert oder als Verbraucher konsumiert, bestimmt über die zukünftige Entwicklung ebenso wie der Staat mit seinen Gesetzen und Programmen. Aus diesem Grund brauchen wir eine gesellschaftliche Diskussion und Verständigung über nachhaltige Entwicklung.

Ich begrüße es deshalb sehr, dass der Rat die Initiative ergriffen hat und mit der heutigen Veranstaltung die öffentliche Diskussion beginnt. Nach dem Willen der Bundesregierung soll der Rat eine zentrale Funktion im gesellschaftlichen Dialog wahrnehmen. Er soll ein Forum für die vielen Aktivitäten und Ideen sein, die es in der Gesellschaft gibt. Wenn hier beispielsweise zusammenfließt, was im Rahmen der lokalen Agenda in vielen Gemeinden an Pionierarbeit geleistet wurde, können wir alle davon profitieren.

Ich bin gespannt, welche Ziele und Maßnahmen der Rat für Nachhaltige Entwicklung der Bundesregierung vorschlagen wird. Wie wir in dem Vortrag von Herrn Hauff gehört haben, will sich der Rat auf zentrale Fragen konzentrieren, diese gründlich diskutieren und vorschnelle Antworten vermeiden. Ein solches Vorgehen spricht für die Qualität der hier geleisteten Arbeit.

Mit dem Hinweis auf die gesellschaftlichen Akteure und den öffentlichen Dialog soll die Verantwortung der Politik aber nicht geschmälert werden. Für die Bundesregierung ist das Thema Nachhaltigkeit ein zentrales politisches Projekt. Dieser strategische Ansatz bestimmt maßgeblich unsere Reformpolitik.

Die geordnete Beendigung der Kernenergie kombiniert mit dem masssiven Ausbau der erneuerbaren Energien macht dies beispielhaft für den Bereich Klimaschutz und Energiepolitik deutlich.

Allerdings sehen wir in der Nachhaltigkeit nicht einfach die Fortsetzung der Umweltpolitik. Ebenso kommt es darauf an, unter den Bedingungen eines sich beschleunigenden wirtschaftlichen Strukturwandels den sozialen Zusammenhalt zu wahren. Das ist Herausforderung, vor der wir stehen:

Erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklung ökologisch und sozial verträglich gestalten.

Im Staatssekretärsausschuss für Nachhaltige Entwicklung, dem "Green-cabinet", arbeiten wir mit Hochdruck an der Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie. Sie wird rechtzeitig vor dem Weltgipfel in Johannesburg vorliegen.

Noch im Oktober werden wir die Bürgerinnen und Bürger bitten, im Rahmen eines öffentlichen Dialogs ihre Ideen und Vorschläge für die Erarbeitung der Strategie einzubringen. Ich möchte Sie alle einladen mit ihrem Engagement und Sachverstand mitzumachen. Ergänzt wird dieser Dialog durch Gespräche mit vielen Akteuren.

Mit der Strategie legen wir das politische Programm für die Nachhaltigkeit vor. Ohne die Inhalte vorwegzunehmen, schließlich erwarten wir noch einen wesentlichen Input des Rates, will ich heute erstmals für die Bundesregierung die Koordinaten der Nachhaltigkeit darlegen.

Ganz bewusst gehen wir nicht von den drei Säulen der nachhaltigen Entwicklung, der ökologischen, der ökonomischen und der sozialen Dimension aus. Letztlich blieben wir mit den drei Säulen immer noch in einem sektoralen Denken verhaftet.

Stattdessen gehen wir bei der Erarbeitung der Strategie von folgenden Koordinaten aus:

GenerationengerechtigkeitLebensqualitätsozialer Zusammenhaltinternationale Verantwortung. Von dieser Vorgehensweise verspreche ich mir eine neue Sicht.

Lassen Sie mich anhand der vier Themenfelder kurz unseren konzeptionellen Ansatz für die Strategie erläutern.

1. Generationengerechtigkeit

Nicht auf Kosten künftiger Generationen leben - so lautet der wohl wichtigste Grundsatz der nachhaltigen Entwicklung. Ziel der Bundesregierung ist es, eine ausgewogene Balance zwischen den Bedürfnissen der heutigen Generation und den Lebensperspektiven der nachfolgenden Generationen zu finden.

Unsere wichtigsten Reformprojekte dieser Legislaturperiode orientieren sich an diesem Ziel. Das gilt einmal für die Sanierung der Staatsfinanzen. Unsere auf den Schuldenabbau gerichtete Politik gibt den nachfolgenden Generationen ihre Entscheidungs- und Gestaltungsfreiheit zurück.

Ebenso wird mit der beschlossenen Rentenreform vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung die Generationgerechtigkeit für die Altersvorsorge neu buchstabiert.

Unter der Überschrift "Generationengerechtigkeit" gehört der sparsame Umgang mit den natürlichen Ressourcen zu den wichtigsten Aufgaben. Was wir brauchen, ist ein Quantensprung bei der Energie- und Ressourceneffizienz. Die Vision einer Effizienzsteigerung um den "Faktor 4" oder gar den "Faktor 10" macht die Richtung deutlich, in die wir gehen müssen.

2. Lebensqualität

Zur Lebensqualität gehört eine intakte Landschaft ebenso wie gute Schulen, eine lebenswerte und sichere Stadt mit vielfältigen kulturellen Angeboten. Ein breites Angebot an Arbeitsplätzen und Chancen für unternehmerische Initiativen bilden dafür die wirtschaftliche Grundlage.

Aber auch eine neue Agrarpolitik, welche dem ländlichen Raum mit seinen vielfältigen natürlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Funktionen eine Perspektive gibt, bildet einen wichtigen Bestandteil. Unter diesen Rahmenbedingungen können die Landwirte gesunde und qualitativ hochwertige Nahrungsmittel erzeugen.

3. Sozialer Zusammenhalt

Wirtschaftliche Dynamik braucht gesellschaftliche Solidarität. Wir dürfen die beiden Seiten nicht gegeneinander ausspielen. Vielmehr geht es darum, dass wir den wirtschaftlichen Strukturwandel offensiv so gestalten, dass alle an den damit verbundenen Chancen teilhaben können.

Es darf keine Spaltung der Gesellschaft in Gewinner und Verlierer geben. Diejenigen mit auf die Reise zu nehmen, die mit der Anpassung an neue Technologien und Strukturen Schwierigkeiten haben, ist für mich eine Kernaufgabe sozialdemokratischer Politik.

4. Internationale Verantwortung

Armut und extreme soziale Ungerechtigkeit können anfällig für Fundamentalismus und Extremismus machen. Aber auch Armut und Ungleichheit sind keine Begründung für die Verbrechen krimineller Organisationen. Und keine Religion rechtfertigt Terroranschläge.

Die schrecklichen Ereignisse des 11. September haben deutlich gemacht, dass zur Wahrnehmung internationaler Verantwortung auch der Einsatzes polizeilicher und militärischer Mittel gehören kann. Zugleich machen die Anschläge auch die Grenzen dieser Mittel deutlich.

Die Verstärkung humanitärer Hilfe und die Intensivierung der Entwicklungszusammenarbeit sind wesentliche Elemente der Wahrnehmung internationaler Verantwortung. Sie tragen zugleich weltweit zur Verbesserung innerer Sicherheit und friedlicher Zusammenarbeit der Staaten bei.

Allerdings sollte auch die klassische Entwicklungspolitik in einem neuen Blickwinkel betrachtet werden. Die 0,7 Prozent allein sind nicht die Lösung. Wirtschaftliche Entwicklung und Armutsbekämpfung nur gelingen, wenn die Industrieländer den Entwicklungsländern ihre Märkte öffnen und ihnen faire Handelschancen einräumen. Das von der Bundesregierung beschlossene Aktionsprogramm Armutsbekämpfung entspricht diesem breiteren Ansatz.

Sie sehen also, dass wir einen weiten Bogen spannen und mit dem Leitbild über die klassischen Nachhaltigkeitsthemen hinausgehen. Dennoch werden wir ganz klare Prioritäten setzen.

Bis zum Weltgipfel in Johannesburg werden wir eine programmatisch anspruchsvolle Strategie vorlegen. Diese Strategie wird nicht nur auf dem Papier stehen. Nur wenn der abstrakte Begriff mit konkretem Inhalt gefüllt und für die Menschen fassbar wird, werden wir in unserer Gesellschaft die notwendige politische Unterstützung für das gemeinsame Projekt erhalten.

Wir werden Maßnahmen und Projekte zur Umsetzung festlegen.

Mit weiteren Handlungsfeldern skizzieren wir das Arbeitsprogramm für die kommenden Legislaturperioden. Schließlich ist die Nachhaltige Entwicklung für uns kein Thema, das mit der Vorlage der nationalen Strategie im Sommer nächsten Jahres abgeschlossen wäre.

Nach dem Leitbild und den prioritären Handlungsfeldern kommt es für den Erfolg entscheidend auf ein effektives Managementkonzept für die Umsetzung an.

Unsere derzeitigen Überlegungen gehen dahin, das Managementkonzept der Nachhaltigeit auf zwei Pfeilern aufzubauen.

Einmal wollen wir mit erweiterten Managementregeln das Konzept Nachhaltigkeit konkretisieren und zuspitzen. Die bisher bekannten Managementregeln decken im wesentlichen nur den Bereich Umwelt ab.

Und zweitens werden wir Indikatoren und Ziele festlegen

Eine nationale Nachhaltigkeitsstrategie benötigt sowohl qualitative als auch quantitative Ziele. In der Strategie wird deshalb eine Reihe von Schlüssenindikatoren aufgeführt, mit denen nachhaltige Entwicklung messbar und das Erreichen der quantifizierten Zielen überprüfbar wird.

Zudem hat der Staatssekretärsausschuss drei Pilotprojekte beschlossen. Mit diesen Projekten wollen wir anschaulich zeigen, welches Innovationspotential in der Idee der nachhaltigen Entwicklung steckt. Wir wollen zeigen, wie davon Impulse für ein tragfähiges Wachstum und zukunftsfähiger Arbeitsplätze ausgehen. Die Pilotprojekte decken die drei prioritären Handlungsfelder "Klimaschutz und Energiepolitik","Umweltverträgliche Mobilität" sowie "Umwelt, Ernährung und Gesundheit" ab.

Mit dem Pilotprojekt im Energiebereich soll parallel zur geordneten Beendigung der Kernenergie der Einstieg in eine zukunftsfähige Energieversorgung vorangebracht werden. Wir werden den Weg für große Offshore-Windparks in Nord- und Ostsee freimachen. Damit holen wir die erneuerbaren Energien endgültig aus der Nische und substituieren die Stromproduktion von Großkraftwerken.

Jetzt geht es vordringlich darum, unter Berücksichtigung anderer Nutzungszwecke geeignete Flächen für Windparks in Nord- und Ostsee auszuweisen und die Verfahren zu beschleunigen.

Eine zweite Zukunftstechnologie, die wir mit dem Pilotprojekt fördern, ist die Brennstoffzelle. Der Grund dafür liegt nicht zuletzt in ihrem hohen Wirkungsgrad. In der Informationstechnologie von sind wir von Großrechnern zu vernetzten PC's und mobilen Anwendungen gekommen. Ganz ähnlich können wir mit Hilfe der Brennstoffzelle ein Internet dezentraler Energieproduzenten erschaffen.

Schon in wenigen Jahren werden die Brennstoffzellen den Heizkessel im Keller ersetzen. Durch Vernetzung und intelligente Steuerung können diese Brennstoffzellen zu einem "virtuellen Kraftwerk" zusammengeschaltet werden.

Die Brennstoffzelle soll aber nicht nur in Haushalten und Betrieben Verwendung finden. Auch im Verkehrsbereich wird ein Demonstrationsvorhaben den Einsatz von Brennstoffzelle und Wasserstoff voranbringen. Das wird vielleicht nicht ganz so einfach sein, wie in der Anzeige eines großen Energieversorgungsunternehmen - dort wird das Auto kurzerhand mit dem Gartenschlauch betankt. Aber ich bin zuversichtlich, dass wir mit unserem Modellprojekt Wege finden, wie sich Probleme z. B im Bereich einer alltagstauglichen "Wasserstoff-Infrastruktur" lösen lassen. Ich möchte, dass das erste "Zero Emission Car" in Deutschland in Serie geht.

Mit dem Pilotprojekt "Multifunktionale Landwirtschaft" werden wir in mehreren Modellregionen die Neuorientierung der Agrarpolitik praktisch umsetzen. Dies bedeutet einerseits Anforderungen an eine naturverträgliche Landwirtschaft und eine artgerechte Tierhaltung. Andererseits eröffnen die hohen Qualitätsstandards neue wirtschaftliche Chancen für die Landwirte. Umwelt- und qualitätsbewusste Produktion wird zum Markenzeichen.

Mit dem Verkehrsprojekt wollen wir in der Fläche mehr Verkehr auf die Bahn verlagern. Konkret geht es beispielsweise um einen verbesserten Netzzugang und einen fairen Wettbewerb der Betreiber. Wir wollen demonstrieren, wie durch ein effektives Zusammenwirken der Akteure in der Region der Verkehr auf der Schiene attraktiv gemacht werden kann.

Anrede,

zusammenfassend folgt die Strategie einem dreistufigen Aufbau:

Erstens wollen wir mit dem Rat und Ihnen das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung erarbeiten.

Auf dieser Grundlage sollen zweitens prioritäre Handlungsfelder festgelegt werden, auf denen wir die nachhaltige Entwicklung voranbringen wollen.

Parallel dazu wollen wir drittens mit konkreten Pilotprojekten wichtige Vorhaben umsetzen und Erfahrungen sammeln.

Bei unseren Überlegungen werden wir auch über die nationalen Grenzen hinaus den Weg bis Johannesburg in den Blick nehmen. Der Europäische Rat hat im Juni in Göteborg seine Schwerpunkte gesetzt. Sie liegen in etwa auf der von uns verfolgten Linie.

Rio war 1992 das Signal des Aufbruchs. Die drei großen Umweltkonventionen wurden auf den Weg gebracht. Die Vereinten Nationen schufen die Kommission für nachhaltige Entwicklung. Seither ist Ernüchterung eingekehrt. Vor allem die Länder der südlichen Welt sind enttäuscht, weil sie seither noch weiter in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung hinter die Industrieländer zurückgefallen sind.

Und dennoch. Das Konzept der nachhaltigen Entwicklung ist nach wie vor der Schlüssel für die Lösung unserer globalen Probleme. Auf dem Weg nach Johannesburg kommt es vor allem darauf an, dass wir konkret werden und klare Prioritäten setzen. Das Thema muss aus den Sonntagsreden in praktische Schritte des Alltags umgesetzt werden.

Packen wir's an.