Redner(in): k.A.
Datum: 09.10.2001

Anrede: Sehr geehrte Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/26/59226/multi.htm


Wissen ist die gesellschaftliche Schlüsselressource des 21. Jahrhunderts.

Diese Feststellung ist zwar nicht neu, aber unverändert aktuell. Wissen und Qualifikationen entscheiden mehr denn je über die Wettbewerbsfähigkeiten von Volkswirtschaften und Unternehmen, aber auch von Arbeitnehmern.

Deswegen begrüße ich sehr, dass die Mitglieder im Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit eine Qualifizierungsoffensive vereinbart haben und aus dieser Erkenntnis konkrete Schlussfolgerungen gezogen haben.

Qualifizierung und Beschäftigung hängen ganz eng zusammen. Wir wissen: Je niedriger die berufliche Qualifikation, desto schlechter die Stellung am Arbeitsmarkt.

Anders sieht es bei Hochqualifizierten aus: Unter Fachhochschulabsolventen zum Beispiel ist Arbeitslosigkeit fast unbekannt.

Die Rahmenbedingungen für Qualifizierung sind immer auch abhängig von der Entwicklung des Arbeitsmarktes. Der Arbeitsmarkt hat sich erfreulicherweise in den letzten beiden Jahren positiv entwickelt - nicht zuletzt auch Dank einiger wichtiger Verabredungen im Bündnis für Arbeit etwa zur Arbeitszeitpolitik und für eine beschäftigungsfördernde Tarifpolitik: Insgesamt fast 1,1 Millionen neue Beschäftigungsverhältnisse in den letzten beiden Jahren; im ersten Halbjahr 2001 gab es 600.000 Arbeitslose weniger als im ersten Halbjahr 1998; bis einschließlich Juli 2001 ist die Arbeitslosigkeit 39 Monate hintereinander unter den Vorjahreswert gesunken - einen solchen Rückgang gab es zuletzt Ende der 70er Jahre; die Arbeitslosigkeit Älterer über 55 Jahre wurde gegenüber dem Vorjahr um mehr als 16 Prozent abgebaut, die Zahl der Langzeitarbeitslosen sank um mehr als 12 Prozent.

Damit ist Bewegung in den Abbau auch der strukturellen Arbeitslosigkeit gekommen.

Die Terroranschläge in den USA haben allerdings auch hier zu Lande die Besorgnis über den weiteren Verlauf unserer wirtschaftlichen Entwicklung erhöht.

Diese Sorgen sind ernst zu nehmen. Aber die Erfahrungen der letzten Wochen haben gezeigt, dass der Terrorismus den freien Welthandel und die wirtschaftliche Entwicklung nicht ernsthaft gefährden kann.

Hierzu haben die Verantwortlichen in Wirtschaft und Gesellschaft mit ihrem besonnenen und solidarischen Vorgehen beigetragen.

Die koordinierten Zinssenkungen der US-Notenbank und der EZB sowie weiterer Staaten haben zur Stabilisierung der Devisenmärkte beigetragen und das Vertrauen von Verbrauchern und Investoren gestärkt.

Eine krisenhafte wirtschaftliche Entwicklung ist trotz vorübergehender Eintrübung nicht zu befürchten.

So wird die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr auch nach den Anschlägen in den USA ordentlich wachsen, und für das kommende Jahr kann mit einem kräftigen Wachstumsschub gerechnet werden.

Darauf weisen verschiedene konjunkturelle Frühindikatoren hin. Danach entwickeln sich die Geschäftsperspektiven anhaltend positiv.

Das ist ein Zeichen, dass das Vertrauen in die Stärke unserer Wirtschaft begründet und gerechtfertigt ist und aus Sorge tatsächlich Entschlossenheit und Zuversicht erwachsen.

Auch die sinkende Inflationsrate, die im September auf 2,1 Prozent gefallen ist, wird zur weiteren Stabilisierung der Binnenkonjunktur beitragen.

Diese Entwicklung unterstützen wir durch eine Politik zur Stärkung der internen Wachstumskräfte.

Mit unserer konsequenten Politik der Haushaltskonsolidierung, mit deutlichen Steuersenkungen und mit der Rentenreform haben wir dafür ein solides Fundament gelegt.

Stärkung der internen Wachstumskräfte heißt aber eben auch: Qualifizierung. Allerdings reicht eine vernünftige Ausbildung allein heute nicht mehr aus.

Qualifizierung muss lebensbegleitend erfolgen, wenn wir in der Informations- und Wissensgesellschaft bestehen wollen.

Wer in Zukunft auf dem Arbeitsmarkt Erfolg haben will, muss sein Wissen immer wieder überprüfen und den sich verändernden Bedingungen anpassen.

Ich gebe zu: Auch diese Feststellung ist nicht ganz neu. Aber: Wir reden nicht nur darüber, wir handeln auch. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, für alle einen freien und ungehinderten Zugang zur Schlüsselressource Wissen zu schaffen.

Die Bundesregierung hat deshalb seit 1998 die berufliche Aus- und Weiterbildung besonders ausgebaut. Noch nie wurde von einer Bundesregierung so viel in Bildung und Forschung investiert wie heute.

Unser Ziel ist, die Kompetenz Deutschlands in den modernen Technologien auszubauen und die sich daraus ergebenden Marktchancen zu nutzen - das sichert und schafft Arbeitsplätze.

Auch im Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit sind wir uns einig, alle Qualifikationspotentiale zu erschließen und zu fördern.

Hierzu haben wir beim letzten Spitzengespräch eine "Qualifizierungsoffensive" beschlossen, die im Zentrum dieser Konferenz steht.

Alle Ressourcen zu nutzen, ist gerade für Deutschland dringend notwendig. Wir können es uns nicht leisten, das Potential der Frauen nicht voll auszuschöpfen. Und wir können es uns auch nicht leisten, das Potential und den Erfahrungsschatz älterer Beschäftigter nicht voll auszuschöpfen.

Ich finde es mehr als ärgerlich, wenn ich höre, wie hoch die Zahl der Betriebe ist, die keinen einzigen Beschäftigten mehr haben, der älter als 55 Jahre ist.

Das passt nicht zusammen: Die Klagen über eine Überforderung der Rentenversicherung und gleichzeitig das Hinausdrängen der Älteren in den Vorruhestand.

Im Bündnis haben wir eine andere Entwicklung eingeleitet. Es geht darum, Ältere vermehrt zu beschäftigen, ihre Arbeitslosigkeit vorbeugend zu verhindern und ältere Arbeitslose wieder einzugliedern.

Genauso wie wir uns um Ältere gekümmert haben, hat das Bündnis auch wichtige Verabredungen für junge Menschen getroffen.

Erstmals wieder seit 1995 überstieg Ende September 2000 die Zahl der unbesetzten Ausbildungsstellen die Zahl der noch nicht vermittelten Bewerber. Und dies ist auch in diesem Herbst wieder der Fall.

Die erste Zwischenbilanz, die der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit heute morgen vorstellt, ist ausgesprochen positiv. In diesem Jahr werden alle Jugendlichen einen Ausbildungsplatz angeboten bekommen!

Das wäre ohne den im Bündnis getroffenen Ausbildungskonsens nicht möglich gewesen. Dafür bedanke ich mich bei allen Beteiligten.

Mit unserem JUMP-Programm hat die Bundesregierung den Abbau der Jugendarbeitslosigkeit unterstützt.

Mehr als 340.000 Jugendliche haben dadurch eine neue Perspektive in Form von Arbeit, Ausbildung oder Qualifizierung erhalten.

Für viele von ihnen war das ein Schritt zurück in Arbeitsleben und Gesellschaft. Für die übrigen haben sich die Voraussetzungen für den Zugang zur beruflichen Qualifikation spürbar verbessert.

Für das Programm haben wir bisher insgesamt 6 Milliarden Mark zur Verfügung gestellt. Wir setzen das Programm auch 2002 und 2003 fort.

Ich meine, das Geld ist wirklich gut angelegt.

Sorgen, meine Damen und Herren, macht uns allerdings weiterhin die Situation in den neuen Ländern. Dort ist es einzig und allein dem staatlichen Sonderprogramm zu verdanken, dass alle Jugendliche eine Chance auf eine Lehrstelle erhalten. Ich möchte an dieser Stelle jedoch ganz deutlich sagen: Das kann keine Dauerlösung sein! Die Betriebe setzen ihre eigene Zukunft aufs Spiel, wenn sie jetzt nicht genügend in die Ausbildung investieren. Denn in wenigen Jahren werden es die Unternehmer sein, die händeringend nach Fachkräften suchen. Dies ist eine Verantwortung, in der wir alle stehen, aber insbesondere eine Verantwortung der Unternehmen. Ich appelliere an Sie, bilden Sie aus, insbesondere im Osten unseres Landes!

Eine gute Ausbildung benötigt jedoch auch zukunftsfähige Berufe.

Früher lagen die Beteiligten jahrelang im Clinch, bis eine neue Berufsordnung endlich verabschiedet werden konnte - in vielen Fällen endeten die Bemühungen sogar ganz ohne Ergebnis!

Das hat sich gründlich geändert.

Heute haben wir für die Entwicklung der Ausbildungsordnungen der neuen Berufe "Sport- und Fitnesskaufmann","Gesundheitskaufmann" und "Veranstaltungskaufmann" nur knapp neun Monate benötigt.

Allein in den letzten drei Jahren wurden 44 Ausbildungsordnungen modernisiert und 10 neue Berufe geschaffen.

Das kann sich sehen lassen. Das war nur möglich, weil alle im Bündnis diese gemeinsame Anstrengung verabredet hatten.

Es bedarf aber nicht nur moderner, zeitgemäßer Ausbildungsordnungen, sondern auch Berufsschulen, die den veränderten Anforderungen gerecht werden.

Es ist nicht tragbar, dass wir erwarten, dass die jungen Menschen sich mit den neuesten Techniken vertraut machen sollen, sie diese dann aber in den Berufsschulen gar nicht vorfinden.

Also haben wir gehandelt und Geld in die Hand genommen: Wir stellen 255 Millionen Mark für einen Modernisierungsschub an den Berufsschulen zur Verfügung.

Viele Schulen können jetzt mehr moderne Technik und Medien sowie Lernsoftware anschaffen.

Manch einer hat hier eingewandt, dies sei doch gar nicht die Aufgabe des Bundes, hier aktiv zu werden.

Unabhängig von Zuständigkeitsfragen haben wir geholfen, damit es in diesem wichtigen Bereich schneller vorangeht.

Besondere Aufmerksamkeit hat das Bündnis dem Bereich der IT- und Medienberufe gewidmet.

Der Fachkräftemangel machte sich hier bereits frühzeitig bemerkbar.

Durch die "Offensive zum Abbau des IT-Fachkräftemangels" haben die Bündnispartner die Zahl der Ausbildungsplätze von 14.000 im Jahr 1998 auf rund 54.000 im letzten Jahr gesteigert.

Die von der Wirtschaft für 2003 zugesagte Zielmarke von 60.000 wird voraussichtlich schon in diesem Jahr erreicht.

Unverändert gilt: Deutschland braucht mehr Informatiker. Wir wollen daher eine Verdopplung der Absolventenzahlen im Informatikbereich bis 2005 erreichen.

Deshalb fördert die Bundesregierung in Zusammenarbeit mit den Ländern das Informatikstudium unter anderem durch zusätzliche Professuren. Inzwischen ist als erster Erfolg die Anzahl der Studienanfänger bereits stark gestiegen.

Aber all diese Bemühungen können nicht den kurzfristigen Bedarf an IT-Spitzenkräften decken.

Darum haben wir zusätzlich die "Green Card" eingeführt, mit der wir bereits 10.000 ausländische Spezialisten nach Deutschland holen konnten.

Und die Erfahrung zeigt, dass im Umfeld zwei bis drei weitere Jobs zusätzlich entstanden sind - ein Effekt, den wir im Blick hatten, als wir die "Green Card" aus der Taufe hoben.

Meine Damen und Herren,

Qualifizierung bedeutet nicht nur Ausbildung, sondern auch Weiterbildung, Fortbildung, lebensbegleitendes Lernen und Anpassung an neue Entwicklungen.

Die finanziellen Aufwendungen für Weiterbildung sind in Deutschland beachtlich. Wirtschaft, Beschäftigte und Arbeitsämter geben hierfür jährlich zweistellige Milliardenbeträge aus.

Aber noch immer haben nicht alle Personen die gleichen Zugangsmöglichkeiten zur Weiterbildung.

Denn nach wie vor ist leider Realität:

Je weniger Vorbildung bei einem Menschen vorhanden ist und je niedriger seine Stellung im Beruf ist, umso seltener nimmt er an Weiterbildungsmaßnahmen teil.

Ältere Arbeitnehmer liegen bei der Weiterbildung auffällig hinter jungen Arbeitnehmern zurück.

Wenn wir die Parole vom lebensbegleitenden Lernen für alle ernstnehmen, müssen wir dies ändern. Schlechtqualifizierte und Ältere müssen Chancen zur Qualifizierung haben.

Für mich ist dies auch eine Frage der sozialen Gerechtigkeit.

In der Praxis der betrieblichen Weiterbildung finden wir heute bereits viele gute Beispiele vor.

Aber bei der prinzipiellen Frage, wie Wirtschaft, Gewerkschaften, Arbeitnehmer, aber auch der Staat ihre Rolle bei der Steuerung und Finanzierung der Weiterbildung neu bestimmen, sind wir erst am Anfang der Diskussion.

Der Tarifvertrag "5.000 x 5.000" zwischen der IG Metall und VW hat für mich hier Beispielcharakter.

Die Tarifpartner haben sich auf eine regelmäßige arbeitsbegleitende Qualifizierung verständigt, wobei die Beschäftigten die Hälfte der Zeit einbringen.

Auch der Qualifizierungs-Tarifvertrag, der in der baden-württembergischen Metallwirtschaft zwischen IG Metall und Südwestmetall geschlossen worden ist, geht in die richtige Richtung.

Es ist erfreulich, dass die Tarifpartner sich im Rahmen der "Qualifizierungsoffensive" des Bündnisses darauf verpflichtet haben, die Rahmenbedingungen für Weiterbildung im Sinne eines lebensbegleitenden Lernens zu vereinbaren.

Ich würde mir wünschen, dass die aufgeführten Beispiele keine Einzelfälle bleiben, sondern dass sie Schule machen.

Ein weiterer Weg könnte sein, Modelle zu entwickeln, die es erlauben, Zeitguthaben für Weiterbildung zu investieren.

In dem Maße, in dem die betriebliche Weiterbildung nicht mehr allein dem Betriebsertrag zugute kommt, liegt es nahe, den Arbeitnehmer stärker an den Weiterbildungskosten zu beteiligen.

Eine Eigenbeteiligung der Beschäftigten verlangt auch Einfluss auf die Qualifizierungsinhalte, wie bei VW geschehen.

Mit der Reform des Betriebsverfassungsgesetzes haben wir die Möglichkeiten der Mitsprache bei Qualifizierungsinhalten verbessert.

Wenn man deutlich machen will, wie notwendig weitere Anstrengungen für mehr Qualifizierung und damit mehr Beschäftigung sind, muss man nur zwei Zahlen nennen: Den aktuell knapp 3,8 Millionen Arbeitslosen stehen rund 1,5 Millionen offene Stellen gegenüber.

Diese können zum Teil deshalb nicht besetzt werden, weil die Anforderungsprofile der Stellen und die Qualifikation der Arbeitslosen nicht immer zueinander passen.

Das Job-AQTIV-Gesetz - das viele Anregungen aus dem Bündnis für Arbeit aufgreift - setzt hier an. Das ist ein wichtiger Beitrag zu mehr Flexibilität am Arbeitsmarkt.

Wir werden mit Hilfe des Gesetzes die Arbeitsvermittlung durch intensivere Vermittlungsaktivitäten verbessern.

Der in vielen Nachbarländern erfolgreiche Grundsatz "Fördern und Fordern" wird dann endlich auch in Deutschland angewandt.

Mit "Job-AQTIV" werden wir zudem die Aus- und Weiterbildung verstärken und betriebsnäher gestalten.

Auch hier hat das Bündnis für Arbeit wertvolle Vorarbeit geleistet. Im Bündnis haben wir uns darauf verständigt, die Weiterbildung von geringqualifizierten und von älteren Beschäftigten und die Einführung von Jobrotation gezielt zu fördern.

Gerade Jobrotation ist ein Instrument, das beispielsweise in Dänemark mit großem Erfolg angewandt wird.

Darum sollten auch wir die Möglichkeiten dieses Instruments nutzen: Während ein Beschäftigter sich weiterqualifiziert, nimmt ein zuvor Arbeitsloser seinen Platz ein und erhält so Zugang zum Arbeitsmarkt.

Natürlich verbessern sich unmittelbar seine Chancen, wieder ins Arbeitsleben eingegliedert zu werden.

Meine Damen und Herren,

Bildungspolitik ist Zukunftspolitik. Wir haben gemeinsam auf diesem wichtigen Feld die Stagnation der letzten Jahre überwunden.

Gerade angesichts der aktuellen Situation ist es mir wichtig, auf einen weiteren Aspekt hinzuweisen: Bildung vermittelt Orientierung und erhöht das Verständnis und die Toleranz gegenüber den Mitmenschen, aber auch gegenüber unterschiedlichen Kulturen. Das brauchen wir heute in der globalisierten Welt mehr als je zuvor.

Was wir bislang erreicht haben, kann sich sehen lassen. Noch mehr sollte es uns allerdings Ansporn sein, die vor uns liegenden Aufgaben anzugehen. Ich wünsche dieser Tagung einen erfolgreichen Verlauf.