Redner(in): Julian Nida-Rümelin
Datum: 09.10.2001

Untertitel: In seiner Rede zur Eröffnung der 53. Frankfurter Buchmesse hob der Kulturstaatsministers hervor, der 11. September bedeute nicht den Zusammenprall der Kulturen oder gar der Religionen , sondern Auseinandersetzung zwischen denen, die die Menschenrechte achten, und denen, die wegen politischer Ziele Menschenleben vernichten.
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/29/59729/multi.htm


Bundeskanzler Gerhard Schröder bittet um Ihr Verständnis dafür, dass er heute nicht zu Ihnen sprechen kann. Wie Sie wissen, befindet er sich auf dem Flug in die USA um dort Gespräche mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten und dem Generalsekretär der Vereinten Nationen zu führen. Der Bundeskanzler hat mich gebeten, ihn zu vertreten. Er hätte zu Ihnen auch über die aktuelle weltpolitischen Lage aus der Sicht seines Amtes gesprochen. Dies kann und will ich selbstverständlich nicht tun. Ich möchte aber aus der Sicht eines Kulturpolitikers einige Überlegungen zur kulturellen Dimension der schrecklichen Ereignisse des 11. Septembers anstellen.

Das erste Stichwort, auf das ich eingehen möchte, ist das des Kulturkampfes. Meine anfängliche Sorge nach dem 11. September war, dass die kulturelle Dimension dieses Tages aus dem Blick gerät. Damit wären wir Interpretationen ausgeliefert, die den 11. September als den Beginn einer neuen Ära verstehen, in dem Sinne, dass die viel diskutierte, viel kritisierte Prophezeiung einer ganzen Reihe von Intellektuellen - Huntington ist nur einer von ihnen - wahr geworden sei, und nun die nächste Epoche bestimmen würde. Es wäre eine Epoche, die nicht von Konflikten zwischen Staaten, auch nicht von inneren Konflikte in Form von Bürgerkriegen, sondern von Konflikten zwischen großen Kulturregionen geprägt sein würde. Der 11. September hätte diese zunächst etwas vage Interpretation einer zukünftigen Entwicklung - einschließlich der angedeuteten Gegenstrategien - endgültig zum Durchbruch gebracht.

Ich bin froh, dass sich in den vergangenen Tagen die Diskussionslage grundlegend verändert hat, dass sich nicht nur die eine oder die andere dünne Stimme gegen die skizzierte Interpretation erhebt, sondern dass sich unterdessen alle verantwortlichen politischen Positionen gegen diese Interpretation wenden. Aber es lohnt sich, glaube ich, über diesen Punkt noch einmal sehr genau nachzudenken. Und zwar nicht nur, weil es wichtig ist, hier intellektuell redlich zu sein - das ist es auch - , sondern weil die Interpretation von Ereignissen wie die des 11. Septembers politisch-historische Prozesse ganz wesentlich mitbestimmt. Das heißt, es geht in letzter Instanz nicht nur um die genaue Analyse der Vorgänge, sondern es geht in letztlich darum, diese Analyse so vorzunehmen, dass die durch Ideen, Theorien, Ideologien und Weltanschauungen geprägten Handlungsfelder der Politik nicht in einer Weise geordnet werden, die unvereinbar wäre mit einer zivilen globalen Entwicklung.

Wir haben keine Auseinandersetzung zwischen dem American Way of Life - wie manche unglückliche Formulierungen in den vergangen Wochen nahe gelegt haben - und dem Rest dieser Welt. Wir haben auch keine Auseinandersetzung zwischen dem Westen und der westlichen Zivilisation einerseits und dem Osten und einer "östlichen Zivilisation" andererseits. Wir haben sicher keine Auseinandersetzung zwischen Christentum und Islam. Wir haben eine Auseinandersetzung zwischen denjenigen, die die Menschenrechte beachten, die das Recht jedes einzelnen Menschen zu leben und unversehrt zu leben, achten, und denjenigen, die Menschenleben, Menschenleben Unbeteiligter, auslöschen, um politischer Ziele willen. Das ist der Konflikt.

Osama bin Laden und das terroristische Al'Qaida-Netzwerk können keinesfalls für sich in Anspruch nehmen, den Islam zu repräsentieren. Der Islam ist eine der großen Weltreligionen. Toleranz und die Anerkennung von Menschenrechten sind nicht nur mit dem Islam vereinbar, sondern Bestandteil der islamischen Tradition. Bin Laden und seine Anhänger unterliegen in ihrem Selbstbild einer grundlegenden Täuschung, wenn sie behaupten, die Gesamtheit der islamisch geprägten Kultur zu vertreten. Und sie unterliegen auch einer verzerrten Wahrnehmung, wenn sie sich - als finanziell sehr gut Gestellte - zu Vorkämpfern der Armen und Ausgegrenzten stilisieren. Es gibt hier eine durchaus bemerkenswerte Parallele zum Selbstbild der RAF-Terroristen, die sich ebenfalls selbst zu Repräsentanten der Dritten Welt ernannten. Ungerechtigkeit und Instabilität, Unterentwicklung und Ausgrenzung sind ein Nährboden für Sympathien mit mörderischem Fanatismus. Aus diesem Grund muss es uns auch darum gehen, die Strukturen der Ungerechtigkeit zu verändern. Dies ändert aber nichts daran, dass der Terrorismus entschlossen bekämpft werden muss.

Es handelt bei dem gegenwärtigen Konflikt nicht um einen internationalen Krieg, sondern es handelt sich um ein internationales Problem des Terrors. Ein Problem, das bei aller Schrecklichkeit des Mordens am 11. September - wenn Sie die Weltgesellschaft als eine Gesamtheit betrachten - ein internes Problem ist, man könnte auch sagen ein Problem der inneren Verfasstheit der Weltgesellschaft und der Rolle des staatlichen Gewaltmonopols im globalen Rahmen. Dieser Konflikt darf nicht in den Bildern eines heraufziehenden Dritten Weltkrieges gezeichnet werden. Es geht auch um einen kulturellen Konflikt. Uns steht ein langer und mühsamer Weg zu einer befriedeten Welt bevor. Diese kann nur begründet sein auf einem globalen normativen Grundkonsens zu dem der unbedingte Respekt vor dem individuellen menschlichen Leben gehört. Die Kulturen sind unterschiedlich und sollen unterschiedlich bleiben, aber es muss dieses Gemeinsame geben, sonst wird sich die Welt nicht befrieden lassen.

Zivilgesellschaft heißt, dass wir Differenzen anerkennen, dass wir Respekt vor der Differenz haben, heißt aber zugleich, dass wir uns auf minimale Normen verständigen. Dass diese Normen dann auch staatlich sanktioniert sein sollten, liegt auf der Hand. Aber vorausgehen muss die Verständigung über die Normen selbst. Und ich glaube, darum muss es in den kommenden Monaten und Jahren gehen: um das Ringen um einen globalen normativen Minimalkonsens. Im Zentrum stehen dabei natürlich die Menschenrechte. Es geht um die Substanz einer zivilen Weltordnung, die nur möglich ist, wenn es diesen Minimalkonsens gibt. Und wer jetzt sagt, das sei eine eurozentrische Sicht, der irrt. Es gibt sehr sorgfältige Analysen, die zeigen, dass die normative Substanz, von der ich rede, in der islamischen Kulturtradition ebenso tief verankert ist, wie in der christlichen. Man sollte keine Zerrbilder der islamischen Kultur zulassen, Bilder, die diejenigen verbreiten, die Religion, religiöse Bindung für ihren Fanatismus, ihren politisch motivierten Terror ausnutzen. Terroristen stellen sich außerhalb des normativen Minimalkonsenses, wenn sie die Tötung Unschuldiger nicht nur in Kauf nehmen, sondern bewusst herbeiführen. Auch vor diesem Hintergrund ist die Formulierung des Bundeskanzlers treffend: Es geht nicht um einen Kampf der Kulturen, sondern um einen Kampf um Kultur. Denn die Einigung auf ein moralisches Minimum ist keine gleichsam rein intellektuelle Angelegenheit, sondern muss kulturell verankert sein. Die Herausforderung, für einen normativen Minimalkonsens zu ringen, stellt sich auf der internationalen, globalen Ebene. Sie stellt sich spiegelbildlich aber auch auf der Ebene einzelner Gesellschaften: Es geht nicht um einen Kampf der Kulturen im Inneren, sondern um die Grundlagen humanen Zusammenlebens.

Eine wertorientierte Politik und die kulturelle Verfasstheit einer Gesellschaft bedingen einander. Die kulturelle Verfasstheit einer Gesellschaft wiederum wird zu einem wesentlichen Teil vom geschriebenen Wort geprägt - hier sei auch daran erinnert, dass die großen Weltreligionen innerhalb von Schriftkulturen entstanden sind. Die Frankfurter Buchmesse ist ein Ort des kulturellen Austauschs, des Austauschs im Medium des geschriebenen Wortes. Als "Weltausstellung des Gedruckten" ist sie eine Begegnungsstätte der Nationen. In diesem Jahr - und das freut mich besonders - dürfen wir fünf unabhängige Verlage aus der Volksrepublik China begrüßen. 11.000 Journalisten aus 80 Ländern, 170.000 Fachbesucher, davon 30 Prozent aus dem Ausland, werden erwartet. Ich bin sicher: Frankfurt wird ihnen, vielleicht mehr noch als in den vergangenen Jahren, ein vorbildlicher Ort der Gastfreundschaft, aber auch des Dialogs der Kulturen sein.

Man hätte in diesem Zusammenhang wohl kaum ein besser geeignetes Gastland zur Präsentation auf dieser Buchmesse einladen können als Griechenland. Nicht nur die Wörter, auch unsere Konzepte von "Politik" und "Demokratie" entstammen der griechischen Antike. Auch wenn die heutige Auffassung demokratischer Politik wesentlich auf die europäische Aufklärung zurückgeht, so hat doch dieses Denken seine Wurzeln in der griechischen Hochkultur. Schon in der Antike hat die griechische Kultur ihren Einfluss westlich und östlich von Hellas ausgeweitet. Und ihr Einfluss auf den späteren arabisch-islamischen Kulturraum ist groß. Die Tradition wissenschaftlicher Rationalität, die ihren Ursprung in den Polis-Kulturen der griechischen Klassik hat, wurde in der arabisch-islamischen Hochkultur des frühen Mittelalters bis in die Neuzeit fortgeführt. Dies kommt auch in dem Motto zum Ausdruck, das die Organisatoren des Gastlandes gewählt haben. Es heißt "Wege nach Ithaka" und verweist auf ein Gedicht von Kavafis, jenem großen griechischen Dichter, der im ägyptischen Alexandria lebte; zu jener Zeit Brennpunkt einer wahrhaft kosmopolitischen Kultur, an die wir ja heute durchaus wieder anknüpfen wollen.

In diesem Jahr werden sich mehr als 70 Verlage und etwa 60 Autoren aus Griechenland hier auf der Buchmesse präsentieren. Lassen Sie mich das ruhig auch als Zeichen deuten, dass wir die Integration und das Zusammenwachsen Europas eben nicht nur wirtschaftlich und politisch begreifen, sondern dass wir auch kulturell einander näher kommen wollen. Der europäische Einigungsprozess ist das erfolgreiche politische Projekt unserer wechselvollen und teils auch so blutigen Geschichte. Er ist eine Antwort auf die lange Folge von Bürgerkriegen und nationalen Konflikten, die Millionen von Todesopfern gerade auch im letzten Jahrhundert gefordert haben. Diese Konflikte waren Folge von Fanatismus, Intoleranz und Menschenverachtung. Die erfolgreichen Modelle der Kooperation und unsere guten Erfahrungen der Integration sollten wir heute bei der Suche nach weltweiten Konzepten für Sicherheit, Stabilität und Wohlstand auch selbstbewusst einbringen.

Deshalb kann man, gerade wenn man die kulturelle Vertiefung des europäischen Projekts, aber auch einen neuen interkulturellen Dialog will, die Arbeit des Übersetzens und der Übersetzer gar nicht genug würdigen. Die moderne Literatur Griechenlands, aber auch vieler anderer Sprachräume, hat es nicht immer leicht, bei uns ein breiteres Publikum zu finden. Auch wenn Übersetzungen sich unter rein wirtschaftlichen Aspekten nicht immer rechnen, sind sie doch ein lohnendes und unverzichtbares Medium des kulturellen Kennenlernens und damit einer der entscheidenden Schritte auf dem Weg, gemeinsam Zukunft zu gestalten. Ich möchte die Übersetzerinnen und Übersetzer, aber auch die mutigen und engagierten Verleger ausdrücklich ermuntern, weiter an der Weltoffenheit unserer Kulturen zu arbeiten. Mit dieser Bemerkung sind zugleich die Produktionsbedingungen literarischen Schaffens angesprochen - und damit eine zentrale Aufgabe der Kulturpolitik, nämlich einen ordnungspolitischen Rahmen zu setzen, der ein vielfältiges kulturelles Leben, eine gute Kulturentwicklung in Deutschland begünstigt. Dies berührt die Interessen der Urheber, also der Autoren und Kreativen, ebenso wie der Verwerter von Literatur und literarischen Werken, also der Verlage, der Filmwirtschaft und der Fernsehsender.

Zwei Themen stehen hier im Vordergrund der aktuellen Diskussion: Die Reform des Urhebervertragsrechts auf der einen Seite und die Buchpreisbindung auf der anderen Seite. Beide Bereiche berühren zentrale Interessen aller an der künstlerischen und insbesondere der literarischen Produktion in Deutschland Beteiligter. Bei der Urheberrechtsreform ist die Bundesjustizministerin für Justiz federführend. Die Bundesregierung hat vor kurzem den vom Justizministerium ausgearbeiteten Gesetzentwurf verabschiedet, der zu einer breiten Diskussion in der Öffentlichkeit geführt hat. Der Bundeskanzler, die Bundesministerin für Justiz und ich als der für Kultur zuständige Staatsminister beim Bundeskanzler haben in den letzten Wochen eine Vielzahl von intensiven Gesprächen mit allen Beteiligten geführt. Aufgrund dieser Gespräche und aufgrund der Stellungnahmen meiner Kollegin die bin ich zuversichtlich, dass wir in den nächsten Wochen und Monaten zu einer angemessenen Regelung auch der umstrittenen Punkte der Rückwirkung, der Frage der angemessenen Vergütung und der möglichen Anspruchsgegner des Urhebers gelangen werden.

Meine Damen und Herren, ich darf betonen, dass die gesamte Bundesregierung aufgeschlossen ist für alle Änderungsvorschläge, die ausgewogen sind, also die Interessen beider Seiten, Urheber wie Verwerter, im Auge hat. Nicht zuletzt mit dem Börsenverein habe ich dies vor kurzem in Berlin ausgiebig und in einem konstruktiven Dialog erörtert. Ich versichere ihnen nachdrücklich, dass niemand ein Interesse daran hat, die deutsche Verlagslandschaft zu schwächen. Ganz im Gegenteil: Es muss unser Bestreben sein, die deutschen Verlage und Buchhandlungen in ihrer kulturellen Schlüsselrolle zu stärken. Hiermit ist auch die gesetzliche Absicherung der Buchpreisbindung angesprochen, für die ich zusammen mit dem Bundeswirtschaftsminister federführend bin, und die ja nicht nur den Buchmarkt, sondern auch die Preisbindung für Musikalien betrifft.

In Deutschland besteht eine Buchpreisbindung seit 1887. Sie hat eine weltweit einmalige Dichte von Buchhandlungen gesichert und war Vorbild für entsprechende gesetzliche Regelungen jüngerer Zeit beispielsweise in Italien, Belgien, Frankreich. Seit 1993 hat die Ausdehnung der Buchpreisbindung über freiwillige Branchenabsprachen, die sogenannten "Sammelrevers", es ermöglicht, einen einheitlichen Buchmarkt in Deutschland, Österreich und der Schweiz zu schaffen. Im Einzelnen hat es die Buchpreisbindung erlaubt, über die Möglichkeit einer verlagsinternen Quersubventionierung ein reichhaltiges Angebot an verschiedenen Büchern zu sichern und zugleich auch die Existenzgrundlage kleinerer Buchhandlungen zu gewährleisten. Diese Errungenschaft ist durch das Vorgehen der Europäischen Kommission seit rund zwei Jahren akut gefährdet. Daher sind auch die freiwilligen Branchenabsprachen zur Sicherung dieses bewährten Instrumentes der Buchpreisbindung nicht mehr ausreichend, für die sich mein Vorgänger Michael Naumann mit großem Erfolg eingesetzt hatte.

Ich habe daher im Frühjahr diesen Jahres vorgeschlagen, auch in Deutschland die Buchpreisbindung gesetzlich zu regeln. Ein von BKM und BMWi ausgearbeiteter gemeinsamer Referentenentwurf ist in den vergangenen Monaten in enger Zusammenarbeit mit dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels entstanden und gestern vorgelegt worden. Er sichert die Buchpreisbindung auch im Internet-Zeitalter. Dieser Entwurf soll noch in dieser Legislaturperiode als Gesetz verabschiedet werden und so die Buchpreisbindung auf nationaler Ebene sichern. Zugleich begrüße ich ausdrücklich die Initiative zugunsten einer europäischen Buchpreisbindung aus der Mitte des Europäischen Parlamentes. Diese Initiative fordert die Kommission dazu auf, eine europäische Richtlinie zu erarbeiten, die den Kernpunkten des von uns vorgelegten Entwurfs entspricht. Denn - und hierin weiß ich mich mit vielen meiner europäischen Kollegen einig - Kulturgüter sind keine Ware wie jede andere. Kulturgüter, seien es Musikalien, Bücher oder Filme, sind für den Markt nur bedingt geeignet. Im Spannungsfeld zwischen Kultur und Wettbewerb hat sich hier eine initiative Kulturpolitik eindeutig zu positionieren. Sie muss Sorge tragen für den Erhalt eines vielfältigen kulturellen Angebotes und der kulturellen Infrastruktur.

Das Motto dieser Buchmesse lautet "Freiheit, Toleranz und völkerverbindender Dialog". Dies alles klingt heute ungleich konkreter als es sich vielleicht sonst auf geduldiges Papier schreibt. Die Attentäter von New York und Washington haben nicht nur auf unschuldige Menschen und auf Bauwerke als Symbole gezielt, sondern auf die Kultur insgesamt. Sie haben die Freiheit ausgenutzt und missbraucht, um der Freiheit zu schaden - der Freiheit des Wortes, der Freiheit der Kunst und der Wissenschaft, der Freiheit an Mobilität und Kommunikation, selbst der Freiheit der Religionsausübung. Und ich wüsste nicht, worin sich die Freiheit, von der ich spreche, besser ausdrückt als in dem universellen Kulturgut, das uns hier und heute zusammengebracht hat: im Buch.

In Büchern können wir nicht nur die Gedanken anderer Menschen lesen. In ihnen sprechen auch die Generationen miteinander. Deshalb, meine Damen und Herren, möchte ich an dieser Stelle auch einen Appell an alle Eltern richten und an alle anderen, die an der kulturellen Erziehung in Deutschland mitwirken: Noch vor kurzem bestand ja die Sorge, dass der Computer und das Internet das Buch völlig verdrängen. Diese Sorge war unbegründet: Trotz oder gerade wegen des aktuellen Medienwandels im digitalen Zeitalter ist das Buch ein Leitmedium unserer Kultur geblieben. Eine neuere Studie belegt, dass Texte in gedruckter Form leichter verständlich, interessanter und überzeugender sind: Es geht um das sinnliche Erlebnis des Lesens, um Wahrnehmungsschulung. Zugleich haben sich aus den neuen medialen Verbindungen zwischen Text und Bild, wie sie die heutige Technik ermöglicht, neue interessante Anforderungen auch an das Medium des Buch ergeben. Viel wird davon abhängen, dass die neue Generation einen Zugang zu allen - zu neuen wie alten - Medien findet - und vor allem auch zum Leitmedium unserer Kultur, dem Buch.

Und noch etwas sollten wir uns gerade an diesem Ort bewusst machen: Ein - wenn nicht das - Merkmal des Terrors ist seine Sprachlosigkeit. Zu den schrecklichen Verbrechen des 11. Septembers hat sich niemand, und sei es in noch so abstrusen Worten, erklärt. Denn es gibt keine Begründung für diese Taten. Sprache ist Lebenswelt. In der Sprache stellt sich der Weltenwurf eines Sprechers, eines Autors und einer Kultur vor. Terror hat dagegen keinen Weltentwurf. Er hat im wahrsten Sinne des Wortes keine "Idee" von dieser Welt. Er beschränkt sich auf die bloße Negation der Welt, ihre Vernichtung. Dies macht seinen Schrecken aus.

Es gibt uns aber zugleich auch einen Hinweis auf seine Überwindung: Die Kultur, die der Terrorismus negiert, ist eine Kultur der Rationalität, der Aufklärung, der Verständigung, des Wortes. Auch in der heiligen Schrift des Islam ist immer wieder die Rede von den "Menschen des Buches". Und die Abertausende Bände islamischer Gelehrsamkeit, in Philosophie, Medizin und Naturwissenschaften, beweisen uns deutlich, dass dabei nicht nur "das eine Buch" gemeint ist, sondern "das Buch" schlechthin.

Ich wünsche mir, dass auch die diesjährige Buchmesse dieser völkerverbindenden Vielfalt des Wortes, die einhergeht mit einer Kultur der Weltoffenheit und der Toleranz, ein sichtbares, ein bleibendes Zeichen setzt.