Redner(in): k.A.
Datum: 10.10.2001

Untertitel: Gemeinsam werden wir deutlich zu machen haben, dass der Terrorismus keine Macht über die Kräfte der Wirtschaft gewinnen wird.
Anrede: Sehr geehrter Herr Dr. Rogowski, sehr geehrter Herr Dr. Oetker, sehr geehrte Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/95/59395/multi.htm


Nach den terroristischen Angriffen vom 11. September haben die Vereinigten Staaten von Amerika vor wenigen Tagen mit Angriffen auf militärische Einrichtungen des Taliban-Regimes und die Infrastruktur des terroristischen Netzwerkes von Osama bin Laden begonnen.

Viele Menschen - nicht nur bei uns in Deutschland - machen sich Sorgen. Sorgen um die internationale Situation, um die äußere und innere Sicherheit.

Aber natürlich auch Sorgen um die wirtschaftliche Entwicklung. Denn die barbarischen Terrorangriffe waren ja nicht nur eine Kriegserklärung gegen die gesamte zivilisierte Welt, sondern sie waren auch gegen die Weltwirtschaft, gegen internationalen Handel und Austausch gerichtet.

Die Sorgen der Menschen sind verständlich, und wir nehmen sie sehr ernst. Aber es ist unsere gemeinsame Aufgabe, dafür zu arbeiten, dass aus den Sorgen keine Ängste erwachsen, die uns lähmen und die wirtschaftliche und soziale Entwicklung hemmen.

Natürlich ist das eine Verantwortung der Politik. Aber es ist auch eine Verantwortung, der sich die gesamte Gesellschaft stellen muss.

Und das heißt: eine Verantwortung, der sich auch die Wirtschaft, die Arbeitgeber und Unternehmer nicht entziehen können.

Gemeinsam werden wir deutlich zu machen haben, dass der Terrorismus keine Macht über die Kräfte der Wirtschaft gewinnen wird.

In diesem Zusammenhang möchte ich Ihnen, meine Damen und Herren, meinen Dank aussprechen.

Sie haben unmittelbar nach den Anschlägen zusammen mit den anderen Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft Ihre Entschlossenheit im Kampf gegen den Terrorismus zum Ausdruck gebracht.

Diese Erklärung war ein wichtiges Zeichen der Ermutigung und des Vertrauens in die Stärke unserer Wirtschaft.

Ich danke Ihnen, verehrter Herr Dr. Rogowski, auch für Ihren Appell an die Unternehmen, besonnen zu agieren und Investitionen nicht aufzuschieben.

Dies alles gehört mit zu der beeindruckenden Geschlossenheit der deutschen Gesellschaft, die nach dem 11. September zu spüren war. Einer Geschlossenheit nicht nur in der Politik, sondern auch in Kultur und Wirtschaft.

Diese Erfahrung bestärkt mich in meiner Überzeugung: Gemeinsam werden wir die Folgen dieses Angriffs bewältigen und den Kampf um die Zukunft gewinnen.

Was die Bundesregierung dazu beitragen kann, wird sie tun.

Dazu gehört natürlich eine entschiedene Bekämpfung der Finanzierung des internationalen Terrorismus.

Dieser wird aus dubiosen Finanzquellen gespeist. Da ist jede Geldquelle recht, Erlöse aus Verbrechen wie Betäubungsmittelkriminalität und Menschenhandel nicht ausgenommen.

Bei seiner Finanzierung unterscheidet sich der Terrorismus nicht von anderen Formen organisierter Kriminalität. Die Verflechtungen ergeben ein weltweit verzweigtes konspiratives Netz.

Wir brauchen auch eine verstärkte internationale Zusammenarbeit, um diesen Finanzsumpf trockenzulegen. Dafür notwendige Lockerungen des Bankgeheimnisses werden wir vornehmen.

Wir müssen noch entschiedener als bisher dubiose Geldquellen erkennen und verfolgen.

Bis Anfang Oktober sind allein in Deutschland bereits mehr als 200 Konten gesperrt worden.

National und international wird weiter an wirksamen Regelungen gearbeitet, um Geldwäsche aufzudecken und Konten und Vermögen von Terroristen, Hintermännern und Helfershelfern zu beschlagnahmen.

Es ist schon wahr: Die Terroristen haben mit ihrem Angriff nicht nur die gesamte zivilisierte Welt treffen wollen, sondern auch die Weltwirtschaft.

Das Ziel des Terrors ist die Verbreitung von Angst und Unsicherheit - und damit auch die Zerstörung der Grundlagen von wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung.

Aber es ist ihnen eben nicht gelungen, das zu erschüttern, was unsere große Stärke im Kampf um die Zukunft ausmacht: die Kreativität, die Qualifikation und die Leistungsbereitschaft der Menschen, die tagtäglich Fortschritt und Modernisierung buchstäblich erarbeiten.

Eure Arbeit und Euer Engagement sind die wichtigste Basis für Wachstum und Entwicklung. Und damit auch: für eine friedliche und gerechtere Welt.

Diese Basis hat - und wird - der internationale Terrorismus nicht zerstören können.

Auch die Institutionen der weltwirtschaftlichen Kooperation haben vorbildlich reagiert. Dieses Lob gilt den Notenbanken, aber auch vielen Investoren, die sich eben nicht haben verunsichern lassen, sondern Vertrauen in unsere wirtschaftliche Entwicklung zum Ausdruck bringen.

Es zeigt sich in dieser Situation, dass unsere Wirtschafts- , Steuer- und Finanzpolitik richtig angelegt ist.

Gerade weil wir auf langfristige Planbarkeit, auf Konsolidierung und auf ausgewogene Wachstumsanreize sowohl auf der Angebots- wie auf der Nachfrageseite setzen, haben wir auch die Mittel in der Hand, diesen neuen Herausforderungen zu begegnen.

Allem Krisengerede zum Trotz: Wir haben beste Voraussetzungen, die Wachstumskräfte unserer Volkswirtschaft dauerhaft zu stärken.

Vor allem: Es droht keine Rezession bei uns. Wir haben es zwar mit einer vorübergehenden Eintrübung der wirtschaftlichen Entwicklung zu tun, aber unsere Wirtschaft wächst. Und sie wächst immer noch ganz ordentlich.

Unser Wirtschaftswachstum wird selbst in diesem Jahr - einem Jahr, das aufgrund der konjunkturellen Abkühlung in den USA und einer drohenden Rezession in Japan ohnehin schon schwierig genug gewesen wäre - den Wert erreichen, den wir über fast die gesamten 90er Jahre hinweg verzeichnet haben.

Und ich bin sicher: Nach dieser Eintrübung werden wir im kommenden Jahr wieder einen kräftigen Wachstumsschub erleben. Die Basisdaten sind danach.

Die Inflation ist nach 3,5 Prozent im Mai inzwischen auf 2,1 Prozent im September zurückgegangen. Auch das zeigt: Es gibt keinerlei Grund für panische Reaktionen in der Wirtschaft oder in der Politik. Im Gegenteil: Wir haben allen Grund zu Optimismus und Zuversicht.

Was jetzt von allen volkswirtschaftlichen Akteuren verlangt wird, ist verantwortungsbewusstes Handeln. Darum sieht die Bundesregierung auch keine Veranlassung zu Hektik und Aktionismus. Wir halten an unserem Kurs der Stetigkeit, der Verlässlichkeit und der Planbarkeit fest.

Und das heißt vor allem, dass die Bundesregierung von ihrem Konsolidierungskurs nicht abweicht.

Eine höhere Verschuldung ist mit uns nicht zu machen. Mehr Schulden wären auch das falsche Zeichen für die Stabilität des Euro.

Die Bundesregierung hat schnell reagiert und ein Maßnahmenpaket zur inneren und äußeren Sicherheit in Deutschland beschlossen und ein Programm zur besseren Bekämpfung des internationalen Terrorismus in Höhe von 3 Milliarden Mark aufgelegt.

Dieses Programm ist auch mit Blick auf die Solidaritätsverpflichtung gegenüber unseren Partnern geboten.

Wir finanzieren dieses Programm durch maßvolle und konjunkturneutrale Erhöhungen der Tabaksteuer und der Versicherungsteuer.

Ich habe bereits betont, dass das Ziel des Terrors auch ein Angriff auf die freie Wirtschaftsordnung gewesen ist.

Auch wenn es große Unterschiede zwischen den mehr als 3 Millionen kleinen und mittleren Unternehmen in Deutschland gibt, der unternehmerische Mittelstand gilt dennoch zu Recht als ein Inbegriff dieser Freiheit.

Diese Freiheit müssen wir schützen und weiterentwickeln. Nur so können sich Kreativität, Innovation und Erfindergeist gerade auch in den industriellen Familienunternehmen zum Wohle von Wachstum und Beschäftigung entfalten.

Erfahrung und unternehmerisches Gespür sind nach wie vor in besonderer Weise charakteristisch für Betriebe, die mit Stolz von Generation zu Generation weitergegeben werden.

Doch spüren gerade auch diese traditionsreichen Unternehmen die Auswirkungen der Globalisierung. Der zunehmende internationale Wettbewerb stellt sie vor besondere Herausforderungen.

Tradition muss um Flexibilität, Kontinuität, um neue Produktions- und Managementmethoden ergänzt werden.

Die meisten deutschen Unternehmen stellen sich diesem tiefgreifenden Strukturwandel mit Erfolg.

Manche haben sich sogar zu Spitzenunternehmen entwickelt. Fast unbemerkt von einer breiten Öffentlichkeit haben sie in ihrem Spezialisierungsbereich erfolgreich die Technologieführerschaft auf den Weltmärkten erstritten.

Damit verbunden sind neue moderne Arbeitsplätze in Deutschland. Deshalb kann ich nur dazu ermuntern, dass möglichst viele industrielle Familienbetriebe die Chancen der Globalisierung erfolgreich nutzen.

Die Bundesregierung schafft mit ihrer Finanz- und Wirtschaftspolitik hierfür geeignete Rahmenbedingungen und hilft auch, die Herausforderungen der jetzigen Situation zu meistern.

Mit unserer Steuerreform - der größten in der Geschichte der Bundesrepublik - haben wir ein international wettbewerbsfähiges Steuersystem mit konkurrenzfähigen Steuersätzen geschaffen.

Dabei haben wir insbesondere kleine und mittlere Unternehmen entlastet.

Mit einer Nettoentlastung von insgesamt 30 Milliarden Mark bis 2005 zählt der Mittelstand zu den klaren Gewinnern.

Mit der faktischen Abschaffung der Gewerbesteuerbelastung haben wir Personenunternehmen von einem wichtigen Kostenfaktor befreit.

Darüber hinaus werden wir mit der Reinvestitionsrücklage für Personenunternehmen bei der Veräußerung von Beteiligungen an Kapitalgesellschaften eine weitere Mittelstandskomponente einführen.

Natürlich sind es nicht nur die finanzpolitischen Rahmenbedingungen, die für Familienunternehmen von Bedeutung sind.

Ich weiß, dass gerade das Problem der Unternehmensnachfolge vielen von Ihnen große Sorgen bereitet.

Jahr für Jahr sind davon rund 80.000 Unternehmen mit fast einer Million Arbeitnehmern betroffen.

Viele Unternehmer haben ihre Altersvorsorge im Betrieb aufgebaut. Diese wollen wir nicht gefährden.

Deshalb haben wir den sogenannten "halben Steuersatz" bei der altersbedingten Veräußerung von Betrieben wieder eingeführt und damit eine der zentralen Forderungen der mittelständischen Wirtschaft erfüllt.

Darüber hinaus werden wir mit einer von der Bundesregierung gemeinsam mit dem BDI und einer Reihe weiterer großer Verbände und Banken initiierten Imagekampagne "nexxt" auf das Thema Unternehmensnachfolge deutlicher als bisher aufmerksam machen.

Der internationale Terrorismus darf und wird uns auch nicht daran hindern, ein modernes, auf die Anforderungen unserer Volkswirtschaft abgestimmtes Zuwanderungsgesetz so schnell wie möglich in den Bundestag einzubringen.

Von allein wird sich Zuwanderung nicht steuern und regeln. Deshalb halten wir daran fest, ein zukunftsfähiges Zuwanderungsrecht zu beschließen.

Damit sorgen wir für die notwendige Rechtssicherheit in der Zuwanderungs- und Integrationspolitik.

Und wir werden verhindern, dass gerade auch kleine und mittlere Unternehmen wegen Fachkräftemangel im internationalen Innovationswettbewerb ins Hintertreffen geraten.

Dies gilt übrigens auch für die Finanzierungsseite des Innovationswettbewerbs. Ich denke da vor allem an die Überarbeitung der Basler Eigenkapitalvereinbarung von 1988 - kurz: Basel II - , mit der die Bankenaufsichtsbehörden zu mehr Stabilität auf den internationalen Finanzmärkten beitragen wollen.

Ich sage hier ganz deutlich: Die Bundesregierung ist mit dem aktuell vorliegenden Konsultationspapier nicht zufrieden.

Obwohl in den bisherigen Konsultationen schon einige Fortschritte erzielt wurden, haben wir unser Ziel eines wettbewerbsneutralen Konzepts ohne Benachteiligung des deutschen Bankensystems oder des Mittelstandes noch nicht erreicht.

Die deutsche Seite wird deshalb weiter hart für eine mittelstandsfreundliche Lösung verhandeln, die übermäßige Eigenkapitalbelastungen bei der Kreditfinanzierung des Mittelstandes vermeidet.

Die Erfahrungen und die Reaktionen nach den Terroranschlägen haben gezeigt, dass die volkswirtschaftlichen Akteure bei allen Differenzen im Detail in einer schwierigen Situation zusammenstehen.

Im Angesicht der großen Herausforderungen, vor denen wir stehen, sind wir mehr denn je auf diese Gemeinsamkeit angewiesen.

Die Stärke unseres Landes hat immer auch darauf beruht, dass sich Wirtschaft und Gewerkschaften ihrer Verantwortung nicht entziehen.

Ich bin sicher, das wird auch in dieser Situation nicht anders sein.