Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 13.10.2001
Untertitel: Der Bundeskanzler ging bei der Eröffnung der größten Nahrungsmittelsmesse, auch auf die Folgen aus den Terroranschlägen in den USA ein: "Mir ist die Zurückhaltung einer zivilen Gesellschaft gegenüber militärischen Risiken allemal lieber als jede Form von Hurra-Patriotismus."
Anrede: Herr Oberbürgermeister, meine sehr verehrten Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/47/59747/multi.htm
Frau Bundesministerin, vor allem sehr geehrter Herr Dr. Traumann und sehr geehrter Herr Blank!
Natürlich grüße ich insbesondere auch die ausländischen Gäste dieser Messe. Ich denke, es ist richtig, auch hier auf etwas hinzuweisen, was uns alle, nicht nur hier in Deutschland, sondern auch in Europa, in Amerika, im Grunde weltweit beschäftigt, nämlich auf die ungeheuren Angriffe und die Veränderungen, die mit diesen Angriffen auf die Vereinigten Staaten von Amerika verbunden sind. Mit dem 11. September und den neuen Drohungen des internationalen Terrorismus hat dieser Terrorismus die gesamte zivilisierte Welt - damit meine ich: alle zivilisierten Gesellschaften und Kulturen - getroffen. Wir befinden uns in einer wahrscheinlich entscheidenden und sicherlich sehr langwierigen Auseinandersetzung, die wir mit großer Entschlossenheit, aber auch, wie sich insbesondere in der amerikanischen Politik zeigt, mit Besonnenheit führen.
Wir - damit meine ich uns alle - haben diesen Konflikt nicht gewollt. Er ist uns vielmehr vom internationalen Terrorismus aufgezwungen worden. Aber ich denke, unsere Werte und die darauf aufbauende Entschlossenheit sind stark genug, um diese Auseinandersetzung zu führen und - da bin ich sicher - zu gewinnen. Wir werden sie gewinnen, weil in unseren Ländern niemand zulassen will, dass religiöse Fanatiker und die, die auf dieser Basis verbrecherisch handeln, uns unsere Lebensbedingungen vorschreiben.
Wir werden das, was wir uns nach langen Kämpfen, nach Auseinandersetzungen, nach schweren historischen Niederlagen und schlimmen eigenen Erfahrungen gerade in Deutschland erkämpft haben, nicht preisgeben. Unser Beitrag zu dem weltweiten Kampf gegen den Terrorismus muss umfassend sein. Er muss politische, kulturelle, finanzielle und humanitäre Anstrengungen umfassen, aber er muss auch - ich will hier jeglicher Illusion vorbeugen - die Bereitschaft zur Beteiligung an militärischen Aktionen umfassen.
Bei den militärischen Operationen, die in diesem Moment von den Vereinigten Staaten gegen die Infrastrukturen des Terrorismus und seine Hintermänner unternommen werden, haben unsere Freunde unsere uneingeschränkte Solidarität und, wenn sie es wollen, nach Maßgabe dessen, wozu wir objektiv fähig sind, auch unsere aktive Unterstützung.
Aber wir brauchen diese Solidarität und Geschlossenheit auch in der eigenen Gesellschaft. Dabei gilt es, die Sorgen und Befürchtungen der Menschen hier bei uns in Deutschland ernst zu nehmen, und wir tun das. Ich wiederhole es gern: Mir ist die Zurückhaltung einer zivilen Gesellschaft gegenüber militärischen Risiken allemal lieber als jede Form von Hurra-Patriotismus. Allemal lieber ist es mir, dass ich als Verantwortlicher in der Bundesrepublik Deutschland sehr intensiv begründen muss, wenn und warum es militärische Operationen gibt. Das war nicht immer so in unserer Geschichte. Ich halte aber die Tatsache, dass es so ist, für einen zivilisatorischen Fortschritt, auch wenn es gelegentlich mehr argumentative Kraft abfordert, als man es sich im Alltagsgeschäft wünscht. Aber Alltagsgeschäft ist das ja auch nicht, was jetzt vor uns liegt.
Beim Kampf gegen den Terrorismus geht es um die Verteidigung unserer Werte und unserer eigenen Lebensart. Aber es geht auch um die Wahrung und Verbesserung unserer inneren und äußeren Sicherheit. Dazu hat die Bundesregierung in dieser Woche ein erstes Gesetzespaket auf den Weg gebracht. Weitere Maßnahmen werden folgen.
Aber all diejenigen, die jetzt sagen, wir brauchten mehr europäische und darüber hinausgehende Vernetzung, haben ja Recht. Deswegen: Die Bewahrung der inneren Sicherheit ist nicht mehr im nationalen Maßstab möglich. Sie erfordert einen entsprechenden intensiven Dialog und daraus folgende Entscheidungen im europäischen Maßstab. Die polizeiliche und nachrichtendienstliche Zusammenarbeit muss so harmonisiert werden, dass die Sicherheit der Bürger in Europa besser geschützt wird, ohne dass dabei die Werte unserer freien Gesellschaft in Mitleidenschaft gezogen werden.
Sicherheit, das ist allerdings nicht nur Schutz vor Verbrechen und Gewalt. Eine Welt, in der es sicher zugehen soll, in der Menschenrechte und Stabilität gewahrt sind, das ist eine Welt, in der Menschen, und zwar überall, ausreichend mit wertvoller und hinreichend sicherer Nahrung versorgt sind.
Der Kampf gegen den Hunger in der Welt - darin war ich mir bei meinem Besuch vor wenigen Tagen mit Kofi Annan einig - steht obenan bei der Bekämpfung möglicherweise nicht der direkten Ursachen des Terrorismus, aber schon der Möglichkeit der Terroristen, Massen für ihre verbrecherischen Ziele zu mobilisieren, weil Hunger und Elend in der Welt zur Verzweiflung treiben. Hunger und Unrecht sind nicht nur einer zivilisierten Welt unwürdig. Sie bilden eben auch ein gefährliches Umfeld, in dem Terrorismus und Fanatismus gedeihen können. Ich weiß, dass gerade Sie, meine Damen und Herren aus den Ernährungsbranchen - wir haben es ja gehört - , sich unserer Verantwortung zur Überwindung von Hunger und Armut bewusst sind.
Aber Verantwortung tragen Sie schließlich auch für die Lebensmittelsicherheit in unseren vergleichsweise wohlhabenden Gesellschaften. Die ANUGA ist als weltweit größte Ernährungsfachmesse vorzüglich geeignet, die Fortschritte bei der Herstellung sicherer Lebensmittel darzustellen und die Entwicklung einer gesunden Ernährung voranzubringen.
Insbesondere seit der BSE-Krise ist das Bedürfnis der Menschen nach einer gesunden Ernährung mit umwelt- und tiergerecht erzeugten Lebensmitteln ohne Zweifel deutlich gestiegen. Übrigens: Das ist nicht politisch verordnet, sondern sind Marktsignale, die da wirksam werden, weil sich das Verbraucherverhalten geändert hat. Es hat sich auf der anderen Seite gezeigt: Verlorenes Vertrauen der Verbraucher in die Unbedenklichkeit der Lebensmittel kann nur durch konsequenten vorsorgenden Verbraucherschutz zurückgewonnen werden. Dazu sind alle gefordert, die an der Lebensmittelherstellung beteiligt sind.
Ich denke - das wird ja auch zugestanden - , die Bundesregierung hat auf die BSE-Krise umgehend und entschieden reagiert. Das ist nicht zuletzt Ihr Verdienst, Frau Bundesministerin Künast.
Organisatorisch haben wir den Verbraucherschutz im neu zugeschnittenen Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft konzentriert. Das ist nicht einfach nur eine Bezeichnung, sondern schon Programm, auch wenn mit dem Programm die eine oder andere Kontroverse verbunden sein sollte. Aber auch hier stimme ich Ihnen zu: Einen Dialog, einen Diskurs, auch einen kritischen, zu führen heißt ja nicht, von vornherein einer Meinung zu sein, sondern heißt, wenn Dialog sinnvoll sein soll, im Dialog vielleicht eine Meinung herauszubilden oder jedenfalls eine Meinung, der die Mehrheit zustimmen kann.
Auch inhaltlich hat die Bundesregierung die Verbraucherschutz- und Agrarpolitik neu ausgerichtet. Uns geht es um mehr Sicherheit und Qualität bei Lebensmitteln sowie deren tier- und umweltgerechter Erzeugung. Ich habe dabei immer gesagt, dass wir Lebensmittelsicherheit und Verbraucherschutz neu definieren müssen - und zwar gleichsam "von der Ladentheke her", also von dem, was die Verbraucher wirklich wollen und erwarten und wofür sie bereit sind, Preise zu zahlen, auskömmliche Preise. Darüber hinwegzusehen würde niemandem nutzen, der in der Lebensmittelkette arbeitet und wirtschaftlich tätig ist. Eine solche Politik kommt vielmehr den Verbrauchern, aber auch der Urproduktion und dort also den Landwirten zugute. Das haben, nach anfänglichem Zögern - "anfängliches Zögern" ist eher eine Untertreibung - , zwischenzeitlich auch viele, keineswegs schon alle Landwirte erkannt. Aber ich denke, wir sind da auf einem guten Weg.
Wir werden den mit der Neuausrichtung eingeschlagenen Weg konsequent fortsetzen. Ich bin sicher, dass mehr und mehr Bauern diesen Weg aus Überzeugung, weil aus eigenem Interesse, selbst mitgehen werden. Landwirtschaft, Ernährungsindustrie, Lebensmittelhandel und Verbraucher haben eine gemeinsame Verantwortung für die Herstellung und den Vertrieb gesunder und sicherer Nahrungsmittel.
Ganz besonders aber ist ohne Zweifel die Lebensmittelwirtschaft gefordert. Denn neben den Verbrauchern bestimmen Ernährungsindustrie und Handel maßgeblich, was in welcher Qualität in die Regale kommt und also gekauft wird. Und sie sind es, die Ernährungstrends durch Werbe- und Marketingstrategien schaffen. Sie entscheiden zum Beispiel mit, wie schnell Öko-Produkte auf breiter Basis Eingang in die Supermärkte finden. Hier ist nicht nur ein Siegel - das ist gut und richtig - , sondern auch Ihr Engagement gefordert.
Aber auch die Verbraucher selbst sind aufgerufen, durch eine qualitätsorientierte Nachfrage dafür zu sorgen, dass zunehmend hochwertige Produkte von ihnen nachgefragt und deswegen auch produziert werden. Die Bundesregierung hat in den vergangenen Monaten mit Nachdruck dafür gesorgt, dass die Verbraucher umfassend vor BSE geschützt werden. Durch staatliche Maßnahmen ist es gelungen - ich sollte sagen: "auch" durch staatliche Maßnahmen - , das Vertrauen der Verbraucher zurück zu gewinnen. Wir haben Lücken, die es gab - das ist einzugestehen - in der Überwachung der Futtermittel- und Lebensmittelkette geschlossen, und wir haben die Forschung intensiviert. Sie wird frei sein von Bevormundung, jedenfalls von Seiten des Staates. Es soll aber auch andere Wege der Beeinflussung geben als nur die des Staates, so habe ich mir jedenfalls sagen lassen. Wir haben die BSE-Bekämpfung konsequent verbessert. Kontrollen wurden verstärkt und Sanktionen verschärft. Der wieder steigende Verbrauch von Rindfleisch zeigt, dass unsere Bemühungen erfolgreich waren.
Wir alle haben erfahren müssen: Ohne staatliche Kontrolle, ohne staatliche Vorschriften geht es nicht. Sie sollen so gering wie möglich sein, aber sie müssen so weitreichend wie nötig sein. Aber dennoch bleibt Lebensmittelsicherheit in erster Linie eine Sache der Erzeuger, eine Verantwortung derjenigen, die die Lebensmittel produzieren - also Ihre Verantwortung.
Die Lebensmittelwirtschaft hat durch eigene Kontrolle zu garantieren, dass die Produkte, die in den Handel kommen, auch sicher sind. Tut sie das nicht, ist es bedauerlicherweise aus mit den Wachstumserwartungen, gestützt auf die ersten beiden Quartale, die Sie Gott sei Dank, Herr Traumann, deutlich machen konnten. Dies zu leisten setzt voraus, dass die Beschäftigten über die notwendige Qualifikation verfügen und das heißt auch, sich weiterbilden können. Hier sind Arbeitgeber, hier sind aber natürlich auch die Gewerkschaften gleichermaßen gefordert.
Lebensmittelsicherheit hat im Zeitalter des Binnenmarktes - auch darauf haben Sie hingewiesen - natürlich eine europäische Dimension. Deshalb ist es gut, dass sich die Mitgliedstaaten - Deutschland hat darauf in besonderer Weise gedrängt - auf die allgemeinen Grundsätze des Lebensmittelrechts und über die Einrichtung der Europäischen Lebensmittelbehörde geeinigt haben. Ich denke, das kommt den Erwartungen, die Sie, Herr Präsident, formuliert haben, entgegen. Diese unabhängige Behörde wird wissenschaftliche Risikobewertungen vornehmen. Wir erwarten, dass sie zur deutlichen Verbesserung der Lebensmittelsicherheit im europäischen Maßstab beiträgt. Auf nationaler Ebene bereiten wir gegenwärtig die Einrichtung eines Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit vor. Dadurch werden wir eine effektive Zusammenarbeit mit den Bundesländern und der europäischen Ebene sicherstellen. In beiden Bereichen hat es in der letzten Zeit Defizite gegeben. Das ist zu Lasten der Verbraucher gegangen und als Folge dessen auch zu Lasten der Ernährungswirtschaft. Also denke ich, dass wir miteinander gut daran tun, diese Vorhaben mit Nachdruck voranzubringen.
Höhere Qualität allein nutzt aber wenig, wenn sie für den Verbraucher nicht auch erkennbar ist. Deshalb ist mehr Transparenz bei der Lebensmittelkennzeichnung unverzichtbar. Ein wichtiger Schritt in diese Richtung ist das neue Bio-Siegel für Produkte des ökologischen Landbaus. Es bringt dem Verbraucher die nötige Klarheit: Das damit gekennzeichnete Produkt wurde besonders umweltschonend und tiergerecht hergestellt. Zusammen mit den anderen Fördermaßnahmen soll es auch helfen, den Absatz von Bio-Produkten zu steigern.
Wenn Bund und Länder jetzt verstärkt Fördermittel in diesem Bereich einsetzen, so hat das nichts mit einer einseitigen Bevorzugung des Öko-Landbaus oder gar mit einer Bevormundung der Verbraucher zu tun. Ganz im Gegenteil: Sie werden dadurch erst in Stand gesetzt, ihre Wahlmöglichkeiten nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch an der Ladentheke auszuüben. Das sollten wir ihnen möglich machen.
Im Übrigen ist es ja interessant, wie sehr - ich sehe das nicht nur in den großen Ketten, da aber eben auch - der Handel und damit die Produzenten auf verändertes Verbraucherverhalten reagiert haben. Bei den Supermärkten, sowohl in denen der großen Ketten als auch in denen der Mittelständler, stellt man fest - ich will damit jetzt nicht sagen, dass ich jeden Morgen einkaufen gehe, aber gelegentlich tue ich das, sonnabends morgens zum Beispiel, wenn ich nicht gerade eine Messe eröffnen muss - , dass dort inzwischen Öko-Produkte angeboten werden. Ich finde, das zeigt, wie schnell sich in unserer Wirtschaftsordnung Handel und Produzenten auf verändertes Verbraucherverhalten einstellen. Genau das wollen wir unterstützen. Von Bevormundung halten wir nichts. Es geht uns darum, besonders umwelt- und tiergerechten Formen des Landbaus und der Tierhaltung zum Durchbruch zu verhelfen gegenüber einer ja auch nicht nur dem Marktgeschehen unterworfenen konventionellen Landwirtschaft. Das ist ein weites Thema, das weiß ich sehr wohl, aber keines, das unbedingt heute abgearbeitet werden muss.
Auch bei der Entwicklung eines Siegels für konventionell erzeugte landwirtschaftliche Produkte haben wir Fortschritte erzielt. Erst kürzlich hat sich die Wirtschaft auf ein Qualitätszeichen verständigt. Mit diesem Zeichen sollen Produkte gekennzeichnet werden, bei deren Erzeugung mehr als die gesetzlichen Mindestanforderungen erfüllt werden. Auch das ist keine Bevormundung, Herr Traumann, sondern eine gehobene Form von Werbung, wenn ich das einmal so sagen darf, die ja wohl erlaubt sein muss.
Wer über Kennzeichnung redet, kommt nicht umhin, sich zum Thema "Gentechnik bei Lebensmitteln" zu äußern; auch Sie haben das getan. Ich weiß, dass viele Verbraucher gentechnisch veränderte Lebensmittel mit großer Skepsis betrachten oder sie sogar ablehnen. Das ist hochinteressant, wenn man sich die Zustimmungsraten bei der Grünen Gentechnik ansieht und diese etwa vergleicht mit der Zustimmung zu der Gentechnik, mit der Medikamente hergestellt und Heilungschancen vergrößert werden - ein signifikanter Unterschied. Hier muss gelten: Wer sich ohne gentechnisch veränderte Lebensmittel ernähren will, muss das auch tun können. Der Verbraucher muss also ein Recht auf freie Wahl haben.
Deshalb ist bei gentechnisch veränderten Lebensmitteln ein besonders hohes Maß an Transparenz zu gewährleisten. Ich rede hier nicht einer pauschalen oder gar ideologisch motivierten Ablehnung das Wort. Elementare Voraussetzung hierfür sind Vorgaben zur Kennzeichnung. Ich begrüße deshalb die Initiative der Europäischen Kommission, die umfassende Vorschläge zur Kennzeichnung und zur Rückverfolgbarkeit gentechnisch veränderter Lebens- und Futtermittel vorgelegt hat. Chancen und Risiken - es gibt eben beides, auch Chancen, da stimme ich Ihnen zu - der Grünen Gentechnik werden in unserer Gesellschaft kontrovers bewertet. Die Grüne Gentechnik ist gleichwohl und unbestreitbar eine Schlüsseltechnologie. Die Chancen, ihre positiven, ihre verantwortbaren Potenziale zu nutzen - da gibt es auch Einigkeit - , müssen wir bei uns offen halten und wir werden das auch tun.
Anfang Januar hatten wir bereits eine Initiative zur Grünen Gentechnik weit voran gebracht. Durch die BSE-Krise haben wir dieses Vorhaben zunächst ausgesetzt. Das haben wir nicht aus Angst getan, sondern weil es manchmal Situationen gibt, in denen man ein Vorhaben, weil es von Ängsten überlagert und zerstört werden könnte, besser nicht unmittelbar verfolgt, sondern wartet, bis man argumentativ besser durchkommt, als das in Zeiten zugespitzter Ängste möglich ist.
Ziel dieser Initiative war, den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen in einem Forschungs- und Beobachtungsprogramm auf Umweltauswirkungen unter praxisnahen Bedingungen zu untersuchen. In einem begleitenden öffentlichen Dialogprozess sollten Chancen und Risiken dieser Technologie mit allen Beteiligten diskutiert werden. Eine derart ernsthafte Auseinandersetzung ist nach wie vor erforderlich. Jedenfalls ist das meine Meinung. Ich glaube, wir sind in einer Situation, wo dieser Dialog wieder in Gang gebracht werden sollte.
Die barbarischen Terroranschläge in den USA haben bei uns nicht nur eine tiefe Betroffenheit, sondern auch Solidarität mit unseren amerikanischen Freunden ausgelöst. Ausgelöst haben sie natürlich auch eine Besorgnis über den weiteren Verlauf der weltweiten wirtschaftlichen Entwicklung. Ich denke, dass wir alle diese Sorgen ernst nehmen. Aber auch hier stimme ich zu: Besorgnis empfindet jeder vernünftig fühlende und denkende Mensch. Angst sollten wir zurückweisen. Aus Besorgnis kann neue Kraft und neue Entschlossenheit wachsen. Angst lähmt nur. Das gilt in der Wirtschaft ebenso wie in der Politik.
Auch vor dem Hintergrund der militärischen Aktionen der USA gegen den Terrorismus ist weder eine weltweite Wirtschaftskrise noch gar eine weltweite Rezession zu befürchten. Die deutsche Wirtschaft wird auch in diesem Jahr wachsen. Insgesamt gesehen wird sie das zwar nicht so, wie wir das gern hätten. Es wäre schön, wenn wir die 3 Prozent über die gesamte Wirtschaft erreichen könnten. Aber davon sind wir leider entfernt. Dennoch wird die deutsche Wirtschaft wachsen. Und die Rahmenbedingungen für unsere Wirtschaft sind so gut, dass wir auch im Verlauf des kommenden Jahres wieder mit einem steigenden Wachstum rechnen können.
Übrigens trägt auch die sinkende Inflationsrate, die im September auf 2,1 Prozent gefallen ist, dazu bei, die Binnenkonjunktur zu stabilisieren. Das Vertrauen in die Wachstumskräfte unserer Wirtschaft haben auch die Verantwortlichen in Wirtschaft und Gesellschaft durch ihre besonnene Reaktion auf die eingetretene Situation gestärkt.
Wir unterstützen diese Entwicklung durch eine verlässliche Politik zur Stärkung der Wachstumskräfte. Gerade jetzt braucht es eine Wirtschaftspolitik, die Berechenbarkeit und Planbarkeit, die Stabilität und Sicherheit garantiert. Genau das ist der Grund, warum wir am Konsolidierungskurs der Staatsfinanzen festhalten und festhalten müssen. Darüber gibt es ja auch keinen Streit, dass der Konsolidierungskurs nicht in Frage gestellt werden soll. Streit gibt es möglicherweise über ein paar Fragen, die damit zusammenhängen. Gerade in der aktuellen Situation hat sich gezeigt, wie richtig es war, unsere Steuerpolitik langfristig anzulegen. Damit verbessern wir vor allem die Rahmenbedingungen für kleine und mittlere Unternehmen.
Übrigens - das sage ich zu Ihnen, Herr Traumann - , was die Frage des Vorziehens der Steuerreform angeht: Wir haben seit Beginn des Jahres 45 Milliarden DM mobilisiert, etwa 25 Milliarden DM im Bereich der Verbraucherinnen und Verbraucher und 20 Milliarden DM im Bereich der Unternehmensteuerreform. Wir haben das solide finanziert, und wir haben am Konsolidierungskurs festgehalten. Wir haben am Konsolidierungskurs deshalb festgehalten und werden weiter daran festhalten, weil er einerseits europäisch, also international vereinbart ist, und zum anderen die wesentliche Basis dafür ist, dass die Europäische Zentralbank eine Zinspolitik machen kann, die die Wachstumskräfte stärkt, was nötig ist.
Es kommt ein Zweites hinzu: Wenn wir den Konsolidierungskurs jetzt aufgäben, in diesem historischen Moment, kurz bevor der Euro die auch für jeden anfassbare Währung wird, hätte das nach meiner Einschätzung negative Wirkungen auf die Stabilität der neuen Währung. Das dürfen wir nicht verursachen. Das liegt doch auf der Hand. Wir können also den Konsolidierungskurs nicht aufgeben, auch nicht zeitweise.
Wir haben übrigens, was Ihre Forderungen angeht, mehr gemacht, als Sie skizziert haben. Ich habe das versteckte Lob wohl gehört. Aber die Kritik stand doch ungerechtfertigterweise im Vordergrund. Zusätzlich zur faktischen Abschaffung der Gewerbesteuerbelastung für Personenunternehmen werden wir durch die sogenannte Reinvestitionsrücklage Personen- und Kapitalgesellschaften bei der Besteuerung von Gewinnen aus Veräußerungen von Kapitalanteilen gleichstellen. Das ist bei der Vorbereitung dessen übersehen worden, was Sie ansonsten hier präzise ausformuliert haben. Diese Gleichstellung werden wir zu Beginn nächsten Jahres vornehmen - das ist klar; anders ist das nicht zu machen - und damit erneut einer Forderung gerade aus der mittelständischen Wirtschaft nachkommen. Darüber hinaus verschieben wir die Überarbeitung branchenbezogener Abschreibungs-Tabellen. Sie wissen, dass das gerade Ihrer Branche zu Gute kommt. Ich gehe davon aus, dass wir über das, was wir verschieben, miteinander diskutieren und auf die Auswirkungen hin überprüfen. Das ist ein weiteres Beispiel dafür, dass wir in dieser konjunkturellen Situation nicht untätig sind.
Ich will noch einen Satz hinzufügen: Ich glaube, es wäre falsch - darin sind wir wieder einig - , jetzt hektisch über Konjunkturprogramme zu beschließen. Es wäre falsch, weil sie erstens in die falsche Richtung zielten und zweitens aktuell und auch kurzfristig nicht nutzen würden, dadurch also keine konjunkturelle Verbesserung erzielt werden könnte.
Im Übrigen bringen nationale Programme - das haben zum Beispiel die Japaner sehr schmerzlich erfahren müssen, zumal schuldenfinanzierte nationale Programme - nicht die Wirkungen, die man haben will, sondern sind eher kontraproduktiv. Aber dass wir mit unseren europäischen Partnern die Situation und die Lage im letzten Quartal dieses Jahres sehr aufmerksam beobachten und wir, falls es Anlass gibt - ich betone: gegenwärtig sieht das nicht so aus - , auch im europäischen Kontext reagieren werden, liegt auf der Hand. Das werden wir dann auch miteinander zu bereden haben.
Die deutsche Ernährungswirtschaft ist gemessen am Umsatz der viertgrößte deutsche Industriezweig und sichert in rund 6.100 Betrieben fast 550.000 Arbeitsplätze. Sie haben darauf hingewiesen, dass gerade Ihre Branche - das ist doch ein positives Signal in dieser Zeit - über erfreuliche Zuwächse reden kann. Bisher legten die Umsätze - Sie haben es gesagt - um 3 Prozent zu. Bei mir steht sogar 3,2 Prozent. Aber darüber will ich nicht streiten.
Sehr geehrter Herr Dr. Traumann, sehr geehrter Herr Blank, die ANUGA feiert mit der diesjährigen Veranstaltung ihren 50. Geburtstag seit Kriegsende. Sie ist seit 1951 fest in Köln etabliert. Ich bin ganz sicher, Herr Oberbürgermeister, das wird auch so bleiben. Die Erfolgsgeschichte der ANUGA als internationaler Leitmesse ist das Resultat der kreativen Kooperation von Handel und Industrie, Gastronomie und Messewesen.
Ich bin ganz sicher, auch die diesjährige ANUGA wird mit ihren zahlreichen Angebotsschwerpunkten und dem ausführlichen Rahmenprogramm die großen Erwartungen, die Sie und wir alle in sie setzen, erfüllen. Ich wünsche Ihnen - als Aussteller und als fachkundige Besucher der ANUGA 2001 - einen guten und erfolgreichen Messeverlauf und erstklassige Geschäfte.