Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 30.10.2001

Untertitel: Die Deutsch-Indische Handelskammer hat in den 45 Jahren ihres Bestehens einen ganz wichtigen Beitrag zur Förderung der deutsch-indischen Wirtschaftsbeziehungen geleistet.
Anrede: Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, sehr geehrter Herr Präsident der Deutsch-Indischen Handelskammer, meine sehr verehrten Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/28/62128/multi.htm


Zunächst einmal, Herr Ministerpräsident, ganz herzlichen Dank für Ihre freundlichen und so tiefes Verständnis für Deutschland und Deutschlands Kultur offenbarenden Worte.

Lassen Sie mich hinzufügen: Wir fühlen uns wirklich wohl bei Ihnen. Das liegt sicher an der glänzenden Organisation durch Sie und Ihre Mitarbeiter. Das liegt aber auch an der überragenden Freundlichkeit der Menschen hier, die wir auch schon in New Delhi kennengelernt haben - eine Freundlichkeit, die uns tief beeindruckt hat.

Nicht zuletzt dieser Freundlichkeit wegen, über die uns so oft berichtet worden ist, bin ich gern gekommen, um am Festakt des 45-jährigen Bestehens der Deutsch-Indischen Handelskammer teilzunehmen. Mit mehr als 6.500 Mitgliedern - das ist erwähnt worden - ist sie die größte deutsche Handelskammer, die es im Ausland gibt.

Die Deutsch-Indische Handelskammer hat in den 45 Jahren ihres Bestehens einen ganz wichtigen Beitrag zur Förderung der deutsch-indischen Wirtschaftsbeziehungen geleistet, aber nicht nur das. Sie hat auch einen ganz wichtigen Beitrag zum Verständnis der Menschen untereinander geleistet.

Gerade für kleine und mittelständische Unternehmen ist die Handwerkskammer ein unverzichtbarer Ansprechpartner, der Beratung anbietet, Kontakte knüpft und vor allen Dingen dauerhafte Gesprächspartner in Indien vermittelt.

Für das sehr erfolgreiche Wirken, für die sehr erfolgreiche Arbeit, möchte ich Ihnen, Herr Präsident Schubert, aber erst recht allen Mitarbeitern und natürlich auch den Mitarbeiterinnen ganz herzlich danken.

Es ist sicher kein Zufall, dass wir dieses Jubiläum in Bangalore begehen. In diesem, wie es inzwischen weltweit heißt, indischen "Silicon Valley", dieser "Stadt der Zukunft", wie Nehru sie vor Augen hatte, haben sich neben bedeutenden indischen auch große deutsche Softwarefirmen niedergelassen. Ich bin überzeugt, dass sich gerade in diesem Hochtechnologiebereich neue Chancen für eine zukunftsgerichtete und erfolgreiche Kooperation zwischen deutschen und indischen Unternehmen ergeben werden.

Mein Besuch soll diese Chancen unterstreichen. Aber noch wichtiger als dieser Besuch der Politik - einschließlich meiner Minister, die mitgekommen sind - ist, dass wirklich hochrangige Vertreter der deutschen Wirtschaft zur Delegation gehören. Denn sie sind es, die die Wirtschaftsbeziehungen, die sich ergeben, in erster Linie entwickeln müssen. Sie sind es, die die Chancen, die sich in Indien bieten, ergreifen und die nach meiner Auffassung sehr guten Möglichkeiten und Perspektiven zur Vertiefung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit wirklich nutzen müssen und, wie ich hoffe, auch nutzen werden.

Wir wollen uns dabei nicht allein auf den Computer- oder Softwarebereich konzentrieren. Wir wissen - jedenfalls in Deutschland weiß man - , dass indische Spitzenleistungen auf anderen Gebieten ebenso deutlich sind, etwa auf dem Gebiet der Telekommunikation oder auch auf dem Zukunftsmarkt der Biotechnologie.

Übrigens, mit einem gelegentlich anzutreffenden Vorurteil sollte man bei dieser Gelegenheit aufräumen, dem Vorurteil nämlich, dass, wenn man sich nur auf die so genannte "new economy" konzentrierte, man gleichsam eine strahlende Zukunft vor sich hätte. Die tradierten Industrien - den Automobil- , Maschinen- , Werkzeugmaschinen- und Anlagenbau - könne man - so einige Apologeten der "new economy" - getrost vernachlässigen.

Ich teile diese Meinung überhaupt nicht. Ich glaube vielmehr, dass Deutschland bei der Integration der neuen Technologien in Produkte führend ist, aber eben auch in Verfahren. Den Gegensatz zwischen "old economy" und "new economy" behaupten nur diejenigen, die von Ökonomie insgesamt nichts oder jedenfalls zu wenig verstehen.

In den Gesprächen, die ich gestern habe führen können, ist deutlich geworden: Es gibt eine lange und große Tradition der Zusammenarbeit zwischen Indien und Deutschland, und es gibt gegenseitig ein wirklich entwickeltes Verständnis für die großen und großartigen Kulturen und kulturellen Leistungen.

Das ist eine gute Basis, auf der sich Netzwerke bilden lassen, die die Zusammenarbeit intensivieren, sowohl auf dem Gebiet der Wissenschaft - nicht nur, aber auch als Vorläufer industrieller Produktion - als auch auf dem Gebiet des Austausches junger Menschen im Bildungssektor.

Die Internationalisierung der Wirtschaft und die Globalisierung der Märkte erzwingen eine verstärkte Zusammenarbeit von Ländern und Menschen in den Ländern ganz unterschiedlicher Kulturen. Wenn wir den Herausforderungen der Globalisierung wirklich begegnen wollen, dann müssen wir in unseren eigenen Gesellschaften weit internationaler werden, als wir es bisher sein mussten und auch gewesen sind.

Es geht aber nicht nur um ökonomische, sondern auch um politische Herausforderungen. Das ist nicht erst seit dem 11. September dieses Jahres klar. Aber ich denke, es ist jedem in der Welt seit dem 11. September noch klarer geworden, worum es geht. Es geht um die Behauptung von Individualität, von Freiheit und Demokratie, und zwar in den Gesellschaften, die diese Werte immer für sich in Anspruch genommen haben, sie schätzen und verteidigen wollen. Es geht, wenn Sie so wollen, um eine Art zu leben, die diesen Werten gerecht wird.

Ich denke, dass deshalb der Kampf gegen Terrorismus nicht nur eine Aufgabe des Staates, sondern der gesamten Gesellschaft ist. Denn die gesamte Gesellschaft würde in Mitleidenschaft gezogen, wenn diejenigen, die die Welt mit Terror überziehen wollen und unsere Wertvorstellungen in Frage stellen, wirklich gewinnen würden - was sie nicht können, nicht dürfen, vor allem, was sie nicht werden.

Diejenigen Politikerinnen und Politiker, die die weltweite Antiterrorkoalition zu Wege gebracht haben, die sie gebildet haben, haben damit Rahmenbedingungen herstellen und erhalten wollen - Rahmenbedingungen für Freiheitlichkeit und Demokratie, aber auch für freies wirtschaftliches Handeln. Das ist der Grund, warum ich denke, dass Zusammenschlüsse wie die Deutsch-Indische Handelskammer einen wirklich wichtigen, nicht wegzudenkenden Beitrag leisten können und - ich bin dessen sicher - auch in Zukunft leisten werden.

Nicht zuletzt ist das der Grund, warum ich meinen Respekt vor der bisherigen Arbeit ausdrücke und der Handelskammer bei ihrer Arbeit alles nur erdenklich Gute wünsche. Das, was Sie tun, ist nicht nur im Sinne der Unternehmen, für die Sie in erster Linie da sind. Sie leisten damit auch einen wichtigen Beitrag zum Wohlergehen der Menschen in unseren beiden Ländern.