Redner(in): Joschka Fischer
Datum: 30.10.2001

Untertitel: [...] Die Vollendung der Europäischen Integration, die ich mir als Antwort auf die Herausforderungen der Zukunft wünsche - und für die sich die Bundesregierung, aber auch das deutsche Parlament einsetzen - kann und wird nur gelingen, wenn Frankreich und Deutschland dies zu unserer gemeinsamen Sache machen. [...]
Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/76/61976/multi.htm


Ich möchte Sie zu Ihrer Initiative, Herr Vorsitzender, beglückwünschen.

Jede Diskussion über die Zukunft Europas muss in diesen Monaten bei den furchtbaren Ereignissen vom 11. September und ihren Folgen ansetzen. Die Risikogleichung hat sich dadurch in unseren Gesellschaften dramatisch verändert. Wir erleben auch in unserer eigenen Wahrnehmungsstruktur die Verschiebung der Prioritäten - und wir erleben die Rückkehr zum Primat der Sicherheitspolitik, im Inneren ebenso wie nach außen.

Die Geschehnisse der letzten Wochen zwingen uns gleichzeitig, die Fähigkeiten der Europäischen Union nüchtern einzuschätzen. Im Lichte dieser Krise wurden die Defizite wie auch die Fähigkeiten schlaglichtartig aufgezeigt. Die wesentlichen Ressourcen zur Gewährleistung der inneren und äußeren Sicherheit sind nach wie vor in der Hand der Mitgliedstaaten. Aber angesichts der weltweiten Herausforderung des mörderischen Terrorismus muss Europa jetzt die Chance nutzen: Jetzt müssen mutige, weitreichende Schritte in die Zukunft gemacht werden.

Der Auftrag des Europäischen Rats von Tampere, einen einheitlichen Raum der Freiheit, Sicherheit und des Rechts zu schaffen, weist den Weg zu mehr Zusammenarbeit und Integration in der Justiz- und Innenpolitik. Unsere Bürger fragen zurecht: Wer gewährleistet Sicherheit? In der Frage der Außengrenzen, in der Frage der Zuwanderung sind das Bereiche, die heute bereits in einem hohen Maße vergemeinschaftet sind oder die konsequent in Richtung Vergemeinschaftung gehen. Schengen ist eine Realität. Also wird die Frage "Wer gewährleistet unsere Sicherheit?", die die Bürger an den Staat richten, zunehmend auch eine Frage an Europa. Europa muss sich für die Bürgerinnen und Bürger bei Ihnen, bei uns, in allen Staaten, die diesem Europa angehören, bewähren. Wir stehen vor einer neuen Situation, und es wird jetzt darum gehen, dass der Aktionsplan von Gent, der sehr ehrgeizige Ziele beim Kampf gegen Geldwäsche, gegen Terrorismusfinanzierung und in den vielen Fragen der Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden gesetzt hat, tatsächlich umgesetzt wird. Ebenso wird die Frage der Außengrenzen in Zukunft immer wichtiger werden. Wird das eine Gemeinschaftsaufgabe? Ja oder Nein? Eine für die Europapolitik der Zukunft sehr spannende Frage. Ich gehöre einer Generation an, die sich noch sehr gut erinnern kann an eine Zeit, wo die deutsch-französische Grenze eine wirkliche Grenze war. Heute steige ich ins Flugzeug - auch als Privatmensch, nicht nur mit einer Regierungsmaschine - und im Schengenraum existieren diese Grenzen nicht mehr. Also wird sich die Frage des gemeinsamen Schutzes der Außengrenzen für alle von uns stellen. Eine Frage, auf die jetzt in dieser Krise geantwortet werden muss.

Auch außenpolitisch ist Europa gefordert. Wir beobachten im Zuge der Koalition gegen den Terror eine große Achsenverschiebung der internationalen Politik - und wir werden hier meines Erachtens noch viel weitreichendere Veränderungen erleben. Es kann wirklich sein, dass die Weltpolitik neu aufgestellt wird. Wenn dies aber so ist, werden die Europäer, selbst die größten europäischen Nationen zu klein sein, um ihre Interessen in dieser sich neu orientierenden Welt des 21. Jahrhunderts allein wahren zu können. Diese große Achsenverschiebung bietet Chancen für eine aktive, für eine gestaltende Rolle der Gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik. Ich denke dabei an den Nahen Osten, wo Frankreich und Deutschland mit ihren EU-Partnern, vor allem aber auch Javier Solana, der Hohe Beauftragte, unermüdlich an der Deeskalation und an dem Versuch arbeiten, politische Alternativen zu eröffnen.

Oder schauen Sie sich den Beitrag Europas auf dem Balkan an. Blicken wir nur ein Jahrzehnt zurück - auf 1991/92, als diese ganze Tragödie begann: In Bosnien liegen über 200.000 Menschen in Massengräbern, es gab Millionen von Flüchtlingen. Jetzt werden wir am 17. November 2001 - bei allen Problemen - im Kosovo Wahlen haben: Freie Wahlen, international garantierte Wahlen. In Mazedonien arbeiten wir auf das engste als Europäer zusammen - Frankreich und Deutschland besonders eng. Wenn wir so weiter machen wie bisher, werden wir zum ersten Mal einen dieser furchtbaren ethnischen Kriege präventiv verhindert haben. Wir eröffnen dieser Region nach dem Ende des Habsburger Reiches und des Osmanischen Reiches zum ersten Mal eine europäische dauerhafte Perspektive friedlicher Entwicklung, langfristig hin zum Europa der Integration. Daran kann man sehen, was gemeinsame europäische Außenpolitik mit unseren internationalen Partnern zu leisten in der Lage ist. Dass dies ganz unmittelbar positive Auswirkungen auf unsere Länder hat, brauche ich nicht näher auszuführen. Denn ein Balkan, der in Brand gerät, hätte fatale Konsequenzen, spürbar auch für alle Menschen bei uns.

Auch bei Überlegungen zur politischen Zukunft eines freien Afghanistan, in der die Menschen eine friedliche Perspektive haben und der Terror keinen Raum mehr hat, kann Europa eine wichtige Rolle spielen.

So berührt der 11. September, Herr Vorsitzender, auch ganz konkret und mit enormen inhaltlichen Herausforderungen die Debatte über die Zukunft der Europäische Union, in der Außen- und Sicherheitspolitik wie auch in den Fragen der inneren Sicherheit und der Zuwanderung. Die Geschichte hat am 11. September die Agenda dieser Zukunftsdebatte verändert. Hubert Vedrine hat sie vor einiger Zeit, da stimme ich voll mit ihm überein, als die wichtigste Debatte in der Geschichte der europäischen Konstruktion bezeichnet. Es geht um unsere Sozialstaaten, um die Zukunft der Bildungssysteme, d. h. um die Zukunft der kommenden Generationen. Es geht um die Zukunft der heute aktiven Generation: Was wird aus uns, wenn wir alt werden? Es geht um die Zukunft unserer Volkswirtschaften, der gemeinsamen Volkswirtschaft der Europäischen Union. Es geht auch um unsere Rolle in der Welt des 21. Jahrhunderts. Werden wir die Art, wie wir leben wollen - so unterschiedlich sie in Frankreich, in Italien, in Spanien, in Deutschland, in Skandinavien kulturell und historisch ausgeprägt ist - bewahren können? Werden wir sie selbst bestimmen können im Rahmen unserer internationalen Verpflichtungen? Werden wir mitgestalten können? Werden wir die Idee, die von rechts bis links geteilt wird, dass wir Demokratie und soziale Gerechtigkeit in einem demokratischen Sozialstaat verbinden müssen und dafür auch die wirtschaftliche Effizienz schaffen müssen, werden wir diese Idee zum zentralen Punkt der Zukunftsgestaltung machen können? Dann wird diese Zukunftsdebatte zu Ergebnissen führen müssen, mit denen dieses Europa handlungsfähig ist. Diese Handlungsfähigkeit ist der entscheidende Punkt. ( ... )

Ich war immer für den Euro - nicht nur aus ökonomischen, finanzpolitischen Gründen - sondern weil ich der Überzeugung war, dass der Euro die Entscheidung dafür ist, dass wir einen eigenen Weg mitbestimmen können, gehen können. Eine Währung ist nicht nur eine ökonomische Frage, sondern immer auch eine politische Frage. Sie ist die Nahtstelle von Politik und Ökonomie.

Eine treibende Kraft dieser Debatte und der ihr zugrundeliegenden Notwendigkeit einer umfassenden Reform ist die bevorstehende Erweiterung der Europäischen Union. Wir werden - ich nenne keine Zahlen, ich sehe schon den interessierten Blick der Journalisten - in den nächsten Jahren zehn neue Mitglieder haben. Das heißt, die Union der Fünfzehn wird eine Union der Fünfundzwanzig werden. Die schiere Dimension der nächsten Erweiterungsrunde wird also einen qualitativen Sprung in der Geschichte der Europäischen Union markieren. Aber nicht nur in der Geschichte der Europäischen Union, sondern wir werden damit auch die Grenzen des Kalten Krieges und der künstlich erzwungenen Teilung Europas überwinden. Das dürfen wir nicht vergessen. Es ist ein notwendiger, aber auch ein großer, ein historischer Schritt, der von uns auch historisches Handeln erfordern wird. Ein großes Wort, das in den Niederungen der Finanzverteilung dann ganz anders gelesen wird, ich weiß. Aber ich sehe keine Alternative zu dieser Erweiterung. Wir werden die Beitrittsländer nicht künstlich hinhalten dürfen und hinhalten können. Das würde unsere Interessen schädigen als Europäische Union. Also werden wir vor dieser Erweiterung stehen und darauf werden wir Antworten finden müssen.

In Nizza wurde dies aufgenommen in der Schlusserklärung zur Zukunft der Union: Dort werden Themenkomplexe benannt für die nächste, 2004 vorgesehene, Regierungskonferenz. Warum brauchen wir die? Nizza hat - wenn der Vertrag ratifiziert wird - die Erweiterungsfähigkeit der Europäischen Union hergestellt, so wie die Agenda 2000 die finanziellen Voraussetzungen für den Beginn der Erweiterung geschaffen hat. Wenn wir dann aber die Union der Fünfundzwanzig und mehr sind, dann werden wir weitere, energische Schritte machen müssen, um die Handlungsfähigkeit dieser wesentlich größeren Union zu gewährleisten.

Die vier Themenkomplexe der Erklärung von Nizza zielen auf eine verbesserte Effektivität, auf eine transparentere Union und auf eine Stärkung der demokratischen Legitimation - mit einem Wort: auf eine handlungsfähige, demokratische Europäische Union. Es geht im einzelnen um die Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen Europäischer Union und Mitgliedstaaten -ein schwieriges Thema. Es geht um den Status der Grundrechtecharta - aus deutscher und französischer Sicht ein einfaches Thema eigentlich, allerdings tun sich andere Mitgliedstaaten damit wesentlich schwerer. Es geht drittens um die Vereinfachung der Verträge, z. B. um eine Zweiteilung in einen "Verfassungsteil" einschließlich Grundrechtecharta und einen "Besonderen Teil". Und es geht viertens um die Rolle auch der nationalen Parlamente, ein besonders wichtiges Thema.

Die heutige Europäische Union ist nicht "nicht-demokratisch". Sie ist indirekt legitimiert. Dieser Staatenverbund, wie unser Verfassungsgericht das genannt hat, funktionierte sehr gut zu sechst. Er funktionierte auch nach den ersten Erweiterungen noch zu zwölft, auch zu fünfzehnt. Wobei wir heute schon das Problem haben, dass unsere Bürgerinnen und Bürger die Kompromisse im Rat nicht immer - ich sage das jetzt einmal milde - als Ergebnis rationaler Überlegung nachvollziehen können. Was in dem einen Land, das diesen Kompromiss wollte, von der Öffentlichkeit und im Parlament nachvollzogen wird, kann in vierzehn oder zwölf oder neun Mitgliedsländern als überhaupt nicht mehr verständlich erscheinen. Diese Form der indirekten Legitimation hat ihre Grenzen, diese Form des Staatenverbundes hat ihre Grenzen und insofern werden wir hier über eine neue demokratische Legitimierung nachzudenken haben, wenn wir nicht den Euro-Skeptizismus intensivieren wollen. Eine Union der Fünfundzwanzig - wie soll das funktionieren mit den heutigen Strukturen? Wie sollen die Menschen das verstehen? Ein Allgemeiner Rat zu fünfundzwanzig - wie lange wird der dauern? Allein eine Tischrunde wird mehrere Stunden dauern zu jedem Thema. Wie sollen die Interessen von fünfundzwanzig zusammengebunden werden bei den Europäischen Räten der Staats- und Regierungschefs? Und wie sollen die Menschen die Kompromisse noch verstehen, die fünfundzwanzig Mitgliedstaaten machen müssen in einem Kompromisspaket, in dem sich alle so weit wiederfinden, dass sie zustimmen? Das sind Fragen, die nach mehr Mehrheitsentscheidungen drängen, es sind Transparenzfragen, die dazu gehören, es sind aber auch institutionelle Fragen, wenn die Menschen das verstehen sollen. Andernfalls werden wir eine Union der fünfundzwanzig bekommen, die weniger entscheidungsfähig wird, die schwerfälliger wird, die zur Stagnation führt, die Kompromisse macht, die die Menschen immer weniger verstehen - und dadurch wird der Euro-Skeptizismus zunehmen. ( ... )

Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass die Europäische Union angesichts der gegenwärtigen Herausforderung nicht bei den in Nizza festgelegten Themen stehen bleiben darf. Wir treten deshalb für eine Ergänzung der Themenliste ein. Das institutionelle Verhältnis der Unionsorgane zueinander im Sinne einer besseren Gewaltenteilung, der weitere Übergang zu Entscheidungen im Rat mit qualifizierter Mehrheit, gehören dazu. Ebenso weitere Integrationsschritte in den Außenbeziehungen der Europäischen Union, also etwa die Frage nach der Parallelität von Solana und Patten? Ich habe es jetzt an den beiden Amtsinhabern festgemacht, es hat aber nichts mit den Personen zu tun, sondern es geht mir um die institutionelle Frage: Ist es sinnvoll, an dieser Parallelität dauerhaft festzuhalten? Wäre ein Zusammenfügen unter dem Gesichtspunkt einer besseren Handlungsfähigkeit der Außenbeziehungen der Union nicht besser? Wäre es nicht eine hervorragende Ergänzung zu den nationalen Außenpolitiken, hier diese Kombination zu verstärken? Welche praktischen Schritte können wir auf diesem Weg mittelfristig machen? Welche Schritte können in den Bereichen Justiz und Inneres gemacht werden - etwa bei der Entwicklung gemeinsamer Asyl- und Einwanderungspolitiken und der Kriminalitätsbekämpfung. Die Frage der europäischen Grenzpolizei habe ich schon angesprochen. Dies ist eine Idee, die im französischen und deutschen Verhältnis, im Regierungsverhältnis intensiv diskutiert wird.

Wenn man diese Zielsetzungen zusammennimmt, Herr Vorsitzender, dann wird deutlich, dass die konsequente Fortentwicklung des europäischen Integrationsprozesses auf die Ausarbeitung einer europäischen Verfassung und die Schaffung einer europäischen Demokratie zuläuft. Ich möchte hier nicht wieder in Begriffsdiskussionen verfallen, darum geht es nicht. Aber ich meine, der nächste Entwicklungsschritt der Europäischen Union, vor dem wir stehen, läßt sich mit dem Begriff "Föderation der Nationalstaaten" beschreiben. Eine untrennbare Verbindung des föderalen Ideals mit der fortdauernden, unersetzlichen, historisch gewachsenen Rolle der Nationalstaaten in der Europäischen Union. Diese beiden Elemente so zusammenzufügen ist übrigens auch ein Ergebnis der französisch-deutschen Zukunftsdiskussion gewesen. Auch daran kann man sehen, wie wichtig auch die Konfrontation unterschiedlicher Traditionen ist, die wir ja haben. Das macht den Wert unserer Beziehungen aus. Wenn wir alle dasselbe erzählen und vorschlagen würden, dann würde die kreative Spannung fehlen. Aber diese Föderation der Nationalstaaten, das scheint mir ein Begriff zu sein, den näher auszuarbeiten sich wirklich lohnt.

Die Regierung der Mitgliedsstaaten haben bereits weitgehend Übereinstimmung zu den Grundzügen eines Konvents erzielt, der ab 2002 zur Vorbereitung der Regierungskonferenz 2004 beitragen soll. Der parlamentarischen Komponente des Konvents kommt dabei eine große Bedeutung zu. Dieser Konvent sollte seine Arbeit so abschließen, dass seine Ergebnisse vor der eigentlichen Regierungskonferenz von den Parlamenten, dem Europäischen Parlament und den nationalen Parlamenten beraten werden können. Der nächste Schritt im Reformprozess ist der Europäische Rat in Laeken. Er wird im Dezember Entscheidungen zum Mandat, zum Zeitplan und Methode des Konvents zu treffen haben. Auf der Grundlage dieser Vorgaben sollte der Konvent sich selbst konstituieren und organisieren können. Wir sind bei den Beratungen im Allgemeinen Rat zur Vorbereitung dieser Entscheidung weit gekommen. Es wird - da bin ich sicher - ein hohes Maß an übereinstimmender Vorarbeit vor Laeken geben.

Die Vollendung der Europäischen Integration, die ich mir als Antwort auf die Herausforderungen der Zukunft wünsche - und für die sich die Bundesregierung, aber auch das deutsche Parlament einsetzen - kann und wird nur gelingen, wenn Frankreich und Deutschland dies zu unserer gemeinsamen Sache machen. Das wird die große Aufgabe sein. Es geht nicht mehr in erster Linie darum, die bilateralen Verhältnisse noch besser zu machen - was man noch besser machen kann, sollte man unbedingt tun - aber die entscheidende Frage wird sein, ob wir eine gemeinsame Initiative für diese neue Wegstrecke auf den Weg bringen können. Nicht um andere auszuschließen, sondern um sie mitzunehmen. Also nicht exklusiv, sondern inklusiv, was den europäischen Prozess betrifft. Für mich liegt da die große Bedeutung des französisch-deutschen Verhältnisses im 21. Jahrhundert. Und damit ich richtig verstanden werde, möchte ich nochmals unterstreichen: Auch in einer erweiterten, auch in einer Union der Fünfundzwanzig, Siebenundzwanzig oder Dreissig wird es auf unsere beiden Länder ankommen. Unsere beiden Länder haben das Gewicht, um etwas voranzubringen, aber sie haben auch die europäischen Ur-Überzeugungen, um dieses Europa voranzubringen. Gemeinsam mit allen anderen. Ich denke, es ist ganz entscheidend, dass wir dies sehen. Wir arbeiten deshalb im Vorfeld von Laeken sehr eng zusammen. Der "Blaesheim-Prozess" hat eine Dichte von begegnungen geschaffen, die es erlaubt, dass wir nicht nur über die unproblematischen Dinge, sondern vor allem über die Probleme reden, internationale wie europäische wie bilaterale Probleme. Das Ziel ist, dort, wo es unterschiedliche Interessen gibt, gemeinsame Lösungen zu finden.

Wenn dieser Kommunikationsprozess ebenfalls intensiviert würde auf der Ebene der Parlamente, wenn man auch hier zu den Punkten kommt, wo die Widersprüche liegen, wo unterschiedliche Sichtweisen, Perspektiven und Interessen liegen, dann wäre das überaus hilfreich und nützlich. Zwischen Demokratien ist es völlig normal, dass man auf dieser Ebene agiert, denn nur so wird man die notwendigen Kompromisse, die die Grundlagen für die Initiativen auf europäischer Ebene darstellen, entwickeln können. Insofern, Herr Vorsitzender, begrüße ich es mit allem Nachdruck, dass diese Initiative von der Assemblée Nationale unternommen wurde. Ich habe gerade Gelegenheit gehabt, mit dem Präsidenten der Assemblée darüber zu sprechen, dass es weitere Initiativen geben soll.

Ich möchte mit einem Blick auf die großen Herausforderungen abschließen. Bisher nannte ich immer nur drei. Jetzt müssen wir eine vierte hinzufügen. Wir haben die Erweiterung. Das wird große Anforderungen an die institutionelle Reformfähigkeit stellen und gleichzeitig an die demokratische Legitimation - in allen europäischen Öffentlichkeiten, bei den alten Mitgliedern wie bei den neuen Mitgliedern. Wir müssen also zwischen 2003 und 2006eine große institutionelle Reformkraft aufbringen. Ich sage jetzt nicht 2003, sondern irgendwo dazwischen. Dann kommt nächste finanzielle Vorausschau, die jetzige gilt bis 2006. Allein das ist ein Paket, das sehr viel Kreativität, Mut und Sitzfleisch erfordern wird, um es zu bewältigen. Aber jetzt kommt noch die internationale Krise hinzu, die unsere Welt sehr tiefgehend verändern wird. Diese vier Elemente werden uns in der europäischen Politik beschäftigen müssen. Und für die heute lebende und handelnde Generation von Politikerinnen und Politikern in Europa, in Frankreich und in Deutschland stellt sich die Aufgabe, ob wir dieselbe visionäre Kraft, dieselbe pragmatische Durchsetzungsfähigkeit haben wie diejenigen, die dieses europäische Projekt auf den Weg gebracht haben. Es ist nicht weniger und nicht mehr gefordert.

Vielen Dank.

Die Zukunft Europas - Wo soll die Reise hingehen?