Redner(in): Hans Martin Bury
Datum: 09.11.2001

Untertitel: Ihnen, Herr Regierender Bürgermeister Wowereit, möchte ich zu Ihrem Amtsantritt als Präsident des Bundesrates herzlich gratulieren.
Anrede: Herr Präsident, meine Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/58/62258/multi.htm


Ihnen, Herr Regierender Bürgermeister Wowereit, möchte ich zu Ihrem Amtsantritt als Präsident des Bundesrates herzlich gratulieren und die besten Wünsche des Bundeskanzlers und der gesamten Bundesregierung übermitteln.

Zugleich möchte ich Ihrem Vorgänger im Amt, Herrn Ministerpräsidenten Beck, für die Verhandlungsführung während des letzten Geschäftsjahres herzlich danken.

Herr Ministerpräsident Beck, die ausgleichende Art Ihrer Sitzungsleitung hat dazu beigetragen, dass trotz aller politischen Gegensätze immer in einer konstruktiven, entspannten Atmosphäre beraten worden ist.

Auch in schwierigen Situationen haben rheinische Gelassenheit und pfälzischer Pragmatismus dafür gesorgt, dass über wichtige Gesetzesvorhaben zügig beraten und entschieden werden konnte.

In Ihrer Rede haben Sie drei Aufgabengebiete herausgehoben, in denen es darauf ankomme, Verantwortung für die Zukunft wahrzunehmen: Stärkung der Bürgergesellschaft, Politik der Inneren Einheit und Entwicklungsschub für Europa - so lauteten die Stichworte.

Sie begeben sich damit auf die Spuren Willy Brandts. Brandt trat - ebenfalls als Regierender Bürgermeister - am 20. Dezember 1957 das Amt des Bundesratspräsidenten an und sprach damals schon sowohl das Thema Europa als auch das Verhältnis zwischen Bund und Ländern an.

Zu den finanzpolitischen Beziehungen zwischen Bund und Ländern werden Sie noch in diesem Jahr eine wichtige Entscheidung treffen.

Heute vor zwölf Jahren, in den Tagen des November 1989 haben die Menschen hier in Berlin, aber auch in Leipzig und Halle, in Jena, Rostock oder Potsdam ihr Schicksal selbst in die Hand genommen. Mit viel Zivilcourage und phantasievollen, stets friedlichen Demonstrationen haben sie das SED-Regime zu Fall gebracht und damit die Deutsche Einheit überhaupt erst möglich gemacht.

Vieles ist seit dem erreicht worden. Für die Menschen, die Infrastruktur, die ökonomische Entwicklung und die Lebensqualität.

Städte wie Quedlinburg oder Wernigerode, die Ende der 80er dem Verfall nahe waren, sind heute wahre Schmuckstücke, die jährlich hunderttausende Touristen aus dem In- und Ausland anlocken.

Und dennoch war und bleibt die Angleichung der Lebensverhältnisse eine Generationenaufgabe. Ein gutes Stück des Weges ist bereits geschafft, und mit dem Solidarpakt II schaffen wir die Voraussetzung dafür, dass das gemeinsame Ziel erreicht wird.

Die deutsche Einheit war Anstoß und Voraussetzung für die Wiedervereinigung Europas.

Wie weit das Zusammenwachsen Europas bereits vorangeschritten ist, wird vielen Menschen zum kommenden Jahreswechsel richtig bewusst werden. Ab dem 1. Januar 2002 - also in 53 Tagen - werden 290 Millionen Bürgerinnen und Bürger aus zwölf Mitgliedstaaten der EU auch Euro-Bargeld als Zahlungsmittel benutzen.

Mit dem neuen Geld wird dann für jede EU-Bürgerin und jeden EU-Bürger konkret erfahrbar, dass wir in einem einzigen großen Wirtschaftsraum zusammenleben.

Jetzt kommt es darauf an, die politischen Rahmenbedingungen in der EU der fortschreitenden ökonomischen Integration anzupassen.

Sie werden heute das Gesetz zum Vertrag von Nizza mit - so hoffe ich - großer Mehrheit beschließen und damit die rechtzeitige Ratifizierung dieses Vertrages noch vor dem Gipfel in Laeken möglich machen.

Mit den in Nizza vereinbarten institutionellen Reformen, werden die notwendigen Voraussetzungen für die Erweiterung der Europäischen Union geschaffen.

Wenn alle 15 Mitgliedstaaten der EU den Vertrag von Nizza ratifiziert haben, ist der Weg frei für eine Europäische Union, an der auch die osteuropäischen Staaten teilhaben können.

Die Staaten Osteuropas, gehören nicht nur geographisch zu uns. Mit ihnen verbinden uns gemeinsame geistige und kulturelle Wurzeln.

Der Beitritt der Länder aus Mittel- und Südosteuropa zur Europäischen Union - da stimme ich Ihnen Herr Präsident ausdrücklich zu - ist der folgerichtige Abschluss eines Prozesses, der heute vor 12 Jahren mit dem Fall der Mauer begann.

Eine Union dieser Größenordnung muss politisch handlungsfähig bleiben.

Mittelfristig müssen deshalb die Exekutivrechte der Kommission deutlich gestärkt werden, ebenso wie die Rechte des Europäischen Parlamentes - auch im Haushaltsverfahren. Und auch auf eine verbesserte Arbeitsweise des Rats werden wir unser Augenmerk richten. In der Perspektive sollte sich der Rat, wenn er als Gesetzgeber tätig ist, zu einer zweiten Kammer entwickeln.

Auf Initiative von Bundeskanzler Gerhard Schröder wurde in Nizza für das Jahr 2004 eine neue Regierungskonferenz vereinbart. Danach sollen

die Kompetenzabgrenzung,

der Status der Grundrechte-Charta und

die Rolle der nationalen Parlamente

sowie die Vereinfachung der Verträge

Gegenstand der Regierungskonferenz in 2004 sein.

Der Regierungskonferenz 2004 vorausgehen muss eine breite öffentliche Debatte. Im Zentrum dieser Debatte wird ein Konvent stehen.

Von deutscher Seite werden, neben einem Beauftragten des Bundeskanzlers ein Mitglied des Bundestages und ein Mitglied des Bundesrates entsandt.

Die Beteiligung des Bundesrates stellt sicher, dass Länderinteressen unmittelbar in den Konvent eingebracht werden können. Es war der Bundesregierung ein wichtiges Anliegen, dem Bundesrat diese direkte Beteiligungsmöglichkeit zu schaffen. Darüber hinaus wird die Bundesregierung die Länder bei der Erarbeitung ihrer Position für die nachfolgende Regierungskonferenz 2004 beteiligen.

Herr Präsident,

Sie übernehmen Ihr neues Amt in einer Zeit, in der die schrecklichen Terrorakte vom 11. September und ihre Konsequenzen die politische Diskussion bestimmen.

Die Anschläge von New York und Washington waren Angriffe auf Freiheit und Demokratie, Offenheit und Toleranz.

Diese Werte, die ein friedliches Zusammenleben der Völker überhaupt erst ermöglichen, gilt es zu verteidigen. Nach außen wie nach innen.

Die Bürgerinnen und Bürger haben einen Anspruch darauf, vom Staat vor der Bedrohung durch Terror geschützt zu werden.

Ich setze darauf, dass der Bundesrat die Gesetzesvorlagen der Bundesregierung zu den Sicherheitspaketen zügig beraten und beschließen wird.

Sie haben die Bedeutung der Bürgergesellschaft für die Demokratie hervorgehoben. Ich teile diese Ansicht.

Umso mehr ist es an der Zeit, Regeln für Zuwanderung und Integration in diese Gesellschaft zu schaffen.

Die Bundesregierung hat den Entwurf eines Zuwanderungsgesetzes beschlossen.

Wer sich damit kritisch auseinander setzt, sollte unvoreingenommen die geltende Rechtslage mit den vorgeschlagenen Neuregelungen vergleichen.

Das Ergebnis kann nicht lauten: wir tun nichts. Es mag Gesprächsbedarf in Details geben. Darüber kann man reden. Aber darüber muss man auch bereit sein zu reden. Mit dem Ziel einer Lösung. Andernfalls, so bin ich überzeugt, würden wir unserer Verantwortung für die Zukunft unserer Gesellschaft nicht gerecht.

Ich wünsche Ihnen, Herr Präsident, für Ihre heute beginnende Amtsperiode eine glückliche Hand und uns allen, dass wir die gute und erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Bundesrat und Bundesregierung fortsetzen.