Redner(in): Michael Naumann
Datum: 04.06.1999

Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/18/11818/multi.htm


HÖRZU: Herr Naumann was war Ihr letztes großes Kinoerlebnis?

Michael Naumann: Als ausländischer Film "L. A. confidential mit Kim Basinger - ein großartiger Film. Als deutsche Produktion hat mir" Aimée & Jaguar " sehr gut gefallen: eine wichtige, professionell erzählte Geschichte mit atemberaubend guten Schauspielern.

HZ: Am 17. Juni wird der Bundesfilmpreis verliehen, zum ersten Mal unter der Schirmherrschaft eines Staatsministers für kulturelle Angelegenheiten und Medien. Was wird sich ändern?

Naumann: in meiner Funktion ist es einfacher, die kulturelle und wirtschaftliche Rolle des deutschen Films zu betonen, als es für einen Innenminister wäre. Aber die Qualität des Films wird wie eh und je von den Regisseuren, Schauspielern, Autoren und Produzenten bestimmt.

HZ: Was konkret tun Sie für den deutschen Film?

Naumann: Wir haben gerade das "Bündnis für den Film" ins Leben gerufen. Das ist eine Gesprächsrunde der entscheidenden Macher aus der Film- und Fernseh-Branche, die das gleiche Ziel haben: die Stärkung unserer Filmindustrie. Wichtig ist, daß die Produzenten gegenüber öffentlich-rechtlichen und privaten Fernsehanbieter unabhängiger werden.

HZ: Was versprechen Sie sich davon?

Naumann: Eine eigenständige und marktorientierte Filmindustrie. Die ist aber nur möglich, wenn genügend Geld für außergewöhnliche Filme zur Verfügung steht - Geld, das gerade junge Produzenten nicht von den Banken bekommen, weil sie keine Sicherheiten vorweisen können. Sie haben die Rechte an ihren Filmen an die Fernsehsender verkauft. So entsteht ein geschlossener Kreislauf. Der Kinofilm muß unabhängiger werden - auch zum Vorteil der TV-Sender.

HZ: Zumal auch die Verteilung der Filmfördergelder undurchschaubar ist.

Naumann: Das ist nicht mehr so kompliziert wie früher. Immerhin gibt es jetzt einheitliche Bewerbungsformulare.

HZ: Dennoch werden deutsche Filme teilweise in fünf verschiedenen Bundesländern gedreht, um aus fünf verschiedenen Fördergeldtöpfen finanziert zu werden.

Naumann: Diese "road-movies" sind nicht mehr die Regel. Wie gesagt. Zumal für eine exportfähige Filmindustrie brauchen wir Produzenten, die sich am Markt und nicht an der Sendezeit mit Quotenvorgabe orientieren. So kann sich etwas entwickeln, was uns nämlich auch fehlt: der Filmstar, der die Leute ins Kino lockt und über die Jahre hinweg seine Fans begleitet.

HZ: Wird das neue Regelsystem der Filmförderanstalt künftig verhindern, daß der deutsche Film teilweise vor 1200 Besuchern stattfindet?

Naumann: Flops gehören zum Geschäft. Von all den Filmen, die in Amerika produziert werden, sind maximal zehn Prozent ein wirklicher Gewinn. Film ist und war von jeher ein Hochrisikogeschäft. Dabei wird es auch unter den besten Förderbedingungen bleiben.

HZ: "Reden, lachen hören, lesen, schweigen, schlafen, frühstücken". Das, so sagten Sie einmal, seien Ihre Lieblingsbeschäftigungen. Demzufolge gehört Fernsehen nicht dazu?

Naumann: Ich höre ungefähr gegen Mitternacht auf zu arbeiten. Da bleibt mir kaum Zeit zum Fernsehen. Aber wenn es irgendwie möglich ist, schaue ich mir Fußballspiele an.

HZ: Dann müßten Sie über die Nachricht besorgt sein, daß tm3 künftig die "Champions League" überträgt.

Naumann: Dieser Coup hat mich sehr überrascht. Wieso gibt die UEFA ihr Aushängeschild "Champions League" an einen Spartensender ab? Was sagt die bayerische Landesmedienanstalt dazu? Die Lizenz für tm3 galt für "Frauensendungen". Entweder sind den Mitbietern die Preise zu hoch geworden oder sie wurden von der UEFA ausgetrickst. Dann müßten sich die Mitgliedstaaten der UEFA mit der Sache beschäftigen. Schließlich hat Deutschland den größten Fußballverband der Welt - wir haben ein Wörtchen mitzureden.

HZ: Wünschen Sie sich mehr Einflußmöglichkeiten des Bundes auf solche Beschlüsse?

Naumann: Nein. Das sind wirtschaftliche Entscheidungen, die von der Wirtschaft selbst vor den Landesmedienanstalten zu verantworten sind. Ich bedauere aber, daß durch diesen enormen Preisanstieg für die Ausstrahlung von Sportereignissen das Interesse der breiten Bevölkerung bisweilen ins Hintertreffen gerät. Außerdem führt der Konkurrenzdruck dazu, daß die öffentlich rechtlichen Anstalten aufgrund ihres geringen Werbeaufkommens nicht mithalten können und ihren Auftrag der Grundversorgung - und dazu gehört nun einmal Fußball - nicht einhalten können.

HZ: Wie steht es Ihrer Meinung nach um die Inhalte? Gerade die Talkshows der Privaten geraten immer wieder unter öffentliche Kritik.

Naumann: Was hier inhaltlich für den Staat relevant ist, ist allenfalls die Frage des Jugendschutzes. Und dafür gibt es Kontrollmechanismen.

HZ: Trotzdem. Was heute im Fernsehen zum Teil gezeigt wird, war noch vor zehn Jahren undenkbar. Muß man nicht neu über Formen der Aufsicht nachdenken?

Naumann: Die beste Kontrollinstanz sind nach wie vor Vater und Mutter. Es darf nicht sein, daß Eltern ihre Kinder vor dem Fernseher parken. Aber die Erziehung von Kindern kann nicht vom Staat übernommen werden.

HZ: Als Staatsminister für Medien können Sie zumindest Bedenken und Anregungen vorbringen. Tauschen Sie sich mit den TV-Verantwortlichen aus?

Naumann: Ja. Ich bin natürlich mit Kurt Beck, dem Vorsitzenden der Rundfunkkommission der Länder, im Gespräch. Ich bin im kontinuierlichen Austausch mit ARD-Intendanten und auch mit Herrn Stolte vom ZDF. Ich habe etwa mein Bedauern darüber geäußert, daß Kultursendungen in ein mitternächtliches Ghetto verschoben werden.

HZ: Sind die Öffentlich-Rechtlichen angesichts des veränderten Zuschauerverhaltens überhaupt noch zeitgemäß?

Naumann: Die Frage beantwortet sich von selbst, wenn man bedenkt, daß ARD und ZDF zur Zeit die erfolgreichsten Sender der Republik sind. Mit ihrer Nachrichtenkompetenz gehören sie mit der BBC zur absoluten Weltklasse.

HZ: Zum Schluß eine Gewissens-Frage an den Vorzeige-Intellektuellen der Regierung: Beherrschen Sie schon die neue Rechtschreibung?

Naumann: Ich sehe mich nicht als Intellektuellen. Ich war zwölf Jahre lang Geschäftsführer von Verlagen, und als solcher weiß ich immer noch nicht, was uns veranlaßt hat, die neue Rechtschreibung einzuführen. Schon die erste Rechtschreibe-Reform und die Jahrhundertwende war eine Katastrophe, weil Sie so wunderschöne Schreibweisen wie Tau mit th unterbunden hat.