Redner(in): k.A.
Datum: 15.06.1999

Anrede: Meine Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/73/11773/multi.htm


wenn ich das richtig sehe, ist dies das letzte NRW-Medienforum und damit auch der letzte "" Zeitungstag" dieses Jahrhunderts. Mit solchen Zeitenwenden gehen oft Endzeitstimmungen und apokalyptische Vorstellungen einher. Nicht das Jahr-2000 -Problem in unseren Computern, sondern die millinarische Wende wird dazu führen, daß wir Grundsatzüberlegungen über unsere Zukunft und unsere Vergangenheit anstellen werden. Sehr viel wird in diesen Überlegungen die Rede sein von virtuellen Welten, vom Cyberspace in einer Welt, in der unsere Großeltern sich auf keinen Fall zurecht gefunden hätten und in der wir uns künftig bewegen werden. Es gibt eine "Kommunikationsrevolution", die in alle Lebensbereiche hineinwirkt. Der Datenfluß, der über die internationalen Server und Websites uns alle erreicht, ist nur noch mit dem Wetter vergleichbar: Es ist eine Fülle von Informationen da, die aber in ihrem "Sosein" kaum noch zu beeinflussen ist und deren Wirkungen umstritten sind. Tatsache ist, daß die digitalen neuen Medien allerlei Lebensveränderungen mit sich gebracht haben. Aber wie bei allen Revolutionen gibt es auch Dinge, die den Umsturz der Verhältnisse sehr gut überleben, wenngleich sie sich unter dem Eindruck der Veränderung weiterentwickeln.

Zu solchen "revolutionsgewappneten" Erscheinungen unserer Kultur sind die Zeitungen zu zählen und die Bücher. Die ersten Zeitungen, wie Sie wissen, entstanden bereits im 17. Jahrhundert. Seitdem hat dieses Medium eigentlich jeden tiefgreifenden technischen und gesellschaftlichen Wandel überlebt, allen voran auch die Erfindung und die massenweise Verbreitung von Film, Radio und Fernsehen. Zeitungen entstehen jedoch nicht in völlig luftleerem Raum. Sie sind das Produkt von Menschen und Maschinen. Um sie finanzieren zu können, brauchen sie Erfolg bei Lesern wie bei Anzeigenkunden. Ich will Ihnen nicht verhehlen, ich habe mich vor vielen Jahren als Redakteur der "Zeit" einmal in das 8. Stockwerk der Redaktionshauses verirrt, wo die Anzeigenabteilung arbeitete. Dort feierte man den 35-jährigen Geburtstag der "Zeit" undman hatte den Eindruck, daß diese das Herz der Anzeigenredaktion die "Zeit" war, wohingegen die Journalisten ein paar Stockwerke darunter davon ausgingen, daß da oben irgendjemand sitzt, der die Anzeigen akquiriert, aber mit dem Blatt nichts zu tun hat.

Jeder Journalist weiß: Er kann nur schreiben, wenn er Platz hat. Und den Platz garantieren ihm nicht nur das Wohlwollen des Verlegers und Chefredakteurs, sondern in letzter Instanz der wirtschaftliche Zustand seines Blattes. D. h. , zur redaktionellen Arbeit zählt die politische und wirtschaftliche Freiheit. Nur auf dieser Basis können Blätter entstehen, die zu lesen sich lohnen und die für potentielle Anzeigenkunden interessant sind. Womit wir beim Thema wären: dem Verhältnis zwischen den Verlegern und der Politik, das heißt verkürzt: zwischen Ihnen und mir.

Ein Zeitungsverleger ist ein kritikliebender und kritikfreudiger Mensch, sonst würde er keine Zeitung machen. Die Presse hat nach dem Verständnis des Grundgesetzes und unserer realen Verfassungspraxis die Aufgabe, die Politik zu kontrollieren, Mißstände aufzudecken. Deshalb verwundert es auch nicht, meine Damen und Herren, daß Sie besonders hellhörig und aktiv werden, wenn die Politik Themen anpackt, die direkt das Verlagsgewerbe oder die Medien betreffen.

Lassen Sie uns zuerst etwas zu den Themen sagen, die uns in letzter Zeit alle beschäftigt haben, nämlich die Neuregelung auf dem Feld der sogenannten geringfügigen Beschäftigung und der Scheinselbständigkeit. Ich habe sehr viel Verständnis dafür, daß Sie Ihre Sorgen deutlich machen. Für einige dieser Sorgen bin ich der Adressat gewesen und ich habe mich auch darum gekümmert. Ich bitte jedoch um Verständnis für das Anliegen der Bundesregierung, die ständige Zunahme dieser geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse ohne Sozialversicherungsschutz einzugrenzen. In letzer Konsequenz sind es nämlich Sie, die hier in diesem Saal sitzen, die später für die Sozialhilfen aufkommen müssen, wenn diejenigen, die heute nicht versichert sind, ins soziale Abseits geraten. Allein zwischen 1992 und 1997 stieg die Zahl der Geringfügig-Beschäftigten um rund 1,1 Mio. Personen an. Diese Entwicklung ist für den Sozialstaat BRD nicht ungefährlich. Wir haben uns alle daran gewöhnt, die Weimarer Erfahrungen nun langsam, aber sicher zu vergessen, d. h. die politischen Konsequenzen ohne soziales Netz als nicht mehr so gefährlich einzuschätzen, wie dies in den 60er, 70er Jahren der Fall war. Ich halte dieses für eine Form der politisch-historischen Vergeßlichkeit, die gefährlich werden kann. Hier geht es nicht darum, sozialdemokratische Grundbestände glaubensmäßig und ideologisch festzuschreiben, hier geht es um die Fürsorge bezüglich der Stabilität unseres Landes. Die Entwicklung, die wir erlebt haben, vor allem auf dem Gebiet der Scheinselbständigkeit, könnte so etwas sein wie das Anlegen einer sozialen Zeitbombe, die es rechtzeitig zu entschärfen gilt.

Dies sind Probleme, die uns alle berühren. Ich denke vor allem an die Zeitungsausträger. Die Schwierigkeit, die sich bei der praktischen Umsetzung des 630-Mark Gesetzes ergeben, werden von der Regierung ernst genommen. Ich möchte auch darauf hinweisen, daß bereits im Gesetz festgeschrieben wurde, die Auswirkung dieser Neuregelung zu untersuchen. Nur jemand, der vom Staat autoritäre, feststehende Regelungen erwartet, nach denen wir uns in den nächsten Jahren richten können, wird diese eingebaute Formel der Selbstkorrektur ablehnen oder sich darüber mokieren.

Viele von Ihnen sind Geschäftsführer und selbstverständlich werden Sie, wenn Sie eine Neuinvestition in Ihrer Firma vornehmen, zumindest eine salvatorische Klausel einbauen, die die neu gesetzten und neu festgelegten und beschlossenen Investitionen nach dem Ablauf eines Jahres kontrolliert. Nicht anders hier.

Ich sehe vor allem in der Kritik des 630-Mark-Gesetzes und der Regelung der Scheinselbständigkeit in der parlamentarischen Kritik die alte deutsche Sehnsucht nach dem perfekten Gesetz. Hier aber sagt der Gesetzgeber, d. h. die rot-grüne Koalition: Wir wissen, daß dies problematisch ist. Wir sind bereit, es zu korrigieren, wenn die Belastung für die Wirtschaft zu groß und die positiven Effekte zu niedrig sind. Ich glaube, daß wir spätestens in einem Jahr nach Vorliegen entsprechender Ergebnisse in der Lage sein werden zu überprüfen, ob weitere legislative Maßnahmen auf diesem Feld erforderlich sind oder nicht.

Dies ist für mich kein Zeichen der Schwäche, sondern im Gegenteil ein Zeichen legislativer Selbstsicherheit und auch des Selbstverständlichen. Wir können nicht permanent Gesetze machen, die in den Wirtschaftskreislauf eingreifen, und sie dann mit Bronzetafeln verkünden, sondern wir müssen uns flexibel halten. Es gehört mit zu einem parlamentarischen politischen Diskurs der Gesellschaft, daß ausgerechnet die Medien, die ja von allen anderen Wirtschaftszweigen der BRD die elastischsten sind, und diejenigen, die sich am leichtesten dem Markt anpassen, weil sie mit dem Markt jeden Tag tausend- und millionenfach zu tun haben, der Regierung dies vorwerfen. Es ist paradox. Wir haben, was die Scheinselbständigkeit betrifft, beim Bundesarbeitsminister eine Fachkommission eingerichtet, die sich aus Vertretern der Bundesministerien, Koalitionsfraktionen, der Wissenschaft und der Wirtschaft zusammensetzt. Ihre Aufgabe ist es, die Regelung im Hinblick auf ihre Zielsetzung zu überprüfen und eine Bestandsaufnahme vorzunehmen. Dabei ist die Befragung der betroffenen Wirtschaftsverbände und Unternehmen und somit auch Ihres Verbandes vorgesehen. Auf dieser Grundlage wird dann die Kommission Vorschläge zur Klarstellung, Ergänzung oder Änderung des Gesetzes erarbeiten.

Ein anders Thema: die Werbung. Durch eine Richtlinie der EU wurde ein Verbot der Tabakwerbung verhängt. Hier haben Sie die Bundesregierung auf Ihrer Seite, weil wir glauben, daß die vorherige Bundesregierung mit Recht Klage gegen die Richtlinie beim Europäischen Gerichtshof eingereicht hat und wir uns verpflichtet sehen, an dieser Klage festzuhalten. Darüber hinaus bekennen sich die Bundesregierung und der Bundeskanzler ausdrücklich zur Werbefreiheit. Diese ist nicht nur Bestandteil und Ausdruck gewerblicher Freiheit, sie ist und bleibt auch Motor eines expandierenden Wirtschaftszweiges. In Deutschland haben sich in den letzten 14 Jahren die Werbeinvestitionen mehr als verdoppelt. Sie werden im laufenden Jahr nach den mir vorliegenden Zahlen erstmals die 60-Milliarden-DM-Grenze überschreiten. Allein dies verdeutlicht die wirtschaftliche Bedeutung der Werbewirtschaft. 580 000 Arbeitsplätze sind unmittelbar und mittelbar mit ihr verbunden.

Nun ist die Diskussion über die Wirkung von Werbung so alt wie die Werbung selbst. In Ländern, in denen es in Europa keine Tabakwerbung gibt, steigt der Tabakkonsum an. In Ländern, in denen es keine Alkoholwerbung gibt, wie in einigen skandinavischen Ländern, kann der Alkoholkonsum überhaupt technisch nicht mehr ansteigen. Beide Seiten stützen sich hier, nämlich diejenigen, die von der Wirkung der Werbung reden und diejenigen, die ihre Wirkung in Frage stellen, in ihren Argumenten auf empirische Befunde. Auch im Bereich der Werbung ist der Kausalitätsnachweis von Werbung und Konsumverhalten bisher nicht eindeutig erbracht worden.

Unabhängig vom Nutzen eines Tabakwerbeverbotes hat die Richtlinie auch eine Reihe von grundsätzlichen Fragen aufgeworfen, die für mich Ausdruck finden in der Frage, ob die EU überhaupt die Kompetenz hat, eine solche Maßnahme unter dem Aspekt der wirtschaftlichen Harmonisierung zu ergreifen, denn das ist ja der vorgeschobene Grund. Im Kern geht es hier ja nicht um die Harmonisierung der Werbemaßnahmen und Werbegesetze in Europa, sondern um etwas anderes, den Gesundheitsschutz. Und es endet mit dem verblüffenden Widerspruch, daß ein legal hergestelltes, ja sogar stark subventioniertes Produkt, Tabak, nach dieser Richtlinie nicht beworben werden darf. Nach den Erfahrungen mit den belgischen Hühnern könnte ja eine Harmonisierung der Werbewirtschaft z. B. für Fleischprodukte ebenfalls dazu führen, daß wir künftig auch die Fleischprodukte nicht mehr bewerben werden. Wer sagt uns denn, daß nicht irgendeines dieser Fleischprodukte aus Portugal, Irland oder Belgien kommt, oder ob sich in ihnen Dioxinketten befinden? Wer schützt uns davor? Den europäischen Gesundheitsschutz zu einer prinzipiellen und zwar souveränen Entscheidungskompetenzfrage der Europäischen Union zu machen, kann Konsequenzen haben, die ich mir nur spaßeshalber ausmalen kann. Wir wissen z. B. daß es in Finnland die niedrigste Rate an Herzinfarkten gibt. Manche Leute führen das auf die Sauna, andere auf die Lebensweise zurück. Müssen wir darum befürchten, daß die Europäische Union dafür Sorge trägt, daß Menschen täglich in die Sauna gehen, um ein gesundes Herz zu gewährleisten?

Wie Sie wissen, gehen wir auch in einem anderen Punkt mit Brüssel nicht konform. Ich meine die von der EU-Kommission betriebene Aufhebung des gebundenen Ladenpreises für Bücher. Ich habe mich seit meiner Amtsübernahme massiv für das Fortbestehen dieser Buchpreisbindung ausgesprochen. Sie ist über 100 Jahre alt und hat der deutschen, österreichischen und schweizerischen Buchlandschaft die größte Dichte an Buchgeschäften in der Welt pro Kopf verschafft, die höchste Titelvielfalt, die höchste Frequenz der übersetzten Bücher aus anderen Sprachen, kurzum: Es ist eine kulturell europäische Errungenschaft. Es kümmert aber die Europäische Union nicht, sondern sie ist der Meinung, daß hier ein einheimisches und zwar ein grenzüberschreitendes Kartell existiert.

Bedenken wir nun, daß 80 % aller Bücher, die verkauft werden, deutsche Produkte sind. Sie werden aus Deutschland importiert. Wenn in Österreich der gebundene Ladenpreis aufgehoben wird, dann werden wir feststellen, daß damit in Österreich zweierlei Dinge fallen: 1. der Anspruch auf eine kulturelle Identität des österreichischen Verlagsgewerbes, denn selbstverständlich werden die deutschen Bücher der freien Marktwirtschaft ausgesetzt gegenüber den österreichischen Märkten, 2. wird damit natürlich die gesamte Buchpreisbindung aufgrund des Übergewichtes des deutschen Angebotes fallen. Umgekehrt ist dies aber nur machbar, wenn auch die Buchpreisbindung in Deutschland fällt. Denn, wie bitte, ist dies zu gestalten? Wir hätten verschieden ausgedruckte Preise für österreichische Bücher und für deutsche Bücher. Dies ist technisch bei einem Wareneinsatz von über 35 Mio. Einzelexemplaren pro Jahr nicht zu machen.

Die Autoren der Vorlage haben es sich zur Aufgabe gemacht, die Ladenpreisbindung auch in Deutschland zu verbieten, obwohl dies nicht ihre Aufgabe ist. Hier scheint auch der zuständige Kommissar nicht richtig informiert zu sein, denn er glaubt, es handle sich lediglich um die grenzüberschreitende Buchpreisbindung. Die Vorlage zielt jedoch auf beide Länder gleichermaßen.

Ich möchte zu bedenken geben, daß es auch im Zeitungsgewerbe gebundene Preise gibt. Wenn der Buchpreis fällt, ist der nächste Sturz vorprogrammiert. Wenn ich das Zeitungsverlegern erzähle, halten sie das für unmöglich. Aber ich habe bis vor kurzem auch den Fall des gebundenen Ladenpreises für Bücher für völlig unmöglich gehalten. Wir haben in Brüssel mit Sicherheit noch einiges zu gewärtigen.

Wir wissen jedenfalls, daß nach Aufhebung des gebundenen Ladenpreises nur noch ein Bruchteil der Bücher, die wir hier heute zur Verfügung haben, veröffentlicht werden können, daß von 3200 Buchgeschäften ca. 800 überleben werden, daß wir etwa 10 000 arbeitslose Buchhändlerinnen und -händler, alles binnen 3 Jahre, zu beklagen haben werden, daß der durchschnittliche Buchpreis nicht sinken, sondern steigen wird. Das hat etwas zu tun mit der Bestsellerkultur unserer Kultur, d. h. , die Bestseller werden in der Lizenzanschaffung immer teurer, aber, um sie auf dem Markt durchsetzen zu können, müssen sie in hoher Stückzahl zu niedrigen Preisen verkauft werden. Für den Verleger heißt dies, das Risiko zu spreizen. Mithin werden diejenigen Bücher, die nicht als Bestseller ins Rennen gehen, und dies sind etwa 95 % der Bücher, verteuert. In entsprechenden Großexperimenten, nämlich in England und in Frankreich, hat sich dann der durchschnittliche Buchpreis um 15 % inflationsbereinigt erhöht. Dieses alles angeblich zugunsten des Verbrauchers.

Meine Damen und Herren, auch die Gestaltung des Weges in die Informationsgesellschaft ist Aufgabe der Medienpolitik der Bundesregierung. Die Bundesregierung begleitet diese Entwicklung, die ja keineswegs nur durch technische, sondern auch durch kulturelle Aspekte bestimmt ist, aufgeschlossen. Bei allen Innovationen gibt es auch hinsichtlich der digitalen Medien eine heftige Debatte. Euphorische Stimmen erheben sich auch in Ihren Kreisen bisweilen gegen die Klagen von Kulturpessimisten, die mit dem Internet den Untergang des Abendlandes heraufziehen sehen.

Ich muß Sie enttäuschen: Auch hier liegt die Wahrheit wieder einmal in der Mitte. Wir müssen die Chancen nutzen, die die neuen Techniken bieten: eine schnellere, weltweite Kommunikation in Privat- und Geschäftsleben, in Wissenschaft und Medizin. Das Internet wird uns die Kommunikation und die Information nach Hause bringen. Es wird jedoch nicht für uns sprechen können und uns nicht die Arbeit abnehmen, die aktive Informationsaufnahme und -verarbeitung bedeuten. Wir werden auch nur dann über Tausende von Kilometer hinweg chatten und langfristige Kontakte knüpfen können, wenn wir die für erfolgreiche Kommunikation notwendigen sozialen und sprachlichen Kompetenzen erlernt haben. Wir müssen dafür sorgen, daß wir all die neuen Kommunikations- und Informationstechniken immer als Mittel zum Zweck verstehen und so damit umgehen. Und Zweck kann doch nur sein: die menschliche Selbstartikulation, die Kommunikation zwischen Menschen sowie die Erfahrung von und Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit."Das Leben spielt sich nun einmal nicht auf den Datenautobahnen, sondern vor unserer Haustür ab!", sagte Roman Herzog neulich und hatte damit sehr Recht.

Was tut nun in diesem Feld die Bundesregierung? Nur ein paar Beispiele: Sie fördert die praktische Einführung und Anwendung in vielen konkreten Projekten, z. B. im Städtewettbewerb "media @com" Das von ihr initiierte Forum "Informationsgesellschaft" erarbeitet in fünf Arbeitsgruppen ( Frauen, Senioren, Bildung, Demokratie und Verwaltung, nachhaltige Entwicklung ) Konzepte für die Einführung von neuen Medien und läßt diese umsetzen. In verschiedenen Forschungsprojekten wird die Anwendung des Computers und der Online-Praktiken wissenschaftlich begleitet. Dies bietet eine wichtige Grundlage für weitere politische und gesellschaftliche Schlußfolgerungen.

Das fortschreitende technische Zusammenwachsen von Telekommunikation, traditionellen Medien und neuen Informations- und Kommunikationsdiensten läßt das klassische Handlungsinstrumentarium des Staates an seine Grenzen stoßen. Denken Sie nur an den Mißbrauch im Internet: Pornographie - Gewaltverherrlichung, Rechtsradikalismus, Neonazismus im Internet.

In diesem großen, fast unregulierbaren Feld bietet die Selbstkontrolle der Medien einen wichtigen Anker. Sie hat sich gerade in Deutschland, aber auch in vielen anderen Ländern Europas als sachnahes, flexibles und wirksames Instrument zur Wahrung öffentlicher Interessen, z. B. des Jugendschutzes und des Schutzes des Persönlichkeitsrechts, erwiesen. Wie flexibel die Kräfte der Selbstkontrolle sind, haben Sie selbst gezeigt: Der BDZV, einer der Träger des Deutschen Presserates, hat zusammen mit anderen Medienverbänden und Unternehmen die "Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia" ( FSM ) gegründet und damit Verantwortungsbewußtsein als Anbieter von Inhalten im Netz zum Ausdruck gebracht. Der Erfolg dieser Einrichtung dokumentiert sich darin, daß schon etwa 300 deutsche Unternehmen sich verpflichtet haben, den Verhaltenskodex der FSM einzuhalten. Und die Beschwerdestelle der FSM nimmt im Jahr rund 200 Beschwerden von Bürgern entgegen.

Die Regierung unterstützt aus liberalen Prinzipien Selbstorganisation dieser Art. Sie hat auch deswegen im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft das internationale Seminar "Selbstkontrolle in den Medien auf europäischer Ebene" in Saarbrücken organisiert. Hier sollte der Frage nachgegangen werden, inwiefern sich die Selbstkontrolleinrichtungen in den EU-Mitgliedstaaten auch grenzüberschreitend untereinander informieren und konsultieren sollten. Hier konnte folgende Erfahrung gemacht werden: Während die Engländer mit der Idee der Selbstkontrolle keine Probleme haben, ist in den Ländern, die eher zentralistisch organisiert sind ( Frankreich, auch Belgien ) eine ganz massive Sehnsucht nach staatlicher Kontrolle -auch in den Medien- zum Nachteil der Medienselbstkontrolle festzustellen. Wir werden darauf achten müssen, daß dieses, in Deutschland ja vor allem nach der Erfahrung der zentralen staatlichen Zensur, sehr bewährte Element nicht ebenfalls nach Brüsseler Brauch wegharmonisiert wird.

In der Diskussion über die Notwendigkeiten und Möglichkeiten der Regulierung des Internets gibt es eine starke Strömung, die dem Staat inzwischen jede Legitimation abspricht, auf das weltweite Computernetz irgendeinen Einfluß auszuüben. Das hat natürlich zu tun mit der bereits erwähnten partiellen Ohnmacht. Ich meine jedoch, der Staat ist und bleibt verpflichtet, die Rechte seiner Bürger vor denjenigen zu schützen, die das Netz mißbrauchen. Es kommt nur auf die Art und Weise an, wie er das tut. Rechtsfreie Räume darf es gewissermaßen in der virtuellen Welt nicht geben, und es gibt sie nicht. Denn die Gesetze existieren ja alle, die Mißbrauch dieser Informationsmöglichkeiten unter Sanktionen stellen, nur sie sind sehr schwer anzuwenden.

Die Bundesregierung hat im Auftrag des Parlamentes inzwischen einen Evaluierungsbericht zum Informations- und Kommunikationsdienste-Gesetz vorgelegt. Er wird in Kürze dem Bundestag und Bundesrat zugeleitet. Ohne dem Bericht vorgreifen zu wollen, kann ich Ihnen soviel verraten: Der geschaffene Rechtsrahmen hat sich nach Auffassung der Fachleute im wesentlichen bewährt. Der Gesetzgeber wird einige flankierende Maßnahmen zu treffen haben, um die Entwicklung der neuen Dienste auch in Deutschland weiter voranzubringen. Daneben stehen die gegenwärtig im europäischen und darüber hinaus im internationalen Rahmen zu beratenden Neuregelungen zum Urheberrecht und zum elektronischen Geschäftsverkehr.

Meine Damen und Herren, ich sprach und spreche von der "Kommunikationsrevolution" und den Zeitungen. Sie hätten mich falsch verstanden, wenn Sie meinen, ich sehe die Zeitungen nur als ein "Opfer" dieser Revolution. Ich glaube und weiß, daß Sie in der guten Lage sind, die künftige Entwicklung in den Medien und damit auch die Kommunikation in unserer Gesellschaft zu prägen:

durch einen Journalismus, der ethischen Maßstäben folgt,

durch eine Verlagspolitik, die die gesellschaftliche Rolle der Medien nicht vergißt,

durch medienpädagogische Arbeit, die Kindern und Jugendlichen die Kulturtechnik Lesen und damit auch die Lebenswelten der Erwachsenen und der Zukunft unserer Gesellschaft erschließt. Die Zeitung ", hat Hegel einmal gesagt," ist der rechte Morgensegen ". Ich wünsche mir und Ihnen, daß er uns noch im nächsten Jahrhundert erhalten bleibt.