Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 10.12.2001

Untertitel: "Die Luftfahrt ist in eine schwierige Situation gekommen. Konjunkturelle Schwankungen kennen Sie, haben Sie in den letzten Jahren immer aus eigener Kraft bewältigt."
Anrede: Sehr geehrter Herr Macht, sehr geehrter Herr Weber, meine sehr verehrten Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/76/65276/multi.htm


Die Luftfahrt ist in eine schwierige Situation gekommen. Konjunkturelle Schwankungen kennen Sie, haben Sie in den letzten Jahren immer aus eigener Kraft bewältigt. Darauf waren und können Sie zu Recht stolz sein. Aber Ereignisse wie die des 11. Septembers berühren keine Branche so sehr wie Ihre Branche. Deswegen sage ich von vornherein: Es wäre nicht fair, wenn Sie, Ihre Branche und die Lufthansa diese besondere Situation allein verantworten, allein tragen müssten.

Wir kennen die Zahlen, aber es macht vielleicht Sinn, sie auch noch einmal einer interessierten Öffentlichkeit über diesen Kreis hinaus zu nennen. Im Zusammenhang mit dem 11. September sind - ohne, dass ein Einziger der hier Beschäftigten etwas dazu konnte - 30 Prozent des Geschäftes im Nordatlantikbereich und 15 Prozent weltweit zusammengebrochen. Nach dem, was ich heute vom Vorstand mitbekommen habe, ist aktuell zwar keine weitere Verschärfung in Sicht, aber von einem Durchstarten kann eben auch noch nicht die Rede sein.

Also geht es darum - das muss jedem in Deutschland und darüber hinaus klar sein - , dass die Bundesregierung ein eminentes Interesse daran hat, eine starke Lufthansa als Unternehmen in und für Deutschland zu erhalten. Ich will hinzufügen: Dieses Interesse ist nicht etwa deshalb weniger geworden, weil wir nicht mehr Direkt-Miteigentümer des Unternehmens sind. Auch als wichtiges, großes Verkehrsunternehmen - auch und gerade der Arbeitsplätze wegen - liegt uns das Schicksal dieser Fluglinie am Herzen, und wir haben mit Befriedigung festgestellt, dass es die ganze Zeit über so gewesen ist, dass die Lufthansa eines der führenden Luftverkehrsunternehmen - nicht nur in Europa, sondern in der Welt - gewesen ist und - ich bin dessen sicher - auch bleiben wird.

Was haben wir also zu tun? Wir haben dafür zu sorgen, dass international und national Bedingungen hergestellt oder neu geschaffen werden, die es der Lufthansa ermöglichen, ihre Stärke, ihre Kraft, die sie unter Beweis gestellt hat, auch in Zukunft auf den Märkten der Welt zu beweisen. Also heißt das: Wir müssen miteinander Wettbewerbsverzerrungen zu ihren Lasten verhindern, und wir müssen - ich werde darauf zu sprechen kommen, wo das konkret geht - dafür sorgen, dass sie nicht schlechter gestellt wird - zumal im Wettbewerb innerhalb Europas - als andere Fluglinien. Wenn beide Bedingungen erfüllt sind, dann bin ich sicher, dass das Unternehmen wie in der Vergangenheit so auch in Zukunft durch eigene Kraft seine Aufgaben bewältigen wird.

Wir müssen darüber hinaus ein Drittes tun. Ich glaube, wir alle - insbesondere die politisch Verantwortlichen - müssen deutlich machen, dass es keinen Grund gibt, aus dem 11. September die Konsequenz zu ziehen, weniger mobil zu sein, also nicht mehr zu fliegen. Wenn eines nicht passieren darf, dann dies. Die Terroristen dürfen ihr Ziel, den internationalen Flugverkehr lahm zu legen oder einzuschränken, was auch eines ihrer Ziele war, nicht erreichen. Sie dürfen nicht gewinnen, und sie werden auch nicht gewinnen.

Jetzt komme ich zu den Punkten, um die es geht. Der Vorstandsvorsitzende hat darauf hingewiesen: Wenn der Rahmen stimmt, dann schafft es das Unternehmen aus eigener Kraft. Ich unterstreiche das nachdrücklich; denn anders als andere - das ist auch eine Frage von Image, nicht nur eine Frage von Wettbewerb - war die Lufthansa nicht auf Subventionen angewiesen, und unser gemeinsames Ziel muss sein, dass das auch in Zukunft so bleibt. Deswegen ist nicht der Ruf nach dem Finanzminister - wie immer er heißen mag - richtig, sondern der Ruf nach Rahmenbedingungen und das Vertrauen auf die eigene Kraft.

Was heißt das für die Probleme, die wir vor uns haben? Zunächst einmal: Versicherung und die damit zusammenhängenden Kosten. Es ist bekannt, dass das in Europa anfangs unterschiedlich geregelt war, und es ist auch bekannt, dass die Finanzminister - wie sie nun einmal sind - gesagt haben: Wenn wir eintreten, als die Versicherungen ihre Leistungen gekündigt hatten, dann kostet das etwas. Wir haben uns zusammengesetzt, und ich habe auch Briefe bekommen, in denen es hieß: Ihr müsst für eine Übergangszeit, bis wir neue Verträge haben, dafür sorgen, dass weiter geflogen werden kann, und zwar so geflogen werden kann, dass die Lufthansa nicht schlechter gestellt ist als andere in Europa. Es gibt jetzt diese Haftung des Staates, die eingetreten ist, in der Europäischen Union, ursprünglich bis zum 31. Januar, inzwischen mit der Möglichkeit der Verlängerung bis zum 31. März. So weit ich weiß, nimmt kein europäisches Land für diese Quasi-Bürgschaften Gebühren. Also wird der deutsche Finanzminister auch keine bekommen.

Zweitens- Herr Weber hat darauf hingewiesen - müssen wir dafür sorgen, dass bis zu diesem Zeitpunkt, also spätestens bis zum 31. März nächsten Jahres, Versicherungsverträge neu abgeschlossen werden. Wir haben bei unserem Treffen im November, als wir dieses Treffen hier verabredet hatten - ohne jeden Einzelnen zu fragen - , vereinbart, dass sich Bundesregierung, Versicherungsgesellschaften - da geht es um die großen Rückversicherer, aber auch um die Direktversicherer - und das Unternehmen Lufthansa zusammensetzen und eine Regelung finden, wie das Verhältnis zwischen Haftung über Versicherungen und darüber hinausgehende Staatshaftung - wenn sie denn nötig ist - geregelt werden soll. Meine Vorstellung ist, dass wir uns nicht bis Ende März Zeit lassen, sondern im Januar darüber Klarheit schaffen. Noch vor Weihnachten werden auf der Ebene der Mitarbeiter, der Staatssekretäre und der Unternehmensleitung hier und sicherlich entsprechend bei den Versicherungen die Gespräche begonnen. Und wir werden Druck machen, dass sie bis Ende Januar abgeschlossen werden können, damit Sicherheit im Luftverkehr auch in dieser Frage hergestellt werden kann.

Herr Weber hat über die Subventionspraxis bei anderen Luftverkehrsgesellschaften geredet und sich darüber beschwert, und dies hat er zu Recht getan, denn natürlich betrifft es Sie negativ, wenn andere Staaten ihre Luftverkehrsgesellschaften subventionieren und auf diese Weise Wettbewerb verzerren. Innerhalb Europas haben wir Interventionsmöglichkeiten - ich muss sagen: innerhalb der Europäischen Union, denn zum Beispiel die Schweiz gehört zu Europa, ist aber nicht Mitglied der Europäischen Union, wie hier jeder weiß. Innerhalb Europas gibt es ein System der Beihilfengenehmigung und der Beihilfenkontrolle, das verhindern soll, dass eine Subventionspraxis einreißt, die dem einen nutzt und dafür allen anderen, die sich marktgerecht verhalten, schadet. Ich denke, wir müssen innerhalb des integrierten Europa - wir werden das tun - darauf achten, dass es zu keinen negativen Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten der Lufthansa kommt. Wir werden alle Instrumente des europäischen Beihilferechts ausnutzen, um dafür zu sorgen.

In diesem Zusammenhang: Es gibt auch ein Problem in Deutschland. Sie haben Kollegen im Luftverkehr; es gibt ja nicht nur die Lufthansa oder - als Ferienflieger - Condor, sondern es gibt zum Beispiel die LTU. Sie haben sicherlich darüber gelesen, dass Ihre Kollegen in nicht zu verachtenden, viel größeren Schwierigkeiten, was deren Arbeitsplätze angeht, stecken, als es bei Ihnen der Fall ist, obwohl es hier auch schwierig genug ist; das will ich damit gar nicht relativieren. Ich denke, es ist nur fair, wenn der Lufthansa-Vorstand sagt: Wenn denen geholfen werden kann und muss, dann nur im Einklang mit den dazu existierenden Vorschriften. Das ist in Ordnung, und das ist fair. Dadurch wird nicht versucht, zu Lasten eines Wettbewerbers und zu Lasten von organisierten Kolleginnen und Kollegen Geschäfte zu machen. Unsere Aufgabe wird sein, dafür zu sorgen, dass die Bedingungen auch eingehalten werden können.

Herr Weber, Sie haben die Schweiz angesprochen. Können Sie mir einmal einen Rat geben, was ich mache, wenn sich die Schweiz so verhält, wie sich ein Land, das nicht der Europäischen Union angehört, also nicht den Regeln der Europäischen Union unterworfen ist, zwar nicht verhalten sollte, es aber leider tut? Wir wollen die Eidgenossen nicht bedrohen, das können wir ausschließen.

Wir müssen auf anderem Weg erreichen, dass das aufhört. Das kann man auf der Regierungsebene in Gesprächen - das wird der Verkehrsminister sicherlich auch tun - , aber wir haben relativ geringe Zwangsmöglichkeiten, was diese Art der Subventionierung außerhalb der Europäischen Union angeht. Ich finde, die Fairness gebietet, dass man das auch sagt.

Dann haben Sie über die Frage geredet: "Wie geht es mit den Sicherheitsstandards weiter?" Sie wissen, dass wir in Europa dabei sind, die Sicherheitsstandards, die den Flugverkehr betreffen, zu vereinheitlichen. Das ist auch richtig so. Wir haben aber als Deutsche relativ geringe Möglichkeiten, die Umsetzung dessen, was wir vereinbart haben, an jedem einzelnen Flughafen zu kontrollieren. Da haben Sie größere Möglichkeiten als wir. Deswegen müssen wir auf diesem Gebiet zusammenarbeiten. Wir erfahren in aller Regel nicht, wann und wie Regeln, die wir einander gegeben haben, auf einem Flughafen in X oder Y, in welchem Land auch immer, umgesetzt werden. Wir können das als Bundesregierung auch nicht erfahren. Also muss es hier eine Zusammenarbeit geben, damit man intervenieren kann, wenn Sicherheitsstandards zur einen wie zur anderen Seite nicht eingehalten werden.

Man muss in der jetzigen Situation noch eine Weile verstehen, dass es in den Vereinigten Staaten Reaktionen gibt, die wir vielleicht als zu weit gehend betrachten. Ich habe auch keine Möglichkeit, Ihnen glaubwürdig zu versprechen, dass ich da eingreifen könnte. Das wird in der Situation, in der man dort ist, wie ich finde, noch für eine Weile zu tolerieren sein. Aber das heißt ja nicht, dass wir in den internationalen Organisationen nicht das erreichen müssten, was wir in Europa erreicht haben. Es gibt dann einen Punkt, der mit Gebühren zusammenhängt, die die Luftüberwachung erhebt. Das ist - ich weiß es wohl - zwar eine GmbH, also ein privatrechtlich organisiertes Unternehmen, aber der Bund ist dort zu 100 Prozent Eigentümer, hat also einen gewissen Einfluss auf die Gebührengestaltung. Ich will gar nicht bestreiten, dass das so ist.

Ich denke, wir müssen mit den Zuständigen darüber reden, ob es gerade in der jetzigen Situation angemessen und vernünftig ist, eine neue Gebührenpolitik zu betreiben. Auch das muss am europäischen Standard gemessen werden, damit es auf diesem Gebiet nicht zu Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten der Lufthansa kommt.

Es ist dann über die Frage geredet worden: Wie schaffen wir es, zu mehr Sicherheit am Boden, also auf den Flughäfen, zu kommen, und was können wir tun, um mehr Sicherheit in den Flugzeugen selbst zu schaffen? - Sie wissen, dass wir gut ausgebildete Menschen auf ausgewählten und wechselnden Strecken einsetzen, die Mitglieder des Bundesgrenzschutzes sind; natürlich in Absprache mit dieser Fluggesellschaft, um zusätzliche Sicherheit herzustellen.

Wir werden darüber zu reden haben, in welcher Form ein Stufenmodell realisiert werden kann. Man kann aus Kostengründen unmöglich - Sie wissen das alle hier am Tisch - jeden Flug mit einem oder mehreren Sicherheitsbegleitern ausrüsten. Zum einen haben wir das Personal nicht, zum anderen würde das den Kostenrahmen, der vertretbar ist, sprengen. Aber man kann ein System gestufter Sicherheit schaffen und auf den sensibelsten Strecken solche Flugbegleiter einsetzen, und wir werden das tun. Dies wird in enger Absprache mit der Fluggesellschaft, der Lufthansa, zu realisieren sein.

Wir müssen uns darum kümmern, was auf dem Boden los ist, wobei wir das Problem haben, dass die Bewachung hier nicht einheitlich ist. Ich könnte das an den hessischen Ministerpräsidenten weitergeben. Aber so leicht will ich es mir nicht machen. Ich denke, dass wir das gesamte Sicherheitsproblem auf den Flughäfen und in der Luft einheitlich behandeln müssen, und der Bundesinnenminister ist mit seinen Innenministerkollegen dabei. Auf diese Weise können wir ein vernünftiges Modell entwickeln, das wir möglichst europäisch erweitern. Dieses Modell kann dann vielleicht auch in den internationalen Organisationen durchgesetzt werden.

Ich will damit deutlich machen, dass wir uns in den nächsten zwei, drei Monaten in einer sehr umfassenden Weise auf einen Sicherheits- und Wettbewerbskodex sowie darauf verständigen müssen, wie wir die Fragen der Haftung für Unfälle miteinander regeln können. Die Vorgespräche dazu laufen, und wir haben nicht lange Zeit. Je früher wir das schaffen, desto stärker ist auch der Vertrauenszuwachs, den es bezogen auf den internationalen Luftverkehr wieder gibt.

Ich möchte gern die Gelegenheit nutzen, um mich bei Ihnen für die Art und Weise zu bedanken, wie sich Gewerkschaften, Betriebsrat und Geschäftsleitung in einer außerordentlich schwierigen Situation aufgrund der nachlassenden Außenkonjunktur und nach dem 11. September als Unternehmen aufgestellt haben und wie man sich bewegt hat.

Andere Wettbewerber - zum Beispiel in den Vereinigten Staaten - haben ihr Heil darin gesucht und leider auch gefunden, massenweise Leute auf die Straße zu setzen, also Menschen - wie das in diesem wunderbaren Ausdruck so schön heißt - "freizustellen", als ob das der Inhalt von Freiheit wäre, dass man arbeitslos wird. Nein,"auf die Straße zu setzen" ist schon der richtige Ausdruck.

Ich finde es gut, dass bei Lufthansa ein anderer Weg gewählt worden ist, der für Einzelne aber auch schmerzhaft ist. Es sind ja nicht alle Mitglieder von Cockpit, die hier beschäftigt sind. Über Lohn- und Gehaltsreduzierungen üben Sie ein Stück aktiver Solidarität mit denen, die sonst entlassen worden wären.

Übrigens: Dieses Stück aktiver Solidarität - das freut mich; das ist auch nicht überall der Fall, sollte aber Mode werden - hat sogar der Vorstand geübt. Ich finde, das gehört auch einmal anerkannt. Wie gesagt: Das kann einmal zum Modell für andere Unternehmen werden. Das wäre gar nicht so falsch. Aktive Solidarität heißt hier: Lohnverzicht zugunsten des Erhalts von Arbeitsplätzen.

Mit dieser Entscheidung bei Lufthansa ist ein Zeichen gesetzt worden, das weit über dieses Unternehmen und diese Branche hinaus geht, jedenfalls gehen sollte. Das, was hier passiert ist - das lohnt unterstrichen zu werden - , ist übrigens nicht nur ein Stück Solidarität. Es ist auch ein Stück Zukunftssicherung für das Unternehmen selbst. Das kann man genauso gut sagen. Wir haben nämlich in vielen Branchen in jeder Konjunkturdelle das Problem gehabt, dass nach Überwindung der Konjunkturdelle jene Menschen, die entlassen worden sind, deren Kenntnisse und Fähigkeiten entwertet wurden, bitter gefehlt haben. Deswegen ist es für dieses Unternehmen auch ein Stück aktive Zukunftssicherung, dass man die Leute gehalten hat, damit sie, wenn es wieder besser läuft, noch da sind und qualifizierte Arbeit leisten können.

Ich hoffe, ich habe Ihnen deutlich gemacht, dass die Bundesregierung - das betrifft mich auch persönlich - sehr wohl um den Wert dieses Unternehmens weiß. Wir sind daran interessiert, in Deutschland eine Fluglinie zu haben, die international wahrhaft konkurrenzfähig ist und zu den Besten in dieser Branche auf der Welt gehört

Das werden wir miteinander in sehr enger Abstimmung zwischen Vorstand und Betriebsrat auf der einen sowie Bundesregierung auf der anderen Seite beraten. Wir werden die Wettbewerbsverzerrungen im internationalen Maßstab, die wir gemeinsam feststellen, mit den uns zur Verfügung stehenden Möglichkeiten auch zurückweisen. Ich denke, wir werden auf diese Weise einen gemeinsamen Beitrag dafür leisten, dass es der Lufthansa nach Überwindung der Krise wieder so gut geht wie vor der Krise - als es immerhin so war, dass 30 Prozent der Gewinne der internationalen Luftfahrt bei der Lufthansa landeten. Das ist doch ein schönes Ziel. Da sollten wir wieder hinkommen.