Redner(in): Hans Martin Bury
Datum: 12.12.2001

Untertitel: Viel zu lange wurde die Debatte über Nachhaltigkeit so geführt - oder zumindest in weiten Teilen der Öffentlichkeit so wahrgenommen - als ginge es vor allem um Einschränkungen.
Anrede: Sehr geehrter Herr Fücks, sehr geehrte Damen und Herren,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/18/65218/multi.htm


Nachhaltigkeit als Modernisierungsstrategie - was denn sonst möchte man fragen?

Viel zu lange wurde die Debatte über Nachhaltigkeit so geführt - oder zumindest in weiten Teilen der Öffentlichkeit so wahrgenommen - , als ginge es vor allem um Einschränkungen. Um Verzicht zugunsten einer intakten Umwelt. Noch immer denken viele Bürgerinnen und Bürger bei Nachhaltigkeit eher an Konservierung als an Modernisierung.

Das wollen wir ändern. Nachhaltigkeit ist mehr als die Fortsetzung der Umweltpolitik mit anderen Mitteln.

In der Nachhaltigkeitsidee steckt ein immenses Innovationspotenzial für Wirtschaft, Umwelt und Gesellschaft. Das werden wir erschließen. Der Titel der heutigen Veranstaltung beschreibt insofern genau den Ansatz unserer Nachhaltigkeitsstrategie.

Nachhaltigkeit ist der rote Faden, der sich durch alle Bereiche unserer Reformpolitik zieht, von der Haushaltskonsolidierung über die Steuerreform, das Altersvermögensgesetz, Bildung und Forschung bis hin zur Energiewende und der Neuorientierung der Landwirtschaft.

Ziel der Nachhaltigkeitsdebatte ist es, eine ausgewogene Balance zwischen den Bedürfnissen der heutigen Generation und den Lebensperspektiven künftiger Generationen zu finden, also Verantwortung für die Lebensbedingungen künftiger Generationen zu übernehmen.

Dementsprechend breit angelegt ist das Themenspektrum: Es geht um Generationengerechtigkeit, sozialen Zusammenhalt, Lebensqualität, und internationale Verantwortung - diese vier Koordinaten bilden das Gerüst unserer Nachhaltigkeitsstrategie.

Da die Veranstalter der heutigen Konferenz die ökonomische Dimension der Nachhaltigkeit in den Vordergrund gestellt haben, will ich mich auf diesen Aspekt konzentrieren ( - auch wenn die Idee der Nachhaltigkeit gerade von der Integration ökonomischer, ökologischer und sozialer Aspekte lebt ) :

Zu den wichtigsten Voraussetzungen für eine zukunftsfähige Politik gehören solide Finanzen.

Die Regierung Kohl hatte bis 1998 1,5 Bio. DM Schulden angehäuft, für die wir Jahr für Jahr 80 Mrd. DM Zinsen zahlen müssen. Anstatt die Haushaltsprobleme zu lösen, wurden die Lasten einfach in die Zukunft verschoben und der Gestaltungsspielraum für kommende Generationen eingeengt. Mit Nachhaltigkeit hatte das nichts zu tun.

Die Bundesregierung hat diese Entwicklung gestoppt und die Neuverschuldung kontinuierlich reduziert. Und diesen Kurs werden wir auch in stürmischen Zeiten halten.

Unser Ziel ist ein ausgeglichener Haushalt bis 2006. Mit der Sanierung der öffentlichen Finanzen gewinnen wir Gestaltungsspielräume für jetzige und kommende Generationen zurück. Haushaltskonsolidierung ist praktizierte Generationengerechtigkeit.

Um langfristige ökonomische Tragfähigkeit und Generationengerechtigkeit ging es auch bei der Reform der Altersvorsorge. Seit langem war absehbar, dass das alte Umlageverfahren allein die Auswirkungen der demografischen Entwicklung, der Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt und der gewandelten Erwerbsbiografien nicht auffangen kann.

Wir haben diese Aufgabe angepackt und das umlagefinanzierte System der gesetzlichen Rentenversicherung um eine kapitalgedeckte private und betriebliche Altersvorsorge ergänzt. Wer vorsorgt, wird vom Staat unterstützt.

So bekommt eine Familie mit zwei Kindern, die 90 DM im Monat spart, vom Staat 110 DM dazu. Aber die Entscheidung darüber, ob und in welcher Form privat in die Altersvorsorge investiert werden soll, liegt beim einzelnen Bürger.

Im Kern geht es um eine neue Balance von Eigenverantwortung und gesellschaftlicher Solidarität. Der Einzelne wird in Zukunft stärker als bisher Verantwortung übernehmen müssen. Dazu wollen wir die Menschen befähigen und die notwendigen Handlungsspielräume eröffnen.

Drittes Beispiel für die ökonomische Dimension von Nachhaltigkeit ist der Energiebereich. Lange Zeit wurde die Energiewende vor allem unter ökologischen Vorzeichen - Stichwort: Klimaschutz - diskutiert.

Angesichts immer knapper und damit teurer werdender Ressourcen ist der sparsame Umgang mit endlichen Ressourcen nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch ein Gewinn.

Um die Energiewende voranzutreiben setzt die Bundesregierung sowohl auf den massiven Ausbau erneuerbarer Energien als auch auf eine Steigerung der Energieeffizienz. Beides mit positiven Effekten für Wachstum und Beschäftigung.

Das 100. 000-Dächer-Programm zur Förderung der Photovoltaik und das EEG - das Gesetz zur Förderung erneuerbarer Energien - haben eine gewaltige Nachfrage nach entsprechenden Anlagen ausgelöst.

Vom Aufschwung in diesem Bereich profitieren vor allem die kleinen und mittleren Betriebe: Die Ingenieur- und Planungsbüros, die Hersteller von Komponenten für Windräder oder Photovoltaikanlagen und viele Handwerksbetriebe, die solche Anlagen installieren und warten.

Die Folgen des Auftragsbooms: Deutsche Anlagenbauer in den Bereichen Wind- , Wasser- und Solarenergie sind inzwischen weltweit führend. Insgesamt sind schon rund 120.000 Menschen im Bereich erneuerbarer Energien beschäftigt. Und das sind überwiegend Arbeitsplätze, die nicht "exportiert" werden können. Aber Produkte, die wir weltweit exportieren können.

Je konsequenter wir diesen Weg fortsetzen, desto größer sind die Chancen, den Know How-Vorsprung in Sachen Energie- und Ressourceneffizienz zu halten und auszubauen.

Deshalb haben wir in der Nachhaltigkeitsstrategie eine Reihe von Pilotprojekten auf den Weg gebracht:

Off-shore-Windparks, virtuelles Kraftwerk, Zero-Emission-Car. Parallel zum Ausbau der erneuerbaren Energien brauchen wir eine Effizienzrevolution. Im Energiebereich und darüber hinaus. Denn je weniger Energie und Rohstoffe wir in Produktion oder Dienstleistung einsetzen müssen, desto höher wird die "Gewinnspanne" für Umwelt und Wirtschaft.

Wissenschaftler gehen davon aus, dass bei optimaler Nutzung der heute bereits vorhandenen Technologien die Ressourcenproduktivität mindestens um den Faktor Vier gesteigert werden könnte. Das hieße:

Doppelter Wohlstand bei halbem Verbrauch.

Wie weit die "Dematerialisierung" der Produktion gehen kann, zeigen Effizienzsteigerungen beim Wasserverbrauch. Um 1900 brauchte man eine Tonne Wasser, um ein einziges Kilogramm Papier zu erzeugen. 1990 waren es nur noch 64 Kilogramm. Heute arbeiten die modernsten Papierfabriken mit nahezu geschlossenen Kreisläufen, die mit 1,5 Kilogramm Frischwasser auskommen.

Natürlich lassen sich solche Einsparungen nicht überall erzielen. Aber das Beispiel macht die Richtung deutlich, in die wir gehen müssen.

Von solchen fast geschlossenen Stoffkreisläufen profitieren Betriebe übrigens nicht nur im Hinblick auf sinkende Kosten für Rohstoffe. Lebensqualität ist nicht nur eine Koordinate unserer Nachhaltigkeitsstrategie, sondern auch ein immer wichtiger werdender Standortfaktor in einer wissensbasierten Ökonomie.

In der Informations- und Wissensgesellschaft des 21. Jahrhunderts sind Köpfe und Können entscheidend für wirtschaftlichen Erfolg. Deshalb gibt es auch und gerade aus ökonomischer Sicht keine bessere Modernisierungsstrategie als die Nachhaltigkeit.

Es bedurfte nicht der Ergebnisse der PISA-Studie um die Bedeutung des Themas Bildung in diesem Zusammenhang zu erkennen. Aber vielleicht trägt PISA dazu bei, endlich die notwendige Zukunftsorientierung auch da durchzusetzen, wo sie ja wirklich auf der Hand liegt.

Der Bund hat in seinem Verantwortungsbereich die notwendige Neuorientierung schon eingeleitet. Andere werden das noch tun müssen.

Wobei eines auch klar sein muss:

Nachhaltigkeit lässt sich nicht staatlich verordnen. Nur wenn die Akteure in Wirtschaft und Gesellschaft das Thema zu ihrer eigenen Sache machen, werden wir Erfolg haben. Wer als Unternehmer investiert oder als Verbraucher konsumiert, bestimmt über die zukünftige Entwicklung ebenso wie der Staat mit seinen Gesetzen und Programmen.

Deshalb brauchen wir eine möglichst breite gesellschaftliche Verständigung über das Leitbild Nachhaltigkeit. Und wir brauchen ein Managementkonzept mit Indikatoren, Orientierungswerten und Zielen. Damit wir nicht nur wissen, wohin wir wollen, sondern auch wie wir unser Ziel erreichen.

Lassen sie uns den Weg gemeinsam beschreiben und beschreiten.