Redner(in): Julian Nida-Rümelin
Datum: 01.02.2002

Untertitel: "Ich bin der Auffassung, wir müssen nicht nur die verschiedenen Initiativen voranbringen, sondern wir müssen uns auch überlegen, ob bestimmte Weichenstellungen neu vorgenommen werden müssen."
Anrede: Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/03/71103/multi.htm


Frau Präsidentin! An Sie gerichtet, Herr Börnsen: Sie haben hier eine Kurzfassung der aristotelischen Theorie der Katharsis geliefert. [...]

Kathartische Wirkung kann aber nicht nur der Unterhaltungsfilm haben, sondern auch der künstlerisch anspruchsvolle Film. Ich denke, wir haben viele Beispiele in Erinnerung.

Wenn man sich die beiden Anträge der SPD-Fraktion und der Unionsfraktion ansieht, erkennt man, dass es zwischen den beiden großen Parteien in den Grundlinien doch eine erstaunlich große Übereinstimmung gibt, in welche Richtung sich die Filmpolitik, die Filmförderung in Deutschland entwickeln sollte. Es gibt aber auch Extreme in dieser Position. ...]

Der eine Pol sitzt hier im Bundestag - Herr Otto hat dafür gesprochen - und lässt sich im Kern auf folgende Position reduzieren: Wir sollten den anspruchsvollen, an ein kleines Publikum gerichteten schwierigen Film fördern, aber den Kinofilm ansonsten aus der Förderung durch Abgaben und Steuern herausnehmen. ...]

Ich warne vor diesem Experiment. Es würde bedeuten, dass wir zwar sicher noch eine Reihe interessanter Angebote hätten, die dann in den dritten Programmen spätabends, um 24 Uhr oder später, oder von Goethe-Instituten - was verdienstvoll ist - gezeigt würden. Aber der deutsche Kinofilm würde - da bin ich sicher - auf diesem Wege marginalisiert werden.

Der zweite extreme Pol ist hier nicht vertreten, wenn ich das recht sehe. Aber er lässt sich demnächst wohl in einer Dokumentation nachlesen. Er ist relativ deutlich von dem in Bayern zuständigen Minister für Film und Medien, Herrn Huber, formuliert worden, der mich zu einem Gespräch der filmpolitischen Arbeitsgemeinschaft der CSU eingeladen hatte. Bei diesem Gespräch hat er im Wesentlichen formuliert, dass er keinen Änderungsbedarf - oder wenn, nur einen marginalen Änderungsbedarf - in den heutigen Filmförderstrukturen in Deutschland sieht. ...]

Ich bin der Auffassung, wir müssen nicht nur die verschiedenen Initiativen, zum Beispiel Aufwertung der Filmfestivals - zur Berlinale ist schon einiges gesagt worden - , voranbringen, sondern wir müssen uns auch überlegen, ob bestimmte Weichenstellungen neu vorgenommen werden müssen. Wenn man das von mir vorgelegte Filmkonzept aufmerksam liest, dann wird man feststellen, dass dort über diese Weichenstellungen - ich komme gleich darauf zu sprechen - sehr deutlich gesprochen wird. Mit anderen Worten: Wir können nicht die Hände in den Schoß legen und sagen, die Politik hat das Ihre getan, jetzt ist es Sache der Kreativen, die interessanten Stoffe zu liefern, die dem deutschen Film im In- und Ausland eine größere Bedeutung geben.

Bevor ich zu den zentralen Elementen dieses Konzeptes komme, das ich übrigens als Diskussionsentwurf verstehe, möchte ich einmal kurz Distanz zu unserer jetzigen Situation nehmen.

Die Filmförderung in Deutschland beginnt gewissermaßen mit dem Oberhausener Manifest 1962. Dieses Manifest war nicht etwa eine Reaktion darauf, dass der deutsche Film an den deutschen Kinokassen keine Rolle gespielt hätte; im Gegenteil: In den Nachkriegsjahrzehnten - das wird Herr Otto gleich für seine Position in Anspruch nehmen - war der Anteil des deutschen Films in den Kinos sehr viel höher als in den Jahrzehnten danach. Das Oberhausener Manifest war vielmehr eine Reaktion auf die im Großen und Ganzen geringe künstlerische Qualität und die geringe Wahrnehmung des deutschen Films im Ausland. Das war der Anstoß. Der damalige Innenminister Höcherl hat dann ein 5-Millionen-DM-Programm aufgelegt und das Kuratorium Junger deutscher Film 1965 gegründet. Prompt erhielten deutsche Filme auch bei ausländischen Festivals Preise. Nachdem die FFA 1965 gegründet worden war, ging die Anzahl der Filme zwischen 1966 und 1969 extrem nach oben, sie hat sich von 69 auf 121 Filme fast verdoppelt. Mit dem Filmfernsehabkommen zur Kooperation mit den Fernsehanstalten 1974 ging eine Öffnung einher. Dies war der Beginn der heutigen Struktur der Filmförderung.

Bevor wir uns heute überlegen, was wir tun müssen, um dem deutschen Film in Deutschland und international ein größeres Gewicht zu geben, lohnt es sich, darüber nachzudenken, was uns eigentlich dazu treibt, dieses Thema so intensiv zu diskutieren. Man könnte generell sagen: Die Filmbranche ist eine Branche neben vielen anderen. Der Staat sollte sich mit Subventionen in diesem Bereich wie in jeder anderen Wirtschaftsbranche zurückhalten; schließlich sind wir dabei, Subventionen abzubauen. ...]

Hierauf ist zu antworten: Die eigentliche Legitimationsgrundlage für die Förderung des deutschen Kinofilms mit Steuern und Abgaben ist die kulturelle Dimension.

Ich will ganz deutlich sagen: Die kulturelle Dimension des Kinofilms beschränkt sich nicht auf den künstlerisch ambitionierten "kleinen" Minderheitenfilm, sondern die kulturelle Bedeutung des Kinofilms hängt vor allem damit zusammen, dass das Medium Kinofilm insbesondere bei der Generation der Jüngeren - sagen wir einmal zwischen 14 und Mitte 20, zum Teil auch noch darüber hinaus - Identitäten prägt, Bilder, wie man lebt und leben sollte, vermittelt und mit dazu beiträgt, Vorbilder zu schaffen. Das gilt natürlich auch für große Hollywood-Produktionen, die massiv die Entwicklung der Persönlichkeit von jungen Leuten beeinflussen. Deswegen müssen wir ein Interesse daran haben, dass sich im Medium Kinofilm nicht nur eine einzige kulturelle Prägung durchsetzt, sondern auch die Vielfalt der europäischen Kulturen deutlich wird und die deutsche Stimme vernehmbar wird. Das ist, wie ich glaube, ganz wesentlich.

Angesichts dessen müssen wir uns überlegen, was die Politik dazu beitragen kann. Herr Neumann, Sie hatten angesprochen, dass einige Monate ins Land gegangen sind, seitdem ich im Amt bin. Das stimmt. Meine Mitarbeiter wissen, dass ich auf keinen Bereich mehr Zeit aufgewendet habe als auf diesen. Es wäre sicherlich leicht gewesen, ohne diesen Zeitaufwand ein Konzept zu erstellen. Mein Eindruck ist - Ihre Erfahrungen müssten das eigentlich bestätigen - : Wir werden eine Veränderung zum Besseren nur erreichen, wenn es uns gelingt, innerhalb der Branche, bei den Filmförderern und den wichtigsten Beteiligten einen Konsens herzustellen; anders ist das nicht zu erreichen. Das kann nicht oktroyiert werden, sondern das geht nur, indem wir die wechselseitige Blockade, die nach meinem Eindruck den Prozess so lange verzögert hat - natürlich sind die Interessen unterschiedlich und treffen auch im Bündnis für den Film aufeinander - , dadurch aufheben, dass wir ein Paket schnüren.

Deswegen appelliere ich jetzt auch an Sie, nicht einzelne Elemente - Herr Fink und Herr Otto haben das gemacht - herauszugreifen und andere abzulehnen. Wir brauchen eine zusätzliche Förderung für deutsche Kinos. Dazu gibt es konkrete Ideen. Auch die Kinos haben ein Interesse daran, dass der Film in Deutschland insgesamt vorangebracht wird. Das spricht dafür, in dieses Paket auch die Kinoabgabe einzubeziehen. Es geht hier um eine Größenordnung von 1 Prozent des Kinokartenpreises - das sind etwa 12 Pfennig oder 6 Cent. ...]

Wir brauchen höhere Budgets. Es ist ganz merkwürdig, dass Deutschland mit seiner starken Wirtschaftskraft so niedrige Budgets pro Film hat: niedriger als Frankreich, wesentlich niedriger als Großbritannien, von den USA gar nicht zu sprechen. ...]

Wir brauchen eine Stärkung der Produzenten als zentrale Akteure. Sie müssen ein Interesse daran haben, dass ihre Filme Erfolg haben. Wir haben intensive Diskussionen mit der Branche gehabt. So, wie wir das Urhebervertragsrecht jetzt im Bundestag beschlossen haben, ist es keine Behinderung der Filmbranche. ...]

Ich habe in diesem Konzept einige ordnungspolitische Instrumente an gesprochen. Ich will zwei in Erinnerung rufen.

Es ist schon gesagt worden: Dass 7 Milliarden DM zu 80 Prozent in Hollywood-Produktionen gehen, ist angesichts der Situation des europäischen Films schwer erträglich. Aber ich füge hinzu: Wir haben seit 1954 ein Handelsabkommen mit den USA, das es schwierig macht, das mit einem Federstrich zu lösen. Herr Neumann, ich kann das am wenigsten, weil das eine finanzpolitische Frage von gewaltiger Größenordnung ist.

Wir brauchen da eine Lösung; auch ich will sie. Wir müssen darüber diskutieren, warum wir hier eine Sonderrolle einnehmen. Das macht kein anderes Land in Europa so. Das ist eine schwierige Debatte. Wenn wir da einen Fortschritt bekommen, dann haben wir eine ganz andere Grundlage für den europäischen und speziell den deutschen Film.

Wir sollten uns auch nicht davor drücken, eine Investitionsquote, wie sie nach europäischem Recht möglich ist, zumindest sehr genau zu diskutieren. ...]

Es lohnt sich. Es geht nicht nur um einen wichtigen Teil der deutschen Kulturwirtschaft, sondern auch um ein faszinierendes Medium der Kunst, das kulturelle Identitäten prägt. Wie gesagt: Es ist wünschenswert, dass in diesem Medium die deutsche Stimme in Zukunft vernehmbarer ist als in den letzten Jahren.