Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 08.02.2002
Untertitel: Wir müssen miteinander alle Kraft zusammennehmen um dem Bergbau in Deutschland eine Zukunft zu ermöglichen, die weit über 2010 hinausreicht.
Anrede: Verehrter Herr Vorstandsvorsitzender, lieber Klaus Südhofer, lieber Alfred Hilger, liebe Freunde, meine sehr verehrten Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/59/69159/multi.htm
Ich bin heute ja nicht zum ersten Mal hier. Ich erinnere mich genau: vor 24 Jahren bin ich schon einmal hier gewesen. Damals sind wir sogar, wie es so schön heißt, eingefahren. Ich erinnere das wirklich gerne. Das war mein erster Besuch in einer Zeche, in einem Bergwerk. Das hat Spuren hinterlassen, ich meine jetzt nicht so sehr im Gesicht, sondern vor allem was Nähe angeht, Nähe zu dem, was hier geschieht, und Nähe zu dem, was Bergbau ausmacht.
Natürlich - das weiß hier jeder - ist das auch ein Wirtschaften, ist das Wertschöpfung, ist das Arbeit. Aber wenn man versucht mitzufühlen und ganz genau hinguckt, erkennt man, dass Bergbau immer mehr als Wirtschaft, mehr als Arbeit, mehr als ein Beitrag zum Sozialprodukt war und ist. Bergbau, das ist eine ganz eigene Kultur.
Deswegen haben all diejenigen Unrecht, die das, was dort geschieht, nur unter dem Aspekt betriebswirtschaftlicher Rechnerei begreifen. Es ist viel mehr. Ich komme noch darauf, was das für unsere zukünftige Politik heißt. Aber ich möchte wirklich gerne vermitteln, dass das auch von den Menschen gespürt wird, die ihr Leben nicht mit dem Bergbau verbracht haben.
Wer denen begegnet, die als Bergleute ihre Arbeit tun, oder den gewerkschaftlichen Vertretern, der spürt diese Besonderheit, wenn er aufmerksam und sensibel genug ist. Vielleicht ist es das, was so viele, woher auch immer sie kommen, am Bergbau fasziniert. Jedenfalls bestimmt das meine Einstellung und als Folge dessen natürlich auch mein politisches Handeln. Diese Prägung hat sich nicht verändert und wird sich auch nicht verändern.
Worum geht es? Es wäre falsch, wenn ich Ihnen hier sagte: Es stehen keine schwierigen Zeiten bevor, was den Bergbau angeht. Das wäre nämlich gelogen. Wir müssen miteinander alle Kräfte bündeln - aber wenn wir das tun, ist sie ganz gewaltig - , um dem Bergbau in Deutschland eine Zukunft zu ermöglichen, die weit über 2010 hinausreicht. Das gilt auch dann, wenn die notwendigen Entscheidungen im nationalen wie im internationalen Maßstab, die wir vor uns haben, zunächst bis 2010 reichen sollen und reichen müssen. Auch bis dahin liegt ein harter Weg vor uns.
Ich hoffe, es ist deutlich geworden, dass und warum ich den Weg mit Ihnen gemeinsam gehen möchte. Der Betriebsratsvorsitzende hatte zu Recht auf Wahltermine hingewiesen - auf seinen eigenen ein wenig bescheiden; vielleicht kann ich da hilfreich sein: Er soll, finde ich, schon wiedergewählt werden.
Aber man muss im Revier - ich sollte sagen: in den Revieren, denn im Saarland gibt es auch eins - Folgendes klar machen: Die Einstellung zur Kohlepolitik ist in Berlin anders als in München. Das ist die schlichte Wahrheit. Man muss sich dazu nur die Äußerungen ansehen, die aus Zeiten stammen, als Kandidaten das noch nicht waren; das gebe ich gerne zu. In dieser Zeit geht es auch um die Einstellung zur Kohlepolitik und damit um die Einstellung zum Bergbau. Mehr will ich dazu nicht sagen. Aber jede und jeder sollte das wissen.
Es geht also vor allem um Verlässlichkeit, was die Rahmenbedingungen für einen Bergbau in Deutschland über 2010 hinaus angeht. Verlässlich kann man diesen Bergbau nur dann sichern, wenn man sich klar macht, was denn die Grundlagen des Bergbaus sind, das heißt, was die Existenz des Bergbaus in Deutschland begründet. Das muss man den vielen Menschen erklären, die nicht von der Steinkohle leben - von Kohle ja! - , weit weg von den Revieren. In den Revieren braucht es keine Erklärungen, weil das dort selbstverständlich ist.
Wir haben immer gesagt: Man braucht Bergbau gewiss wegen der Wirtschaftsleistung, die damit zusammenhängt, gewiss auch - das sollte verstanden werden - wegen der hochkomplizierten Technologie, die in Deutschland entwickelt wird. Wir sind auf den Märkten der Welt führend in der Bergbautechnologie. Natürlich gibt es eine Beziehung zwischen dem, was man hier kann und macht, und dem, was man in diesem Bereich entwickelt. Wer das leugnet, hat entweder keine Ahnung oder ist böswillig.
Deswegen geht es hier nicht nur um die Frage des Bergbaus im engeren Sinne. Vielmehr geht es, wenn über Arbeitsplätze, Wirtschaftskraft oder über Wertschöpfung geredet wird, immer auch um Bergbautechnologie. Die ist heute verdammt komplizierter, aufwendiger, auch teurer, als das jemals in der Geschichte der Fall gewesen ist. Mit der Hacke allein ist im Bergbau nichts mehr zu machen. Aber mit hochkomplizierter Technologie wird etwas gemacht. Sie kann auf den Märkten der Welt verkauft werden und wird auch verkauft.
Also tun wir gut daran, den Menschen auch außerhalb der Reviere klar zu machen: Es gibt eine Beziehung zwischen der Entwicklung dieser Technologie und dem heimischen Bergbau; man kann sie nicht leugnen. - Das ist der erste Punkt, weshalb wir Bergbau begründen und warum wir verlässliche Partner für den Bergbau sind, bleiben wollen und bleiben werden.
Es gibt einen zweiten Punkt. Er hat etwas mit moderner Energiepolitik gerade in Deutschland, aber auch darüber hinaus zu tun. Wenn man sich einmal anschaut, wo und unter welchen Bedingungen in anderen Ländern der Welt Braun- oder Steinkohle zum Beispiel zur Stromgewinnung eingesetzt werden - ich denke beispielsweise an China - , und wenn man das mit den Verstromungstechnologien vergleicht, die es in Deutschland gibt, die hier entwickelt worden sind, dann erkennt man den gewaltigen Markt für Technologien im Bereich der Verbrennung und Verstromung.
Ich war im Oktober letzten Jahres in China. Die Wenigsten haben eine Ahnung davon, was man dort an modernen Technologien braucht, um Steinkohle umweltgerecht zu verstromen. Aber man muss sich diese Kenntnis verschaffen. Dann nämlich erkennt man, dass man diese Technologien aus wirtschaftlichen Gründen dort braucht. Aber wir sind daran interessiert, sie nicht nur aus wirtschaftlichen, sondern auch aus umweltpolitischen Gründen zu entwickeln. Denn dort wird Kohle unter Bedingungen verbrannt, die in Deutschland niemand mehr erlauben würde, und zwar zu Recht. Wer nun aber glaubt, wir könnten das Klimaproblem sozusagen allein mit nationalen Maßstäben lösen, der irrt im Übrigen auch gründlich.
Das heißt, auch die nachgelagerten Technologien, die mit der Verbrennung, mit der Verstromung zu tun haben, werden hier entwickelt, und zwar auf einer ganz bestimmten Basis, die ihrerseits wieder mit Kohleförderung zu tun hat, und auch diese Technologien können verkauft werden.
Es gibt einen dritten Punkt: die Sicherheit der Energieversorgung, die Versorgungssicherheit. Klaus Südhofer hat das bereits angesprochen. Das hat uns immer bewegt, und darauf legt nicht nur das Unternehmen, sondern auch die Gewerkschaft zu Recht Wert.
Mittel- und langfristig müssen und wollen wir einen Kernbestand nationaler Energiereserven behalten und pflegen. Denn niemand kann Versorgungsstörungen aus welchen Gründen auch immer ausschließen. Sie sind nur dann beherrschbar, wenn man einen Mindestbestand an Versorgungssicherheit selber garantieren kann.
Das sind drei Gesichtspunkte, die wir meiner Ansicht nach im Rahmen gemeinsamer Arbeit sehr viel deutlicher und sehr viel klarer nach außen bringen müssen. Denn machen wir uns nichts vor: Was früher selbstverständlich war, was im Ruhrgebiet und im Saarland auch gemeinsame Auffassung der dort lebenden Menschen - egal, ob Bergleute oder nicht - war, das bröckelt.
Der Zusammenhang zwischen Wirtschaftskraft, Energiesicherheit und Bergbau muss immer wieder erklärt werden. Dabei können wir helfen. Ich will auch gerne helfen. Aber das ist die Aufgabe aller, die hier sind: der Gewerkschaften, der Unternehmensführung, der Landesregierung und der Bundesregierung. Wir wollen uns dafür einsetzen, und deswegen stehe ich hier. Aber es müssen alle mithelfen. Sonst gelingt diese kommunikative Aufgabe - um es neudeutsch zu sagen - nicht. Das ist die Basis. Das müssen wir den Menschen außerhalb der Reviere nahe bringen.
Welche Aufgaben stehen nun an? Auch darauf ist von Herrn Starzacher, Klaus Südhofer und all denen, die sich mit Bergbau beschäftigen, hingewiesen worden. Es geht zunächst darum, das, was 1997 verabredet wurde, sauber abzuarbeiten - ohne dass bei jeder Haushaltsaufstellung gesagt wird, wie wir das von Herrn Rexrodt und Co kannten: Wir haben zwar einen Vertrag mit Euch geschlossen, aber nur unter dem Druck gewerkschaftlicher Maßnahmen. Aber jetzt erinnern wir uns nicht mehr so gerne an die Verträge, die wir abgeschlossen haben.
Ich glaube, Ihr wisst, dass diese Einstellung bei uns nie bestand. Seit wir das verantworten, haben wir gesagt: Verträge müssen eingehalten werden, und zwar aus den Gründen, die ich eingangs genannt habe, aber auch einfach, weil das sonst nicht fair wäre. Wir werden auch in Zukunft das, was wir bis 2005 vereinbart und aufgeschrieben haben, einhalten. Darauf kann sich jeder verlassen.
Wer es mir nicht glaubt, der mag in die Zuwendungsbescheide blicken. Sie sind, wenn ich es richtig im Kopf habe, bis 2005 bereits geschrieben und liegen beim Unternehmen. Sie gelten; davon kann keiner herunter. - Aber ich will das jetzt nicht als Aufforderung begriffen haben, weil davon keiner herunter kann, andere heranzulassen! Damit das klar ist! Das wäre nun wirklich zu viel!
Mit diesen Zuwendungsbescheiden bis 2005 und der Erfüllung dessen, was wir versprochen haben, ist verbunden, dass auch Sie gemeinsam, das Unternehmen und die betroffenen Gewerkschaften, Ihr Versprechen genauso buchstabengetreu einhalten. Das geschieht ja auch.
Ich habe bei einem kurzen Vortrag der Betriebsleitung hier erfahren können: Das geschieht, wie es sich für anständige Menschen gehört, durch eine sozial abgefederte, aber auch schmerzliche Anpassung beim Personal. Hier haben immerhin, wenn ich mich richtig erinnere, einmal 4.000 Menschen gearbeitet. Jetzt sind es noch etwas mehr als 2.600. Das zeigt - das muss man auch denen erklären, die schreiben und senden - , dass sich der Bergbau nicht auf den Hilfen ausruht, die früher aus Bonn und jetzt aus Berlin kommen. Vielmehr gibt es hier schmerzhafte, wenn auch sozial abgefederte Anpassungsprozesse. Die Belegschaft wird reduziert und die Produktivität gesteigert. Denn man kann feststellen, dass die Tonnenförderung pro Mann ständig gewachsen ist, während die Belegschaft kleiner geworden ist.
Das zeigt - das möchte ich wieder denen vermitteln, die nicht unmittelbar mit dem Bergbau zu tun haben - , dass nicht nur wir Verträge einhalten, sondern dass auch die Bergleute, ihre gewerkschaftlichen Vertreter und die Unternehmensleitung ihrerseits Verträge einhalten. Sie nehmen die Anpassungen vor, die sie versprochen und die wir Brüssel auch mitgeteilt haben.
Insoweit ist, denke ich, von uns und vom Bergbau aus gesehen, was Verlässlichkeit angeht, bis 2005 alles in Butter. Wir haben jetzt Gespräche darüber aufzunehmen, dass das so bleibt. Denn wir wollen ja eine Kohlepolitik betreiben, die weit über dieses Datum hinausgeht.
Wenn wir das miteinander verhandeln - zunächst einmal werden das die betroffenen Unternehmen mit dem Bundeswirtschaftsminister tun - , können wir, glaube ich, eine vernünftige Perspektive schaffen. Ich kann Ihnen nur sagen: Zusammen mit der Landesregierung, mit Wolfgang Clement, bin ich aus den zu Anfang geschilderten emotionalen Beziehungen heraus gern bereit, mich auch in Zukunft selber um dieses Thema zu kümmern.
Die Lösung dieses ersten Problems können wir im nationalen Maßstab jedenfalls weitgehend regeln. Das zweite Problem können wir bedauerlicherweise nicht alleine lösen. Das ist die Frage: Wie geht es mit dem EGKS-Vertrag weiter? Was wird uns bei der Herstellung von Versorgungssicherheit im Energiebereich über Steinkohle und damit über Bergbau von Brüssel ermöglicht und was nicht?
Hier muss man den vielen, die diesen komplizierten Zusammenhang nicht jeden Tag vor Augen haben, einmal erklären: Schön wäre es, wenn wir, die Unternehmen, Bundesregierung, Landesregierung und Gewerkschaften, hier in Deutschland sagen könnten, wie wir das regeln und in welchen Zeiträumen wir was haben wollen - wofür wir dann materiell auch gerade stünden. Das wäre wunderschön, und ich denke, wir würden uns miteinander auch sehr schnell auf für jeden zwar spürbare Einschnitte, dafür aber sichere Perspektiven einigen können.
Bedauerlicherweise geht das nicht mehr so. Deutschland ist - und das ist richtig - Teil Europas. Das darf auch nicht in Frage gestellt werden. Deutschland ist Teil der Europäischen Union. Egal, ob es in dem einen oder anderen Wirtschaftsbereich dadurch zu Schwierigkeiten kommt, ist der Nutzen, den wir industriell und damit von den Arbeitsmöglichkeiten her von einem gemeinsamen Markt in Europa haben, für uns alle weit, weit größer, als es die gelegentlichen Schwierigkeiten sind.
Deshalb gehen all diejenigen fehl, die gelegentlich fragen: Was geht uns das an? Lasst uns doch die Dinge in unsere eigenen Hände nehmen, und kümmern wir uns nicht um die in Brüssel, wenn sie nicht so funktionieren, wie wir es wollen! Das ist keine Strategie, die hilft. Denn sie würde uns mehr schaden, als den Bergleuten nutzen. Das würde im Übrigen auch dem Argument widersprechen, dass wir mit der nachgelagerten Technologie andere Märkte erreichen wollen. Auch das darf man nicht vergessen. Das ist also keine vernünftige Strategie. Das können wir nicht gegen, sondern müssen wir mit Brüssel regeln.
Was müssen die Eckpunkte eines neuen EGKS-Vertrages sein? Zunächst einmal muss es eine vernünftige Perspektive geben, die es der Unternehmensleitung ermöglicht, betriebswirtschaftlich sinnvoll zu investieren. Die können nicht einfach Geld versenken; das sollen sie auch nicht. Vielmehr brauchen sie eine Perspektive, damit sie berechnen können, welche Investitionen sich lohnen, das heißt, wieder zu Geld gemacht werden können, und welche sich nicht lohnen, weil sie in den Sand gesetzt wären.
Die Beschäftigten brauchen Sicherheit für sich selber und für ihre Familien. Sie müssen nämlich wissen, dass es im Bergbau weitergeht. Wenn sie das nicht wissen, bedeutet das Unsicherheit. Das ist im Übrigen nicht nur schlecht für die Familien der Bergleute, sondern für ganze Regionen wie diese zum Beispiel. Darüber muss man sich im Klaren sein. Die Existenz des Bergbaus hier und seine Perspektive interessieren auch den Bäckermeister. Denn wenn die Bergleute die Brötchen nicht mehr kaufen können, wird er sie nicht mehr los.
Die Bergleute brauchen also Sicherheit, und auch die Unternehmensleitung braucht Sicherheit. Das ist der Grund, weshalb wir Brüssel gesagt haben: 2007 reicht nicht. Wir müssen eine Perspektive über 2007 hinaus haben, zunächst bis 2010. Und richtet euch darauf ein, dass das nicht das Ende des Bergbaus in Deutschland sein wird. Das ist ein ganz wichtiger Punkt.
Sie haben übrigens verstanden, dass wir nicht davon ausgehen, dass 2010 Schluss ist. Noch nicht verstanden haben sie allerdings, dass wir eine vernünftige Beihilferegelung nach Auslaufen des EGKS-Vertrages brauchen. Darum kämpfen wir noch. Ich komme gleich zu den Bedingungen dafür.
Aber wir sind an dem Punkt ein Stückchen weiter. Wir werden klar machen, dass wir nicht damit rechnen, dass 2010 Ende der Fahnenstange im Bergbau ist. Es wird einen Bergbau danach geben. Er wird noch einmal anders aussehen als der jetzige. Aber wir kämpfen darum, dass es eine Perspektive darüber hinaus gibt.
Der zweite Gesichtspunkt, der eine Rolle spielt, ist von Klaus Südhofer bereits angesprochen worden. Diese vernünftige Forderung würde ich, wenn es irgendwie geht, gerne erfüllen. Aber dafür brauche ich Brüssel. Was heißt das?
Klaus Südhofer hat von einem nationalen Energiesockel geredet. Das wird unglaublich schwer. Gegenwärtig sieht es nicht so aus, als ob wir das hinbekämen. Wir müssen uns als Alternative andere Wege einfallen lassen. Man darf hier auch nichts versprechen, von dem man nicht wenigstens hinreichend sicher ist, es einhalten zu können.
Nationale Energiesockel wären vernünftig. Denn dann dürften wir alleine einen Anteil bei uns so regeln, wie wir es für richtig halten. Wir könnten dann zum Beispiel sagen: Wir wollen einen Energiesockel aus heimischer Stein- und Braunkohle, und wie wir den in Deutschland bezahlen, geht euch nichts an.
Das Wettbewerbsargument zieht dann übrigens nicht. Angesichts der Tatsache, dass wir Kohle importieren, ist die Frage, ob wir deutsche Steinkohle subventionieren oder nicht, keine Frage des Wettbewerbs - wieso sollte das so sein? - , sondern allein eine Frage des Preises, den wir bereit sind, aus nationalen Mitteln dafür aufzubringen. Das heißt, wir schaden niemandem, wenn wir einen solchen Sockel finanzieren, wenn wir in freier Entscheidung sagen: Wir möchten das.
Ich halte es für vernünftig, so vorzugehen. Aber ich sage hier einschränkend: Es wird ungeheuer schwer, wenn nicht sogar unmöglich sein, dafür Partner zu finden. Das muss man hier sagen.
Deswegen muss es andere Wege geben. Jedenfalls müssen wir uns mutmaßlich auf andere Wege einlassen. Das heißt, wir müssen die Möglichkeit bekommen, unabhängig von einer Überprüfung im Jahr 2007 Beihilfen zunächst bis 2010 und dann auch darüber hinaus bezahlen zu können. Das wird in Brüssel unglaublich schwer durchzusetzen sein.
Ich will auch keinen vordergründigen Streit mit der Kommission. Warum sollte ich den wollen? Aber ich will die Gelegenheit hier nutzen, um freundschaftlich - nehmen Sie das so, wie ich es sage - , aber sehr bestimmt auf eins hinzuweisen: Wir alle sind sehr für den gemeinsamen Markt. Aber bezogen auf die Regelungen des gemeinsamen Marktes gilt es, auch einmal zu schauen, was man dem einen oder anderen Land zumutet.
Wir haben gegenwärtig unter der Rubrik gemeinsamer Markt eine Auseinandersetzung um Landesbanken und Sparkassen. Das System ist von Brüssel anders gewollt, als es bei uns seit mehr als 100 Jahren gewachsen ist. Die Sparkassen mit dem System des Eintretens der dahinter stehenden Kommunen gibt es seit 130 bis 150 Jahren. Diese Institute helfen, Handwerksmeister, kleine und mittlere Betriebe zu finanzieren. Das sind Institute, die nahe bei den Kunden sind. Man sollte sich sehr genau überlegen, ob man so etwas am grünen Tisch einfach beendet.
Wir haben in Deutschland die beste Automobilproduktion der Welt. Ich will jetzt nicht über Einzelheiten reden. Aber eins möchte ich schon sagen: Die wollen wir behalten, auch wenn es so etwas in anderen Ländern nicht gibt. Angesichts der Tatsache, dass jeder siebte Arbeitsplatz in Deutschland an dieser Industrie hängt, haben wir überhaupt keinen Grund, da einen Verzicht zu leisten. Damit müssen wir uns aber auseinander setzen.
Klaus Südhofer hat darauf hingewiesen: Wir brauchen im Osten große Betriebe. Es gibt dort eher zu wenig. Aber wenn wir sie ansiedeln wollen, müssen wir angesichts der Tatsache, dass wir als Einzige in der Welt eine Kommandowirtschaft in eine Marktwirtschaft zu transferieren und zu integrieren hatten und immer noch haben, auch Großinvestitionen unterstützen dürfen. Das kann man nicht einfach mit einem Federstrich beenden.
Ich erinnere daran, dass Deutschland industriepolitische Interessen hat, die sich manchmal von denen unserer kleineren Partner unterscheiden, weil diese zum Beispiel keine Automobilindustrie und keinen Bergbau mehr haben - wenn sie denn je einen hatten - und andere industrielle Strukturen auch nicht. Wenn ich dann sage, dass man auch auf Deutschland Rücksicht nehmen muss, bekomme ich europafeindliches Verhalten vorgeworfen. Das ist Quatsch! Ich bin nicht europakritisch. Ich bin es nie gewesen. Warum sollte ich das sein?
Aber ich muss daran erinnern, dass es Aufgabe einer deutschen Bundesregierung, eines deutschen Bundeskanzlers ist, auch einmal darauf hinzuweisen, dass man die Kuh, die gute Milch gibt - wir sind der größte Nettozahler in Europa, und wir sind es gerne - , gelegentlich auch einmal streicheln muss. Sonst funktioniert das nicht.
Also, wir wollen das mit Europa zusammen regeln, aber wir wollen solche Möglichkeiten, wie ich sie genannt habe. Denn wir brauchen sie aus den genannten Gründen, wegen der Arbeitsplätze in Deutschland, wegen der wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland. Man kann uns auch glauben, das wir das gut beurteilen können.
Es geht also darum, das deutlich zu machen, nicht aufgeregt, schon gar nicht böse in der Auseinandersetzung mit denen, die das in den Partnerländern oder in der Kommission anders sehen - was ja erlaubt ist - , aber durchaus selbstbewusst. Ich sage noch einmal, dass auch wir das Recht haben, auf unsere Interessen gelegentlich hinzuweisen. Das kann nicht nur für die Partnerländer eine blanke Selbstverständlichkeit sein.
Ich wollte jetzt noch ein paar Bemerkungen zur allgemeinen wirtschaftlichen Situation machen. Ich will auf eins hinweisen, was hier schon angesprochen worden ist und um das es in der vor uns liegenden Zeit auch geht.
Ich will nicht über die Schwierigkeiten hinwegreden, die wir etwa auf dem Arbeitsmarkt haben. Der konjunkturelle Einbruch in Amerika und in der Weltwirtschaft hat uns erwischt. Aber ich rede auch darüber - das verschweigt uns die Zeitung mit den großen Buchstaben immer - , dass wir, verglichen mit dem Januar 1998, als wir die Dezember-Zahlen von 1997 bekamen - dafür waren wir nicht verantwortlich - , 520.000 Arbeitslose weniger haben. Nun darf keiner unterstellen, dass mir das reichte. Aber wahr ist das zunächst einmal.
Wahr ist auch, dass wir 1,2 Millionen versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse mehr haben als damals, bevor wir begonnen haben. Da muss man weitermachen. Dort müssen wir alle zusammen noch besser werden. Das wird auch besser werden; ich bin dessen ganz sicher.
Es ist auch richtig, daran zu erinnern, dass wir es gewesen sind, die gesagt haben: Wir wollen die Beteiligungsrechte der Beschäftigten nicht kaputtmachen. Gerade im Bergbau hat man mit der Mitbestimmung, glaube ich, verdammt gute Erfahrungen gemacht. Gerade wenn es zu Krisen kam und nicht alles wunderbar lief, hat man gesehen, dass die betrieblichen Vertretungen ihren Kollegen das Warum erklärt haben. Ohne diejenigen, die das erklärt haben, hätte es manchen Krach gegeben, der beiden Seiten nicht genutzt hätte.
Gerade im Bergbau hat man die Erfahrung gemacht, dass die Beschäftigten am wirtschaftlichen Erfolg teilhaben und in den Betrieben auch in vernünftigem Maße mitbestimmen können. Diese Erfahrung kann man gerade auch mit der BCE in positiver Weise machen. Das wissen alle. Genau das ist der Grund, warum wir gesagt haben: Das soll nicht kaputtgemacht werden, das gehört gepflegt, weil es den Standort Deutschland nicht schwächt, sondern stärkt. Das muss man wissen.
Jetzt erzählen sie mir überall: Auf dem Arbeitsmarkt wird es nur dann sehr viel besser, wenn du, Schröder, dafür sorgst, dass die Arbeitnehmer leichter hinauszuschmeißen sind. Das soll mir erst mal einer erklären: Wie soll dadurch, dass ich die Entlassung erleichtere, mehr Beschäftigung entstehen? Das erscheint mir nicht logisch. In einer Situation, wo wir zu viele Arbeitslose haben, macht es doch wenig Sinn, noch welche hinzukommen zu lassen, indem man die Leute leichter hinausschmeißen kann. Das ist doch offenkundig eine falsche Strategie.
Eine solche Strategie hat übrigens zu den 500.000 Arbeitslosen mehr bei gleicher oder sogar besserer konjunktureller Situation vor vier Jahren geführt. Die Rezepte sind doch alle erprobt. Es spricht wenig dafür, mit den Rezepten von vorgestern und mit dem Personal von gestern die Probleme von heute oder gar morgen lösen zu wollen. Das wird nicht funktionieren.
Darum sage ich: Wir haben in Deutschland eine sorgfältige Balance zwischen der Sicherheit der Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer und ihrer Familien auf der einen Seite und der notwendigen Flexibilität der Unternehmen auf der anderen Seite. Das brauchen sie; das gebe ich zu. Ich gehöre nicht zu denen, die im Verdacht stehen, darauf nicht zu sehen.
Aber es kann doch nicht sein, dass uns jemand sagt: Wenn ihr an die Sicherheit der Beschäftigten denkt, nehmt euch Amerika zum Vorbild! Dort sind andere Verhältnisse. Dieses Prinzip, heute eingestellt und morgen wieder hinausgeworfen, halte ich nicht für richtig. Das sage ich hier ohne Wenn und Aber.
Abschließend: Es wird ein schwerer Weg, den wir miteinander zu gehen haben: Bundesregierung, nordrhein-westfälische Landesregierung, der Bergbau, Unternehmen und Gewerkschaften. Das wird im nationalen und vor allen Dingen im internationalen Maßstab ein schwerer Weg. Es wäre völlig falsch, etwas anderes zu versprechen.
Aber in einem bin ich ziemlich sicher: Weil wir alle in unterschiedlichen Bezügen ein Prinzip gelernt und verinnerlicht haben, werden wir es schaffen. Dieses Prinzip heißt: Solidarität. - Glück auf!