Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 11.02.2002

Untertitel: Ich habe mit Präsident Fox heute morgen ausführlich über den Ausbau und die weitere Entwicklung der traditionell sehr guten mexikanisch-deutschen Beziehungen gesprochen.
Anrede: Sehr geehrter Herr Präsident Fox, sehr geehrter Herr Präsident Dr. Seemann, meine sehr geehrten Herren Minister, meine Damen und Herren!
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/51/69451/multi.htm


Ich habe mit Präsident Fox heute morgen ausführlich über den Ausbau und die weitere Entwicklung der traditionell sehr guten mexikanisch-deutschen Beziehungen gesprochen.

Wir waren uns einig, dass wir im neuen Jahrhundert eine Schlüsselaufgabe lösen müssen, nämlich den Menschen hier wie bei uns zu helfen, die Chancen der Globalisierung offensiv zu nutzen. Dafür müssen wir ihnen die Möglichkeit geben, an diesen Chancen wirklich teilzuhaben - gleichgültig, wo sie leben und arbeiten - und ihre großen Talente in diesen neuen Wirtschaftsräumen zur Entfaltung zu bringen.

Mexiko und Deutschland - dessen sind wir sicher - können dazu einen wichtigen Beitrag leisten, indem wir den Handel und die Investitionen zwischen unseren Ländern durch liberale und faire Rahmenbedingungen stärken und kontinuierlich weiterentwickeln, indem wir den Menschen durch die Förderung des lebenslangen Lernens und durch verbesserte Ausbildungschancen eine wirkliche Chance auf Teilhabe an dem in unserer Gesellschaft geben, was produziert wird und die Entscheidungen ausmacht. Diese Teilhabe ist auch der Schlüssel für eine wirtschaftliche Dynamik, die es auf Dauer nur geben kann und wird, wenn sie sozial gerecht gestaltet ist.

Mexiko und Deutschland - das haben wir zusammen festgestellt, und das entspricht dem Urteil vieler, die sich damit beschäftigen - sind Drehscheiben für Handel und Investitionen in den beiden größten Wirtschaftsräumen der Welt.

Die Osterweiterung der Europäischen Union - das möchte ich den mexikanischen Unternehmern gerne sagen - wird nicht zuletzt für Deutschland sehr wichtig sein. Ganz ähnlich stellt die weitere Integration zwischen Nord- und Zentralamerika für Mexiko eine einzigartige Chance dar. In beiden Fällen geht es um die Erweiterung, um die Förderung von Märkten, um mehr an Integration, mehr an Zusammenarbeit.

Durch den Beitritt Mexikos zur NAFTA - so haben wir es verstanden - ist der Warenaustausch zwischen den drei NAFTA-Staaten doppelt so stark gewachsen wie der Welthandel.

Man kann nicht darüber hinwegsehen: Auch wenn die schwache US-Konjunktur das mexikanische Wachstum im abgelaufenen und wahrscheinlich auch in diesem Jahr bremsen wird und gebremst hat, so bin ich davon überzeugt, dass das nur eine vorübergehende Eintrübung - verursacht durch die genannten Faktoren - ist, und Mexiko schon bald seinen Wachstumspfad, etwa den von 2000, fortsetzen wird und in der Lage ist, die Eintrübung zu überwinden.

Ich denke, dass die Annäherung zwischen Mexiko und den Vereinigten Staaten insbesondere auf ökonomischem Gebiet angesichts der zunehmenden Globalisierung ein wichtiger Schritt war. Aber er wurde sinnvollerweise im vergangenen Jahr, um einseitige Abhängigkeiten zu vermeiden, durch das Freihandelsabkommen zwischen Mexiko und der Europäischen Union ergänzt. Dieses Freihandelsabkommen und die damit zusammenhängenden, etwa bilateralen Schutzabkommen wie das Investitionsschutzabkommen zwischen Mexiko und Deutschland bedeuten eine sinnvolle Erweiterung der Nord-Südausrichtung Mexikos um eine Ost-West-Ausrichtung.

Damit ist - darauf hat der Präsident in seinen Gesprächen mit Stolz hingewiesen - Mexiko das einzige Land, das Freihandelsabkommen mit Nordamerika und auch mit der Europäischen Union abgeschlossen hat. Dies hat sich bereits als strategischer Vorteil erwiesen und wird sich weiter als ein solcher erweisen.

Durch das Freihandelsabkommen zwischen Mexiko und der Europäischen Union wird der Handel in den nächsten Jahren zweifellos weiter intensiviert werden. Schon jetzt fallen 95 Prozent des gesamten derzeitigen Handelsvolumens unter dieses Abkommen. Die schrittweise Liberalisierung, insbesondere auch des Dienstleistungssektors, wird unsere Beziehungen auf diesem Gebiet gewiss entscheidend vertiefen.

Die deutschen Ausfuhren nach Mexiko sind im ersten Halbjahr 2001 - das sind die Zahlen, die zur Verfügung stehen - um 23 Prozent gestiegen. Dass das kein einseitiger Prozess war und auch nicht sein darf, wird durch eine andere Zahl bewiesen. Mexikanische Unternehmen konnten ihre Produkte verstärkt in Deutschland absetzen. Sie verzeichneten im Export nach Deutschland einen Zuwachs um 16 Prozent. Ich denke, das sind beachtliche Zahlen, die man zur Kenntnis nehmen muss. Diese Zuwächse sind ohne Frage auf die positiven Auswirkungen der Freihandelszone zwischen Mexiko und der Europäischen Union zurückzuführen.

Deutschland - das ist bekannt - ist in der Europäischen Union der wichtigste Handelspartner für Mexiko; und wir wollen, dass das so bleibt.

Aber nicht nur Handel ist nach unserer Auffassung wichtig. Auch im Bereich der Direktinvestitionen wollen wir die Verbindungen noch enger knüpfen, die durchaus beachtlich sind. Bereits heute tragen die mehr als 700 Unternehmen mit deutscher Kapitalbeteiligung mit fünf Prozent zum Bruttoinlandsprodukt der mexikanischen Wirtschaft bei.

Für sich allein genommen ist Mexiko ein sehr wichtiger Markt für Deutschland geworden. Aber Mexiko ist für die Unternehmen in Deutschland mehr. Von hier aus steht deutschen Unternehmen über die NAFTA der Weg in die Vereinigten Staaten und auch nach Kanada offen.

Aber nicht nur für europäische Unternehmen ist das Freihandelsabkommen interessant, auch mexikanischen Unternehmen steht in Europa ein Markt mit 350 Millionen Verbrauchern zur Verfügung. Bald werden es sogar 500 Millionen Menschen sein. Ich denke, das ist auch für die Wirtschaft in Mexiko außerordentlich interessant.

Deutschland und Mexiko sind - so könnte man das sagen - "Nachbarn der Globalisierung", obwohl es keine gemeinsame Grenze gibt. Aber Nachbarschaft meint hier Völker mit gleichen Erfahrungen. Denn in beiden Ländern und durch beide Länder werden die Türen für weitere Integrationsräume und damit für interessante Märkte geöffnet. Eine globale Handelsliberalisierung fördert nicht nur den weltweiten Wohlstand. Sie schafft auch gemeinsame Interessen und erhöht die politische Stabilität. Das kann man aus unserer Zusammenarbeit lernen. Damit werden zusätzliche Chancen für Wachstum und als Folge dessen für Beschäftigung eröffnet.

Aber nicht nur der ungehinderte Austausch von Waren und Dienstleistungen ist wichtig. Wichtig ist auch, was wir uns miteinander in der internationalen Politik vorgenommen haben. Das, was Mexiko und Deutschland zusammen auf der Welthandelskonferenz in Doha durchgesetzt haben, ist beachtlich und erfordert die Fortsetzung im nächsten Jahr hier in Mexiko. Ich denke, das wird ein neues Feld bewährter Zusammenarbeit werden. Die Zeiten für reine Zollrunden sind - das wissen wir alle - vorbei. Zunehmend wichtiger wird die Beseitigung nicht-tarifärer Handelshemmnisse. Insbesondere das Thema der Handelserleichterung hat für beide Seiten Bedeutung.

Übrigens: Wir arbeiten nicht nur auf dem Gebiet der Wirtschaft zusammen, sondern es gibt bewährte und unterstützende Zusammenarbeit auf dem Gebiet des wissenschaftlichen Austausches. Gerade dann, wenn wir davon überzeugt sind, dass die Produkte der Zukunft mehr und mehr auf Wissen basieren, ist wissenschaftlicher Austausch zwischen unseren Ländern außerordentlich wichtig. Er ist auch wichtig für das gegenseitige Verständnis und dessen Vertiefung. Deswegen ist es gut, dass wir hier Vereinbarungen geschlossen haben, die den Studentenaustausch zwischen beiden Ländern besser als in der Vergangenheit ermöglichen.

Ich will noch ein paar Bemerkungen dazu machen, welche Verantwortung aus unserer Überzeugung mit der Globalisierung verbunden ist. Die Weiterentwicklung des Welthandelssystems muss nicht nur mehr Effizienz, sondern auch mehr Transparenz schaffen, und sie muss mehr Beteiligung der Menschen in den jeweiligen Ländern ermöglichen. Nicht erst die Demonstrationen, die wir bei internationalen Konferenzen gesehen haben, haben uns davon überzeugt, dass es unser aller Aufgabe ist, den Menschen - insbesondere in den weniger industrialisierten Ländern - noch mehr als in der Vergangenheit klar zu machen, welche Möglichkeiten in der Globalisierung liegen und welches Maß an Gemeinsamkeit es erfordert, diese Möglichkeiten für alle Staaten zu öffnen.

Erst offene Märkte, gepaart mit sozialer Verantwortung und hinreichendem Umweltschutz, ermöglichen weltweites Wachstum, langfristig neue Entwicklungspotenziale und damit einen hohen Beschäftigungsstand und politische und ökonomische Stabilität.

Studien haben uns gezeigt, dass Entwicklungsländer mit offenen Volkswirtschaften durchschnittlich viermal schneller als Länder wachsen, die sich in Beschränkungen ergehen. Wir alle wissen im Übrigen, welch fundamentale Bedeutung innerer Friede und Rechtssicherheit, aber auch eine Stärkung der privaten Wirtschaft und eine Öffnung der Märkte für prosperierende Volkswirtschaften haben.

Den Schlüssel hierfür hat jedes Land selbst in der Hand. Deswegen macht es Sinn, gemeinsam daran zu arbeiten, dass Rechtssicherheit und Sicherheit für Investoren und für Menschen, die in unterschiedlichen Kulturen arbeiten wollen, eine Maxime politischen Handelns ist, jedenfalls dann, wenn man erfolgreich handeln will.

Zwischen Mexiko und Deutschland gibt es vor diesem Hintergrund große Möglichkeiten einer gemeinsamen Entwicklung. Diese Möglichkeiten werden - darauf ist hingewiesen worden - bereits jetzt in großem Umfang von multinational tätigen Unternehmen genutzt. Darüber freuen wir uns durchaus.

Aber was ich für die deutsche Regierung, für die deutschen Unternehmerinnen und Unternehmer, gern zum Ausdruck bringen möchte, ist, dass wir bei der Durchdringung unserer Märkte behilflich sein sollten - nicht zuletzt für diejenigen Unternehmen, die man als kleine und mittlere Unternehmen bezeichnet.

Sie bilden - das ist jedenfalls die Erfahrung in unserer Volkswirtschaft - das Rückgrat einer Volkswirtschaft, weil sie innovativ und zudem hoch flexibel sind. In den nächsten Jahren unserer Zusammenarbeit wird es besonders darauf ankommen, diesen hoch flexiblen Unternehmen die Möglichkeiten in diesem Markt stärker als in der Vergangenheit zu eröffnen. Das dient letztlich allen. Das dient der Kooperation auf diesem Sektor in Mexiko. Das dient - richtig verstanden - aber auch den großen Unternehmenseinheiten, die Zulieferung und Serviceleistungen von kleinen und mittleren Unternehmen gut gebrauchen können. Und es dient mit Sicherheit, wenn wir das offensiv angehen, der weiteren Vertiefung und Verbesserung unserer Beziehungen auf wirtschaftlichem Gebiet.

Ich würde mir also wünschen, dass wir, verehrter Herr Präsident Fox, miteinander das Ziel bestimmen, dass die nächsten Jahre der Zusammenarbeit zwischen unseren beiden Ländern auf wirtschaftlichem Gebiet Jahre der mittleren und kleinen Unternehmen werden. Wenn ich mir das wünsche, dann will ich damit überhaupt nicht kleinreden, was die global tätigen Unternehmen für den Austausch zwischen beiden Ländern getan haben. Zudem wünsche ich mir, dass Sie die erfolgreiche Öffnung des Marktes mit Entschiedenheit und mit dem Mut, den Sie bisher bewiesen haben, weitergehen. Das nutzt beiden Ländern, weil es unserer gemeinsamen Arbeit nutzt.

In diesem Sinne war das "sich bekannt machen" zwischen deutschen und mexikanischen Unternehmern eine richtige und erfolgreiche Angelegenheit. Ich wünsche mir viel mehr solcher Treffen. Vielleicht lässt sich das nächste in Deutschland organisieren. Ich habe vom Präsidenten gehört, dass er große Delegationen in Begleitung seiner Minister nach Deutschland schicken will und wird. Bei uns sind sie jedenfalls willkommen. Das möchte ich Ihnen vermitteln.