Redner(in): Gerhard Schröder
Datum: 20.07.1999

Anrede: Anrede,
Quelle (evtl. nicht mehr verfügbar): http://archiv.bundesregierung.de/bpaexport/rede/11/11711/multi.htm


mehr als jede andere Armee hat sich die Bundeswehr als demokratische Institution eines demokratischen Staatswesens öffentlich beweisen müssen. Und ich glaube, ich kann heute sagen, daß dieser Beweis gelungen ist. Ich sage das vor allem deshalb, weil die Bundeswehr in einer außenpolitisch äußerst schwierigen Situation ihren Auftrag in vorbildlicher Weise erfüllt hat.

Der Einsatz im Kosovo hat jedem gezeigt: Unsere Bundeswehr ist tatsächlich eine Friedens-Streitmacht. Sie ist keine Eroberungs-Armee, die andere Länder unterwirft. Sondern unsere Soldatinnen und Soldaten setzen das um, was wir alle aus der Geschichte gelernt haben: Verantwortung für die Menschenrechte zu übernehmen - auch und gerade dort, wo deutsche Armeen in der Vergangenheit Terror und Verbrechen über die Völker gebracht haben.

Deshalb ist es gut und passend, daß diese feierliche Vereidigung an diesem Tag an diesem Ort stattfindet. Der Bendler-Block wird nicht nur äußerlich renoviert. Auch die künftig hier beheimatete Bundeswehr hat eine eigene Geschichte. Sie wird sich immer dessen bewußt sein, was deutscher Militarismus im 20. Jahrhundert angerichtet hat.

Sie wird wissen, welches Verderben deutsche Soldaten über die Völker Europas gebracht haben. Aber sie wird auch wissen, daß Bundeswehr-Soldaten als Kämpfer für die Freiheit haben wirken können. Daß sie den Opfern einer grausamen Diktatur haben helfen können. Daß sie in der Tradition des 20. Juli stehen - und nicht in der Tradition des 30. Januar 1933. Für Sie, liebe Rekruten, liebe Eltern und Angehörige, ist dies ein ganz besonderer Tag, aber auch für unsere Hauptstadt Berlin und für Deutschland insgesamt. Deshalb war es mir eine Herzensangelegenheit, der Einladung des Bundesverteidungministers zu folgen und heute hier zu Ihnen zu sprechen.

Hier im Bendler-Block hatte zu Beginn dieses Jahrhunderts das Reichsmarineamt Quartier. Es wurde geleitet von Großadmiral von Tirpitz dem Spiritus Rector der verhängnisvollen Flottenpolitik des Wilhelminischen Deutschland.

Adolf Hitler hielt hier im Februar 1933 seine Unheil und Verbrechen ankündigende Rede über den deutschen "Lebensraum". Und hier war während der furchtbaren Jahre der nationalsozialistischen Diktatur das Oberkommando des Heeres untergebracht.

Der Bendler-Block symbolisiert aber auch den Widerstand deutscher Soldaten gegen das verbrecherische Regime des Nationalsozialismus. Hier, im Hof des Bendler-Blocks, ließ Hitler vor 55 Jahren nach dem fehlgeschlagenen Attentat gegen seine Person die aufrechten Patrioten erschießen, die als Offiziere wußten, daß Deutschland nicht gegen äußere Feinde geschützt werden mußte, sondern gegen die Terroristen, die Deutschland regierten. Diese Offiziere haben den Mut bewiesen, der unserer Bundeswehr Vorbild ist: Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg, General Friedrich Olbricht, Oberst Ritter Mertz von Quirnheim und Oberleutnant von Haeften. Sie hatten ihr Leben eingesetzt für den Schutz von Menschenwürde, Recht und Freiheit.

Dieser Männer wollen wir heute bei diesem Gelöbnis gedenken. Ihr Handeln war in den Jahren nach dem II. Weltkrieg wesentliche Voraussetzung für die Aufnahme des deutschen Volkes in die Wertegemeinschaft der westlichen Demokratien.

Der deutsche Widerstand gegen totalitäre Herrschaft - den Männer und Frauen aus allen Kreisen und Schichten unseres Volkes getragen haben - zeigt uns auch, daß Menschenwürde, Recht und Freiheit niemandem geschenkt werden. Diese grundlegenden Werte müssen immer wieder errungen und geschützt werden. Die Menschen in den neuen Bundesländern haben uns das im Herbst 1989 buchstäblich demonstriert: Unbeirrt haben sie sich für die Grundwerte der Demokratie eingesetzt und ein diktatorisches Regime abschütteln können.

Das war, endlich einmal, eine friedliche und geglückte Revolution in Deutschland. Eine Revolution für Frieden und Freiheit - und das sollte uns auch ein wenig stolz machen: Daß gerade die Deutschen, die so viel Leid über andere Völker gebracht haben, am Ende dieses Jahrhunderts in der Lage waren, Freiheit und Demokratie friedlich zu erringen.

Meine Damen und Herren, ganz bewußt wurde der Bendler-Block als Dienstsitz des Bundesministers der Verteidigung in Berlin gewählt. Die Bundesregierung hat damit ein deutliches Zeichen gesetzt: Die Streitkräfte des demokratischen und vereinten Deutschlands stellen sich der deutschen Geschichte in ihrer Gesamtheit.

Schon bei ihrer Gründung wurde die Bundeswehr auf neue, wenn man so will: anti-militaristische Fundamente gestellt. So entstand die Konzeption der Inneren Führung. Das ist nicht nur ein Schlagwort. Es war und ist das Leitmotiv einer demokratisch strukturierten Armee, die wir nach dem Krieg aufzubauen gefordert waren. Die sogenannte Wiederbewaffnung war im In- und Ausland nicht unumstritten. Sie konnte nur gelingen, weil die Bundeswehr von Beginn an das und nur das war, was sie heute ist: der uniformierte Teil einer zivilen Gesellschaft. Viele haben an diesem fortdauernden Reformwerk mitgewirkt, und doch ist es zu Recht vor allem mit einem Namen verknüpft: Wolf Graf von Baudissin.

Der Staatsbürger in Uniform ist den Werten unserer Verfassung besonders verpflichtet. Der Schutz der Demokratie und der Menschenwürde sind Kennzeichen der eigenständigen Tradition der Bundeswehr. Sie sind Orientierung für jeden militärischen Einsatz - in der Landes- und Bündnisverteidigung wie auch bei allen anderen Einsätzen zur Wahrung von Frieden und Freiheit. Für diese Werte stehen unsere Soldaten ein. Und deshalb können sie sich auch darauf verlassen, daß die Gesellschaft, die denselben Werten verpflichtet ist, hinter ihnen steht.

Liebe Rekruten, Sie sind geboren und groß geworden in der längsten Friedensperiode, die Deutschland in seiner jüngeren Geschichte erlebt hat. Sie haben aber auch erleben müssen, wie zerbrechlich der Frieden selbst heute noch ist.

Und zwar nicht mehr deshalb, weil schwer bewaffnete Machtblöcke einander bedrohen. Sondern zum Beispiel deshalb, weil auch in unserem Europa Diktatoren immer noch glauben, Krieg gegen die eigene Bevölkerung führen zu können. Die Staatengemeinschaft kann eine solche Verletzung der Menschenrechte nicht tatenlos hinnehmen.

Heute sind Sie hier angetreten, liebe Rekruten, um öffentlich lhre Bereitschaft zum Dienst in der Bundeswehr zu bekräftigen. Sie tun das in dem Bewußtsein, daß auch Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr auf dem Balkan dazu beitragen, den Frieden in Bosnien und im Kosovo zu bewahren und dem Wiederaufbau und der Versöhnung eine Chance zu geben - Seite an Seite mit französischen, spanischen und ukrainischen Kameraden, gemeinsam mit Amerikanern, Russen und vielen anderen.

Ihr Dienst ist wertvoll und wichtig - anerkannt von den Menschen, denen sie helfen, und getragen von breiter Zustimmung in der deutschen Bevölkerung. Ihr Dienst in den Streitkräften erinnert uns täglich daran: Deutschland ist so sicher wie nie zuvor.

Die Bundeswehr und unsere feste Einbindung in die westliche Wertegemeinschaft - in die NATO und im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik - garantieren unseren Frieden, unsere Sicherheit und vor allem: unsere Freiheit. Frieden gibt es nicht ohne Freiheit. Freiheit bewahrt nur, wer zu ihrer Verteidigung fähig und entschlossen ist. Natürlich gilt für uns unverändert: An internationalen Einsätzen nehmen nur Soldatinnen und Soldaten teil, die sich freiwillig dazu bereit erklärt haben und die dafür besonders ausgebildet sind.

Sie, liebe Rekruten, sollen wissen, was Ihr eindeutiger Auftrag ist: die Würde des Menschen zu schützen und zu verteidigen.

Soldat für den Frieden zu sein - das ist eine große Herausforderung. Ihre Aufgabe verlangt Mut und Hilfsbereitschaft. Sie verpflichten sich zu Achtung und Respekt vor den Menschen und ihrer Kultur. Sie übernehmen persönlich Verantwortung für Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit. Das kann nur, wer selbst von den Werten unserer Verfassung überzeugt ist. Sie werden versprechen, treu zu dienen. Dienen ist heute keine Selbstverständlichkeit. Es heißt, Unbequemlichkeiten, Risiken und Anstrengungen auf sich zu nehmen. Ich bin stolz darauf, daß Sie das tun. Sie tun es nicht nur für Deutschland, Sie tun es für die Würde der Menschen. Das ist kein geringes Ziel. Es ist das edelste, was wir heute füreinander tun können: Tapfer für sich selbst sein. Und tapfer für die Rechte anderer.

Ihnen, liebe Rekruten, wünsche ich für die vor Ihnen liegende Dienstzeit alles Gute und das stets erforderliche "Soldatenglück" - und uns allen: eine Zukunft in Frieden und Freiheit.